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Wirtschaft und Menschenrechte

Miriam Saage-Maaß

/ 7 Minuten zu lesen

Das Völkerrecht kennt keine Unternehmen, wenn es um die Ahndung von Menschenrechtsverletzungen geht. Dennoch sind es häufig auch die global agierenden Konzerne, die – bewusst oder unbewusst – zur Verletzung von Menschenrechten beitragen. Sei es durch miserable Arbeitsbedingungen, der Kooperation mit Gewaltakteuren oder der Verschmutzung von Lebensraum in Folge von Ressourcengewinnung. Doch es bewegt sich etwas – zahlreiche Nichtregierungsorganisationen setzen sich dafür ein, Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen weltweit haftbar zu machen. Bis Menschenrechtspflichten auch für Unternehmen ins Völkerrecht eingehen, dürften aber noch Jahrzehnte vergehen.

Tansanische Frauen, die in einer Goldmine arbeiten. Das Mädchen rechts ist erst 13 Jahre alt. Kinderarbeit ist hier weitverbreitet und extrem gefährlich: vor allem wegen der Gase, einstürzenden Schächten und des Kontakts mit Quecksilber. (© picture-alliance/dpa, Sandra Gätke)

Menschenrechte sind universell, unteilbar und beziehen sich auf viele Bereiche, auf die auch Unternehmen Einfluss haben – etwa Beschäftigungspraktiken, Sicherheit, Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz. Daher liegt es nahe, auch die Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen kritisch zu betrachten. Vielen erscheint dies jedoch als Widerspruch: Was haben Unternehmen als private Organisationen mit Menschenrechten zu tun? Werden sie nicht wie Menschen auch vor dem Eingriff des Staates geschützt, beispielsweise über das Recht auf Eigentum? Eine solche Einschätzung geht auf ein traditionelles Menschenrechtsverständnis zurück, wonach allein Staaten Träger von Rechten und Pflichten im Völkerrecht sind – und damit die Menschenrechte auch nur für sie verpflichtend sind.

Die Realität im 21. Jahrhundert: Unternehmen verletzen Menschenrechte in Konfliktregionen, entlang der globalen Zulieferketten und bei Infrastrukturprojekten

Doch die Realität der globalisierten Wirtschaft zeigt, dass unternehmerisches Handeln – bewusst oder unbewusst – zur Verletzung von Menschenrechten führen kann. Unternehmen, die in autoritären Regimen oder in Konfliktregionen wirtschaftlich tätig sind, unterstützen diese mittelbar unter anderem durch die Zahlung von Steuern. Andere Firmen kooperieren unmittelbar mit den gewalttätigen Akteuren: Sie unterstützen oder fördern Menschenrechtsverletzungen beispielsweise durch direkte Geldleistungen oder Waffenlieferungen an Polizei, Armee und paramilitärische Gruppen. Wieder andere fördern Menschenrechtsverletzungen durch die Lieferung von Technologien wie Späh-Software zur Überwachung von Regimekritikern. Unternehmen können nicht nur Anlass zu teils brutalem Vorgehen der Polizei, der Armee oder anderer Gruppen geben, sie profitieren auch immer wieder von solchen Aktionen, etwa wenn der Widerstand in der Bevölkerung gegen ein geplantes Großprojekt gebrochen wird.

Höchst problematisch sind auch die Arbeitsbedingungen in global verteilten Zulieferbetrieben europäischer Unternehmen. Regelmäßig extreme Überstundenzahlen bei geringem Lohn, lebens- und gesundheitsgefährdende Arbeitsplätze, sexualisierte Gewalt vor allem gegen Frauen oder Bedrohung von Gewerkschaftsmitgliedern sind in einigen Ländern Alltag. Nicht zuletzt über die Preis- und Einkaufspolitik und die geringe Kontrolle von Sozialstandards tragen die Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette eine Mitverantwortung für die prekären, wenn nicht gar miserablen Arbeitsbedingungen.

Wenn transnationale Unternehmen neue Gebiete für den Abbau von Rohstoffen wie Kohle oder Gold erschließen, geht dies oft mit der unmittelbaren oder schleichenden Vertreibung der Bevölkerung in der Region einher, etwa durch die Verschmutzung des Lebensraumes. So deutet viel darauf hin, dass Minen wie die Tintaya-Antapaccay-Mine in Peru das Trinkwasser ganzer Anden-Regionen verschmutzt. Gleiches gilt in der Agrarindustrie und bei großen Infrastrukturprojekten.

Protestieren oder wehren sich die betroffenen Menschen, müssen sie damit rechnen, kriminalisiert oder gewaltsam verfolgt zu werden. Ein Beispiel ist die Ermordung der Menschenrechts- und Umweltaktivistin Berta Cáceres aus Honduras im März 2016, die sich wegen der zu befürchtenden verheerenden Auswirkungen auf Umwelt und AnwohnerInnen jahrelang gegen das Agua-Zarca-Staudamm-Projekt eingesetzt hat. Wegen ihres Protestes gegen den Staudamm war sie über Jahre hinweg immer wieder belästigt und bedroht worden.

Welche Verantwortung tragen Unternehmen überhaupt für Menschenrechte?

Trotz dieser zum Teil erheblichen Auswirkungen, die Unternehmen auf Menschenrechte haben, sind sie anders als Staaten keine direkten Pflichtenträger dieser Rechte.

Durch die völkerrechtlichen Menschenrechtsverträge sind allein Staaten unmittelbar rechtlich gebunden. Nach einer immer noch einflussreichen Auffassung unter JuristInnen und PolitikerInnen sind Unternehmen im völkerrechtlichen Sinne zunächst nichts anderes als Zusammenschlüsse privater Personen, die nicht von den internationalen Menschenrechts- und Arbeitsrechtkonventionen erfasst sind. Seit einigen Jahren gibt es jedoch eine Tendenz in der akademischen und politischen Debatte zur Aufweichung des Dogmas der alleinigen Völkerrechtssubjektivität von Staaten. Nach der bisherigen Rechtstheorie sind allein Staaten handlungsfähige Subjekte und damit auch nur sie Träger von Rechten und Pflichten nach dem Völkerrecht. Es wird mittlerweile allgemein anerkannt, dass sowohl Individuen als auch Unternehmen begrenzte Pflichten haben, beispielsweise wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen im Sinne des Völkerstrafrechts oder Folter geht. Dennoch bleibt die unerfreuliche Situation, dass Unternehmen nicht vor den Klage- oder Beschwerdeinstanzen des UN-Menschenrechtssystems oder der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) belangt werden können.

Gleichzeitig aber gibt das Wirtschaftsvölkerrecht den Unternehmen weitgehende Rechte. Freihandels- und Investitionsschutzabkommen etwa räumen Unternehmen die Möglichkeit ein, gegen Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu klagen, wenn sie beispielsweise ihre Investitionen gefährdet sehen. Staaten wurden schon zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilt, weil sie Umwelt- oder Sozialstandards gesetzlich angehoben und damit Menschenrechte geschützt haben. So wurde der ägyptische Staat vom französischen Konzern Veolia zu mehreren Millionen Schadenersatz verklagt, weil der gesetzliche Mindestlohn 2011 angehoben wurde.

Unternehmer wiederum können individuell nur bei schwersten Menschenrechtsverletzungen durch das Völkerstrafrecht zur Verantwortung gezogen werden: Es ist möglich, einzelne Mitarbeiter und Manager von Unternehmen als Individuen zur Verantwortung zu ziehen, wenn Sie Völkerrechtsstraftaten begehen, wie dies beispielsweise in den Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen die Eigentümer und Manager der IG Farben und anderer Konzernen erfolgt ist. Auch in den Niederlanden wurde ein Geschäftsmann wegen der Lieferung von Giftgas in den Irak als Kriegsverbrecher verurteilt.

Verpflichtungen von Unternehmen auf nationaler Ebene

Nichtsdestotrotz sind Unternehmen an die jeweiligen nationalen Gesetze gebunden. Nationale Arbeits- und Umweltschutzgesetzgebungen machen wichtige Menschenrechte wie das Recht auf sauberes Trinkwasser und das Recht auf Vereinigungsfreiheit auch für Unternehmen verbindlich. Nicht ohne Grund haben die ArbeiterInnenbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts wie auch die Umweltbewegung seit den 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts in Europa auch für eine rechtliche Absicherung der errungenen Sicherheiten gekämpft.

Allerdings stoßen auch die nationalen Gesetzgebungen an ihre Grenzen: Mit der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft geht eine Flexibilisierung der Produktion einher. Ein europäisches Unternehmen kann an verschiedenen Standorten weltweit produzieren und verfügt darüber hinaus oft über ein weitreichendes Netz global verstreuter Zulieferbetriebe. So bezieht ein Smartphone-Hersteller die rund 80 benötigten Edelmetalle über komplizierte Zulieferketten aus westafrikanischen Minen, lässt die Mikro-Chips in chinesischen Fabriken produzieren, die Montage der Geräte wiederum findet in Fabriken in Indien statt. Über die Konzernspitzen etwa in den USA und Europa läuft nur die Produktentwicklung und Vermarktung. Auf diese Weise kann sich ein Unternehmen den hohen Arbeits- und Umweltstandards eines Landes entziehen, indem es problematische Produktionen in ein anderes Land mit geringeren Standards verlagert. Gerade sich entwickelnde Staaten des sogenannten globalen Südens verfügen oft nicht über eine ausreichende Gesetzgebung oder über die entsprechenden Institutionen, um privatwirtschaftliches Handeln konsequent zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. Damit bleibt die Regulierung weltweit agierender Konzerne und multinationaler Unternehmen lückenhaft.

Hierauf reagieren zivilgesellschaftliche Gruppen in Europa, Nordamerika wie auch Asien, Afrika und Lateinamerika mit verschiedenen Strategien:

  1. Kampagnen und Proteste
    Weltweit werden die negativen Auswirkungen von Unternehmen auf die menschenrechtliche Situation über Kampagnen, Streiks und andere Protestformen in der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Hinzu kommen auch die vielen Recherchen und Berichte, die die kritisierten Situationen belegen. So hat das Netzwerk „Kampagne für Saubere Kleidung“ über ihre zahlreichen Kampagnen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Südasien immer wieder erfolgreich öffentlich gemacht.

  2. Forderung nach Gesetzesreformen und klaren Haftungsregelungen für transnationale Unternehmen
    Weiterhin fordern immer mehr Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften klare gesetzliche Regelungen, die global agierende Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen weltweit haftbar machen sollen. Dabei fordern sie sowohl auf nationaler Ebene Gesetzesreformen in Europa und im globalen Süden als auch eine internationale Konvention, die die Menschenrechtspflichten von Unternehmen international festschreibt. Beispielsweise arbeiten auf europäischer Ebene die European Coalition for Corporate Justice und in Deutschland das CorA Netzwerk als Zusammenschlüsse verschiedener Nichtregierungs- und Entwicklungsorganisationen daran, dass in der EU und in Deutschland im Straf- und Zivilrecht klare Haftungsregeln für Unternehmen eingeführt werden, die im Ausland Menschenrechte verletzen. Das Netzwerk "Stop Corporate Impunity" setzt sich dafür ein, dass auf UN-Ebene eine Menschenrechtskonvention mit Pflichten für Unternehmen eingeführt wird.

  3. Klagen vor nationalen Gerichten gegen transnationale Unternehmen
    Betroffene ziehen derweil immer öfter vor nationale Gerichte. Sie fordern Schadenersatz für das erlittene Unrecht oder initiieren über Anzeigen strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen und deren Manager. Neben großen zivilrechtlichen Entschädigungsverfahren in den USA gibt es auch erfolgreiche Klagen, wie zum Beispiel gegen den Ölkonzern Chevron wegen der Verschmutzung des Amazonas in Ecuador. Auch in Europa wurde eine Reihe von Strafverfahren erfolgreich abgeschlossen, wie etwa die Verurteilung eines Chemiewaffenhändlers in den Niederlanden.

In Deutschland wurde auf politischer Ebene Ende 2016 der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte in nationales Recht übersetzt. Demnach sollen Unternehmen bei der Wahrung der Menschenrechte entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette künftig stärker in die Verantwortung genommen werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Umsetzung des Aktionsplans in der Praxis gestaltet.

Fazit

Die Verantwortung von Unternehmen sollte im Völkerrecht reguliert werden. Das heißt, Unternehmen sollten völkerrechtlich dazu verpflichtet werden, die Menschenrechte zu respektieren. Bis allerdings eine entsprechende Konvention verabschiedet ist, wird es wohl Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Und auch ein völkerrechtlicher Vertrag muss erst umgesetzt werden. Bis dahin sollten also insbesondere die Bemühungen um eine bessere Regulierung von Unternehmen auf der nationalen Ebene in den Gast- wie in den Heimatstaaten der Unternehmen vorangebracht werden. Ein wichtiger Baustein sind dabei nicht zuletzt die zahlreichen verschiedenen Klagen und Strafanzeigen, die Betroffene von Unternehmensunrecht immer häufiger weltweit in die Wege leiten. Diese Verfahren tragen dazu bei, dass Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen im Wirtschaftsbereich tatsächlich haftbar wird.

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Miriam Saage-Maaß ist promovierte Rechtsanwältin und stellvertretende Legal Director beim Externer Link: European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), wo sie das Programm Wirtschaft und Menschenrechte aufgebaut hat und derzeit leitet. Sie hat unter anderem an zivilrechtlichen Verfahren gegen Unternehmen wie Lidl und Kik wegen der Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen in Bangladesch und Pakistan gearbeitet. Sie ist auch an verschiedenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Manager deutscher Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen im Sudan, der DR Kongo oder Bahrain beteiligt. Saage-Maaß veröffentlicht regelmäßig zur Frage der juristischen Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen.