Die demokratisch gewählte und organisierte Partei
QuellentextWandel im Parteiensystem: Aufstieg Rechtsaußenparteien
Ab den 2000er-Jahren fand in westlichen Demokratien eine zunehmende Pluralisierung der Parteiensysteme statt, die auch einen Aufstieg neuer Rechtsaußenparteien
Fußnoten
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Mudde, Cas (2019): The far right today. Cambridge (UK): Polity.
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Lewandowsky, Marcel (2022): Populismus - Eine Einführung Wiesbaden: Springer Fachmedien; Hillje, Johannes (2021): Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten unsere Demokratie angreifen. Bonn: Dietz.
Die Erfolge auf kommunaler Ebene, der sogenannten „Keimzelle der Demokratie“, zeigen, dass es den lokalen Parteiverbänden gelingt, eine große Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort herzustellen und die politische Willensbildung unmittelbar zu beeinflussen.
Im Gegensatz zu anderen bundesweit in den Parlamenten etablierten Parteien, ist die AfD auf der kommunalen Ebene nicht in allen Gemeinden mit lokalen Parteiverbänden vertreten und kann bei Kommunalwahlen häufig nur für Kreistage und die Stadträte in kreisfreien Städten und Großen Kreisstädten mit eigenen Kandidaten antreten. Dabei zeigen sich allerdings auch deutliche regionale Unterschiede zwischen Ost und West: Während bundesweit überall einzelne Wahl-Hochburgen der AfD entstehen, entwickelt die AfD insbesondere in ostdeutschen Städten und Gemeinden eine insgesamt deutlich höhere Präsenz im lokalen Raum. Gerade hier wird sichtbar, dass die bis 1990 in den alten Bundesländern etablierten (Volks-)Parteien nach der deutschen Wiedervereinigung keine vergleichbare Verankerung in der ostdeutschen Bevölkerung fanden. Die Konfliktstruktur des westdeutschen Parteienwettbewerbs und die Positionen der etablierten Parteien ließen sich langfristig nicht auf die ostdeutschen politischen Gegebenheiten übertragen und führten zu Gefühlen eines Repräsentations- und Vertrauensverlustes in der ostdeutschen Bevölkerung. Die fehlende Parteibindung spiegelt sich dabei sowohl in vergleichsweise niedrigen Parteimitgliederzahlen als auch einer hohen Anzahl an Wechselwählern in den ostdeutschen Bundesländern wider. In die entstandenen politischen Repräsentationslücken und die Leerstellen im außerparlamentarischen lokalen Raum konnte seit 2013 vielerorts die AfD mit ihrer populistischen Programmatik einwirken.
Die AfD tritt bei Kommunalwahlen mit Wahlprogrammen an, die sich häufig auf eine Benennung von autoritären Forderungen ohne politische Lösungsvorschläge beschränken wie beispielsweise: „Aufnahmestopp von Asylbewerbern!“, „Traditionelle Familien fördern, Kinder besonders unterstützen!“, „Obergrenze von 10% Migrantenanteil in Schulklassen!“, „Keine Moscheen oder Minarette in unserer Stadt!“, Asylbewerber „zentrumsfern und nicht in Wohngebietsnähe ansiedeln“.
Das Verhalten der AfD-Ratsmitglieder in Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten weist trotz institutioneller Spezifik
Den lokalen AfD-Fraktionen gelingt es durch ihre Strategien – d.h. die wiederkehrende Emotionalisierung, Skandalisierung, Moralisierung und Polarisierung der politischen Debatte – eine hohe Aufmerksamkeit für ihr Handeln in den kommunalen Parlamenten zu erzeugen. Dazu gehört auch die Inszenierung einer als sachorientiert und pragmatisch arbeitenden Fraktion „zum Wohle der Stadt“, während die AfD-Fraktionen in der Realität vergleichsweise wenig eigene Initiativen und Anträge in die Ratsarbeit einbringen.
Insgesamt zeigt sich, dass Rechtsaußenparteien die Strategien und Mechanismen des Populismus auf der lokalen Ebene auf das Argument der „Sachorientierung“ lenken. Auch die AfD kann sich hier besonders erfolgreich in der Rolle inszenieren, dass sie an der Lösung von Problemen „normaler Bürger“ arbeite und an pragmatischen Lösungen interessiert sei. Ein bekanntes rechtspopulistisches Framing zielt beispielsweise darauf ab „pragmatische Sachpolitik“ und „ideologische Parteipolitik“ als vermeintliche Gegensätze (gut vs. böse) darzustellen und zu suggerieren, dass Entscheidungen entlang von Parteilinien nicht für das Gemeinwohl getroffen würden. Indem sich die AfD etwa bei politischen Entscheidungsfindungsprozessen als Opfer vermeintlich undemokratischen Verhaltens der etablierten Parteien inszeniert – wenn sie z. B. von den anderen Parteien ausgegrenzt wird – gelingt es ihr, sich ihrer Wählerklientel als „einzig wahre Volksvertretung“ zu präsentieren und im gleichen Atemzuge die repräsentative Parteiendemokratie an sich zu diskreditieren.
Auf der kommunalen Ebene ist eine Abgrenzung von der AfD für die anderen Parteien komplexer als auf Landes- oder Bundesebene. Dies liegt vor allem an der konsensorientierten politischen Kultur, einer exekutiven Ausrichtung der „Kommunalparlamente“, der hohen persönlichen Bekanntschaft vor Ort und der Präsenz von unabhängigen Wählergemeinschaften. Dadurch kommt es auf kommunaler Ebene vermehrt zu kooperativen Verhaltensweisen im Umgang mit der AfD. Insbesondere wenn es der AfD gelingt kommunale Ämter zu besetzen und einen Landrat oder (Ober-)Bürgermeister zu stellen, ist eine Zusammenarbeit für die Mitglieder des kommunalen Gremiums sowie Personen in weiteren kommunalen Ämtern kaum zu vermeiden. Eine Kooperation im Rat oder die Übernahme von Regierungsverantwortung dürfte daher sicherlich zur Normalisierung einer Rechtsaußenpartei beitragen, auch wenn diese auf Landes- oder Bundesebene ausgegrenzt wird.
Gleichzeitig treffen Rechtsaußen-Akteure in kommunalen Ämtern auch auf die Realität der institutionellen, verwaltungstechnischen und finanziellen Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung. Häufig können die AfD-Kandidaten ihre Wahlversprechen aus zwei Gründen nicht einhalten: Entweder gibt die gegenwärtig in vielen Kommunen prekäre Haushaltssituation z.B. eine versprochene Kita-Gebühren-Senkung oder Investitionen in lokale Vereine nicht her oder bestimmte Forderungen zur Migrations- oder Außenpolitik fallen schlichtweg nicht in den Entscheidungsbereich der Kommunen. Denn durch begrenzte Handlungsspielräume können auf kommunaler Ebene nicht annähernd so weitreichende politische Eingriffe erfolgen wie auf nationaler Ebene.
Außerhalb der kommunalen Gremien treten Rechtsaußen-Akteure zum Teil (noch) rechtsextremer auf und fallen durch ein radikales, mitunter gewalttätiges Auftreten auf. Nachweislich bestehen außerparlamentarische Verbindungen und Netzwerke der lokalen AfD-Parteiverbände in das rechtsextreme Milieu, die sich z.B. in der Teilnahme an Demonstrationen und offenen Kooperation mit Rechtsaußenprotesten und -bewegungen wie „Pegida“ oder „Querdenken“ sowie der Mitgliedschaft in rechtsextremen Terrorgruppen wie den „Sächsischen Separatisten“ zeigen.
Die Widersprüchlichkeit zwischen Radikalität und betonter Normalität sowie Parlaments- und Bewegungsorientierung kann letztlich als Kernelement der Strategie populistischer Rechtsaußenparteien beschrieben werden, um als Anti-Parteien-Partei den Anschein einer politischen Interessenvertretung zu erwecken und den (lokalen) politischen Diskurs nach rechts außen zu verschieben.