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Wahlen und Parteien | ABDELKRATIE | bpb.de

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Wahlen und Parteien

Hedwig Richter

/ 8 Minuten zu lesen

Hier findest Du Hintergrundinfos zum ABDELKRATIE-Video "Wahlen und Parteien".

WAHLEN UND PARTEIEN – Wer darf regieren?

Video-Reihe "Abdelkratie"

WAHLEN UND PARTEIEN – Wer darf regieren?

Endlich darf ich wählen. Aber was soll das überhaupt? Und wie genau funktioniert das eigentlich? - Hier erfährst du wie Du Dich am besten für die nächsten Wahlen vorbereitest und warum es wichtig ist, eine Entscheidung zu treffen.

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Zuerst sieht die Sache einfach aus: Jeder ist dabei, die Mehrheit siegt. Je mehr das Volk befragt wird, so denken viele weiter, je mehr Basis, je mehr Volksbefragungen, je öfters Wahlen stattfinden – desto mehr Demokratie. Deswegen wählen wir auch auf allen Ebenen: in Kommunen, für die Landesparlamente, für den Bundestag in nationalen Wahlen, auf europäischer Ebene, aber auch in den Schulen und Betrieben oder in Vereinen.

Aber bei genauerem Hinsehen ist alles verblüffend kompliziert.

Das beginnt mit der Basis der Demokratie, den Wahlen. Schon die Tatsache, dass wir, ein Millionenvolk, wählen, ist alles andere als selbstverständlich und einfach. Denn bei den nationalen Wahlen, die am meisten Aufmerksamkeit finden und für die Politik in der Regel am wichtigsten sind, kommt es aufgrund der großen Menge an Wählenden unvermeidlich zu Problemen, die es beispielsweise in den antiken Stadtstaaten nicht gegeben hat, weil die viel kleiner und übersichtlicher waren. In einem großen Staat mit einer Millionenbevölkerung ist es beispielsweise nicht einfach, sich untereinander zu verständigen: Wer will was? Warum soll ich Person X und nicht Person Y wählen? Wer ist das überhaupt? Und wer verfolgt eigentlich welche Ziele?

(© bpb)

Zudem waren Wahlen mit einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht oft von Korruption und Betrug begleitet. Als sich im 19. Jahrhundert die Massenwahlen ausbreiteten, hielt man diese misslichen Umstände in den westlichen Staaten für selbstverständlich. Viele Zeitgenossen meinten sogar, dass die Wahl-Manipulationen eine Korrektur des breiten Wahlrechts sei: Denn nun dürfe zwar jeder Bürger wählen, aber es sei recht und billig, dass die Reichen und Mächtigen ihren Einfluss geltend machten, damit nichts aus dem Ruder läuft. In der zweiten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts glaubte man eine Zeitlang, dass die Missstände der Wahlmanipulationen in funktionierenden Demokratien abgestellt seien. Aber selbst in einer alten und erfahrenen Demokratie wie den USA lässt sich beobachten, wie anfällig Massenwahlen nach wie vor sein können, nicht zuletzt aufgrund der digitalen Möglichkeiten in sozialen Medien, über die ausländische Mächte einflussnehmen können. Auch gibt es dort anhaltende Wahlmanipulationen beispielsweise über die Einteilung der Wahlkreise, bei denen Regierungen der Einzelstaaten dafür sorgen, dass das Stimmengewicht der gegnerischen Wähler möglichst gering bleibt.

Dabei gäbe es andere Möglichkeiten als das Wählen. So wird beispielsweise immer häufiger das Losverfahren als Ergänzung der allgemeinen Wahlen in Betracht gezogen. Das kann tatsächlich gerechter sein, denn prinzipiell könnte jede wahlberechtigte Person im Lostopf sein und gewählt werden, egal ob sie mächtig ist oder nicht. Zwar gibt es dann nicht im Vorfeld die Diskussionen und den Meinungsaustausch des Wahlkampfes, aber dafür spielt bei diesem Verfahren keine Rolle mehr, ob jemand Geld für einen Wahlkampf hat oder nicht. Möglich wäre auch, Wahlen nur in kleinen Einheiten stattfinden zu lassen, die wir überschauen können, etwa in Räten. Jedes Dorf und jedes Stadtviertel wählt seine Vertreterin oder seinen Vertreter, diese kommen zu Beratungen zusammen und wählen wiederum für die höhere Ebene eine Vertretung – und so weiter. Der Bundestag etwa, das deutsche Parlament in Berlin, könnte nach dieser Logik von den Landesparlamenten gewählt werden.

Also: Massenwahlen sind eine heikle Sache – und es gäbe Alternativen. Und trotzdem gelten die Wahlen mit einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht in der Politik, in der Wissenschaft und auch in der Bevölkerung unumstritten als entscheidender Faktor einer liberalen Demokratie. Warum sind Wahlen so wichtig?

Zunächst vor allem deswegen, weil sie das Herzstück von Demokratie zum Ausdruck bringen: die Gleichheit. Die Idee von Demokratie ist, dass allen Menschen die gleiche Würde gebührt, dass alle frei sind und daher niemand fremdbestimmt werden darf, alle sollen an der Macht beteiligt sein. In den Massenwahlen mit einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht wird das sehr eindrücklich dargestellt. Der Wahltag, an dem die Erwachsenen ins Wahllokal gehen, wo sie nach klaren Regeln der Geheimhaltung ihren Stimmzettel in die Wahlurne werfen, ist nicht zuletzt ein beeindruckendes Symbol der Gleichheit und der demokratischen Herrschaft. Alle bestimmen mit, jede Stimme zählt gleich. Daher empfinden auch viele Bürgerrinnen und Bürger den Wahltag als etwas Feierliches und Schönes und würden niemals auf ihr Wahlrecht verzichten. Dass wir Bürgerinnen und Bürger auch die Abgeordneten auf höchster Ebene, also den Bundestag, direkt wählen und nicht indirekt über ein Rätesystem (wie oben beschrieben), ist ebenfalls Ausdruck der Macht des Volkes. Denn das nationale Parlament ist schließlich die höchste gesetzgebende Instanz in einer Demokratie. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", heißt es im Grundgesetz.

Dabei gibt es in liberalen Demokratien grundsätzlich zwei Prinzipien der Stimmenzählung: das Mehrheitswahlrecht und das Verhältniswahlrecht. Beim Mehrheitswahlrecht, das beispielsweise in Großbritannien gilt, erhält die kandidierende Person das Mandat, die in einem Wahlkreis die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen kann, alle anderen Stimmen fallen unter den Tisch. Beim Verhältniswahlrecht, das unter anderem in Deutschland zur Anwendung kommt, wird nicht eine Person, sondern eine Partei gewählt, und am Ende erhält jede Partei entsprechend ihrem Stimmenanteil Sitze im Parlament. In Deutschland versucht man in den Bundestagswahlen mit dem Prinzip von Erst- und Zweitstimme die Vorteile des Mehrheitswahlrechts mit denen eines Verhältniswahlrechts zu kombinieren. Mit der Erststimme wählen die Menschen nämlich eine konkrete Person – und das gilt als ein Vorteil, denn die Wählenden können eine einzelne Person in ihrer Politik besser einschätzen. Auch kann es so trotz Massenwahlrecht zu einem persönlichen Verhältnis zwischen den Gewählten und den Wählenden kommen. Wichtiger aber ist bei den Bundestagswahlen die Zweitstimme, mit der die Prozentzahl an Sitzen im Parlament und damit die Machtverhältnisse festgelegt werden.

Das Verhältniswahlrecht ist zweifellos gerechter, weil nicht so viele Stimmen verloren gehen; im Extremfall bleiben beim Mehrheitswahlrecht 49 Prozent ohne Repräsentation im Parlament. Auch ermöglicht das Verhältniswahlrecht viel eher, dass neue Parteien mit jungen Ideen ins Parlament einziehen, in vielen Ländern Europas ist das etwa mit Umweltparteien der Fall. Der große Nachteil ist aber, dass dann im Parlament unter Umständen zu viele Parteien sind und ein Regierungsbündnis schwierig werden kann. Um den schlimmsten Auswüchsen zu begegnen und nicht jede kleine Splitterpartei berücksichtigen zu müssen, haben viele Länder eine Prozenthürde eingeführt. In der Bundesrepublik Deutschland etwa dürfen nur Parteien in den Bundestag einziehen, die mindestens fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten.

(© bpb)

Es gibt noch weitere Gründe, warum die Massenwahlen sinnvoll, ja unverzichtbar für unsere Regierungsform sind. In liberalen Demokratien bestimmt das Volk meistens nicht unmittelbar Gesetze, sondern wählt Politikerinnen und Politiker, also jene Menschen, die sich Zeit nehmen, um sich mit anstehenden Sachverhalten zu beschäftigen – die das Volk repräsentieren. Dieses Repräsentationsprinzip ist entscheidend. Denn moderne Gesellschaften sind so kompliziert, dass die Regierung oder Gesetzgebung oder Rechtsprechung nicht mehr nebenher als ein Hobby von allen betrieben werden kann. Es gibt eine fast unendliche Zahl an hochkomplexen Themen, die unmöglich von allen angemessen beurteilt werden können, sei es die Renten- oder Pflegeversicherung, Steuer- oder Außenpolitik, Umwelt- oder Arbeitsstandards. Es braucht Leute, die dafür extra da sind, die sich die notwendigen Kompetenzen aneignen können, untereinander diskutieren, Expertinnen anhören – und die dafür auch bezahlt werden.

Übrigens spricht wegen dieser Schwierigkeit von Sachfragen auch vieles dafür, dass man Volksbefragungen nur im kleineren Rahmen, etwa auf kommunaler Ebene durchführt. Kaum eine Frage lässt sich sinnvoll auf das für Plebiszite erforderte Ja/Nein reduzieren, und kaum ein Problem von nationalem Ausmaß kann angemessen von allen Stimmberechtigten durchdacht werden. Je mehr Wahlen, desto besser die Demokratie – diese Rechnung geht oft nicht auf.

Die Wahl von Politprofis ist schließlich deswegen sinnvoll, weil sie sich einem bestimmten Programm verpflichten. Und hier kommen die Parteien ins Spiel. Da fast alle Abgeordneten einer Partei angehören, wissen die Wählenden ungefähr, wofür die Kandidierenden stehen. Einer Bürgerin etwa, der die Steuersenkung am Herzen liegt, weiß ebenso wie ein Bürger, der sich für die Umwelt engagiert, welche Partei für das jeweilige Anliegen steht. Parteien dienen der politischen Willensbildung. Wählerinnen und Wähler können sich – zumindest bis zu einem gewissen Grad – mit dem Programm einer Partei identifizieren. Damit dienen Parteien auch als ein Scharnier zwischen der staatlichen Gewalt und der Bürgerschaft. Viele Menschen sind Mitglieder in Parteien. Das heißt: Parteien ordnen die Parlamente, sie stellen das Regierungspersonal, und zugleich sind sie ein wichtiger Teil der Bevölkerung, von der über 1.200.000 Menschen einer Partei angehören.

(© bpb)

Parteien sind für freiheitliche Demokratien entscheidend, und Länder wie Deutschland oder Großbritannien gelten gar als Parteiendemokratie. Oft geht dieser Begriff mit einer scharfen Kritik einher, dass die Parteien zu viel Macht hätten. So entscheiden etwa häufig die Parteien, wer für die höchsten Ämter kandidiert. Das heißt, der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger über die Wahl ist relativ beschränkt, weil sie nicht darüber bestimmen, wer überhaupt zur Wahl steht. In den USA, wo die Parteien auch eine wichtige Rolle spielen, bestimmen beispielsweise bei den Präsidentschaftswahlen die Bürgerinnen und Bürger über Vorwahlen in den Einzelstaaten darüber, welche Person die Partei für die Wahl aufstellt. Allerdings bleibt überall in freien Parteiensystemen jeder Bürgerin und jedem Bürger offen, mit oder ohne Partei zu kandidieren oder auch einfach sich in einer Partei zu engagieren und dadurch mehr Einfluss zu gewinnen.

Parteien sind ein Grundpfeiler unseres politischen Systems, sie tragen das politische Geschehen, sie organisieren das politische Engagement der Menschen, sie regeln einen großen Teil der Politik im Parlament und in gewisser Weise auch in der Regierung. Die Verfassungsväter und -mütter wollten von Anfang an diese Stärke der Parteien, und so schrieben sie ihre mächtige Rolle im Grundgesetz fest. Ein eigenes Parteiengesetz sorgt dafür, dass Parteien nicht nur die Demokratie stützen, sondern auch selbst demokratisch verfasst sind. Parteien, die sich gegen die Demokratie wenden, können verboten werden.

Zuletzt gilt es noch zu bedenken: Demokratie lebt von Kritik. Sie ist nicht in Stein gemeißelt, und zu ihren Stärken gehört, dass sie Kritik aufnehmen und sich ändern kann. Daher seien einige Problemfelder von Parteien und Wahlen genannt. Erstens engagieren sich gebildete und oft auch wirtschaftlich besser gestellte Menschen eher in den Parteien und in der Politik, ärmere Menschen bleiben überproportional oft sogar der Wahl fern. Wie kann man diese Menschen für die Demokratie gewinnen? Zweitens stellt sich die Frage, wie wir Demokratie und Wahlen in Europa gestalten? Ein Großteil der Gesetze wird mittlerweile nicht mehr in den nationalen Parlamenten erlassen, sondern auf der Ebene der Europäischen Union. Aber die wichtigsten Ämter und Gremien werden nicht vom europäischen Parlament gewählt, sondern von den nationalen Regierungen. Geht hier die Macht noch in genügendem Maße vom Volke aus? Und müssten gesamteuropäische Parteien nicht gestärkt werden?

Und was bedeutet schließlich im Zeitalter der Globalisierung Gleichheit? Die Idee der Nation war unglaublich wichtig, um die Idee der Gleichheit verständlich zu machen. Bis heute bieten Nationen den Rahmen für politische Gleichheit, für Solidarität und Sozialstaat und für egalitäre Mitbestimmungsrechte. Aber lässt sich diese nationale Exklusivität in globalen Zeiten noch rechtfertigen? Finden wir Mittel und Wege, um für mehr Gerechtigkeit und Gleichheit in Europa und weltweit zu sorgen? Können wir das? Oder sind wir auch in Zukunft auf Nationen angewiesen, innerhalb derer sich immerhin die Wahlen, die Parteien und überhaupt die Demokratien entwickelt haben?

ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Im Sommer 2020 erscheint von ihr das Buch "Demokratie. Eine deutsche Affäre".