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"Entschlafen" und "Tarifanpassung" – Euphemismen zwischen Höflichkeit und Manipulation | Sprache und Politik | bpb.de

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"Entschlafen" und "Tarifanpassung" – Euphemismen zwischen Höflichkeit und Manipulation

Iris Forster

/ 14 Minuten zu lesen

Euphemismen sind so alt wie die Sprache selbst. Ein unangenehmer oder tabuisierter Sachverhalt wird beschönigt oder verschleiert, indem man einen sprachlichen Ausdruck verwendet, der positiv oder neutral bewertet wird.

(© bpb)

Zum Begriff des „Euphemismus“

„Ihr Mund ist glatter als Butter / und haben doch Krieg im Sinn / ihre Worte sind linder als Öl / und sind doch gezückte Schwerter.“ (Bibel, Psalm 55, Vers 22)

Mit Hilfe von Sprache kann der Mensch Gegenstände und Sachverhalte beschönigen oder sogar verstecken: Wir deuten dann etwas lediglich an, verschweigen bestimmte inhaltliche Aspekte oder verwenden Metaphern, die gewisse Interpretationen und Gefühle hervorrufen. Vermieden wird eine übliche oder genauere Benennung, bevorzugt werden positiver wirkende Alternativen: entschlafen statt sterben, stilles Örtchen statt Toilette, Tarifanpassung statt Tariferhöhung.

Das Phänomen des „Euphemismus“, also die „beschönigende oder verschleiernde Verwendung eines positiv bewerteten oder neutralen sprachlichen Ausdrucks für einen unangenehmen oder tabuisierten Sachverhalt“ (Paul 2002: 307), ist naturgemäß so alt wie die Sprache selbst und wird bereits in den klassischen antiken bzw. mittelalterlichen Rhetoriken beschrieben. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist in der deutschen Sprache der Ausdruck „Euphemismus“ dafür belegt. Dessen Wurzeln liegen im Griechischen: Griech. euphemismos bedeutet ‚Bezeichnung einer unangenehmen, schlimmen Sache durch einen mildernden Ausdruck‘ und leitet sich ab von eu- ‚gut, wohl‘ und pheme ‚Rede, Ausspruch, Kunde, Gerücht‘.

Euphemismen haben ihren Ursprung im Bereich der gesellschaftlichen Tabus: Mittels einer euphemistischen Sprachgestaltung kann es einfacher sein, über Themen, die mit Angst oder Scham verbunden sind (etwa Tod, Religion, Krankheit oder Sexualität), zu kommunizieren: von uns gegangen statt gestorben, der Gehörnte statt Teufel, Diarrhöe statt Durchfall, mit jdm. schlafen statt Geschlechtsverkehr haben, kräftig gebaut oder Rubensfigur statt dick.

Das vorangestellte Bibelzitat und das Beispiel Tarifanpassung statt Tariferhöhung zeigen jedoch noch eine weitere Funktion: Im öffentlichen und vor allem politischen Sprachgebrauch können Euphemismen auch zur Meinungslenkung und Manipulation beitragen.

Funktionen euphemistischer Sprache

Die wissenschaftliche Euphemismusforschung beschäftigte sich lange Zeit fast ausschließlich mit euphemistischer Sprache bei klassischen Tabuthemen. Eine verstärkte Einbeziehung von Beispielen aus dem politischen Wortschatz sowie ein Bezug des Euphemismusbegriffes auch auf die Sprache der Politik ist erst seit den 1970er Jahren festzustellen. Heute wird in der einschlägigen Literatur von einer Zweisträngigkeit des Euphemismus ausgegangen: Mit seiner Hilfe sollen einerseits unangenehme beziehungsweise anstößige Wörter und Sachverhalte vermieden werden, um bestehende Tabus und soziale Normen zu wahren sowie die Gefühle auf allen Seiten zu schonen. Es geht um Rücksichtnahme und Höflichkeit. Sprecher/-in und Hörer/-in sind hier gleichberechtigt; beide wissen, was hinter dem Ausdruck steht. Andererseits können mittels Euphemismen unliebsame Tatsachen verdeckt werden, um aus Eigennutz zu manipulieren. Hier gibt es einen Wissensvorsprung des Sprechers/der Sprecherin; die Meinung des Gegenübers soll zum eigenen Vorteil gelenkt werden. Aufbauend auf Leinfellner 1971 spricht Luchtenberg von (schonend-)„verhüllenden“ Euphemismen und (manipulativ-)„verschleiernden“ Euphemismen (Luchtenberg 1985: 24).

Bilden bei euphemistischer Sprache in den Bereichen Tod, Religion, Krankheit oder Sexualität allgemein verinnerlichte Tabus die Ursache der Verhüllung, geht es bei politischen Euphemismen häufig um taktische Überlegungen bei unbequemen Themen: Über eine spezifische Sprachgestaltung sollen die Weitergabe von Informationen beeinflusst, Zustimmung erreicht und Kritik möglichst vermieden werden. Das jeweilige eigene Interesse ist hier Hauptmotiv der Euphemisierung, und so ist es nicht verwunderlich, dass gerade manipulativ-verschleiernde Euphemismen in der politischen Sprache gehäuft auftreten.

Verschleiernde Euphemismen dienen also vorwiegend den Wünschen und Interessen des Sprechers/der Sprecherin, während verhüllende Euphemismen auch zugunsten der Hörerseite verwendet werden. Je nach Kommunikationssituation kann es aber zu Überschneidungen und Doppelfunktionen kommen, so dass eine gänzlich trennscharfe Unterscheidung nicht möglich ist.

Bildungsweise von Euphemismen

Für die Einordnung eines Wortes oder einer Wortverbindung als Euphemismus ist immer der Kontext ausschlaggebend. In geeignetem Zusammenhang können deshalb fast alle sprachlichen Einheiten mit einer schonend-verhüllenden oder manipulativ-verschleiernden Funktion verwendet werden. Aus dieser Fülle an Varianten lassen sich jedoch bestimmte Bildungsweisen ausmachen, die besonders geeignet sind zur sprachlichen Realisierung von Euphemismen. Dabei können drei Kategorien unterschieden werden: Ein unerwünschter Ausdruck kann ersetzt, verändert oder komplett ausgespart werden (vgl. Forster 2013: 109). Die Substitution/Ersetzung des zu vermeidenden Ausdrucks erfolgt z.B. durch:

  • vage oder mehrdeutige Ausdrücke (Sache statt Preiserhöhung)

  • Verallgemeinerung (Bau statt Gefängnis, etw. mitnehmen statt stehlen)

  • Aspektbetonung (mit jmd. ins Bett gehen statt mit jmd. eine sexuelle Beziehung haben)

  • Leerformeln, Schlagworte (Freiheit, Menschenwürde; wegen der semantischen Vieldeutigkeit legen sich die Sprachsender/-innen hier nicht fest)

  • Mehrsinnigkeit/Polysemie (Euthanasie: ‚Hilfe beim Sterben’ vs. ‚Hilfe zum Sterben=Töten’)

  • Litotes als Verneinung des Gegenteils (nicht mehr jung sein statt alt sein)

  • Periphrase/Umschreibung (in anderen Umständen sein statt schwanger sein)

  • abschwächenden Komparativ (eine ältere Frau statt eine alte Frau)

  • Metaphern (heimgehen statt sterben)

  • Fremdwörter und seltene Wörter (Laxativa statt Abführmittel; liquidieren statt töten)

Euphemismus und ersetzter Ausdruck stehen hier in inhaltlicher Beziehung zueinander, besitzen also gemeinsame semantische Merkmale. Für eine euphemistische Funktion ist es allerdings wichtig, dass der Ersatzausdruck gerade die unliebsamen Merkmale ausspart. Und so kann eine Metapher als Euphemismus fungieren (von uns gegangen für gestorben – das gemeinsame Merkmal ist hier der Ortswechsel; ausgespart bleibt, dass es keine Wiederkehr gibt), aber nicht jede Metapher ist ein Euphemismus, und nicht jeder Euphemismus erscheint in der Form einer Metapher. Die Veränderung des zu vermeidenden Ausdrucks ist im Unterschied dazu nicht inhaltlicher, sondern formaler Natur. Sie geschieht z.B. durch:

  • Abkürzung/Kurzwort (BH, WC)

  • Buchstabenveränderung/lautliche Differenzierungen („Wortspiele“; z.B. Reduplikationen, Buchstabentrennungen, Anagramme) (Popo, Schiete)

  • das Hinzufügen von Buchstaben/Lauten oder Wörtern (z.B. Suffigierung: i als Suffix bei Verniedlichung: Alki)

  • das Weglassen von Buchstaben/Lauten oder Wörtern (Du kannst mich mal…)

  • den Einsatz von Strichen und Pünktchen (nur in der geschriebenen Sprache, z.B. Sch…)

Eine komplette Aussparung des vermiedenen Ausdruckes ist der Vollständigkeit halber hinzuzufügen, aber im konkreten Fall schwer nachweisbar. Bei einem solchen „Nulleuphemismus“ könnte man auch von „Verschweigen“ sprechen.

Euphemismen können einen unterschiedlichen Grad an Lexikalisierung besitzen: Es gibt konventionalisierte Euphemismen, die Eingang in das Lexikon einer Sprachgemeinschaft gefunden haben und bei denen immer deutlich ist, was dahintersteht: entschlafen, der Leibhaftige. Bei anderen Formulierungen wird erst durch den Kontext (Redeanlass, Ort und Zeit, soziale Gruppe, Absicht) klar, was gemeint ist: Er ist gefallen kann für im Krieg getötet worden stehen, aber auch nur einen harmlosen Sturz bezeichnen. Und jemand, der fragt, wo er sich hier die Hände waschen kann, sucht entweder wirklich nur ein Waschbecken oder vielmehr eine Toilette. Ähnlich gewichtig ist der Kontext für vage Ausdrücke wie Sache oder Aktion: Die Bedeutung und damit die potentielle euphemistische Funktion sind nicht ohne Kommunikationszusammenhang erschließbar. Gerade unter den manipulativ-verschleiernden Euphemismen gibt es viele Ad-hoc- oder Augenblicksbildungen; hier ist es zentral, dass Teile der Bedeutung verborgen bleiben. Häufig sind Euphemismen einem Verblassungseffekt unterworfen und verlieren mit der Zeit ihre euphemistische Wirkung. Bei schonend-verhüllenden Euphemismen geschieht dies, da der euphemistische Ausdruck die negative Konnotation des ersetzten Ausdruckes übernimmt und dann selbst mit unangenehmen Gedanken und Gefühlen verbunden wird. Gibt es dann einen neuen Ersatzausdruck, können ganze Euphemismusketten entstehen: Aus der Putzfrau wird die Reinigungsfrau oder Raumpflegerin (die Euphemisierung funktioniert hier, da reinigen und pflegen positiver assoziiert werden als putzen) und später vielleicht die Haushaltshilfe (Haushalt schließt als Oberbegriff das Putzen mit ein, beinhaltet aber noch weitere, höher geachtete Aufgaben) oder gute Fee (die Übertragung in den Bereich des Märchens besitzt keinerlei Bedeutungsmerkmale von Haushaltsarbeiten mehr). Manipulativ-verschleiernde Euphemismen dagegen verlieren ihre Wirkung, indem die Manipulation aufgedeckt und durchschaut wird.

Fragen der Abgrenzung

Bereits festgestellt wurde, dass verschiedene rhetorische Figuren wie Metapher, Periphrase oder Litotes in geeigneten Kontexten über ihre Funktion als Euphemismus kategorisiert werden können. Wie aber lassen sich Euphemismen von Lügen, Irrtümern oder ironischer Redeweise abgrenzen? Oder, anders gefragt: Lügen z.B. Politiker/-innen, wenn sie Euphemismen verwenden, also beispielsweise von einer Diätenanpassung statt einer Diätenerhöhung sprechen – und ihre Diäten, also ihre Bezüge, erhöht haben?

Dort, wo Euphemismen in manipulativ-verschleiernder Absicht verwendet werden, zeigen sich deutliche Parallelen zur Lüge: In beiden Fällen soll einem Adressaten/einer Adressatin mittels sprachlicher Täuschung eine andere Weltsicht vermittelt werden. Definiert man die Lüge als bewusst falsche sprachliche Aussage, die der Hörer/die Hörerin trotzdem glauben soll, sind beim Lügen zwei Faktoren wichtig: die bewusste Intention des Sprechers/der Sprecherin (sonst wäre es ein Irrtum) und die semantische Diskrepanz zur Wahrheit: Es regnet, wenn draußen die Sonne scheint und ich es weiß. Richtigerweise müsste die Aussage dann verneint werden: Es regnet nicht. Da der Euphemismus nur in Teilaspekten von der faktischen Wahrheit abweicht, ist eine Verneinung hier nicht möglich. Wird eine Diätenerhöhung Diätenanpassung genannt, liegt keine Lüge vor: Diätenerhöhung oder Diätensenkung sind beides Diätenanpassungen (das hier als Oberbegriff fungiert) – die Politikerbezüge ändern sich bei beiden Ausdrücken, allerdings bleibt bei Diätenanpassung die Richtung der Änderung ungenannt.

Und bei der Ironie? Auch hier gibt es eine bewusste falsche sprachliche Aussage, bei der der Sprecher/die Sprecherin eine andere Wahrheit als das Gesagte annimmt. Im Gegensatz zum Euphemismus und zum Irrtum soll allerdings die Hörerseite nicht in diesem Glauben gelassen werden, sondern mittels Ironiesignalen die Diskrepanz erkennen. Hier liegt ein deutlicher Unterschied zum Euphemismus vor. Mit rein sprachwissenschaftlichen Mitteln können in der Praxis allerdings weder Euphemismus, noch Lüge, Irrtum oder Ironie nachgewiesen werden. Man benötigt Kenntnis des außersprachlichen Kontextes sowie der Einstellung des Sprechers/der Sprecherin zum Wahrheitsgehalt der Äußerung. Absicht und Wirkung sind dabei nur schwer nachzuweisen. Dazu kommt, dass eine „objektive Wirklichkeit“, das „richtige Wort“ nicht existieren. Ausgangspunkt für eine linguistische Analyse können aber verschiedene sprachliche Darstellungen desselben Sachverhaltes sein, bei denen geprüft wird, welche Aspekte jeweils hervorgehoben und welche verdeckt bleiben.

Euphemismen in der Politik

Wenn bei der Lüge die Wahrheit in ihr Gegenteil verkehrt wird („Ich habe den Vertrag unterschrieben.“, wenn ich den Vertrag nicht unterschrieben habe), ist sie damit potentiell nachzuweisen. Der Sprecher/die Sprecherin macht sich also angreifbar, umso mehr, da faktisch falsche Darstellungen im Zeitalter der Informationsvielfalt mit überschaubarem Aufwand aufgedeckt werden können.

Es ist für einen in der Öffentlichkeit stehenden Menschen ein enormer Imageverlust, wenn er der Lüge überführt wird, und gefährdet bei Politiker/-innen darüber hinaus ihre (Wieder-)Wahl. Dies erklärt, warum gerade manipulativ-verschleiernde Euphemismen in der Politik beliebt sind: Da der Euphemismus nur in Teilaspekten von einer faktisch wahren Aussage abweicht, kann dem Sprachsender/der Sprachsenderin im für ihn/sie ungünstigsten Fall Unangemessenheit, aber kaum Unwahrheit im Sinne einer Lüge nachgewiesen werden: Die Aussage selbst ist sachlich nicht falsch.

In der Politik gibt es Themenbereiche, bei denen eine verschleiernde Sprachverwendung gehäuft auftritt: Euphemistische Sprache im Rahmen der Außenpolitik betrifft v.a. das Verhältnis zu anderen Staaten sowie eigene militärische (Angriffs-)Handlungen. Für letzteres ist die Bezeichnung Krieg seit den beiden Weltkriegen mit überaus negativen Konnotationen aufgeladen und wird im öffentlichen Sprachgebrauch – nicht nur in demokratischen Staaten – eher gemieden.

Nahezu überall ist der Kriegsminister mit verlagertem inhaltlichen Schwerpunkt zum Verteidigungsminister geworden. Wenn in der öffentlichen Sprache von einer Krise, einer Mission, einem Konflikt, einer Operation (Operation Wüstensturm), einer Aktion (spezielle Militäraktion) oder einem (Militär-)Schlag die Rede ist, können bewaffnete kriegerische Handlungen dahinterstehen (zu entsprechenden Beispielen vgl. Forster 2013: 115). Für die Einschätzung als Euphemismus sind der Kontext und v.a. der Zeitpunkt der Verwendung bestimmter Benennungen ausschlaggebend: Ein Konflikt kann schon lange vor einem bewaffneten Eingriff bestehen und eine Friedensmission ist in vielen Fällen gewaltfrei. Ersetzen solche Benennungen jedoch Krieg, wirken sie euphemisierend und führen dann vielleicht erst zu einer Akzeptanz, und zwar sowohl auf der Seite der Bevölkerung als auch auf der Seite von politisch Verantwortlichen und Soldaten/-innen. Das Tabu der Tötung von Menschen scheint hier also sehr stark zu wirken.

Allerdings ist in jüngerer Zeit ein Wandel bei diesem Worttabu zu konstatieren: Im Dritten Golfkrieg nach dem 11. September 2001 redet der damalige US-Präsident Bush vom Krieg gegen den Terror und verwendet damit das eigentlich gemiedene Wort. Vielleicht aufgrund dieser Tabudurchbrechung wird auch im deutschen Sprachraum die öffentliche Benennung Krieg für die Handlungen des deutschen Militärs in Afghanistan gebräuchlicher (Spiegel-Online titelt am 03.11.2009: „Gutenberg spricht das K-Wort aus“) und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung sogar als „offen“ und „ehrlich“ honoriert (zu Belegen vgl. Forster 2013: 116).

Ein weiterer gebräuchlicher Euphemismus im außenpolitischen Kontext ist Kollateralschaden, der bei einem militärischen Angriff für die nicht vorsätzliche Zerstörung von zivilen Einrichtungen und die Tötung von Zivilpersonen steht. Diese nicht beabsichtigten, aber durchaus verheerenden Schäden werden durch das Fremdwort (lat. latus ‚Seite‘; i.d.S. lateral ‚seitlich, nebenbei‘ ) auf eine Nebensächlichkeit reduziert, die in Kauf genommen wird.

In der Innenpolitik treten in einzelnen Ressorts die Euphemismen klassischer Tabubereiche auf, etwa zu Alter, Tod und Sexualität in der Familien- und Sozialpolitik. Darüber hinaus gibt es aber Themen, die innenpolitisch spezifisch unangenehm für Politiker/-innen sind: Steuererhöhungen, schlechte Werte bei Umfragen, Wahlen oder Konjunkturwerten – im Prinzip alle Inhalte, die die Gefahr eines Sympathie- und Imageverlustes mit sich bringen. Wenn über solche Themen öffentlich kommuniziert werden muss, bietet sich eine euphemistische Sprachgestaltung an, um den Imageschaden abzuwehren oder zumindest zu verringern. Beispiele für Euphemismen sind hier Nullwachstum statt Stagnation, Synergieeffekt statt Einsparungen oder Gewinnwarnung statt Verlustankündigung.

Generell werden Wortbestandteile, die zentrale Tabus berühren und somit negative Gefühle wie Ängste und Besorgnis auslösen könnten, gerne vermieden: Kernenergie statt Atomenergie (das mit Atombombe und Gefahr assoziiert werden könnte) – der Slogan der gegnerischen Seite lautet wiederum „Atomkraft – nein, danke“; beim Entsorgungspark oder Endlager gibt es keinen Hinweis darauf, was hier entsorgt oder gelagert wird.

Politischen Euphemismen werden oft mit Hilfe verallgemeinernder, vager und ideologisch mehrdeutiger Wörter gebildet (die Sachlage, die Umstände, ohne genauere Darstellung der spezifischen Situation). Auch Fremdwörter, Auslassungen oder Metaphern erscheinen gehäuft. Damit eine erwünschte Sprachmanipulation Erfolg hat, darf der Rezipient/die Rezipientin sie möglichst nicht als solche erkennen. Deshalb gibt es bei den Euphemismen in der öffentlichen politischen Sprache einen hohen Anteil an Gelegenheitsbildungen; traditionelle, bereits lexikalisierte Euphemismen eignen sich hier weniger gut zur manipulativen Verschleierung.

Die Frage nach der Angemessenheit

In totalitären politischen Systemen können die Machthabenden versuchen, über eine konsequente Gestaltung der offiziellen und öffentlichen Sprache z.B. mit Euphemismen und bei gleichzeitigem Verbot davon abweichender Bezeichnungen die Bevölkerung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Eine Akzeptanz und zumindest Duldung bei schwierigen Themen (etwa der Verfolgung bzw. Ermordung von Regimekritiker/-innen oder eigenen Angriffskriegen) soll so zumindest gefördert werden. Inwieweit das gelingt, hängt von diversen Faktoren ab, etwa der Möglichkeit, sich über den tatsächlichen Sachverhalt aus verschiedenen Quellen zu informieren.

Diese Option ist in Demokratien glücklicherweise zumeist gegeben, und dann steht die Angemessenheit der sprachlichen Gestaltung auf dem Prüfstand. Durchschautes manipulatives Verschleiern ruft Spott und Ironie hervor und ist dem Image der Verantwortlichen manchmal abträglicher, als es das klare Äußern von Fakten jemals gewesen wäre. Deshalb stellen Politiker/-innen gerne heraus, „jetzt Klartext zu reden“ und „die Dinge beim Namen zu nennen“, denn „da gibt es nichts mehr zu verschleiern“ – betont unverdecktes Reden im politischen Zusammenhang kann Vertrauen und Sympathie einbringen (vgl. Forster 2013: 116). Es zeichnet eine Demokratie darüber hinaus aus, dass sich verschiedene politische Ideologien und Meinungen generell in einer unterschiedlichen öffentlichen Sprache widerspiegeln: Wenn Steuererhöhungen von der Regierung als Reformen bezeichnet werden, wählt die Opposition, die eine solche Politik kritisiert, naturgemäß andere Benennungen für denselben Sachverhalt. Die eigene Weltsicht und die politische Einstellung (übrigens auch die des Sprachwissenschaftlers/der Sprachwissenschaftlerin) haben Einfluss darauf, wie wir sprechen und ob eine bestimmte sprachliche Darstellungsweise als angemessen oder unangebracht-euphemisierend wahrgenommen wird (vgl. Bohlen 1994: 139). Das zeigt sich auch bei der sog. „Political Correctness“, wo verschiedene Formulierungsvorschläge mit dem Ziel einer respektvollen, diskriminierungsfreien Sprachgestaltung im Spannungsfeld zwischen „verantwortungsvollem Sprachgebrauch“ und „unsinnigen, intoleranten Formulierungen“ durchaus emotional aufgeladen diskutiert werden.

In einer demokratischen Medienlandschaft steht die öffentliche politische Sprache also unter Beobachtung, und dies gilt auch und insbesondere für euphemistische Ausdrücke. Dahinterliegende Sachverhalte werden zeitnah bekanntgemacht und es kursieren Benennungsalternativen. Ein Beispiel für öffentlichkeitswirksame Kritik in Bezug auf politische Sprache ist die Aktion „Unwort des Jahres“. Seit 1991 kürt eine auch mit Sprachwissenschaftler/-innen besetzte Jury aus aktuellen Einsendungen der Bevölkerung sogenannte „Unwörter“. Darunter verstanden werden „Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen“ (Externer Link: https://www.unwortdesjahres.net/unwort/kriterien-und-auswahlverfahren/). Es wundert nicht, dass sich hier viele Ausdrücke finden, die dem Euphemismusspektrum zugeordnet werden können, wie folgende Beispiele zeigen: Remigration (2023; „Der aus der Migrations- und Exilforschung stammende Begriff, der verschiedene, vor allem freiwillige Formen der Rückkehr umfasst (darunter die Rückkehr jüdischer Menschen aus dem Exil nach 1945), wird bewusst ideologisch vereinnahmt und so umgedeutet, dass eine – politisch geforderte – menschenunwürdige Abschiebe- und Deportationspraxis verschleiert wird.“), militärische Spezialoperation (2022; „Der Ausdruck ist eine zutiefst euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt“), Militärschlag (2021; „eine zutiefst euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt. Schon seit Jahrzehnten bedienen sich Politiker:innen und unkritische Medien dieses Ausdrucks und verschleiern damit, worum es eigentlich geht: Bombenangriffe und Artillerie- oder Raketenbeschuss auf Ziele, bei denen die Aggressoren skrupellos den Tod unschuldiger und zumeist auch unbewaffneter Opfer in Kauf nehmen. Wenn eine Regierung ihre Bomber, Drohnen, Panzer und Raketen für Angriffe auf andere Völker oder auch Widerstandsgruppen im eigenen Land einsetzt, dann handelt es sich um Krieg, nicht bloß um ein paar Schläge.“), erweiterte Verhörmethoden (2014; „Aktuell geworden durch den CIA Bericht 2014, hat sich der Begriff ‚erweiterte Verhörmethoden‘ in der Berichterstattung zu einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt. Der Ausdruck ist ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll.“), Döner-Morde (2011; „Mit Döner-Morde wurden von Polizei und Medien die von einer neonazistischen Terrorgruppe verübten Morde an zehn Menschen bezeichnet“), Intelligente Wirksysteme (2009; „Verschleierung von Hightech-Munition, sogar im offiziellen Unternehmensnamen des Herstellers“), Angebotsoptimierung (2003; „Beschönigung von Dienstleistungsminderungen, etwa Stilllegung von Bahnstrecken“), Separatorenfleisch (2000, „Seriös klingende, bei BSE-Verdacht besonders unangemessene Bezeichnung von Schlachtabfällen“), Kollateralschaden (1999; „Verharmlosung der Tötung Unschuldiger als Nebensächlichkeit; NATO-offizieller Terminus im Kosovo-Krieg“), Diätenanpassung (1995; „Beschönigung der Diätenerhöhung im Bundestag“), Freisetzungen (1994; „als Begriff für Entlassungen“), schlanke Produktion/lean production (1993; „Unternehmensstrategie mit Arbeitsplatzvernichtung“).

Welche Schlüsse lassen sich nun aus den vorhergehenden Überlegungen ziehen? Sind Euphemismen generell undemokratisch und ist ihre Verwendung immer verdächtig? Die Tatsache an sich, dass in der Sprache Wörter oder Wortverbindungen auftreten, die von ihrer Funktion her im spezifischen Kontext als euphemistisch klassifiziert werden können, ist nicht bedenklich: Es gibt nicht die „eine“ Sicht auf die Welt. Zudem erscheint eine deutliche, tabufreie Ausdrucksweise manchmal unangebracht, gerade, wenn es um Rücksichtnahme, Ehrerbietung oder Höflichkeit innerhalb einer (Sprach-)Gesellschaft geht. Dazu könnte man auch viele Vorschläge im Rahmen der „Political Correctness“ zählen, die eine neue, feinfühligere Terminologie vorschlagen, um sprachliche Diskriminierung zu unterbinden.

Genauer hinsehen muss man, wenn im Rahmen von öffentlicher politischer Sprache, von Werbung oder in der Wirtschaftskommunikation über die Ausblendung wichtiger semantischer Merkmale zum eigenen Nutzen manipuliert werden soll. In Gefahr ist eine Demokratie allerdings erst dann, wenn eine solche Sprache nicht mehr auf Angemessenheit hin überprüft und gegebenenfalls auch öffentlich kritisiert werden darf. Eine lebendige Diskussion um Werte und Normen, die sich auch sprachlich manifestieren, ist dagegen erstrebenswert.

Quellen / Literatur

Allan, Keith & Burridge, Kate (1991): Euphemism & Dysphemism. Language Used as Shield and Weapon. Oxford University Press, New York, Oxford.

Bohlen, Andreas (1994): Die sanfte Offensive. Untersuchungen zur Verwendung politischer Eu-phemismen in britischen und amerikanischen Printmedien bei der Berichterstattung über den Golfkrieg im Spannungsfeld zwischen Verwendung und Mißbrauch der Sprache. Frankfurt/M. u.a.

Dietl, Cora (1996): Euphemismus. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Mitbegründet von Walter Jens. In Verbindung mit Wilfried Barner u.a. Unter Mitwirkung von mehr als 300 Fachgelehrten. Band 3: Eup-Hör. Tübingen, Sp. 1-10.

Forster, Iris (2013): Euphemismen im lebenslangen Lernen und politischen Handeln. In: Politik als sprachlich gebundenes Wissen. Politische Sprache im lebenslangen Lernen und politischen Handeln. Hg. von Jörg Kilian und Thomas Niehr. Bremen: Hempen Verlag (= Sprache – Politik – Gesellschaft. Band 8. Hg. von Heidrun Kämper, Jörg Kilian und Kersten Sven Roth), S. 107-118.

Forster, Iris (2017): Forschungsgegenstände/Beispielanalysen: Empirische Politolinguistik. Kaschieren und verschleiern. In: Handbuch Sprache und Politik in drei Bänden. Hg. von Jörg Kilian, Thomas Niehr und Martin Wengeler. Band 2. Bremen: Hempen Verlag 2017, S. 794-810.

Leinfellner, Elisabeth (1971): Der Euphemismus in der politischen Sprache. Berlin.

Luchtenberg, Sigrid (1985): Euphemismen im heutigen Deutsch. Mit einem Beitrag zu Deutsch als Fremdsprache. Frankfurt/M./Bern/New York.

Paul, Hermann (2002): Deutsches Wörterbuch. Be-deutungsgeschichte und Aufbau unseres Wort-schatzes. 10., überarbeitete und erweiterte Auflage von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen.

Rada, Roberta (2001): Tabus und Euphemismen in der deutschen Gegenwartssprache. Mit besonderer Berücksichtigung der Eigenschaften von Euphemismen. Budapest.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Angeführt werden hier jeweils das Unwort, das Jahr der Wahl sowie Ausschnitte aus der Begründung der Jury; vgl. Externer Link: https://www.unwortdesjahres.net/unwort/das-unwort-seit-1991/.

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Dr. Iris Forster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Germanistik (Abteilung Germanistische Sprachwissenschaft) an der Technischen Universität Braunschweig. Nach einem Studium der Germanistik und Geschichtswissenschaft arbeitete sie an der 10. Auflage des "Deutschen Wörterbuchs" von Hermann Paul mit. In ihrer Dissertation analysiert sie Formen und Funktionen von Euphemismen in der politischen Sprache, vor allem in Diktaturen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind historische Sprachwissenschaft, Semantik, Sprache und Politik sowie Schriftlinguistik.