Zusätzliche Facetten der Wahlentscheidung vom 24. September 2017 ergeben sich aus der Perspektive der individualpsychologischen und der rationalistischen Erklärungsmodelle. Zu untersuchen sind hierbei besonders die Auswirkungen der Parteibindungen sowie des Kandidaten- und des Parteienimages. Allen drei Variablen kommt eine wahlerklärende Bedeutung zu.
Verschiedene Befragungen seit der deutschen Einheit haben übereinstimmend ergeben, dass nach wie vor etwa zwei Drittel der deutschen Wählerinnen und Wähler eine stabile persönliche Bindung an eine politische Partei besitzen. Sie gehören damit eher zur Stamm- als zur Wechselwählerschaft. Wer bei zwei aufeinanderfolgenden gleichen Wahlen für verschiedene Parteien gestimmt hat, wird zur Wechselwählerschaft gerechnet. Sie hat in den letzten Jahren zugenommen. Diese Parteiidentifikationen von rund zwei Dritteln der deutschen Wählerschaft wirken gemäß dem zugrunde gelegten Modell als Filter bei der persönlichen Wahrnehmung und bei der Bewertung politischer Ereignisse. Die stabile Bindung an Parteien stellt eine Art Orientierungshilfe bei der Wahrnehmung des gesamten politischen Systems dar. Betroffen sind hiervon sowohl die Ausstrahlung und die Führungsqualitäten der einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten als auch die Problemlösungskompetenzen von Regierung und Opposition. Durchgängig erscheinen dabei verständlicherweise die eigene Partei und ihr politisches Personal in einem günstigeren Licht.
Allerdings hat das Ausmaß dieser Parteiidentifikationen während der letzten Jahre abgenommen, im Osten sogar deutlicher als im Westen. Dieses Phänomen wird durch den Mitgliederschwund in den Parteien verschärft. Seit Mitte der Siebzigerjahre haben alle Parteien deutlich Mitglieder verloren.
Diese Mitgliederverluste setzten sich in den alten Bundesländern bei CDU, SPD, FDP und eingeschränkt auch bei der CSU nach der staatlichen Vereinigung 1990 fort. Abgesehen von der Problematik, in einer Parteiendemokratie mit schwindenden Mitgliederzahlen zu leben, führt dieser Befund auch zu einer Aufwertung kurzfristig wirksamer Determinanten des Wahlverhaltens. Damit steigt gleichzeitig das Wechselwählerpotenzial. Wiederum lassen sich Unterschiede zwischen Ost und West feststellen. In den westlichen Bundesländern ist eher eine allmähliche Abschwächung und teilweise sogar eine Auflösung längerfristiger Parteibindungen zu beobachten. Zum einen hat sich bei einem Teil der Wählerinnen und Wähler zunehmend eine distanziertere Haltung gegenüber den Parteien herausgebildet. Zum anderen hat sich aber auch die Angebotsstruktur geändert. Das Aufkommen neuer Parteien und Koalitionsoptionen hat fast zwangsläufig zu einer Umorientierung auf dem Wählermarkt geführt. Traditionelle Loyalitäten, wie sie sich besonders in der Frühphase der Bundesrepublik Deutschland ausgebildet hatten, verlieren damit tendenziell ihren bislang beherrschenden Einfluss auf die Wahlentscheidung. Im Osten hingegen entwickeln sich solche Beziehungsmuster zwischen Parteien sowie Wählerinnen und Wählern noch bzw. gar nicht. Es besteht kein Zweifel daran, dass vorhandene Parteibindungen in den östlichen Bundesländern lockerer sind. Entsprechend schwächer ist ihr Einfluss auf die individuelle Wahlentscheidung. Die Wählerschaft im Osten orientiert sich bislang stärker an kurzfristigen Faktoren wie dem Erscheinungsbild der Kandidatinnen und Kandidaten sowie an der Kompetenz der Parteien. Insgesamt verlieren die Politikverantwortlichen in Ost und West deutlich an Sympathien.
Die CDU/CSU stellte 2005 mit Angela Merkel eine Kanzlerkandidatin auf, die nicht dem üblichen Schema einer Unionsbewerbung entsprach. Zwar gewann sie den Wahlkampf gegen Gerhard Schröder knapp, jedoch hatte sie als Herausforderin mit niedrigen Popularitätswerten gegenüber Schröders Kanzlerbonus zu kämpfen. Beim Bundestagswahlkampf 2017 standen die Vorzeichen nun genau umgekehrt: Nun erzielte Angela Merkel dauerhaft höhere Popularitätswerte als ihr Herausforderer Martin Schulz von der SPD ‒ auch wenn die Partei zu Beginn des Wahljahres mit dem sogenannten Schulz-Zug ein kurzes Umfragehoch erleben durfte. "Merkel plus X" – so stellte sich für die meisten Wählerinnen und Wähler offensichtlich die Wahloption am 24. September 2017 dar. Über viele Monate hinweg zeichnete sich keine klare Mehrheit eines bestimmten politischen Lagers ab ‒ wie es häufig in der Vergangenheit der Fall war. Dies zeigte sich auch daran, dass die Parteien keine klaren Koalitionspräferenzen äußerten. Die Kanzlerin konnte jedoch mit stabilen lagerübergreifenden Zustimmungswerten aufwarten, die die Bundestagswahl zu einer ausgeprägten Personenwahl machten. Eine klare Mehrheit wollte Merkel auch nach der Wahl an der Spitze einer unionsgeführten Bundesregierung sehen: Kurz vor dem Wahltag wünschten sich 56 Prozent lieber Merkel als Bundeskanzlerin, während ihr SPD-Herausforderer Schulz in dieser bedeutsamen Frage lediglich auf 34 Prozent kam. Merkel überflügelte Schulz in nahezu allen wichtigen Kompetenzbereichen: Sie wirkte in den Augen der Wählerinnen und Wähler sympathischer und glaubwürdiger als Martin Schulz und ihr wurde deutlich mehr Sachverstand zugesprochen als ihrem Kontrahenten. Merkel wurde eher zugetraut, Deutschland in weltweit unsicheren Zeiten zu führen. Lediglich mit Blick auf die Herstellung sozialer Gerechtigkeit lag Schulz vorn.