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Verwaltungssprache: Bürokratenspeak oder Bürgerdeutsch

Helmut Ebert

/ 14 Minuten zu lesen

Warum ist "Behördendeutsch" oft so unverständlich? Welche Merkmale kennzeichnen diesen Sprachgebrauch? Und welche Vorteile hätte eine leichter verständliche und bürgernahe Sprache?

Grundbegriffe: Wesen und Funktionen der Verwaltungssprache

Bei der Verwaltungssprache handelt es sich um einen rechtlich-institutionellen Sprachgebrauch, der sich wesentlich vom alltäglichen Sprachgebrauch unterscheidet. Die Verwaltungssprache speist sich aus der Sprache des Rechts und den jeweiligen kommunikativen Anforderungen, die sich aus den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen von Behörden ergeben – wie zum Beispiel Sozialamt, Rechtsamt, Bauordnungsamt, Umweltschutzamt. Behörden haben dabei die Aufgabe, rechtlich bindende Entscheidungen herzustellen. Zu diesen Verwaltungsentscheidungen zählen das Erlassen von Vorschriften und Verordnungen und das Genehmigen oder Ablehnen von Anträgen. Wir haben es also mit dem Stiltyp der unmittelbaren Verhaltenssteuerung zu tun. Die Gesetze und Verwaltungstexte sollen sicherstellen, dass die Entscheidungen verlässlich und einheitlich sind. Je komplexer Gesellschaften sind, umso wichtiger ist es, dass die Sprache informativ (vollständig), klar, genau, eindeutig und verständlich ist. Zudem muss sie erkennen lassen, dass der Sprecher oder Schreiber legitimiert ist, die Rechte und Pflichten der Normadressaten – also aller durch das Recht angesprochenen Personen – zu bestimmen. Doch trotz – oder gerade wegen – dieser Anforderungen – wird Verwaltungssprache von vielen Menschen oft als unverständlich wahrgenommen. Durch welche Merkmale also unterscheidet sie sich von unserem alltäglichen Sprachgebrauch?

Verwaltungssprachliche Merkmale und ihre besondere Leistung

Als Fachsprache beansprucht die Verwaltungssprache anders als die Alltagssprache lückenlose Vollständigkeit und Genauigkeit. Das Streben nach Vollständigkeit führt hierbei zu einer Erfassung aller möglichen Eventualitäten.

Dem Streben nach Genauigkeit dienen unter anderem Präpositionen, die logische Beziehungen verdeutlichen sollen (zur Angleichung, durch Verschulden, im Verhinderungsfall). Auch Funktionsverbgefüge dienen der Exaktheit, wenn sie Begriffe hervorheben (in Rechnung stellen), ein Akkusativobjekt einsparen helfen (eine Genehmigung erteilen) oder Schattierungen ausdrücken, die das Einzelverb nicht ausdrücken kann (in Erfahrung bringen, zum Abschluss bringen, zur Unterzeichnung schreiten). Juristische Begriffe werden definiert, indem die Grenzen ihrer Anwendungsbereiche eindeutig festgelegt werden: Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff "Fahrzeug" Fahrzeuge der Klasse M1 ... oder N1 ... sowie dreirädrige Kraftfahrzeuge gemäß der Richtlinie 92/61/EWG (ABl. EG Nr. L 225 S. 72). Ganz im Gegensatz zu diesem genauen Sprachgebrauch arbeitet die Alltagssprache mit unscharfen Kategorien und fließenden Übergängen: Abfall ist das, was anfällt, wenn etwas hergestellt oder verzehrt wird, also ein Rest. Anders im Abfallgesetz: §1 (1) Abfälle im Sinne dieses Gesetzes sind bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will, oder deren geordnete Beseitigung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist (AbfG).

Eine besondere Bedeutung kommt dem komprimiert-abstrakten Stil zu. Die Rechts- und Verwaltungssprache liebt den Nominalstil und damit abstrakte Substantive, die wie das Beispiel Planfeststellungsbeschluss eine ganzes sprachliches Urteil enthalten: Jemand hat beschlossen, einen Plan festzustellen.

Je abstrakter die Wörter sind, desto wichtiger wird für den Schreiber auch der Bau und die Anordnung von Wortgruppen und Sätzen. Das Ergebnis ist der bekannte kompakte Stil, der auf alles Überflüssige verzichtet: Ich ordne die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung an. Hierzu passt, dass Verwaltungssprache als Fachsprache eine Sprache für Menschen ist, die bereits verstanden haben, und deshalb oft darauf verzichtet, einen Verstehenshorizont aufzubauen.

Als Bürger erwarten wir, gerecht behandelt zu werden. Das Recht schränkt die Willkür ein und behandelt alle Menschen gleich. Aus diesem Grund hat das bürokratische Verfahren einen emotionslosen und unpersönlichen Stil entwickelt, der der Alltagssprache ebenfalls fremd ist. Der Mensch als Handelnder tritt nicht hervor, weshalb der Imperativ fehlt und Pronomen selten sind: Der Aufenthalt im Park bei starkem Wind geschieht auf eigene Gefahr; Die Benützung der Liegewiesen richtet sich nach den besonderen Bestimmungen.

Auf juristischer Seite werden Gesetze nicht "gelesen", sondern ausgelegt, das heißt es werden Wissensrahmen konstruiert, um Sachverhalte der Lebenswelt so "zuzubereiten", dass rechtssichere Entscheidungen getroffen werden können. Sprachlich drückt sich dies im Merkmal der Intertextualität aus. Hierzu zählen Gesetzesverweise im Text ebenso wie Rechtsbegriffe, die als "Texthüllen" benutzt werden. Gemeint sind Begriffe wie zum Beispiel grobe Fahrlässigkeit oder Überschussbeteiligung, die für sich genommen verständlich wirken, hinter denen sich aber ganze Bündel von miteinander vernetzten Rechtssätzen verbergen.

Die Wahrheitsbedingung der Rechts- und Verwaltungssprache lautet "x gilt als verbindlich". Sanktionen helfen, das geltende Recht durchzusetzen. Die Tatsache, dass mehrere Sachverhalte als gleichzeitig geltend wahrgenommen werden sollen, begünstigt die Verwendung von Schachtelsätzen: Das Übergangsgeld wird für die Zeit, die der Beamte das Amt, aus dem er entlassen worden ist, innehatte, mindestens für die Dauer von sechs Monaten, längstens für die Dauer von drei Jahren, gewährt (Beamtenversorgungsgesetz § 47a, Abs. 2).

Sozialstilistische Ausdruckspotenziale

Soziale Wirklichkeit wird durch Sprache nicht nur widergespiegelt sondern von ihr begründet (=konstituiert). Zwar steuern Interessen das Verhalten von Menschen, aber die Bahnen, in denen sich politisches und rechtliches Handeln bewegt, werden von Vorstellungen und Ideen bestimmt. So findet die Vorstellung eines demokratischen Kommunikationsstiles ihren Ausdruck unter anderem darin, dass kommunikative Nebenfunktionen des Begründens und Rechtfertigens (Argumentieren) in Vorschriften zugenommen haben: Der Park dient der Ruhe und Erholung. Es wird deshalb gebeten, jeden Lärm zu vermeiden.

Die Vorstellung von der Rationalität der Gesetzes- und Verwaltungssprache führt allerdings dazu, dass emotionale, kreative und kulturell-symbolische Konsensquellen des Verfassungsstaates leicht übersehen werden . Hierzu gehören Gesten des Vertrauens wie der Handschlag, die bildhafte Anschauung (z.B. Justitia mit Waage und Schwert), aber eben auch besondere sprachliche Mittel wie das Rechtssprichwort und die Paarformel (Hab und Gut, Kind und Kegel). Sprachlich besonders gelungen und auch deshalb stets im kollektiven Gedächtnis präsent ist z. B. Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Da die Rechts- und Verwaltungssprache ihrem Wesen nach konservativ ist, enthält sie nicht nur viele veraltete Wörter wie z. B. obliegen und Abschrift (s.u.), sondern auch Relikte des obrigkeitsstaatlichen Denkens: Der Ausdruck Rechtsbehelfsbelehrung behandelt den Bürger als jemand, der belehrt werden muss, weil er ein Wissensdefizit hat. Der Ausdruck kann problemlos ersetzt werden durch Ihre Rechte. In diesem Fall wird der Bürger als Träger von Rechten angesprochen. Auch ein Ausdruck wie teile ich Ihnen zu gegebener Zeit mit ist bei Licht betrachtet verräterisch, denn der Schreiber flüchtet sich damit ins Unverbindliche. Der Adressat weiß nicht, wann ihm die Nachricht mitgeteilt wird, er kennt die Kriterien für die Entscheidung nicht und bleibt daher von derselben ausgeschlossen. Auch der Verkündigungsstil verweist auf die Tradition des Obrigkeitsstaates mit der entsprechenden Staats- und Institutionenraison: Genehmigungs- und Erlaubnisvorbehalte bleiben unberührt.

Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die Rechts- und Verwaltungssprache immer auch Gefahr läuft, als scheinwissenschaftliche Geheimsprache und Sprache der Selbstdarstellung missbraucht zu werden: Ein Abgehen von der Kontinuität der Rechtsprechung kann nur ausnahmsweise hingenommen werden, wenn deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprechen ... Derartige Gründe ... sind dem Senat aber nicht ersichtlich (Aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 25. März 1983). Anstatt seine Ausnahmeregelung zu begründen, flüchtet sich der Bundesgerichtshof in Leerformeln. Die Floskel ist nicht ersichtlich "klingt albern, hat sich aber leider im Urteilsstil eingebürgert. Statt sind nicht vorhanden will man höflich und demütig erscheinen: sind - jedenfalls für uns – nicht zu sehen. Aber Richter sollen nicht bescheiden sein, wenn sie ein Urteil sprechen, sondern eindeutig".

Im Vergleich mit anderen Verwaltungskulturen ist die deutsche Verwaltungskultur "eine politisch-administrative 'Regelungskultur': Ihre Kennzeichen sind Fragmentierung, detaillierte, komplizierte, immobile, am Status quo orientierte und formalisierte Vorgehensweisen sowie Konflikt und Misstrauen. Diese Verwaltungskultur wirkt eher als Bremse denn als Motor von Reformen" und birgt die Gefahr der Entfremdung zwischen Recht und Bürger in sich.

Verständigungsbarrieren

Es gibt Gesetze, die sich an alle richten wie das Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht. Und es gibt Gesetze, die sich wie das Arzneimittelgesetz an Fachkreise richten. Textverständlichkeit ist also eine relative Eigenschaft, die mit den Kenntnissen, Haltungen, Interessen und Erwartungen der Adressaten variiert. Damit sind zwei Extrempositionen widerlegt: die Position der "Schwärmer", wonach das Gemeinte auch im Gesetz stehen muss, und die Position der "Skeptiker", wonach die Gesetze nicht dafür da seien, vom Volk gelesen und verstanden zu werden . Die erste Position verkennt die Bedeutung des Leserwissens und des Kontextes für das Verstehen, die zweite Position verkennt den Zusammenhang von Transparenz, Akzeptanz, Vertrauen, Autorität und Legitimität als Säulen einer demokratischen Kommunikationskultur.

Eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach ergab: 38 Prozent der Bevölkerung erhalten "häufig" oder "ab und zu" Schreiben von Ämtern, Behörden, Gerichten oder Anwaltskanzleien, 54 Prozent nur "selten", 6 Prozent "nie". 61 Prozent der Bevölkerung haben "häufig" oder "ab und zu" Probleme amtliche Schreiben zu verstehen. Auch viele Personen mit Abitur oder Studium räumen ein, Probleme mit der Rechts- und Verwaltungssprache zu haben. Nur jeder Achte findet die Rechtssprache gut verständlich. Vor allem stört die umständliche Formulierung (71%), der zu häufige Gebrauch von Fach- und Fremdwörtern (61%), der Mangel an Erklärungen von Fachwörtern (60 %), die abgehobene (46%) und unpersönliche (40%) Sprache, die Länge der Sätze (40%), die Unübersichtlichkeit der Schreiben (38%), der unhöfliche Ton (31%) und der veraltete Stil (29%). Bessere Verständlichkeit ist eine wichtige Forderung in der Bevölkerung (42% "sehr wichtig", 40% "wichtig"); dies gilt auch für Personen, die solche Schreiben nur selten bekommen. "Bei der Frage nach der Verständlichkeit solcher Schreiben handelt es sich um ein Thema von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung. Wenn ein Großteil der Bevölkerung Schwierigkeiten hat, diese zu verstehen (86% der Befragten), besteht für Verwaltung und Rechtswesen Handlungsbedarf, um eine erfolgreiche Kommunikation zu gewährleisten. Für die Bürgerinnen und Bürger sind an Bescheide, Verwaltungsakte, Gesetzestexte etc. bestimmte Rechte und Pflichten geknüpft. Daher ist es unabdingbare Voraussetzung, dass sie solche Texte auch verstehen" , denn es geht um Verständlichkeit als Voraussetzung für die Kontrolle von Rechten und damit um Rechtssicherheit und Demokratie.

Das Dilemma zwischen fachsprachlichem Anspruch und alltagssprachlicher Verständlichkeit bleibt und fordert kreative Lösungen, die nicht auf die Verbesserung von Sätzen und Texten beschränkt werden können, sondern die auch die Potenziale der Visualisierung und der neuen Medien nutzen müssen.

Barrieren des Funktionalstils

Funktionalstilistische Verstehensbarrieren sind solche Eigenschaften der Verwaltungssprache, die Ausdruck der fachsprachlichen Funktion sind und der Alltagssprache eher fremd sind. Dazu gehören vor allem juristische Fachbegriffe (z. B. dolus directus, dolus eventualis oder – da vom normalsprachlichen Gebrauch abweichend - Eigentümer, Besitzer, Sache, Erwerb und Verzug) und differenzierte Bedeutungsunterschiede (z. B. Raub vs. Ausführung des Raubs). Der bereits erwähnte Nominalstil (z. B. Inbrandsetzung, Geltendmachung, Unbrauchbarmachung) sowie der Passivstil und die Täterverschweigung (z. B. es wird gebeten mitzuteilen; es ist verboten, die Wege zu verlassen; die Festsetzung der Gebühren richtet sich nach ...) können ebenfalls Verstehensbarrieren aufbauen. Dazu gehört auch, dass Situationen aus der Geschehensperspektive gedeutet werden: Der Aufenthalt im Park bei starkem Wind geschieht auf eigene Gefahr und die Personifizierung abstrakter Sachverhalte (z. B. von Rechtsstellungen: Erblasser, Gesamtschuldner, Wiederbeklagter, Inverkehrbringer). Neben komplexen Wortgruppen und langen Sätzen (Satzgefüge, Schachtelsätze) sind weitere funktionalistische Verstehensbarrieren:

  • Genitivketten (Als Erlaubnistatbestandsirrtum bezeichnet man die irrige Annahme der sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes)

  • Partizipialkonstruktionen (z. B. Sie war nicht dazu bestimmt und geeignet, einen über den geprüften Inhalt der in ihr enthaltenen Einzelurkunden hinausgehenden, für sich bestehenden Gedankeninhalt zu beweisen)

  • Präpositionalketten (z. B. nach dem Gebührengesetz für das Land NRW vom ... in Verbindung mit ... in der derzeit gültigen Fassung)

  • Überlange Wortzusammensetzungen (Pflegeleistungsergänzungsgesetz, Kostenzusageübernahmeerklärung)

  • Oxymera, d. h. Wörter, die einen Widerspruch in sich selbst enthalten (dienende Grundstücke, kalte Aussperrung, Minuswachstum)

  • besondere Metaphorik (Leihmutter, Rechte erwachsen und erlöschen)

  • Ideologiegebundenheit juristischer Sprache (z. B. durch Scheinpräzision rechtssprachlicher Begriffe und "Wertwörter" wie betrügerisch, gewissenlos, Reinheit und Gesundheit des Geschlechtslebens; ...)

  • redundanzloser Stil: Mit Kreisverordnung über die Inschutzstellung des Starnberger Sees ... wurde der Feldafinger Park unter Landschaftsschutz gestellt.

Barrieren des Bürokratenstils

Auch der unangemessene, übertriebene und falsche Gebrauch von Mitteln der Verwaltungssprache erschwert das Verstehen. Hierzu gehören neben dem Umgang mit Verneinung (Stimmen Sie für die Aufforderung an das Bezirksamt, in Ablehnung der Drucksache 1911/2 ... die Parkraumbewirtschaftung nicht in und um die Wohnquartiere ... auszuweiten?) vor allem:

  • inhaltsleere Füllwörter, Blähwörter und Abkürzungen (eventuelle Rückfragen, gezielte Nachfrage, abschlägig bescheiden; Räumlichkeiten, Eignungsfeststellungsverfahren; u.A.w.g. = um Antwort wird gebeten)

  • Floskeln (ich hoffe, Ihnen mit den Unterlagen gedient zu haben, und verbleibe hochachtungsvoll)

  • Funktionsverbgefüge ohne Bedeutungsmehrwert (in Kenntnis versetzen = mitteilen)

  • veraltete Ausdrücke und Wendungen (dergestalt, obliegen, postwendend, Kinder sind das köstlichste Gut eines Volkes, im Nachgang zu meinem Schreiben)

  • einfache Inhalte in übertriebenem sprachlichen Gewand: Das Füttern von Tauben als eine das Wohlbefinden von Tieren unterstützende Äußerungsform von Tierliebe kann bei Vorliegen vernünftiger Gründe nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch staatliche Maßnahmen beschränkt werden

  • grammatische Fehler und Mehrdeutigkeiten: vorläufige Vollstreckbarkeitserklärung eines Urteils (statt: vorläufige Erklärung der V.), große Strafrechtskommission (Ist die Zahl der Mitglieder oder die Bedeutung der Kommission groß?)

  • unnötige Gesetzesverweise mitten im Text

Weiter ist die Verwendung eines bestimmten Jargons als Imponiergehabe mit Denkfehlern zu nennen, wie etwa treten die Rechtswerte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ... in den Vordergrund . Dass Rechtssicherheit und Vertrauensschutz wichtig sind, hätte im Kontext des Urteils nicht eigens hervorgehoben werden müssen: "Ihre Bezeichnung als "Rechtswerte" bringt dies auch nicht zum Ausdruck ... Dass das Recht ein "Wert" sei, besagt für Juristen nichts, sondern macht die Sache nur geheimnisvoll dunkel. Durch die Verquickung von "Recht" und "Wert" werden zwei sauber voneinander zu scheidende Normenbereiche vermischt: das Recht und die Ethik. Damit wird einer heute politisch besonders gefährlichen Moralisierung des Rechts Vorschub geleistet"

Wie überlange und daher unübersichtliche Sätze, die durch einfache Umformulierung verständlicher werden, das Verstehen behindern, zeigt das folgende Beispiel aus einem kantonalen Schulgesetz der Schweiz : Art. 14 Ausschluss // Schülerinnen und Schüler, welche trotz Mahnung und Orientierung der Erziehungsberechtigten den Unterricht oder das Unterrichtsklima dauernd belasten, können durch Schulratsbeschluss aufgrund eines schriftlichen Berichtes des zuständigen Schulinspektorates und des Schulpsychologischen Dienstes und unter Meldung an die Vormundschaftsbehörde vom Unterricht ausgeschlossen werden. In diesem Satz geht die zentrale Norm in Begleitnormen unter, die Handlungsbeteiligten und Handlungsschritte sind nicht scharf markiert. In mehrdeutiger Weise kann Mahnung auch auf die Eltern bezogen werden. Diese Verstehensprobleme können durch Umformung gelöst werden: Art. 14 Ausschluss // 1. Schülerinnen und Schüler, welche den Unterricht oder das Unterrichtsklima dauernd belasten, können vom Unterricht ausgeschlossen werden. 2. Vor dem Ausschluss muss die Schülerin oder der Schüler gemahnt und müssen die Erziehungsberechtigten orientiert worden sein. 3. Der Ausschluss wird vom Schulrat beschlossen. Dieser stützt sich dabei auf einen schriftlichen Bericht des zuständigen Schulinspektorates und des schulpsychologischen Dienstes. 4. Der Ausschluss muss der Vormundschaftsbehörde gemeldet werden.

Barrieren der Beziehungskommunikation

Kommunikation erfolgt auf der Inhaltsebene (Was wird gesagt?) und auf der Beziehungsebene (Wie wird es gesagt?). Nicht nur Schwerverständlichkeit ist beziehungsgefährdend, sondern auch der Verstoß gegen Akzeptanzregeln, Glaubwürdigkeits-/Wahrheitsregeln, Respekt- und Vertrauensregeln. Unpersönliche Ausdrücke lassen nicht nur offen, wer handeln soll, sondern sie schränken auch die Kooperationsbereitschaft ein: Es wird daran erinnert ... (besser: wir erinnern Sie ... ), die Steuerpflichtige (besser: Frau Elke Müller).

Bei Normformulierungen wird die Zunahme von Legaldefinitionen zu einem ernsthaften Akzeptanzproblem. Es werden immer mehr unnötige Legaldefinitionen verwendet, die nicht an die Lebenswelt der Bürger anschließen und von tiefem Misstrauen in den Alltagssprachverstand zeugen: Als Spielzeug gelten alle Gegenstände, die dazu gestaltet oder offensichtlich dazu bestimmt sind, von Kindern unter 14 Jahren zum Spielen verwendet zu werden . Sinnvoll sind Legaldefinitionen nur dann, wenn Fachausdrücke für Laien verständlich gemacht oder wenn unscharfe Ausdrücke "geschärft" werden sollen. Letzteres ist zum Beispiel der Fall, wenn deutlich gemacht wird, dass im Seilbahngesetz der Ausdruck Seilbahn auch Skilifte bezeichnet.

Viele amtliche Schreiben sind nach wie vor wenig serviceorientiert, geizen mit Tipps, informieren nicht voraussetzungslos oder sagen nicht explizit, wer zuständig ist oder mit einer Auskunft weiterhelfen kann. Nicht immer ist für den Adressaten auf den ersten Blick ersichtlich, was ein Schreiben bezweckt und was zu tun ist: Der Bescheid wird Ihnen nach Eingang der Gebühren auf eines der Konten der Stadtkasse zugesandt. Besser ist es, Handlungsappell und Handlungsfolge auf zwei Sätze zu verteilen: Bitte überweisen Sie die Gebühren an die Stadtkasse. Den Bescheid sende ich Ihnen zu, wenn die Zahlung eingegangen ist.

Die Glaubwürdigkeit kann durch politisch motivierte Benennungen Schaden nehmen: Hartz IV, Friedenswahl, Arbeitgeberanteil, Großer Lauschangriff usw. Sie kann auch durch ein Missverhältnis zwischen Form und Inhalt in Zweifel gezogen werden: Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, Gesetzliche-Krankenversicherung-Wettbewerbsstärkungsgesetz.

Bei dem Thema Respekt geht es darum, die Bürger als Partner ernstzunehmen, höflich zu kommunizieren und jeden Anschein von Willkür, Machtanmaßung, Repression, Bevormundung, Rechthaberei, geschäftsmäßiger Gleichgültigkeit, Misstrauen oder Anbiederung zu vermeiden: Ein Wechsel in der Geschäftsführung ist mir unverzüglich anzuzeigen (Willkür), Sollte ich bei einer späteren Überprüfung feststellen, dass ... Sie Einkommensänderungen nicht gemeldet haben, bin ich auch zu einer nachträglichen Neufestsetzung des Beitrags verpflichtet (Misstrauen); Die Einwendung wirtschaftlicher Nachteile ist unbegründet, da die beabsichtigte Unterschutzstellung [einer landwirtschaftlichen Nutzfläche] nicht in eigentumsrechtlich geschützte Rechtspositionen eingreift. Gemäß dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.5.1995 spiegeln Ge- und Verbotsregelungen, die sich darin erschöpfen, die vorhandene Nutzung festzuschreiben, lediglich die Situationsgebundenheit des Eigentums wider. Sie sind grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmende Inhaltsbestimmungen des Eigentums, die die Sozialbindung konkretisieren (Repression durch absichtsvolle Unverständlichkeit); Ich bedaure, Ihnen keinen günstigeren Bescheid erteilen zu können (Anbiederung).

Auch Bezeichnungen wie Mini-Job und Grenzgänger sind respektlos, da sie die Tätigkeit bzw. die Person abwerten. Gegen Aufrichtigkeitsbedingungen wird verstoßen, wenn der Adressat absichtlich in die Irre geführt wird, sei es durch Kleingedrucktes, Verklausulierung oder Verschweigen von Information. Ohne Minimalvertrauen gibt es kein funktionsfähiges Rechtssystem. Dieses Vertrauen wird jedoch nicht durch Gesetze und Vorschriften erzeugt, sondern es muss aus einer angemessenen gemeinschaftlichen Dynamik hervorgehen. Wer dieses Verhältnis umgekehrt sieht, verwechselt Vertrauen mit Vertautsein im Sinne von Gewöhnung.

Vom Nutzen einer verständlichen Verwaltungssprache

Durch eine verständliche und bürgernahe Sprache gewinnt die Verwaltung an Ansehen, spart Kosten und kann glaubwürdiger Anstoßgeber sein. "Weniger Aufwand, mehr Effizienz in der Bearbeitung, weniger Kosten in der Verwaltung und in den Betrieben, weniger Missverständnisse und Reibungsverluste, weniger Entmündigung und Behördenverdrossenheit" zählt Allefeld als Vorteile auf. Kosten entfallen z. B., wenn weniger Zeit für Beratungsgespräche, Ausfüllhilfen und die Bearbeitung von Widersprüchen benötigt wird. Gleichzeitig wird der Arbeitsalltag weniger "zerrissen" und die Arbeitsmotivation steigt, wenn Rückfragen und das Nachreichen von Unterlagen unnötig werden

Aber nicht nur die Verwaltung ist herausgefordert, sondern auch die Bürgerschaft. So wie Textverfasser eine rhetorische Bringschuld haben, haben die Rezipienten eine hermeneutische Holschuld. Der Gewinn für das Gemeinwesen ist eine gute Verwaltung im Rahmen einer "Wissensdemokratie", die nicht nur Ordnung und Sicherheit in ruhigen Zeiten "produziert", sondern die sich auch als Ideengeber und innovativer Problemlöser in Zeiten stürmischer Veränderungen bewährt und sich dabei der Unterstützung der Bürger als Mitproduzenten gesellschaftlicher und kultureller Werte sicher sein kann.

Literatur

  • Allefeld, Hans (2010): Verständlich? Selbstverständlich! Wie Kommunen verständlich kommunizieren können. In: Amtsdeutsch a.D.? Europäische Wege zu einer modernen Verwaltungssprache, hg. v. H.-R. Fluck u. M. Blaha. Tübingen: Stauffenburg, S. 23-28.

  • GfdS (2009): Wie denken den Deutschen über die Rechts- und Verwaltungssprache? Eine repräsentative Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache, durchgeführt vom Institut für Demoskopie Allensbach, hg. v. K. M. Eichhoff-Cyrus, G. Antos u. R. Schulz. Wiesbaden 2009.

  • Häberle, Peter (2004): Verständnis des Rechts als Problem des Verfassungsstaates. In: Die Sprache des Rechts Bd. 1 – Recht verstehen, hg. v. K. D. Lerch, Berlin: Walter de Gruyter, S. 155-165.

  • Hattenhauer, Hans (1995), Denkfehler zeigen sich in Stilfehlern. Über Juristen- und Allgemeinsprache, in: F.A.Z. v. 10.11.1995, S. 17.

  • Kühn, Peter (2001), Juristische Fachtexte. In: Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband, hg. v. G. Helbig, L. Götze, G. Henrici u. H.-J. Krumm. Berlin, New York: Walter de Gruyter, S. 582-594.

  • Nussbaumer, Markus (2004): "Von Schwärmern und Skeptikern und ein Versuch, Realist zu sein. Bilanz und Entwurf des Sprachspiels vom unverständlichen Gesetz", in: Die Sprache des Rechts Bd. 1 – Recht verstehen, hg. v. K. D. Lerch, Berlin: Walter de Gruyter, S. 285-296.

  • Nussbaumer, Markus (2008): Der Verständlichkeit eine Anwältin!, in: Verständlichkeit als Bürgerrecht, hg. von der Dudenredaktion und der Gesellschaft für deutsche Sprache. Wiesbaden: GfdS.

  • Schmidt, Manfred (2007): Das politische System Deutschlands. Bonn: bpb.

  • Schwintowski, Hans-Peter (2003), Die Bedeutung interdisziplinären Arbeitens von Rechts- und Sprachwissenschaft, in: Muttersprache 1, 1-14.

  • Veld in't, Roeland J. (Ed.)(2010), Knowledge Democracy. Consequences for Science, Politics and Media. Berlin, Heidelberg: Springer 2010.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Schwintowski 2003, S. 14

  2. vgl. Häberle 2004, S. 159f."

  3. Hattenhauer 1995.

  4. "Schmidt 2007, S. 477"

  5. vgl. Nussbaumer 2004, S. 291.

  6. GfdS 2009

  7. GfdS 2009, S. 13.

  8. aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes v. 25.3.1983

  9. Hattenhauer 1995

  10. vgl. Nussbaumer 2008, S. 315.

  11. vgl. Nussbaumer 2008, S. 313.

  12. Allefeld 2010, S. 26

  13. "vgl. ebda.. "

Ebert, Prof. Dr. Helmut, Jg. 1958, ist Innovations- und Kommunikationsberater für Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Er gestaltet die Kommunikation in Planungsprozessen, schult Fach- und Führungskräfte in Textoptimierung und politischer Rhetorik und unterstützt Organisationen und Personen - darunter Bürgermeister, Landes- und Bundespolitiker - bei der Ermittlung strategisch relevanten Wissens. Als außerplanmäßiger Professor für Germanistische Linguistik lehrt er Organisationskommunikation und Textwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.