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Probleme der politischen Sprachverwendung | Sprache und Politik | bpb.de

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Probleme der politischen Sprachverwendung

Heiko Girnth

/ 7 Minuten zu lesen

Politische Kommunikation ist eine Form der Massenkommunikation, an der Menschen mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen beteiligt sind. Deshalb können zahlreiche Verständigungs- und Vermittlungsprobleme auftreten.

Eine zentrale Eigenschaft politischer Kommunikation besteht darin, dass sie eine Form der Massenkommunikation ist, an der Menschen mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen beteiligt sind. Es können zahlreiche Verständigungs- und Vermittlungsprobleme auftreten, wobei zunächst einmal unterschieden werden muss, in welchen Funktionsbereichen politischer Kommunikation diese auftreten. Je nachdem, welche Akteure in der politischen Kommunikation interagieren und welche Kommunikationsrichtung politische Sprache hat, lassen sich zwei Funktionsbereiche unterscheiden: die politische Binnenkommunikation und die politische Außenkommunikation. Die politische Binnenkommunikation umfasst die institutionsinterne Kommunikation, also die Kommunikation innerhalb und zwischen den drei Staatsgewalten Legislative, Judikative und Exekutive. Sie weist eine hohe Frequenz institutioneller und fachsprachlicher Ausdrücke auf. Da die Öffentlichkeit insgesamt in der Regel von der politischen Binnenkommunikation ausgeschlossen ist, spielen Vermittlungs- bzw. Verständlichkeitsprobleme hier in der Regel keine Rolle. Kommt es in der politischen Kommunikation zu Verständigungsproblemen zwischen Politikerinnen und Politikern und Bürgerinnen und Bürgern, dann sind diese vor allem in der politischen Außenkommunikation zu suchen.

Die politische Außenkommunikation richtet sich an die Öffentlichkeit. Hier kann zwischen einer institutionsexternen Außenkommunikation, die die Kommunikation zwischen staatlichen Behörden und Bürger(innen) umfasst, und der öffentlich-politischen Kommunikation, also der Kommunikation zwischen den politischen Akteuren und der Öffentlichkeit, unterschieden werden. Bei der institutionsexternen Außenkommunikation geht es um die administrativ geregelte Kommunikation zwischen den staatlichen Institutionen und den Bürger(innen). In gewisser Weise handelt es sich hier um eine Kommunikationsrichtung von ‚oben’ nach ‚unten’. Ein typisches Handlungsmuster ist das Regulieren, das sich etwa in Texten wie Gesetzen, Verordnungen oder Erlassen manifestiert. Die institutionsexterne Außensprache ist für die Bürgerinnen und Bürger oft unverständlich, da es sich beispielsweise bei der Verwaltungssprache um Texte mit fachsprachlichen Ausdrücken und syntaktisch kondensierten Konstruktionen handelt, die ein ungeübter Leser nur mit Schwierigkeiten auflösen kann. Aus diesem Grunde gibt es zahlreiche Bemühungen etwa Gesetzestexte zu vereinfachen. So hat beispielsweise die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden (Externer Link: www.gfds.de) einen Redaktionsstab beim Deutschen Bundestag in Berlin, der Gesetz- und Verordnungsentwürfe in der parlamentarischen Phase der Gesetzgebung auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit überprüft. Ziel ist die möglichst einfache und klare Formulierung von Rechtstexten, die aber immer auch die charakteristischen Merkmale der Rechtssprache als Fachsprache berücksichtigt. Darüber hinaus bearbeitet der Redaktionsstab auch Anträge, Kleine und Große Anfragen, aber auch Texte wie Broschüren, Flyer, Abschluss- und Jahresberichte, Reden und Verwaltungstexte. Diese Aufgaben sind auch in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 80a, festgehalten.

Innerhalb der öffentlich-politischen Kommunikation sind Verständigungs- und Vermittlungsprobleme von größter Brisanz. Sie wirken sich direkt auf den Prozess der Meinungs- und Willensbildung aus und tragen nicht zuletzt auch ihren Teil zur viel beschworenen Politikverdrossenheit bei. Nimmt man den Blickwinkel von Politikerinnen und Politikern ein, dann stellt sich für sie folgendes Problem: Einerseits sollten komplexe Sachverhalte so vermittelt werden, dass Bürgerinnen und Bürger sie verstehen, andererseits müssen sie aber auch unter strategischen Gesichtspunkten vermittelt werden. Politikerinnen und Politiker halten sich strategische Optionen offen, vermeiden eindeutige Festlegungen und bewahren sich Rückzugsmöglichkeiten auf das nur Gesagte, aber vermeintlich nicht Gemeinte. Vagheit in der Ausdrucksweise ermöglicht mehr Spielraum für Interpretationsmöglichkeiten seitens der Rezipientinnen und Rezipienten, die die nur mitgemeinten „Leerstellen“ auf der Grundlage ihrer eigenen politischen Einstellungen füllen können.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten etwas mit zu meinen, es also nicht explizit zu sagen. Unterschieden werden können hier vor allem Implikaturen und Präsuppositionen, die sowohl einzeln als auch im Zusammenspiel für persuasive Zwecke genutzt werden. Bei einer Implikatur wird etwas gesagt und etwas darüber Hinausgehendes, Zusätzliches gemeint. Die Bedeutung des Gemeinten muss von den Rezipientinnen und Rezipienten durch einen Schlussprozess ermittelt werden. Ein typisches Beispiel für eine Implikatur ist das Ausweichen des hessischen Grünen-Politikers Tarek Al-Wazir in nachfolgendem Interview mit der Frankfurter Rundschau: Frankfurter Rundschau: „Gegner:innen des Flughafen- oder Autobahnausbaus werfen den Grünen Verrat vor. Wie wollen Sie diese Klientel zurückgewinnen?“ Tarek Al-Wazir: „Alle Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit unseren Kurs in der Verkehrspolitik richtig findet. Und dass sich unsere Ergebnisse sehen lassen können. Das Deutschland-Ticket wurde in Hessen erfunden. (…)“ Al-Wazir beantwortet die Frage nicht, sondern weicht aus, indem er auf „eine große Mehrheit“ verweist, die seine Verkehrspolitik für richtig halte. Er deutet damit an, dass die Gegnerinnen und Gegner des Ausbaus in der Minderheit sind und er Politik für die Mehrheit macht. Ob und wie er die Gegnerinnen und Gegner des Ausbaus zurückgewinnen will, lässt er offen.

Ein weiteres Beispiel für eine Implikatur ist eine Äußerung von Bundeskanzler Olaf Scholz während einer Podiumsdiskussion auf dem Katholikentag 2022 in Stuttgart. Als Reaktion auf die Versuche von Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die Veranstaltungen zu stören, sagte Scholz: „Ich sage mal ganz ehrlich, diese schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank.“ (Bundeskanzler Olaf Scholz, Podiumsdiskussion auf dem Katholikentag in Stuttgart, 27.5.2022). Damit stellt Scholz eine Nähe zwischen Klimaaktivisten und Nationalsozialisten her, die nicht wörtlich ausgedrückt, aber indirekt mitgemeint ist. Der offensichtliche Vorteil einer indirekten Äußerung wie dieser besteht darin, sich jederzeit auf das wörtlich Gesagte zurückzuziehen und das Mitgemeinte abzustreiten. Besondere Brisanz erhält Indirektheit dann, wenn sie von rechtspopulistischen Politikerinnen und Politikern benutzt wird, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Ein anschauliches Beispiel liefert die vom AfD-Politiker Björn Höcke in einer Rede am 17.1.2017 auf einer Veranstaltung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative in Dresden mit Blick auf das Berliner Holocaust-Mahnmal gemachte Äußerung: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Die doppelte Bedeutung als ‚Denkmal zur Erinnerung an eine Schande‘ und ‚schändliches Denkmal‘ kann sich Höcke zu Nutze machen, indem er sich als Reaktion auf die öffentliche Kritik auf die erstere beruft und abstreitet, letztere gemeint zu haben.

Unter Präsuppositionen versteht man Voraussetzungen, die von Sprecherinnen und Sprechern in einer Kommunikationssituation stillschweigend angenommen werden und ohne die Aussagen nicht als sinnvoll erachtet werden können. Für die politische Kommunikation sind sogenannte Existenzpräsuppositionen von besonderer Bedeutung, bei denen die Existenz von entsprechenden Sachverhalten als gegeben vorausgesetzt wird. Die persuasive Kraft von Existenzpräsuppositionen darf nicht unterschätzt werden, was am Beispiel der bei vielen Politikerinnen und Politikern beliebten Interaktionsvokabeln wie Herausforderungen gezeigt werden kann. Präsupponiert wird die Existenz von Herausforderungen als schwierige politische Aufgaben, die entschiedenes politisches Handeln legitimieren. Zugleich liegt die normative Präsupposition vor, dass Politikerinnen und Politiker sich Herausforderungen stellen müssen, um diese im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Landes zu bewältigen.

Neben Existenzpräsuppositionen spielen auch sogenannte lexikalische Präsuppositionen eine Rolle. So benutzt beispielsweise die AfD die Wörter wieder und Wiederherstellung dazu, die Existenz in der Vergangenheit existierender und im Sinne der AfD positiver Werte als gegeben zu sehen, um deren Wiederherstellung in der Gegenwart als politische Aufgabe zu betonen. So wird etwa im Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2021 die „Wiederherstellung rechtsstaatlicher Zustände“ (AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021, S. 95) gefordert und damit unterstellt, dass aktuell keine rechtsstaatlichen Zustände herrschen. Für große mediale Aufmerksamkeit sorgte auch eine Äußerung des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der in einer Rede auf einer Demonstration gegen die Politik der Bundesregierung forderte, dass sich „die schweigende große Mehrheit dieses Landes (…) die Demokratie wieder zurückholen muss." (Hubert Aiwanger, Rede vom 10.6.2023). Mit der Verwendung von wieder bringt Aiwanger stillschweigend zum Ausdruck, dass seiner Auffassung nach keine Demokratie in Deutschland mehr existiert.

Weitere Ursachen für Verständigungsprobleme finden sich auf Wortebene. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang:

  • unterschiedliche Bedeutungen und/oder Wertungen eines Wortes

  • beschönigende Gebrauchsweisen eines Wortes

Haben Wörter unterschiedliche Bedeutungen und/oder Wertungen spricht man von ideologischer Polysemie (= Mehrdeutigkeit) oder von Bedeutungskonkurrenz. Die Bedeutungskonkurrenz hat zur Folge, dass oftmals nicht klar wird, was beispielsweise mit einem Schlagwort jeweils gemeint ist. Als Beispiel sei hier Freiheit genannt, das je nach politischem Standpunkt eine unterschiedliche Bedeutung (bei gleicher positiver Wertung) besitzt. Aus Sicht liberaler Parteien kann Freiheit ‚Freiheit vom Staate, von staatlicher Bevormundung’ bedeuten, aus Sicht linker und sozialdemokratischer Parteien kann Freiheit ‚frei von entwürdigenden Abhängigkeiten, von Armut und Not’ bedeuten. Dieser Unterschied kann auch durch entsprechende Attribute hervorgehoben werden, indem man entweder von politischer Freiheit oder sozialer Freiheit spricht, wobei letztere eng mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft ist.

Beschönigende Ausdrücke (= Euphemismen) eignen sich ebenfalls hervorragend, um den Bürgern aus Sicht der politischen Akteure unangenehme Sachverhalte zu vermitteln. Euphemismen stellen eine Kategorie von Wörtern dar, die aus sprachkritischer Sicht problematisch sind, da sie negative Sachverhalte mit sprachlichen Mitteln zu verschleiern versuchen. Beispiele hierfür sind etwa Freisetzung statt Stellenabbau, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes für die ,Auflockerung des Kündigungsschutzes‘ und negative Deckungsreserven für ,Haushaltslöcher'. Nach Verhandlungen, die zu keinen Ergebnissen geführt haben, sprechen Politikerinnen und Politiker auch gerne einmal von einem konstruktiven und offenen Dialog, Richtungskämpfe innerhalb einer Partei werden als Diskussionen bezeichnet. Euphemistische Ausdrücke sind oftmals irreführend (freiwillige Ausreise als behördliche Bezeichnung für die Abschiebung von Asylbewerbern in ihre Heimatländer), können gesellschaftliche Gruppen stigmatisieren, und gegen die Menschenwürde und die Prinzipien der Demokratie verstoßen. Ein anschauliches Beispiel ist der scheinbar neutrale, aus der Migrations- und Exilforschung stammende Begriff Remigration, der verschiedene, vor allem freiwillige Formen der Rückkehr umfasst und zum Unwort des Jahres 2023 gewählt wurde. Zur Begründung führt die Jury an, dass Remigration „als rechter Kampfbegriff, beschönigende Tarnvokabel und ein die tatsächlichen Absichten verschleiernder Ausdruck gebraucht wurde“, um eine „menschenunwürdige Abschiebe- und Deportationspraxis“ zu verschleiern.

Prof. Dr. Heiko Girnth, geb. 1964, arbeitet am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Philipps-Universität Marburg. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Sprache und Politik u.a. Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation / Polit-Talkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen.