"Wer die Dinge benennt, beherrscht sie. Definitionen schaffen 'Realitäten'. Wer definiert, greift aus der Fülle möglicher Aspekte einen heraus, natürlich denjenigen, der ihm wichtig erscheint." So schreibt der Politologe Martin Greiffenhagen schon 1980 in seinem Buch "Kampf um Wörter" – und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Politische Wirklichkeit wird in Sprache ausgehandelt. Unsere sprachunabhängige Wahrnehmung der unmittelbaren Umgebung durch Primärerfahrung ist untrennbar verbunden und durchzogen von den sprachlichen Äußerungen, mit denen wir und unsere Mitmenschen über die Wirklichkeit kommunizieren. Das Reden über unsere Außenwelt beeinflusst (schon) in seiner Wortwahl unser Bild von Wirklichkeit. Unsere Wahrnehmungskategorien sind also durch Begriffe vorgeprägt. In Zeiten wirtschaftlicher Krisenstimmung werden wir durch unsere Wahrnehmung der allgemeinen ökonomischen Entwicklung, wie sie von den Medien geprägt und vermittelt wird, beispielsweise dazu veranlasst, größere Kaufentscheidungen grundlegender zu überdenken, unabhängig davon, ob die Krise schon negative Spuren in unseren (eigenen) wirtschaftlichen Verhältnissen hinterlassen hat oder nicht.
Da das Produzieren und Verstehen jeder sprachlichen Äußerung in Text- und Gesprächskontexte eingebunden ist, kann man behaupten, dass Politik Gegenstand von Diskursen ist, in denen um die Gültigkeit von Sichtweisen und Auffassungen gerungen wird. Nur derjenige, der sich mit seinen Positionen in (den) Diskursen wahrnehmbar macht, vermag die Mitbürger zu erreichen. Ob er sie zu beeinflussen oder zu überzeugen vermag, darüber ist hiermit nichts ausgesagt. So ist jede Bundesregierung gleich welcher Couleur stets darauf bedacht, gerade in krisenhaften Zeiten Optimismus zu demonstrieren und Zuversicht verbreitende Auswege aufzuzeigen.
Beschreibungs- und Beurteilungsebene
Insofern stellt sich die Frage, welche Vorgehensweise sich dazu eignet, den politischen Sprachgebrauch zu beschreiben. Grundlegend ist dabei die Trennung von politischen Inhalten und politischer Sprache. Alle am politischen Diskurs Interessierten und Beteiligten sollten sich im Klaren darüber sein, ob sie sich über die Angemessenheit der Wortwahl in Bezug auf den politischen Inhalt äußern oder ob sie über die Inhalte selbst streiten. Im ersten Fall geht es also "nur" um die Beschreibung und Reflexion sprachlicher Mittel – etwa die Frage: Darf man von "Rentnerschwemme" sprechen oder geht mit der Wortverwendung eine Diskriminierung älterer Menschen einher? Im zweiten Fall steht die Bewertung des politischen Sachverhalts selbst im Mittelpunkt – hier also der demographische Wandel und die Konsequenzen für die Altersversorgung.
Diese Trennung von Beschreibungs- und Beurteilungsebene verdeutlicht auch, dass Inhalte in der Demokratie stets umstritten sind bzw. auch bleiben. Zudem kann ein umstrittener politischer Inhalt im Medium Sprache nicht derart beantwortet werden, dass eine bestimmte Bezeichnung oder Formulierung objektiv richtig oder falsch ist. Vielmehr gehören zum differenzierten Meinungsstreit gleichsam das Bewusstsein und gegebenenfalls die Auseinandersetzung um die angemessene Ausdrucksweise. Eine Gesellschafts- und Staatsform, die also in dieser Form auf Kommunikation angewiesen ist, benötigt mündige Bürger, die zu hören und zwischen den Worten und den politischen Inhalten zu differenzieren wissen. So ist die Diskussion darüber, ob in der bundesrepublikanischen Gesellschaft eine Leitkultur prägend sein sollte, strikt davon zu trennen, ob schon der Ausdruck Leitkultur selbst – besser seine Verwendung im Diskurs – eine kulturdiskriminierende Konnotation gegenüber Minderheiten mit sich bringt.
Handeln mit sprachlichen Mitteln
Wenn wir hier von politisch angemessener Ausdrucksweise in Diskursen sprechen, so dürfen wir den Blickwinkel nicht auf die Wortebene verengen, sondern müssen auch Mehrwortverbindungen (z.B. Freiheit statt Sozialismus oder Gerechtigkeit vor Bonzenwohlstand) bis hin zu Sätzen und Texten in Augenschein nehmen. Die politischen Akteure im engeren, aber auch die Staatsbürger als Politakteure im weiteren Sinne nehmen an politischen Diskursen teil, wenn sie politisches Handeln auch als ein sprachliches Handeln oder besser gesagt als ein "Handeln mit sprachlichen Mitteln" verstehen. Diskurs meint – allgemein gesprochen – Texte und/oder Gespräche, die ein gemeinsames Diskursthema haben (z.B. Bundeswehreinsätze im Ausland, gerechte Steuerpolitik) und von daher als ein aufeinander verweisendes und als ein zusammengehörendes Text- und Gesprächsnetz zu einem Thema zu verstehen sind. Dabei gilt es zum Zwecke einer Diskursanalyse politischer Sprache verschiedene Betrachtungsebenen zu unterscheiden, wie die folgenden Beispiele illustrieren.
Schlüssel-, Fahnen- und Stigma-Wörtern
Auf der Wortebene ist zwischen Schlüssel-, Fahnen- und Stigma-Wörtern zu differenzieren.
Schlüsselwörter
Schlüsselwörter (Leitvokabeln) sind häufig vorkommende Ausdrücke, die in besonders verdichteter Weise einen komplexen Zusammenhang in einem Wort zusammenfassen (z.B. Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit, Stabilität).
Fahnenwörter
Fahnenwörter sind Ausdrücke mit besonders integrierendem und werbewirksamem Charakter, die von politischen Akteuren benutzt werden, um für positiv eingeschätzte Sachverhalte, Ideen oder Haltungen möglichst viele Anhänger zu gewinnen (z.B. Freiheit, Bildungschancen, sichere Zukunft, Friede, soziale Gerechtigkeit, Wohlstandssicherung).
Stigmawörter
Dahingegen werden Stigmawörter eingesetzt, um die politische Ansicht oder das Handeln des politisch Andersdenkenden durch pejorative Bezeichnungen abzuwerten und damit die eigene politische Gruppierung aufzuwerten. Hierfür wird das Gegenteil der abgewerteten Haltung – also die positive Entsprechung – der eigenen Gruppe zugeschrieben. So impliziert der Ausdruck Politik der sozialen Kälte als Zuschreibung für den politischen Gegner, dass die eigene politische Gruppierung für ein sozialverträgliches Miteinander einsteht. Weitere Sprachbeispiele sind: Seilschaften, leistungsfeindliche Politik, Politik auf dem Rücken sozial Schwacher, Klientelpolitik.
Mehrwortverbindungen
Eine häufig gestellte Frage im Kontext von Sprache und Politik lautet: "Darf ich die Wortverbindung 'stolz sein auf' verwenden – und zwar in Kontexten wie 'stolz, ein Deutscher oder eine Deutsche zu sein'?" Eine entsprechende Wortverbindung sei in anderen Sprachen wie zum Beispiel dem Spanischen immer wieder zu hören, ohne dass dabei eine politische Einordnung des Sprechers feststellbar wäre. Im Deutschen sei die Formulierung mit Problemen behaftet, weil die Mehrwortverbindung stolz sein auf von rechtsradikalen Gruppen verwendet werde und die Wörter selbst durch den nationalsozialistischen Sprachgebrauch vorbelastet erschienen. Wie kann man aus dieser Formulierungsklemme herauskommen, wenn man einen ähnlichen Gedanken ausdrücken möchte, ohne mit anti-demokratischen Bewegungen in Verbindung gebracht zu werden?
Sprach-Strategien
Folgende Überlegungen empfehlen sich als Strategie, wenn in Bezug auf das angesprochene Themengebiet die Frage eines Ratsuchenden lautet: "In welcher Form soll ich mich ausdrücken, wenn ich mich nicht von einer politischen Seite vereinnahmen lassen möchte?"
Verwende den als vorbelastet eingeschätzten Ausdruckskomplex und gib explizite Hinweise, zu welcher politischen Gruppierung du nicht gezählt werden willst oder zu welcher schon eher. Die Verwendungsweise des problematischen Ausdrucks wird dann (zustimmend oder abgrenzend) im Hinblick auf den Sprachgebrauch bekannter Interessengruppen markiert.
Vermeide den als problematisch eingeschätzten Ausdruckskomplex: Bei einer Entscheidung für diese sprachliche Strategie müsste der Sprachbenutzer sinn- und sachverwandte Wörter oder Paraphrasierungen benutzen. Die Gefahr, auf Grund der Verwendung bestimmter Erkennungswörter zu einer bestimmten Gruppierung gezählt zu werden, wäre dadurch zwar minimiert. Allerdings wäre der Formulierungsaufwand erheblich höher und müsste hinsichtlich Präzision, Ökonomie und Verständlichkeit überdies in einer Form gelingen, die von den Zuhörern als authentisch für den Sprecher gewertet wird. Beispielsweise möchte ein Sprecher seine Kritik gegenüber allen Phänomen, die im Zusammenhang der Globalisierung gesehen werden, auch dadurch ausdrücken, dass er den Ausdruck "Globalisierung" vermeidet. Und zwar weil das Wort und die damit verbundene Sache mitunter vorschnell als Erklärung für die vermeintliche Unveränderbarkeit von Zuständen in Form eines "Totschlagsarguments" angeführt wird. In diesem Fall hat er es nicht leicht, sich mit Hilfe von Synonymen wie zum Beispiel "Internationalisierung" oder ähnlichen Wörter verständlich zu machen. Darüber hinaus muss er vermutlich den Zuhörern erklären, warum er das verbreitete Wort "Globalisierung" nicht benutzt, wo der durchschnittliche Zuhörer in dem entsprechenden Kontext doch mit dem Ausdruck rechnet.
Sprache als Indikator für bestimmte Denkweisen
In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass der Sprachgebrauch von Kommunikationsteilnehmern als Indikator für eine bestimmte Denkungsart gedeutet werden kann. So schrieb zum Beispiel Bertolt Brecht 1935 in Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit: "Wer in unserer Zeit 'Bevölkerung' statt 'Volk' sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht." Hans Haackes Installation im Nordhof des Berliner Reichstages beinhaltet die Inschrift "Der Bevölkerung" und reagiert damit bewusst auf die von Brecht angesprochene Geschichte des Wortes Volk. Selbstredend war dieses Kunstwerk im Deutschen Bundestag umstritten. Viele Abgeordnete hätten die klassische Inschrift Dem deutschen Volke vorgezogen, gerade wegen oder trotz der Vorgeschichte dieser Mehrwortverbindung im 20. Jahrhundert. Es ist dabei grundsätzlich zu bedenken, dass vorbelastete oder infizierte Vokabeln in neuem politischen Kontext auch unerwünschte Bedeutungskomponenten ablegen und durch andere, positiv eingeschätzte Bedeutungsnuancen ersetzt werden können (Umdeutung von Wörtern in Sprachgebrauch).
Auf Satzebene soll das Problem an folgenden sinn- und sachverwandten Sätzen verdeutlicht werden:
"Die Regierung erhöht die Steuern." – "Die Steuern werden erhöht." – "Die Regierung will die Steuern erhöhen." – "Die Regierung muss die Steuern erhöhen."
Grundsätzlich zu beachten ist, ob in den Formulierungen die Verantwortlichen politischer Handlungen und Zustände erwähnt oder ausgeklammert werden (Agenserwähnung im Aktiv, Agensaussparung im Passiv). Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Modalität – also ob das Vollverb erhöhen mit will oder muss "eingefärbt" wird – zu untersuchen:
Sind die erwähnten Sachverhalte das Resultat benennbarer Variablen (z.B. Menschen, Entscheidungen, Ereignisse)?
Oder soll eine Ursache-Folge-Kette unerwähnt bleiben (z.B. die Entwicklung geht dahin), um die Veränderungen als verselbständigte Erscheinung zu versprachlichen, die von äußeren Umständen "diktiert" erscheint und nicht im Verantwortungsbereich bestimmter Akteure liegt?
Fazit
Es geht bei der Betrachtung politischen Sprachgebrauchs um die Angemessenheit der Ausdrucksweise, die neben den politisch umstrittenen Inhalten selbst ihrerseits umkämpft sein kann. Aus diesem Grunde wurde in den 1970er Jahren auch die zugespitzte Formulierung geprägt, ein Streit um politische Inhalte sei gleichsam ein Streit um Worte, ein semantischer Kampf.
Unabhängig davon, welcher sprachlichen Strategie der Sprecher den Vorrang gibt: entscheidend ist die konsequente Trennung von Beschreibungs- und Beurteilungsebene. In diesem Sinne sollte so gut wie möglich zwischen Werturteilen in der Sache (Pro und Contra von Steuersenkungen und -erhöhungen) und ihren Versprachlichungsformen (z.B. Steueranpassung versus Steuererhöhung) unterschieden werden. Linguistisch reflektierte Analyse politischer Sprache sollte den Menschen beim relativ selbstbestimmten Auffinden von Handlungsoptionen unterstützen und mögliche Wirkungen von Form-Inhalts-Zusammenhängen aufzeigen. Somit stellt sie ein Hilfsangebot für Sprachbenutzer im Sinne einer linguistischen Aufklärung zur Verfügung.