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Bundespräsident

Horst Pötzsch

/ 4 Minuten zu lesen

Der Bundespräsident übernimmt als Staatsoberhaupt vor allem repräsentative Tätigkeiten und hat im internationalen Vergleich verhältnismäßig wenig Macht. In parlamentarischen Krisensituationen kann er aber eine wichtige Rolle spielen.

Blick auf Schloss Bellevue während des Gossen Zapfenstreich zur Verabschiedung von Bundespräsident Johannes Rau (© AP)

Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Er repräsentiert die Einheit des Staates. Über diese repräsentative Rolle hinaus weist ihm das Grundgesetz nur geringe politische Kompetenzen zu.

Der Parlamentarische Rat hat nach den Erfahrungen der Weimarer Republik die Befugnisse des Präsidenten bewusst beschränkt. Der Reichspräsident, vom Volk auf sieben Jahre gewählt, hatte nach der Weimarer Verfassung eine bedeutende Machtfülle. Er konnte Grundrechte außer Kraft setzen und mit Notverordnungen regieren. Reichspräsident von Hindenburg hat diese Vollmachten in der Endphase der Weimarer Republik in unheilvoller Weise genutzt. Eine solche Macht sollte nach dem Willen der Verfassungsgeber des Grundgesetzes nicht noch einmal in einer Hand liegen.

Wahl

Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung für fünf Jahre gewählt. Einmalige Wiederwahl ist zulässig. Diese Wahl ist die einzige Aufgabe der Bundesversammlung. Sie wird gebildet aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Delegierten, die von den Landesparlamenten entsprechend der Fraktionsstärke entsandt werden. Zumeist sind es Landtagsabgeordnete, zum Teil auch Kommunalpolitiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Die Wahl erfolgt ohne Aussprache. Wählbar ist jeder Deutsche, der das 40. Lebensjahr vollendet hat.

Die Wahl der Bundespräsidenten seit 1949. Zum Öffnen der PDF-Version (16 KB) klicken sie bitte auf das Bild.Zum Bundespräsidenten ist gewählt, wer die Mehrheit der Stimmen der Bundesversammlung (absolute Mehrheit) auf sich vereinigt. Erreicht kein Kandidat im ersten und zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit, genügt im dritten Wahlgang die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (relative Mehrheit). Bei der Konstruktion der Bundesversammlung hat sich der Parlamentarische Rat von zwei grundlegenden Prinzipien der Verfassungsordnung leiten lassen: dem repräsentativen Prinzip – der Bundespräsident wird durch Volksvertreter gewählt – und dem föderalistischen Prinzip – an der Wahl sind die Parlamente des Bundes und der Länder gleichermaßen beteiligt.

Immer wieder wird die direkte Wahl durch das Volk diskutiert. Sie würde diese Prinzipien bei der Wahl des Bundespräsidenten außer Kraft setzen. Das Amt des Bundespräsidenten erhielte damit eine eigene, vom Parlament unabhängige Legitimation, die vom Grundgesetz nicht gewollt ist.

Aufgaben

Der Bundespräsident hat die üblichen Funktionen eines Staatsoberhauptes. Dazu gehören:

die Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen: nach innen durch sein öffentliches Auftreten bei staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen, durch Reden bei besonderen Anlässen, durch Besuche in den Bundesländern und Gemeinden; nach außen durch Staatsbesuche und den Empfang ausländischer Staatsgäste;

die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik Deutschland: durch Unterzeichnung der Verträge mit anderen Staaten, durch förmliche Bestellung (Beglaubigung) der deutschen diplomatischen Vertreter und die Entgegennahme der Beglaubigungsschreiben der ausländischen Diplomaten.

Bei der Wahrnehmung weiterer Rechte kann der Bundespräsident nicht selbstständig, sondern nur im Zusammenwirken mit anderen Verfassungsorganen handeln. Seine Anordnungen und Verfügungen "bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister" (Art. 58 GG). Damit übernehmen diese die politisch-parlamentarische Verantwortung.

Das gilt für die

Unterzeichnung (Ausfertigung) von Gesetzen (Art. 82 GG): Gesetze werden vom Bundespräsidenten ausgefertigt und verkündet, das heißt unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Nach überwiegender Meinung kann der Bundespräsident prüfen, ob das Gesetz in verfassungsgemäßer Form zustande gekommen ist und inhaltlich dem Grundgesetz entspricht. 1991 hat sich beispielsweise Bundespräsident Richard von Weizsäcker geweigert, das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung zu unterzeichnen, weil nach Art. 87 GG die "Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt" wurde. Bundespräsident Horst Köhler unterschrieb im Oktober 2006 das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung wegen Unvereinbarkeit mit Art. 87d Abs. 1 GG nicht. Im Dezember 2006 wies er das Verbraucherinformationsgesetz zurück, weil es aus seiner Sicht im Widerspruch zu Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG steht, der es im Ergebnis der Föderalismusreform verbietet, den Gemeinden durch Bundesgesetz Aufgaben zu übertragen.

Ernennung von Bundesministern (Art. 64 GG): Der Bundespräsident muss die vom Bundeskanzler vorgeschlagenen Bundesminister ernennen und entlassen; er kann lediglich Bedenken gegen einen Ministerkandidaten geltend machen.

Ernennung von Bundesrichtern, Bundesbeamten, Offizieren und Unteroffizieren (Art. 60 Abs. 1 GG): Auch hier wird der Bundespräsident den Vorschlägen der Regierung oder anderer Verfassungsorgane folgen, außer bei extremen Fehlentscheidungen; Bundespräsident Lübke hat beispielsweise die Ernennung eines Bundesrichters wegen dessen NS-Vergangenheit abgelehnt.

Der Bundespräsident übt nach Art. 60 Abs. 2 GG für den Bund das Begnadigungsrecht aus.

Politisch eigenständig handeln kann der Bundespräsident in bestimmten parlamentarischen Krisensituationen:

Erhält bei der Kanzlerwahl ein Kandidat auch im dritten Wahlgang nicht die absolute, sondern nur die einfache Mehrheit, kann der Bundespräsident ihn zum Kanzler einer Minderheitenregierung ernennen oder den Bundestag auflösen und Neuwahlen herbeiführen (Art. 63 Abs. 4 GG). Angesichts stabiler Mehrheiten ist dieser Fall bisher nicht eingetreten.

Findet der Bundeskanzler bei einer Vertrauensabstimmung keine Mehrheit, kann der Bundespräsident auf Antrag des Bundeskanzlers den Bundestag auflösen (Art. 68 GG). Zu einer Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten ist es gekommen, als Willy Brandt 1972, Helmut Kohl 1982 und Gerhard Schröder 2005 einen entsprechenden Antrag stellten, um Neuwahlen herbeizuführen und so zu versuchen, eine sichere Parlamentsmehrheit zu bekommen.

Integrationsfunktion

Die Bedeutung des Bundespräsidentenamtes reicht weit über diese formalen Kompetenzen hinaus. Als eine unabhängige, über dem parteipolitischen Streit stehende Persönlichkeit repräsentiert er das Gemeinsame. Er soll Vertrauen vermitteln, moralische Maßstäbe setzen, Ratschläge erteilen, in Kontroversen ausgleichend wirken, nicht zuletzt Würde ausstrahlen.

Allen bisherigen Amtsinhabern gelang es, diese Integrationsfunktion wahrzunehmen, wenn sie dabei auch unterschiedliche Akzente gesetzt haben. In der Regel ist ihr Beliebtheitsgrad höher als der aller oder der meisten anderen Politiker. Das Amt des Bundespräsidenten wird von mehr Bürgern positiv bewertet als jedes andere politische Amt.


Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 97-103.

Fussnoten

Der Historiker und Politologe Horst Pötzsch war bis 1992 Leiter der Abteilung "Politische Bildung in der Schule" der Bundeszentrale für politische Bildung.