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Bundesstaat | Deutsche Demokratie | bpb.de

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Bundesstaat

Horst Pötzsch

/ 8 Minuten zu lesen

Die föderale Gliederung der Bundesrepublik hat historische Wurzeln. Im Bundesstaat ist die Macht aufgeteilt, Bund und Länder müssen zusammenarbeiten und kontrollieren sich so gegenseitig.

Der Bundesrat, dem die Vertreter der Länder angehören, ist die zweite Kammer des Parlaments in Deutschland (© Bundesrat 2006)

Mit der Entscheidung für eine bundesstaatliche Ordnung knüpften die Verfassungsgeber an alte deutsche Verfassungstraditionen an. Manche Länder der Bundesrepublik Deutschland, wie Bayern, Mecklenburg, Sachsen, die Hansestädte Bremen und Hamburg, können auf eine jahrhundertelange Geschichte zurückblicken. Der erste Bundesstaat auf deutschem Boden, der Norddeutsche Bund, entstand 1867. Auch das Bismarckreich und die Weimarer Republik waren Bundesstaaten. 1933 wurden die föderalistischen Strukturen zerschlagen, und der nationalsozialistische Führerstaat trat an ihre Stelle. In der DDR wurden die fünf Länder 1952 aufgelöst und durch 15 Bezirke ersetzt, die von Ostberlin aus regiert wurden.

Die föderalistische Ordnung hatte anfangs wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Im Laufe der Zeit hat sich das Meinungsbild gewandelt, die Zustimmung zum föderalistischen System ist heute fast einhellig, es gibt nur noch wenige Befürworter eines zentralistischen Staates.

Was spricht gegen den Bundesstaat?

Die Verfechter eines Zentralstaates führen gegen die föderalistische Ordnung ins Feld:

Der Bundesstaat ist zu kompliziert. Der Entscheidungsprozess ist schwerfällig. Bund und Länder müssen langwierige Verhandlungen führen, bis es endlich zu Entscheidungen kommt, die oft nur mühsame Kompromisse darstellen.

Der Bundesstaat ist unübersichtlich. Das Zusammenwirken im Kooperativen Föderalismus mit den vielen formellen und informellen Gremien verwischt die klare Abgrenzung der Kompetenzen und macht Entscheidungsprozesse undurchschaubar. Damit werden die demokratischen Prinzipien der Öffentlichkeit und Transparenz unterlaufen.

Der Bundesstaat hat unterschiedliche Lebensverhältnisse zur Folge. Diese Situation kann für die betroffenen Bürger ungünstig sein, etwa, wenn verschiedene Schulsysteme bei einem Wohnortwechsel nachteilig für die Kinder sind.

Der Bundesstaat kostet zu viel Geld. 16 (Landes-)Regierungen, Parlamente und Verwaltungen sind teurer als die entsprechenden Organe in einem Einheitsstaat.

Was spricht für den Bundesstaat?

Der Bundesstaat beschränkt die Machtkonzentration im Zentralstaat. Die klassische horizontale Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung ist im heutigen Parteienstaat weitgehend unwirksam geworden, die staatliche Macht liegt in der Hand der Regierung und der sie stützenden Parlamentsmehrheit. Im föderalistischen System sind die staatlichen Aufgaben zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Sie müssen zusammenwirken und kontrollieren sich damit gegenseitig (vertikale Gewaltenteilung). Das geschieht vor allem durch die Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung des Bundes.

Der Bundesstaat ermöglicht mehr politische Beteiligung. Die Wähler können von ihrem Stimmrecht doppelt Gebrauch machen, nicht nur alle vier Jahre bei der Wahl zum Bundesparlament, sondern auch bei der Wahl zum Landesparlament.

Der Bundesstaat mit seiner Gliederung in kleinere überschau-barere Einheiten sichert mehr Bürgernähe. Das politische Engagement der Bürgerinnen und Bürger wird erleichtert, und ihre Interessen werden wirksamer wahrgenommen, wenn nicht alles von einer fernen Zentrale bestimmt wird, sondern wenn Entscheidungen von Politikern und Verwaltung getroffen werden, die mit den regionalen Verhältnissen vertraut und für die Menschen leichter erreichbar sind.

Der Bundesstaat kann reformfreudiger sein. Neuerungen, in einem Land ausprobiert, werden von anderen übernommen, wenn sie sich bewährt haben.

Der Bundesstaat verbessert die Chancen der Opposition. Sie kann in den Ländern, in denen sie die Regierung stellt, politische Alternativen zur Bundesregierung anbieten und ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen.

Der Bundesstaat sorgt für eine breite Reserve an politischem Führungspersonal. In den Parlamenten und Regierungen der Länder können sich Politiker bewähren und für Führungsaufgaben im Bund qualifizieren. So sind alle Bundeskanzler seit 1966 zuvor Ministerpräsidenten in Ländern (Kiesinger, Brandt, Kohl, Schröder) oder Landesminister (Schmidt) gewesen. Eine Ausnahme ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ebenso waren Kanzlerkandidaten zuvor häufig Regierungschefs in Ländern.

Der Bundesstaat ist eine gerade Deutschland angemessene Staatsform. Im Laufe seiner Geschichte haben sich vielfältige landsmannschaftliche und kulturelle Unterschiede und Traditionen herausgebildet. Überall gibt es städtische Zentren, die auf eine reiche Geschichte zurückblicken und politisch, wirtschaftlich, vor allem aber kulturell bedeutend sind. Diese Vielfalt würde in einem Einheitsstaat mit der Anziehungskraft seiner Metropole verkümmern. Sie kann in einem Bundesstaat am besten bewahrt werden.

Grundsätze der bundesstaatlichen Ordnung

Artikel 20

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

Das Grundgesetz hat mit diesem Artikel die bundesstaatliche Ordnung, die Gliederung des Staates in Bund und Länder, zwingend vorgeschrieben. Die Entscheidung für den Bundesstaat bedeutet nicht, dass der Bestand jedes gegenwärtigen Landes in den bestehenden Grenzen garantiert ist. Eine Neugliederung der Länder und eine Verringerung der Zahl der Länder sind nach Art. 29 und 118a zulässig.

Artikel 79

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Solange das Grundgesetz besteht, darf die bundesstaatliche Ordnung nicht einmal durch eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit beseitigt werden. Auch die wichtigste Kompetenz der Länder, die Mitwirkung an der Gesetzgebung, muss erhalten bleiben. Das schließt die Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes und das Recht einer eigenständigen Landesgesetzgebung ein.

Artikel 28

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. (...)

In einem Bundesstaat sind die Länder Staaten, nicht nur Selbstverwaltungskörperschaften wie die Gemeinden. Sie haben eigene Verfassungen und verfügen über die Institutionen des parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems: Parlament, Regierung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Der Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes schreibt vor, dass die Verfassung und die Staatsordnung in den Ländern mit den Prinzipien des Grundgesetzes übereinstimmen müssen. Ein Bundesland dürfte beispielsweise nicht die Monarchie oder ein basisdemokratisches System einführen.

Artikel 31

Bundesrecht bricht Landesrecht.

Diese Vorschrift bezieht sich auf die Gegenstände, für die der Bund das Recht der ausschließlichen Gesetzgebung hat, und auf Bereiche, in denen Bund und Länder nebeneinander Gesetzgebungskompetenzen besitzen. Der Artikel gilt nicht für Angelegenheiten, die allein von den Ländern gesetzlich zu regeln sind, zum Beispiel das Schulwesen.

Ein ungeschriebener Verfassungsgrundsatz ist die Verpflichtung zur Bundestreue. Sie gilt für Bund und Länder. Die Länder müssen sich bundesfreundlich und der Bund muss sich länderfreundlich verhalten. Dies gilt ebenso für das Verhältnis der Länder untereinander. Die Bundesregierung darf zum Beispiel ein Land nicht deshalb benachteiligen, etwa durch Ablehnung von Investitionshilfen, weil dessen Regierung die gleiche parteipolitische Färbung hat wie die Opposition im Bundestag. Die Länder haben sich gegenseitig Hilfe zu leisten, beispielsweise durch Finanzausgleich.

Bund und Länder

Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern Die Zuständigkeiten und Aufgaben des Bundes und der Länder bei Gesetzgebung und Verwaltung sind im Grundgesetz bis ins Einzelne geregelt.

Darüber hinaus haben sich vielfältige Formen des Zusammenwirkens von Bund und Ländern und der Länder untereinander entwickelt. Man spricht vom Kooperativen Föderalismus und drückt damit eigentlich eine Selbstverständlichkeit aus: die Verpflichtung des Bundes und seiner Glieder zur gegenseitigen Abstimmung und zur Zusammenarbeit im Interesse des Gemeinwohls. Diese Kooperation ist vielfach informeller Art, es gibt aber auch formalisierte Regelungen des Zusammenwirkens.

In regelmäßigen Abständen finden Besprechungen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder statt. Sie dienen dem Meinungs- und Erfahrungsaustausch, oft auch der Vorbereitung wichtiger Gesetze. Die ständige Wahrnehmung der Länderinteressen obliegt den Vertretungen, die jedes Land in der Bundeshauptstadt unterhält. An ihrer Spitze steht der Bevollmächtigte des Landes beim Bund, zumeist der Landesminister (oder Senator) für Bundesangelegenheiten. Die Landesvertretungen halten Kontakt zu den Bundesministerien, den Ausschüssen in Bundestag und Bundesrat, zu den anderen Landesvertretungen und berichten ihrer Landesregierung über die Politik des Bundes.

Zusammenarbeit zwischen den Ländern

Mindestens einmal im Jahr treffen die Ministerpräsidenten der Länder zusammen, häufiger finden Konferenzen der Fachminister statt. Hier werden Gesetzesvorhaben der Länder, gemeinsame Initiativen im Bundesrat oder auch Gemeinschaftsprojekte benachbarter Länder (Straßenbau, Flussregulierung, Hafenausbau, Müllbeseitigungsanlagen) vereinbart, entweder durch ein Verwaltungsabkommen, das die Regierungen schließen, oder durch einen Staatsvertrag, dem die Parlamente zustimmen müssen.

In der Regel beziehen sich Verwaltungsabkommen auf die erwähnten regionalen Projekte. Staatsverträge werden zumeist von allen Ländern geschlossen. Beispiele hierfür sind die Staatsverträge über die Errichtung des Zweiten Deutschen Fernsehens, über die Höhe der Rundfunkgebühren und über die Vergabe von Studienplätzen.

Die bekannteste Fachkonferenz ist die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder. Um ein möglichst einheitliches Bildungssystem im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten, hat die Kultusministerkonferenz über tausend Beschlüsse gefasst. Geregelt wurden beispielsweise die Anerkennung der Abschlusszeugnisse und der Lehramtsprüfungen, die Dauer der Schulpflicht, die Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen im Abitur, Numerus clausus und Studienplatzvergabe ebenso wie Feriendauer und der gestaffelte Ferienbeginn. Die Beschlüsse der "Kultusministerkonferenz" müssen einstimmig sein und haben den Charakter von Empfehlungen. Sie werden erst wirksam, wenn ihnen die Landesparlamente zugestimmt haben. Im Ergebnis ist das Schulsystem heute einheitlicher, als es in Deutschland je gewesen ist.

Wie werden die Steuern verteilt?


Themengrafik Steuereinnahmen: Welche Steuern vom Bund und von den Ländern erhoben werden dürfen und wie sie auf Bund, Länder und Gemeinden aufzuteilen sind, ist gesetzlich festgelegt. Zum Öffnen der PDF-Version (126 KB) klicken Sie bitte auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Bund, Länder und Kommunen fordern von ihren Bürgern Steuern, damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen können. Sie erheben sie entweder selbst oder haben Anspruch auf einen Teil der Steuergelder, die ihnen gemeinsam zustehen. Das Grundgesetz regelt das öffentliche Finanzwesen, die so genannte Finanzverfassung, sehr genau in Art. 104a–115. Festgelegt ist, welche Steuern vom Bund und von den Ländern per Gesetz erhoben werden dürfen, wie sie auf Bund, Länder und Gemeinden aufzuteilen sind und wie Unterschiede im Steueraufkommen zwischen "reichen" und "armen" Ländern auszugleichen sind.

Dem Bund stehen vor allem die meisten Verbrauchssteuern (auf Mineralöl, Tabak, Branntwein, Kaffee) und die Versicherungssteuer zu. Die Länder erheben vor allem die Kraftfahrzeugsteuer, die Erbschafts- und die Grunderwerbssteuer sowie die Biersteuer.

Bund und Ländern gemeinsam stehen zu: die Lohn- und Einkommenssteuer, die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) sowie die Körperschaftssteuer. Diese Gemeinschaftssteuern sind die ertragreichsten Steuern. Sie machen 70 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Ihr Aufkommen wird nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt. Von der Lohn- und Einkommenssteuer erhalten die Gemeinden 15 Prozent. Bund und Länder teilen sich die restlichen 85 Prozent. Die Körperschaftssteuer steht je zur Hälfte Bund und Ländern zu.

Die Aufteilung der Umsatzsteuer ist nach Art. 106 Abs. 4 neu festzusetzen, "wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt (...)". Einer solchen Neufestsetzung gehen regelmäßig heftige politische Auseinandersetzungen voraus, bis schließlich ein Kompromiss gefunden wird. Seit 2008 erhalten die Gemeinden 2 Prozent des Umsatzsteueraufkommens. Das verbleibende Aufkommen steht dem Bund zu 54,7 Prozent und den Ländern zu 43,3 Prozent zu.

Die Wirtschaftskraft der Länder ist unterschiedlich. Das schlägt sich im Steueraufkommen nieder. Nach dem Grundgesetz muss die unterschiedliche Finanzkraft der Länder "angemessen ausgeglichen" werden. In einem Finanzausgleich erhalten die finanzschwachen Länder einen Teil der Einnahmen der finanzstarken Länder, sodass sie wenigstens 95 Prozent des Bundesdurchschnitts pro Einwohner zur Verfügung haben. Eine neue Lage hat sich nach der Herstellung der deutschen Einheit ergeben. Die Finanzkraft der neuen Länder wird für lange Zeit nicht ausreichen, um ihre Ausgaben eigenständig zu decken. Bis 1994 ist das Defizit durch den "Fonds Deutsche Einheit" ausgeglichen worden. Seit 1995 sind die neuen Länder in den Länderfinanzausgleich einbezogen.

Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 22-27.

Fussnoten

Der Historiker und Politologe Horst Pötzsch war bis 1992 Leiter der Abteilung "Politische Bildung in der Schule" der Bundeszentrale für politische Bildung.