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Semantische Kämpfe | Sprache und Politik | bpb.de

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Semantische Kämpfe

Thomas Niehr

/ 10 Minuten zu lesen

Die Bedeutung von Ausdrücken kann umstritten sein. Beim Kampf um Wörter geht es darum, die eigene Perspektive als die allein gültige oder zumindest überlegene zu präsentieren und durchzusetzen.

Kunstausstellung zum Thema "Freiheit" in Erlangen. (© picture-alliance/dpa)

Unter dem Oberbegriff Semantische Kämpfe werden in der Linguistik Versuche zusammengefasst, die darauf abzielen, den eigenen Sprachgebrauch durchzusetzen und gleichzeitig gegnerische Sprachkonzepte zu diskreditieren. Die in der Linguistik ursprünglich gebrauchte Bezeichnung Begriffe besetzen wurde zugunsten eines umfassenderen Konzepts ersetzt. Beide Ausdrücke (Semantische Kämpfe wie Begriffe besetzen) sind metaphorisch. Die Kriegsmetaphern (besetzen, Kämpfe) deuten darauf hin, dass die Bedeutung von Ausdrücken umstritten sein kann und keineswegs abschließend feststeht. In diesem Zusammenhang ist manchmal auch vom Streit um Worte die Rede. Bekannte Buchtitel wie Kontroverse Begriffe (Stötzel/Wengeler 1995) oder Brisante Wörter (Strauß/Haß/Harras 1989) spielen ebenfalls auf dieses Phänomen an.

Die Wendung vom Begriffe besetzen stammt aus einer Parteitagsrede des damaligen Generalsekretärs der CDU, Kurt Biedenkopf. In dieser Rede aus dem Jahr 1973 beklagt Biedenkopf, dass die politische Linke „eine Revolution neuer Art“ anzettele: „Statt der Gebäude der Regierung werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert, die Begriffe, mit denen wir unsere staatliche Ordnung, unsere Rechte und Pflichten und unsere Institutionen beschreiben.“ (Biedenkopf, zit. nach Klein 1991: 46).

Diese Klage Biedenkopfs wurde von Linguist:innen kritisch aufgegriffen. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive schien fraglich, was genau in diesem Zusammenhang mit Begriff gemeint sein könnte und wie man sich eine Begriffsbesetzung vorstellen solle. Biedenkopfs Ausdrucksweise wurde als „plakative politische Metapher“ (vgl. Klein 1991: 44) gesehen, die ihrerseits als Mittel der politischen Auseinandersetzung diene, nicht aber zur linguistischen Beschreibungskategorie taugte (vgl. Klein 1991: 44).

Das sprachliche Zeichen nach Ferdinand de Saussure. Das sprachliche Zeichen besteht nach de Saussure aus einer Inhaltsseite und einer Ausdrucksseite. So gehört zum Zeicheninhalt Baum z.B. im Deutschen der Zeichenausdruck Baum [baʊ̯m].

Vergleicht man die Bezeichnungen, die verschiedene Sprachen für dieselben Dinge verwenden, so wird deutlich, dass sprachliche Bezeichnungen nichts Naturgegebenes sind. Während das Lebewesen, das wir im Deutschen als Hund bezeichnen, im Englischen dog, im Französischen chien und im Schwedischen wiederum hund heißt, nennen Norweger es bikkje, Finnen hingegen koira. Ferdinand de Saussure, ein Schweizer Sprachforscher des 19./20. Jahrhunderts, prägte in diesem Zusammenhang den Ausdruck Arbitrarität. Gemeint ist damit, dass die Bezeichnungen, die wir für die Dinge in der Welt wählen, offensichtlich nicht naturgegeben, sondern willkürlich sind. Dies zeigt sich besonders deutlich beim Vergleich verschiedener Sprachen, die die gleichen Dinge mit unterschiedlichen Ausdrücken bezeichnen.

Aber auch innerhalb der einzelnen Sprachen stehen uns oft alternative Bezeichnungen zur Verfügung, die meist eine spezielle Wertung enthalten. Man denke an Wörter wie Köter oder Töle für Hunde oder an Ross bzw. Gaul für Pferde. Wenn nun aber innerhalb einer Sprache Bezeichnungsalternativen für denselben Gegenstand zur Verfügung stehen, liegt es nahe, dass man hinsichtlich der jeweils angemessenen Bezeichnung unterschiedlicher Auffassung sein kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bewertung der bezeichneten Dinge umstritten ist. Gerade in politischen Zusammenhängen divergieren häufig die Meinungen darüber, wie eine bestimmte Sache, eine Maßnahme oder ein Vorhaben zu bewerten sei. Folglich herrscht auch keine Einigkeit darüber, welche Bezeichnung dafür angemessen ist. Damit sind die Voraussetzungen für semantische Kämpfe erfüllt. Verschiedene Protagonist:innen werden versuchen, ihre jeweilige Sicht der Dinge nicht nur einprägsam zu formulieren, sondern diese spezielle Sicht der Dinge – und die damit verbundenen Ausdrucksweisen – auch durchzusetzen.

Derartige semantische Kämpfe sprachwissenschaftlich genauer zu betrachten und die dabei angewendeten Strategien zu beschreiben, ist das Kerngeschäft der Politolinguistik. Vertreter:innen dieser Disziplin haben sowohl theoretische Konzepte vorgelegt, wie die Metapher vom semantischen Kampf sprachwissenschaftlich zu fundieren sei, als auch konkrete Analysen zu semantischen Kämpfen durchgeführt.

Semantische Kämpfe – linguistisch betrachtet

Das Ziel semantischer Kämpfe besteht darin, diskursive Deutungshoheit für sich bzw. die eigene Gruppe zu beanspruchen und zu gewinnen. Dies kann prinzipiell innerhalb aller Themengebiete erfolgen, in denen Umstrittenes verhandelt wird. Eben diese Umstrittenheit wird sprachlich ausgedrückt und spiegelt sich häufig in divergierenden Bezeichnungen wider.

Grob lassen sich die Verfahren, um diskursive Deutungshoheit für sich zu beanspruchen, danach unterteilen, ob vorrangig die Inhaltsseite („Bedeutungskonkurrenz“) oder aber die Ausdrucksseite („Bezeichnungskonkurrenz“) des Wortes betroffen ist (vgl. Klein 2017; Niehr 2017). Bedeutungskonkurrenz meint, „die Bedeutung eines Begriffs im Rahmen politischer Auseinandersetzungen im eigenen Sinne zu modellieren und diese Bedeutung möglichst als kanonisch zu etablieren“ (Klein 2017: 777). Dies geschieht häufig mithilfe von Sprachthematisierungen, mithilfe derer das jeweilige eigene Verständnis der Wortbedeutung nicht nur ausgedrückt, sondern gleichzeitig auch propagiert wird. Häufig geht damit die Behauptung einher, dass der politische Gegner sich eines falschen Sprachgebrauchs bediene.

Insbesondere über die Bedeutung abstrakter Begriffe lässt sich trefflich streiten, hier können verschiedene Bedeutungsnuancen gegeneinander ausgespielt werden. Beispiele aus den aktuellen Grundsatzprogrammen politischer Parteien können dies illustrieren. So heißt es beispielsweise im Hamburger Programm der SPD (2007: 15): „Konservative und Liberale spielen die Grundwerte nicht selten gegeneinander aus: je mehr Freiheit, desto weniger Gerechtigkeit und umgekehrt. Im sozialdemokratischen Verständnis bilden sie eine Einheit. Sie sind gleichwertig und gleichrangig.“ Mit diesen zwei Sätzen wird einerseits das Abhängigkeitsverhältnis von Freiheit und Gerechtigkeit aus Sicht der SPD erläutert, andererseits dem politischen Gegner unterstellt, falsche oder zumindest defizitäre Begriffe von Freiheit und Gerechtigkeit zu propagieren. Bei der FDP (2012: 6) hingegen heißt es: „Wir setzen auf den Rechtsstaat, nicht auf den Überwachungsstaat. Denn der liberale Rechtsstaat dient dem Schutz der Freiheit, nicht ihrer Einschränkung. [...] Denn für Liberale gilt jetzt und in Zukunft: Im Zweifel für die Freiheit." Auch hier wird das Freiheitskonzept des politischen Gegners problematisiert. Ihm wird unterstellt, Freiheit durch staatliche Maßnahmen einzuschränken statt sie zu schützen. Ohne dass in diesen Passagen definiert würde, was genau unter Freiheit zu verstehen sein soll, werden Bedeutungsnuancen durch Abgrenzung verdeutlicht. Bereits hier wird klar: Mit Wörtern stellen wir die Welt nicht objektiv dar. Mit Wörtern drücken wir vielmehr aus, wie wir die Welt sehen. Die je spezifische Wortwahl ist also notwendigerweise immer perspektivisch.

Sozusagen am anderen Ende – nämlich an der jeweiligen Bezeichnung für etwas – setzt hingegen Bezeichnungskonkurrenz an, indem unterschiedliche Bezeichnungen für den (mehr oder minder) gleichen Sachverhalt gewählt bzw. propagiert werden. Bei der Wahl der Bezeichnung geht es darum, die jeweils eigene Perspektive möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen.

So finden sich für die momentan zu beobachtende Klimaveränderung verschiedene Ausdrücke in der öffentlichen Kommunikation. Sie reichen von Klimaveränderung und Klimawandel über Klimakrise bis hin zu Klimakatastrophe. Während bei Zusammensetzungen mit -veränderung und -wandel der Bewertungsaspekt (Veränderung/Wandel zum Guten oder zum Schlechten?) nicht im Vordergrund steht oder sogar ganz ausgeblendet wird, ist die negative Bewertung bei den Komposita mit -krise bzw. -katastrophe unzweifelhaft.

Analoge Begriffsbildungen finden wir im Migrationsdiskurs. Während durch Ausdrücke wie Flüchtlingsansturm oder -invasion eine Bedrohung durch die nach Europa Geflüchteten ausgedrückt wird, fokussiert der Ausdruck Fluchtbewegung eher auf die Motive der Flüchtenden, die sich wegen Hunger, Verfolgung oder Krieg gezwungen sehen, ihre Länder zu verlassen. Welche Bezeichnungsalternative jemand für mehr oder weniger angemessen hält, hängt sowohl von politischen (wie auch moralischen) Grundpositionen ab. Zum Wesen einer demokratisch verfassten Gesellschaft gehört es jedoch, dass über derartige Positionen kontrovers diskutiert werden kann und dass niemand das Recht (und die Macht) hat, seine Position (und seine Wortwahl) zur einzig legitimen zu erklären.

Der Streit über die Bedeutung von Wörtern wie auch über die angemessene Bezeichnung von Sachverhalten gehört also wesentlich zu einer Demokratie. Der Politiker Fritz Kuhn bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: „Wer der Überzeugung ist, daß es nicht außersprachlich festliegt, was Freiheit ist, sondern Freiheit als etwas durch sprachliche Konventionen einer Sprachgemeinschaft Vermitteltes ansieht, wird weit gelassener mit den Versuchen einer Gruppe von Sprachteilnehmern umgehen, ihre Auffassung von Freiheit zum allgemeinen Sprachgebrauch werden zu lassen. [...] Aus diesem Grunde ist der Streit um Wörter nichts politisch Überflüssiges, sondern er macht das Wesen der Politik aus. Was ist Freiheit, was wollen wir unter Freiheit verstehen? Dies ist eine zentrale Frage, die jede politische Gemeinschaft immer wieder neu zu klären versucht.“ (Kuhn 1991: 94 f.)

Bei diesen Klärungsversuchen geht es darum, Begriffe zu besetzen und die je eigene perspektivische Sicht der Dinge als allein gültige zu legitimieren. Damit einher geht oft der Anspruch, konkurrierende Wirklichkeitssichten und -bewertungen zu delegitimieren.

Remigration oder Ausländer raus?

Dieses Verfahren lässt sich an einem z.Zt. öffentlich diskutierten Thema aus dem Bereich der Migrationspolitik verdeutlichen. Anfang des Jahres 2024 wird in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit heftig über ein Treffen von AfD-Politikern, Rechtsextremen sowie ausgewählten Unternehmern und weiteren Gästen diskutiert. Dieses Treffen wird als brisant eingeschätzt, weil Teilnehmer:innen sich dort über die Pläne zur sogenannten Remigration ausgetauscht haben sollen. Das Wort wurde – unabhängig von dem besagten Treffen – wenige Tage später medienwirksam zum Unwort des Jahres gewählt. In der Begründung der Jury heißt es dazu: „Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind.“ (Externer Link: https://www.unwortdesjahres.net/presse/aktuelle-pressemitteilung/ 26.01.2024) Kritisiert wird also eine verharmlosende Begriffsverwendung, ein Euphemismus, für etwas, das durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland explizit ausgeschlossen wird – Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft zu benachteiligen (vgl. Art. 3, 3 GG) – in diesem Falle, indem sie deportiert werden sollen. Verdeutlichend heißt es dazu bereits im Jahr 2019 in einem Pressekommentar: „Die neurechte Bewegung verschleiert mit pseudointellektuellen Formulierungen ihre wahren Ziele. ,Ausländer raus‘ heißt heute ,Remigration‘“. (Externer Link: https://taz.de/Debatte-Begriffe-der-neuen-Rechten/!5603803/ 26.01.2024)

Sprachthematisierungen als Mittel der Politik

Wird in dieser oder ähnlicher Weise der spezifische Sprachgebrauch einer Gruppe zum Thema, so spricht man von Thematisierungen: Mittels Sprache wird ein bestimmter Sprachgebrauch thematisiert und gleichzeitig meist auch positiv oder negativ bewertet. Derartige Sprachthematisierungen sind, sofern sie der politischen Auseinandersetzung dienen, üblicherweise so aufgebaut, dass der jeweils eigene Sprachgebrauch als ,objektiv‘, ,ehrlich‘ und ,sachangemessen‘, der des politischen Gegners als ,falsch‘, ,unehrlich‘ oder gar ,betrügerisch‘ dargestellt wird. Ausgeblendet wird bei derartig instrumentalisierenden Sprachthematisierungen, dass es einen wie auch immer gearteten objektiven Sprachgebrauch – zumindest in politischen Zusammenhängen – gar nicht geben kann. Zwar kann man kaum ernsthaft darüber streiten, ob etwas zu Recht als Pferd, Hund oder Kuh bezeichnet werden kann. Betrachtet man jedoch politisch umstrittene Sachverhalte, dann lässt sich sehr wohl kontrovers darüber diskutieren, ob bestimmte Ausdrücke angemessen oder doch eher fehl am Platz sind. Wie Sprachthematisierungen dann als Mittel zur politischen Auseinandersetzung genutzt werden, soll am Beispiel des umstrittenen Ausdrucks Remigration aufgezeigt werden.

Wie in der Begründung der Unwort-Jury ausgeführt wurde, wird der AfD vorgeworfen, eine verharmlosende Vokabel für eine grundgesetzwidrige, rassistisch motivierte Maßnahme zu verwenden: „Das Wort ist in der Identitären Bewegung, in rechten Parteien sowie weiteren rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden.“ (Externer Link: https://www.unwortdesjahres.net/presse/aktuelle-pressemitteilung/ 26.01.2024)

Vor dem Hintergrund dieses Vorwurfs kann es nicht erstaunen, dass die AfD sich genötigt sieht, ihrerseits eine gegenläufige Sprachthematisierung anzubieten. Mit ihrer Hilfe soll der Vorwurf ausgeräumt werden, dass Remigration ein Euphemismus für die geschilderten grundgesetzwidrigen, rassistisch motivierten Maßnahmen sei: Unter der Überschrift „Wider die Lügenkampagne: Was die AfD mit Remigration meint und was nicht“ schreibt der AfD-Politiker Marc Jongen von einer „konzertierte[n] Diffamierungskampagne“, und einer „Räuberpistole“, die von „den Regierungsparteien und den staatsnahen Medien“ lanciert worden sei: „Die AfD macht keinen Unterschied zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund. Alle Deutschen sind ohne Ansehen von Herkunft, Abstammung, Weltanschauung oder Religionszugehörigkeit Teil unseres Staatsvolkes. Remigration ist unsere politische Antwort, um das Asylchaos zu beenden und die Folgen der unkontrollierten Masseneinwanderung nachhaltig anzugehen. [...] Deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund wie auch Ausländer, die sich legal in Deutschland aufhalten und sich gesetzestreu verhalten, hier arbeiten, Steuern zahlen und sich in das gesellschaftliche Leben einbringen, sind uns willkommen und so wenig Teil eines Remigrationskonzepts wie Deutsche ohne Migrationshintergrund.“

Die mit dem Ausdruck Remigration bezeichnete Ausweisung von Menschen aus Deutschland soll – Jongens Worten zufolge – lediglich für Ausländer in Betracht gezogen werden, die sich nicht legal in Deutschland aufhalten, sich nicht gesetzestreu verhalten, nicht hier arbeiten, keine Steuern zahlen oder sich nicht in das gesellschaftliche Leben einbringen.

Es kann und soll an dieser Stelle nicht entschieden werden, inwieweit Jongen tatsächlich befugt ist, für die gesamte AfD zu sprechen und ob er deren Position korrekt wiedergibt oder lediglich zurückrudert, um dem Vorwurf zu entgehen, Maßnahmen zu befürworten, die eindeutig im Widerspruch zum Grundgesetz (und zu den Menschenrechten) stehen. Unabhängig davon bleibt die Jongen zugeschriebene Passage auch deshalb interessant, weil sie Remigration offenbar nicht nur für berentete/pensionierte oder aufgrund von Krankheit arbeitsunfähige Ausländer:innen nicht ausschließt oder sogar vorsieht, sondern auch für solche Personen ausländischer Herkunft, die sich nichts zuschulden kommen lassen, sich aber nicht „in das gesellschaftliche Leben einbringen“. Insbesondere dieses letzte Kriterium dürfte kaum präzise zu definieren sein und daher Spielraum für nahezu beliebige Interpretationen eröffnen.

Es sollte deutlich geworden sein, dass Sprachthematisierungen ein probates Mittel sind, um dem jeweiligen politischen Gegner nicht nur öffentlichkeitswirksam einen ,falschen‘ Sprachgebrauch zu attestieren, sondern ihm gleichzeitig bestimmte Sichtweisen zu unterstellen, die als kritikwürdig eingestuft werden. Betrachtet man Sprachthematisierungen zu politisch umstrittenen Ausdrücken wie Leitkultur, Klimakrise oder Remigration, so zeigt sich, dass mittels semantischer Kämpfe nur vordergründig um die jeweiligen Bezeichnungen gerungen wird. Es geht weniger um Sprachkritik als vielmehr darum, die eigene Sichtweise durchzusetzen und die des politischen Gegners zu schwächen.

Die fortdauernden semantischen Kämpfe zeigen, dass Politker:innen aller Couleur immer noch darauf vertrauen, durch perspektivischen Sprachgebrauch ihre Perspektive als die allein gültige oder zumindest überlegene präsentieren zu können.

Quellen / Literatur

Zitierte Literatur


Klein, Josef (1991): Kann man „Begriffe besetzen?“ In: Liedtke, Frank/Wengeler, Martin/Böke, Karin (Hg.): Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 44–69.

Klein, Josef (2017): Um Begriffe kämpfen. In: Niehr, Thomas/Kilian, Jörg/ Wengeler, Martin (Hg.): Handbuch Sprache und Politik. Bremen: Hempen, Bd. 2, S. 773–793.

Kuhn, Fritz (1991): Begriffe besetzen. Anmerkungen zu einer Metapher aus der Welt der Machbarkeit. In: Liedtke, Frank/Wengeler, Martin/Böke, Karin (Hg.): Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 90–110.

Niehr, Thomas (2017): Lexik – funktional. In: Niehr, Thomas/Kilian, Jörg/ Wengeler, Martin (Hg.): Handbuch Sprache und Politik. Bremen: Hempen, Bd. 1, S. 149–168.

Stötzel, Georg/Wengeler, Martin (1995): Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin/New York: de Gruyter.

Strauß, Gerhard/Haß, Ulrike/Harras, Gisela (1989): Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Berlin/New York: de Gruyter.

Zitierte Grundsatzprogramme


Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen auf dem Hamburger Bundesparteitag der SPD am 28. Oktober 2007.

Verantwortung für die Freiheit. Karlsruher Freiheitsthesen der FDP für eine offene Bürgergesellschaft. Beschluss des 63. Ordentlichen Bundesparteitages der FDP. Karlsruhe, 22. April 2012.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Anm. d.Red.: Im wissenschaftlichen Kontext bezeichnen Rückwanderung oder Remigration deskriptiv die Rückkehr von Migrantinnen und Migranten in ihr Herkunftsland bzw. an den Ausgangsort ihrer Migration. Vgl. hierzu Interner Link: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/glossar-migration-integration/270628/rueckwanderung/

  2. Alle folgenden Zitate: Externer Link: https://www.afd.de/marc-jongen-wider-die-luegenkampagne-was-die-afd-mit-remigration-meint-und-was-nicht/ (30.01.2024)

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Thomas Niehr, geboren 1961, ist Professor am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft an der RWTH Aachen. Er ist Mitglied der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) und Vorsitzender der Zweigstelle Aachen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Öffentlicher Sprachgebrauch, Argumentationsanalyse und Diskursanalyse. Veröffentlichungen u.a. "Schlagwörter im politisch-kulturellen Kontext. Zum öffentlichen Diskurs in der BRD von 1966 bis 1974", "Sprachkritik. Ansätze und Methoden der kritischen Sprachbetrachtung".