Die Eröffnungsvorträge hielten Dr. Floris Biskamp von der Universität Tübingen und Prof. Dr. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Dabei erörterte Dr. Biskamp die Notwendigkeit einer Fachtagung zu antimuslimischem Rassismus: Der mediale Diskurs sei stark auf "den Islam" fokussiert und würde diesen überwiegend negativ darstellen, sodass rassistische Äußerungen über Musliminnen und Muslime nicht selten "salonfähig" seien. Umso wichtiger sei es, antimuslimischen Rassismus als solchen zu kennzeichnen. Gleichzeitig machte er aber deutlich, wie wichtig eine Grenzziehung zwischen legitimer Religionskritik und antimuslimischem Rassismus sei: So würden bei rassistischer Gewalt gegen Musliminnen und Muslime antimuslimische Aussagen häufig unter dem Deckmantel der "Religionskritik" formuliert, um dem eigenen Handeln "einen Anschein von sozialer Legitimität" zu verleihen.
Andererseits gebe es Dr. Biskamp zufolge auch eine Reihe von "Problemen in islamischen Kontexten" (z. B. Islamismus, autoritäre Normen), an denen Kritik unbedingt erlaubt sein sollte. Aufgrund dieses Spannungsverhältnisses müsse man sich jedoch bei jeder öffentlich getätigten Aussage über "den Islam" fragen, ob tatsächlich die Kritik realer Probleme in islamischen Kontexten im Vordergrund stehe oder ob es nur darum ginge, gängige Stigmatisierungen einer gesellschaftlichen Minderheit zu stärken und zu reproduzieren.
Mit einem interaktiven Einstieg, einem sogenannten "Priming Experiment", schloss Prof. Küpper an den Vortrag von Dr. Biskamp an und zeigte dem Publikum, dass Bilder innerhalb von nur wenigen Sekunden eine Reaktion auslösen. Wie stark also wirken sich Bilder und Stereotype aus, die sich über Jahrhunderte hinweg etabliert haben? Vorurteile und Diskriminierungen resultieren aus der Kategorisierung, Stereotypisierung und Bewertung von Menschen, die jede/-r von uns zu jeder Zeit (un-)bewusst vornimmt. Prof. Küppers Forderung nach mehr Demokratiebildung ergab sich nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass Diskriminierungen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit komplexe Phänomene darstellen: Wer eine soziale Gruppe abwertet, wertet oft auch andere Gruppen ab.
In den vier parallelen Paneldiskussionen am Nachmittag konnten sich die Teilnehmenden vertieft mit unterschiedlichen Facetten von antimuslimischem Rassismus auseinandersetzen. Zur Auswahl standen die Themen antimuslimischer Rassismus in den Medien; die Auswirkungen von antimuslimischem Rassismus auf die Identität, das Leben und den Alltag von Betroffenen; Akteure des antimuslimischen Rassismus; sowie antimuslimischer Rassismus und Mehrfachdiskriminierung – eine Erfahrung, die insbesondere Frauen immer wieder dann durchleben, wenn Rassismus und pauschalisierende Abwertungen aufgrund des Geschlechts, der Hautfarbe oder Sexualität Hand in Hand gehen. Die Referentinnen und Referenten boten nach ihren jeweiligen Inputs genügend Raum für den Dialog und die Diskussion mit den Teilnehmenden.
The Securitisation of Islam (© Malwine @malweene)
The Securitisation of Islam (© Malwine @malweene)
Die zweite Runde der Paneldiskussionen umfasste ebenfalls vier verschiedene Angebote – die beiden wiederkehrenden Themen antimuslimischer Rassismus in den Medien und Akteure des antimuslimischen Rassismus wurden komplettiert durch ein Panel zu antimuslimischem Rassismus als islamistischem Mobilisierungsthema und durch ein viertes Panel zur Versicherheitlichung des Islams. In Letzterem boten Dr. Charlotte Heath-Kelly von der University of Warwick und Prof. Dr. Moustafa Bayoumi von der City University of New York spannende Einblicke in die Debatten um den Islam als vermeintliche Bedrohung für nationale Sicherheit. Dabei verdeutlichten die britische und die US-amerikanische Perspektiven der Referierenden nicht nur die globale Relevanz des Themas, sondern auch die Parallelen zu den in Deutschland und Europa geführten Diskussionen – z. B. über das Verbot des "Burkini".
In einem Podiumsgespräch zum Abschluss des ersten Tages schilderten und diskutierten Engagierte aus allen Teilen Europas mit dem Journalisten Daniel Bax über das Phänomen des antimuslimischen Rassismus in ihren jeweiligen Ländern. "Wie salonfähig ist antimuslimischer Rassismus in Europa?", lautete die Leitfrage des Abends. Bulcsú Hunyadi, Analyst beim "Political Capital Institute" in Budapest, erkannte eine salonfähige Islamfeindlichkeit in Ungarn und betonte, dass diese auch von der ungarischen Regierung propagiert werde. Die ungarische Gesellschaft sei äußerst homogen, sodass die in Ungarn lebenden Minderheiten sehr abgeschottet und entsprechend kaum sichtbar seien. Deshalb sei weniger antimuslimischer Rassismus das primäre Problem, sondern eine allgemeine und entschiedene Ablehnung von Einwanderung.
In den Niederlanden sei ein wachsender islamfeindlicher Rechtspopulismus wahrzunehmen, so Marianne Vorthoren von der "Platform for Islamic Organisations in Rijnmond" (SPIOR). Einer der Indikatoren für die Salonfähigkeit eines antimuslimischen Rassismus sei der Erfolg der migrantenfeindlichen Partei "Forum für Demokratie", die im März 2019 stärkste Kraft bei Provinzwahlen wurde. Elif Adam von der Wiener "Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus“ dokumentiert antimuslimisch-rassistische Fälle, unterstützt Betroffene und leistet Bildungsarbeit. In Österreich seien Angriffe auf Musliminnen und Muslime vor allem auf einer psychologischen Ebene erkennbar. Prof. Dr. Fereshteh Ahmadi von der Universität Gävle beschrieb die Parallelen schwedischer und deutscher Debatten im Kontext der Ereignisse beginnend im Sommer 2015 und zeigte auf, dass auch in Schweden die gestiegene Anzahl der Geflüchteten, die seit diesem Jahr Zuflucht in Europa suchten, ein game changer für die Akzeptanz und Verbreitung von antimuslimischem Rassismus gewesen sei.