Artikel 21
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
In der modernen Massendemokratie kann der Bürger den politischen Entscheidungsprozess auf sich allein gestellt kaum beeinflussen. Politische Beteiligung vollzieht sich in erster Linie über die Mitarbeit in Parteien. Sie wirken zwar nicht allein an der politischen Meinungs- und Willensbildung mit, bestimmen aber das politische Leben in einem Maße, dass das politische System der Bundesrepublik Deutschland als Parteienstaat oder Parteiendemokratie bezeichnet wird. Dieser besonderen Rolle der Parteien trägt das Grundgesetz Rechnung, indem es in Art. 21 ihre Aufgaben und ihren Status festlegt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts erhalten sie damit den "Rang einer verfassungsrechtlichen Institution".
Aufgaben der Parteien
Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit, indem sie
die unterschiedlichen politischen Vorstellungen und Interessen in der Gesellschaft artikulieren, sie zu politischen Konzepten und Programmen bündeln und Lösungen für politische Probleme suchen,
in der Öffentlichkeit für ihre Vorstellungen werben und die öffentliche Meinung und die politischen Ansichten der einzelnen Bürger beeinflussen,
den Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit bieten, sich aktiv politisch zu betätigen und Erfahrungen zu sammeln, um politische Verantwortung übernehmen zu können,
die Kandidaten für die Volksvertretungen in Bund, Ländern und Gemeinden und das Führungspersonal für politische Ämter stellen,
als Regierungsparteien die politische Führung unterstützen,
als Oppositionsparteien die Regierung kontrollieren, kritisieren und politische Alternativen entwickeln.
Grundsätze des Parteiensystems
Das Grundgesetz und das Parteiengesetz legen für das Parteiensystem eine Reihe von Grundsätzen fest:
Mehrparteienprinzip: Art. 21 des Grundgesetzes schließt das Einparteiensystem aus.
Parteienfreiheit: Jeder Bürger kann eine Partei gründen.
Chancengleichheit: Jede Partei kann an Wahlen teilnehmen und Wahlwerbung betreiben. Dafür muss sie beispielsweise – je nach ihrem politischen Gewicht unterschiedlich lange – Sendezeiten im öffentlichen Fernsehen erhalten, auf Sichtwänden plakatieren und öffentliche Räume für Wahlveranstaltungen nutzen können.
Innerparteiliche Demokratie: Sie ist nur für Parteien vorgeschrieben, nicht aber für alle anderen Vereinigungen. Alle Entscheidungen müssen von den Parteimitgliedern oder durch von Parteimitgliedern gewählte Delegierte in Wahlen und Abstimmungen getroffen werden. Parteiämter müssen jeweils für zwei Jahre in geheimer Wahl besetzt werden. Alle Mitglieder haben gleiches Stimmrecht.
Finanzielle Rechenschaftslegung: Parteien müssen, wiederum anders als alle anderen Vereinigungen, über ihre Einnahmen und Ausgaben öffentlich Rechenschaft ablegen.
Parteienfinanzierung
Parteien brauchen zur Erfüllung ihres Auftrages erhebliche Finanzmittel. Sie müssen eine weit verzweigte Organisation von der Gemeinde bis zum Bund mit zahlreichen hauptamtlichen Mitarbeitern unterhalten, Veranstaltungen durchführen, Informations- und Werbematerial herstellen und verteilen sowie Wahlkämpfe bestreiten. Die Einnahmen der Parteien setzen sich im Wesentlichen aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Steuermitteln zusammen. Mit den Mitgliedsbeiträgen können die Kosten, vor allem bei den kleineren Parteien mit verhältnismäßig wenigen Mitgliedern, nicht bestritten werden. Spenden sollen möglichst begrenzt bleiben, um eine Einflussnahme von Interessengruppen auf die Parteien zu verhindern.
Die Parteienfinanzierung aus Steuermitteln gehört zu den umstrittensten Themen in der öffentlichen Diskussion. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung zur staatlichen Parteienfinanzierung mehrfach geändert. Seit 1966 gilt der Grundsatz, dass eine direkte Finanzierung der Parteien unzulässig ist, dass aber die Kosten eines "angemessenen Wahlkampfes" erstattet werden dürfen. 1992 hat das Gericht die bis dahin geltenden Bestimmungen erneut teilweise für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin beschloss der Bundestag 1994 eine Neuregelung (geändert 2002).
Jede Partei erhält pro Jahr für bis zu vier Millionen Wählerstimmen 0,85 Euro pro abgegebene Stimme, für jede weitere Stimme je 0,70 Euro. Die Höchstgrenze steuerlich absetzbarer Spenden wird auf 3300 Euro pro Person und Jahr festgesetzt. Unternehmen dürfen ihre Spenden nicht steuermindernd einsetzen. Für jeden Euro aus Beitrags- und Spendeneinnahmen erhalten die Parteien zusätzlich 0,38 Euro aus Steuermitteln. Insgesamt dürfen die staatlichen Zuwendungen an die Parteien seit 2002 die Summe von jährlich 133 Millionen Euro nicht überschreiten.
Parteienverbot
Artikel 21
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
Für die Aufnahme des Art. 21 Abs. 2 in das Grundgesetz waren die Erfahrungen der Weimarer Republik bestimmend. Es sollte verhindert werden, dass Gegner der demokratischen Ordnung noch einmal die ihnen gewährten Rechte zur Abschaffung der freiheitlichen Demokratie nutzen.
In dieser Verfassungsbestimmung findet das Prinzip der "streitbaren Demokratie" seinen Ausdruck. Die Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrige Ziele verfolgt, kann nur das Bundesverfassungsgericht treffen ("Parteienprivileg"), während verfassungswidrige Vereinigungen nach Art. 9 Abs. 2 GG durch die Innenminister des Bundes und der Länder verboten werden können.
Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts 1964 haben Bund und Länder um die 80 Verbote solcher Vereinigungen ausgesprochen. Dagegen sind nur zwei Parteien verboten worden, die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 1956. Im Jahr 2001 stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht den Antrag, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) als verfassungswidrig zu verbieten. Als sich herausstellte, dass die Führung der NPD in Nordrhein-Westfalen aus Mitarbeitern ("V-Leuten") des Verfassungsschutzes bestand, stellte das Gericht das Verfahren ein.
Gegen das Instrument des Parteienverbots wird eingewandt, dass ein Verbot
die betreffende Partei in den Untergrund drängt, wo ihre Aktivitäten unkontrollierbar werden,
gegen große und darum wirklich gefährliche Parteien nicht durchsetzbar ist,
zur Gründung von Ersatzorganisationen führt (DKP),
kleine Parteien aufwertet und ihnen eine Märtyrerrolle verschafft.
Dagegen ist zu sagen, dass die bloße Drohung eines Verbots extremistische Parteien zur Vorsicht bei der Propagierung und Verfolgung ihrer Ziele wie auch zur zumindest verbalen Anerkennung des Grundgesetzes nötigt.
Parteien im Meinungsstreit
Parteien und Politiker sind in Deutschland, und nicht nur dort, einer heftigen, manchmal maßlosen Kritik ausgesetzt. Die Kritik ist in vielerlei Hinsicht gerechtfertigt. Es gab in den letzten Jahren in einigen Fällen Beispiele von skandalösem Fehlverhalten, dessen sich Politiker schuldig gemacht haben. Auch die Art und Weise der – inzwischen vom Bundesverfassungsgericht korrigierten – Parteienfinanzierung und die von den Parteien häufig betriebene Ämterpatronage sind kritikwürdig. Ebenso lassen sich gegen manche Formen des Wahlkampfes und der Wahlwerbung begründete Einwände erheben.
Die Kritik ist überzogen und ungerechtfertigt, wenn sie verallgemeinert, die Parteien und die Politiker pauschal unter Verdacht stellt. Oft beruht sie auf Vorurteilen oder Unwissen, etwa wenn sie die Arbeitsbelastung von Politikern weit unterschätzt und ihre finanzielle Entschädigung ebenso überschätzt. Einige Kritikpunkte und die Gegenargumente sind in dem Kasten "Kritik an Parteien" zusammengefasst.
Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 44-47.