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Wie umgehen mit dem Rechtsextremismus in der AfD? Zwischen Verbotsdiskussion und politischer Auseinandersetzung

Tom Thieme

/ 15 Minuten zu lesen

An der Radikalisierung der Partei in den vergangenen zehn Jahren bestehen kaum mehr Zweifel. Doch wie umgehen mit der AfD? Ein Plädoyer.

15. Bundesparteitag der AfD in der Grugahalle, Essen: Delegierte heben ihre Stimmkarten für eine Abstimmung. (© picture-alliance, dts-Agentur)

„Angriff auf Deutschland“, „Machtübernahme“, „Es ist 5 vor 1933“ – Buchpublikationen über die Bedrohung der Demokratie durch die Alternative für Deutschland (AfD) hatten 2024 Hochkonjunktur. Ungeachtet der mitunter reißerischen Titel können an der Radikalisierung der Partei in den vergangenen zehn Jahren kaum Zweifel bestehen. Denn galt sie in Politik, Wissenschaft und Publizistik den meisten Beobachtern früh als rechtspopulistisch, hingegen nur selten als rechtsextremistisch, wird ihre antidemokratische Stoßrichtung – abgesehen von der Partei selbst – heute so gut wie nicht in Frage gestellt. Die Anzahl an extremistischen Provokationen und Grenzüberschreitungen aus den Reihen der AfD ist mittlerweile beträchtlich, zumal artikuliert von verschiedenen führenden Parteivertretern. Während der Rechtsextremismus in der Partei in den vergangenen Jahren zunahm, schwächten mehrere interne Machtkämpfe das gemäßigte Lager. Das extremistische Potenzial der AfD wurde 2023 auf etwa 11.300 Personen geschätzt. Das wären knapp 30 Prozent der Parteimitglieder.

Allerdings gingen die namhaften Austritte, zunächst von Parteigründer Bernd Lucke (2015), später der Bundesvorsitzenden Frauke Petry (2017) und Jörg Meuthen (2022), nicht allein auf politische Differenzen um die Rechtstendenzen in der AfD zurück, sondern hatten zuvorderst persönliche Gründe. Während das 2020 formal aufgelöste rechtsextreme Netzwerk des Flügels durch die Wahlerfolge in seinen Hochburgen in den ostdeutschen Bundesländern zum innerparteilichen Machtzentrum aufstieg, verloren Gegenkräfte beständig an Einfluss. Seit dem Riesaer Parteitag 2022 sind im Parteivorstand keine offenen Widersacher des rechtsextremen Spektrums mehr vertreten.

Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse und der Bedeutungsgewinn rechtsextremer Positionen innerhalb der AfD machte die Partei zu einem Fall für den Verfassungsschutz. 2019 zunächst vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als sogenannter „Prüffall“ klassifiziert, wurde die AfD nach ihrer erfolgreichen Klage gegen diese Einordnung zwischenzeitlich heruntergestuft, seit März 2021 jedoch als rechtsextremistischer Verdachtsfall behandelt. Eine solche Kategorisierung ist in der Praxis von hoher Relevanz, da auf ihrer Grundlage nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung verwendet werden dürfen. Die Klage der AfD gegen die Entscheidung wurde am 8. März 2022 durch das Verwaltungsgericht Köln zurückgewiesen, ebenso die Berufung durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 13. Mai 2024. Die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) wird durch den Verfassungsschutz des Bundes ebenso wie die drei ostdeutschen Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen durch die dortigen Landesämter seit 2023 als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Auch hiergegen hat die AfD Rechtsmittel eingelegt, die im Fall der JA ebenfalls am 13. Mai 2024 zurückgewiesen wurden. Stattdessen rechnen Beobachter mit einer Neueinstufung der gesamten AfD als gesichert rechtsextreme Bestrebung.

Demokratie und (Rechts-)Extremismus – wo steht die AfD heute?

Extremismus lässt sich am besten darüber erklären und verstehen, was er nicht ist bzw. wogegen er sich richtet: nämlich gegen die Demokratie und ihre zentralen Prinzipien. Denn während die eigenen Ziele häufig nebulös bleiben, artikulieren Extremisten ihre Feindschaft gegen den demokratischen Rechtsstaat mehr oder weniger unverhohlen. Die Rede ist dann vom „System“ und seinen „ruchlosen“ Eliten, während man sich selbst als Bollwerk des „wahren Volkswillens“ inszeniert. Dabei ist Demokratie eben gerade nicht die Vorstellung von gesellschaftspolitischer Homogenität – was soll das sein, der eine geeinte „Volkswille“? Vielmehr meint Demokratie die Anerkennung von unterschiedlichen Interessen und die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Entsprechend werden in der Literatur übereinstimmend vier Eckpfeiler als Minimalbedingungen der Demokratie genannt: Volkssouveränität (inklusive Minderheitenschutz), Pluralismus (d. h. die Anerkennung unterschiedlicher Interessen und Weltanschauungen in einer Gesellschaft), Gewaltenteilung und -kontrolle sowie die Menschen- und Grundrechte. Wer sich gegen mindestens eines dieser Prinzipien richtet, gilt als extremistisch.

Auch wenn es keine einheitliche Definition des Begriffs gibt, lässt sich der Rechtsextremismus als eine „Ideologie der Ungleichheit“ verstehen. In diesem Sinne werden die universelle menschliche Freiheit und Gleichheit in Frage gestellt, und die eigene Gruppe/Ethnie/Kultur gilt als höherwertig gegenüber anderen. In der Regel sind antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen üblich. Das Ziel einer homogenen (Volks-)Gemeinschaft ist letztlich mit Interessenvielfalt, Minderheitenschutz, der Kontrolle des Regierungshandelns und dem universellen Anspruch individueller Grund- und Freiheitsrechte unvereinbar. Denn wer glaubt, nur der vermeintlich eine geeinte Volkswille existiere, wird jede Abweichung davon als Unrecht und Verrat wahrnehmen und daraus die Konsequenz ableiten, sich dagegen zur Wehr setzen zu müssen.

Rechtsextremismus innerhalb der AfD

Innerhalb der AfD hat sich in den vergangenen Jahren die Vorstellung einer absoluten, irrtumsfreien Volkssouveränität verfestigt, die unterschiedliche Interessen und gesellschaftspolitische Positionen ignoriert. Die Partei propagiert dem BfV zufolge einen homogenen Volkskörper, „der ein völkisch-abstammungsmäßig geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck [bringt], das im Widerspruch zum Volksverständnis des Grundgesetzes steht“. So erklärte der AfD-Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecher Gottfried Curio im Oktober 2021, sein Verständnis von Zugehörigkeit zum deutschen Volk hänge nicht von der Staatsangehörigkeit ab, sondern von der ethnischen Herkunft: „Wenn das deutsche Volk nicht mehr das deutsche Volk als geschichtlich gewachsene, kulturell (bei allen Binnenunterschieden) sich als Einheit auffassende, schicksalsmäßig aneinander gebundene Gemeinschaft ist, sondern nur noch ein[e] aus allen Himmelsrichtungen zusammengewürfelte Menschenansammlung, was bleibt dann noch von dem ursprünglichen Gedanken einer Herrschaft des Volkes in Deutschland?“ Ein solches ethnisch-biologisches Volksverständnis scheint in der Partei mittlerweile Mehrheitsmeinung zu sein, wird es doch bis in die Parteiführung geteilt oder zumindest nicht in Frage gestellt. So äußerte in ähnlicher Weise der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland: Indem jemand die deutsche Grenze überschreite und einen deutschen Pass habe, sei er noch kein Deutscher. Und laut dem Spitzenkandidaten zur Europawahl 2024, Maximilian Krah, soll Deutschland seinen Charakter als „Land der ethnisch Deutschen“ zurückgewinnen. In der immer wiederkehrenden Rhetorik von „Passdeutschen“ im Gegensatz zu „richtigen Deutschen“ wird ein „Volkskonzept“ sichtbar, in dem die Frage, wer zum Volk gehört und damit das Recht besitzt, Volkssouveränität auszuüben, allein auf ethnischen Kategorien beruht.

Die Idee einer ethnisch homogenen Gesellschaft als Grundlage vermeintlich „wahrer“ Volkssouveränität ginge unweigerlich mit zahlreichen Beschränkungen der Grund- und Menschenrechte „Anderer“ einher. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum forderte, das „Wahlrecht nach Abstammung“ wieder einzuführen: „Ansonsten werden in Zukunft Özdemirs und Özuguzes die politischen Entscheidungen in Deutschland herbeiführen – aller Voraussicht nach gegen den Willen der ethnischen deutschen Bevölkerung.“ Damit würde die politische Gleichheit aller Staatsangehörigen sowie ihr Anspruch auf politische Teilhabe aufgekündigt und mithin das Demokratieprinzip verletzt werden. Vorstellungen wiederum, wonach Sozialleistungen im Zusammenhang mit Migration auf ein Existenzminimum reduziert werden sollen („Nahrung, Sicherheit und Obdach“), widersprechen einerseits dem Grundrecht eines menschenwürdigen Daseins, andererseits dem Gleichheitsgrundsatz, der für deutsche und ausländische Staatsangehörige gleichermaßen gilt.

Das Verhältnis zum Grundrecht der Religionsfreiheit erweist sich ebenso als Problem, vor allem wegen der Ablehnung des Islams („Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, „Minarett-Verbot in der bayerischen Bauordnung“) bzw. dessen häufige Gleichsetzung mit Islamismus. Einem 2023 veröffentlichten Bericht des vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer einberufenen Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit zufolge, führt die AfD in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten einen islamfeindlichen Diskurs. Dies äußert sich etwa in pauschalen Herabwürdigungen von Muslimen und Musliminnen („Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“). Zudem kultiviert die AfD einen Gegensatz zwischen christlich-abendländischen und muslimisch geprägten Traditionen, die miteinander unvereinbar seien. In diesem Sinne fordert die Junge Alternative, den Asylstatus von der Religionszugehörigkeit abhängig zu machen, „dass in Zukunft bei der Auswahl von Flüchtlingen uns kulturell nahestehende Minderheiten bevorzugt aufgenommen werden. Hingegen sollte die Aufnahme arabischer bzw. muslimischer Flüchtlinge primär durch stabile Staaten mit vergleichbarer Kultur erfolgen.“ Im Sächsischen AfD-Wahlprogramm zur Landtagswahl 2024 hieß es ferner: „Moscheeverbände und -vereine überwachen, keine weiteren Moscheen in Sachsen. [...] Das Bekenntnis und die Religionsausübung für Muslime sind in Sachsen gewährleistet. Moscheen bedarf es dafür nicht. Daher lehnt die AfD Moscheebauten, besonders mit Minarett, ab.“ Derartige Vorschläge zur pauschalen Überwachung zeigen: Muslime stehen unter Generalverdacht. Legitimiert werden solche Positionen mit der vom islamistischen Terror ausgehenden Gefahr. Insgesamt nimmt das Feindbild Islam im Weltbild der AfD einen herausgehobenen Stellenwert ein.

Politische Forderungen wie die der AfD zur Begrenzung von (illegaler) Zuwanderung oder nach der konsequenten Abschiebung ausreisepflichtiger Personen sind nicht grundsätzlich rechtsextremistisch, sondern legitimer Bestandteil der politischen Willensbildung und werden auch von anderen politischen Parteien vertreten. Jedoch hat sich die Stoßrichtung der Partei zur Umsetzung ihrer Ideen von einer ethnisch homogenen Volkszugehörigkeit in den vergangenen Jahren massiv verhärtet. Verschwörungstheoretische rechtsextreme Narrative der „Umvolkung“ und des „Großen Bevölkerungsaustauschs“ gehören heute zum Standardrepertoire der AfD. Um den „Volkstod“ zu verhindern, müsse nicht nur die Zuwanderung gestoppt werden, sondern sogenannte „Invasoren“ – gemeint sind vor allem Musliminnen und Muslime – seien aus Deutschland zu vertreiben. Dabei ist das Konzept der „Remigration“ für die Partei mittlerweile von zentraler Bedeutung. Der breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden war es Anfang 2024 nach einem Treffen verschiedener Personen aus dem Rechtsaußenspektrum, auch aus den Reihen der AfD. Es geht auf den österreichischen Chef der Identitären Bewegung (IB) Martin Sellner zurück, wonach nicht nur ausreisepflichtige Personen und Ausländer, sondern auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationserfahrung durch „Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderte Gesetze“ aus Deutschland zu verdrängen seien. Zwar taucht der Begriff „Remigration“ bereits in früheren Erklärungen und Reden führender AfD-Repräsentanten wie Björn Höcke auf. Anstatt sich jedoch – gemäß der eigenen Unvereinbarkeitsliste der AfD – von den Positionen Sellners und der IB zu distanzieren, ist die offene Verwendung des Begriffs mittlerweile Usus. In einer gemeinsamen Stellungnahme der fünf ostdeutschen AfD-Fraktionsvorsitzenden heißt es: „Remigration ist das Gebot der Stunde. [...] Wir werden Maßnahmen ergreifen, um den Assimilationsdruck auf nichtintegrierte Ausländer zu erhöhen. Wir werden Anreize schaffen, um nichtintegrierten Migranten die Heimkehr zu ermöglichen.“

Das Kernthema Migration/Remigration zeigt in aller Deutlichkeit den antipluralistischen Charakter der AfD. Da nur das ethnisch-kulturelle Volk als das deutsche Volk gilt, wird dessen Bewahrung vor „fremden“ Einflüssen als der einzig wahre Volkswille definiert. Andere Meinungen, Bedürfnisse und Lebensweisen stehen folglich im Widerspruch mit vermeintlich deutschen Interessen. Dem entgegenstehende Gesellschaftsmodelle werden als Verrat diffamiert und bekämpft. Argumentiert wird moralisch: Das deutsche Volk befinde sich in einer Art Notstandssituation gegen „Masseneinwanderung“ und die „brutale Verdrängung der Deutschen aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet“ durch „globalistische Eliten“. Aus dieser Logik heraus legitimiert sich dann auch Hetze und Radikalität, denn: Notstand rechtfertigt Notwehr – gegen alle, die die Weltsicht und das Gesellschaftsverständnis der Partei nicht teilen: Menschen mit Migrationserfahrung, politisch Andersdenkende, das System.

Die Diskussion um ein AfD-Verbot

Am 13. November 2024 brachten 113 Bundestagsabgeordnete einen Antrag für ein AfD-Verbotsverfahrens ins Parlament ein. Der parteiübergreifenden Initiative war eine breite öffentliche Diskussion um die Recht- und Zweckmäßigkeit eines solchen Parteiverbots vorausgegangen. Verbotsbefürworter argumentieren, allein mit der politischen Auseinandersetzung sei der AfD nicht beizukommen, da sie Fundamentalopposition betreibe, um letztlich die Demokratie zu beseitigen. Der maßgebliche Initiator der Verbotsoffensive, Marco Wanderwitz (CDU), sagte hierzu: „Minderheiten aller Art, alle demokratischen Parteien, die Institutionen des Rechtsstaats – sie alle werden von früh bis spät angegriffen, bedroht und verächtlich gemacht. Da schwingt immer mit: Wenn der Tag X kommt, dann kommen wir über euch.“ Verbotsforderungen werden also zuvorderst mit der Gefahr begründet, die von der AfD für die Demokratie ausgeht: einerseits für die innere Sicherheit Deutschlands, die durch Gewaltaufrufe und Umsturzfantasien aus den Reihen der Partei artikuliert werden, andererseits für das demokratische System, sollte es der AfD gelingen, politische Machtpositionen zu besetzen und rechtstaatliche Prinzipien zu schwächen. Vor allem mit den Wahlerfolgen der AfD in Ostdeutschland wird der Handlungsdruck in Richtung Parteiverbot gerechtfertigt („Wehret den Anfängen“): „Sämtliche Erfahrung mit Mandatsgewinnen der AfD bestätigt die Annahme, dass die Partei einmal errungene Macht einsetzt, um gegen politische Gegner vorzugehen, rechtsstaatliche Strukturen und Verfahren zu schwächen, Minderheiten auszugrenzen und verächtlich zu machen, die sexuelle Selbstbestimmung anzugreifen und die staatliche Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft zu behindern und mittelfristig abzuschaffen.“ In ähnliche Richtung argumentiert die Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein (SPD): „Ja, und das Zeitfenster schließt sich. Nichtstun wäre fatal. Sollte die AfD in einem Bundesland an die Macht kommen, wäre ein Prüfverfahren nicht mehr möglich.“ Nach Wanderwitz sei ein AfD-Verbot „so etwas wie eine Atempause für die Demokratie“. Auch die staatliche Parteienfinanzierung wird als Pro-Argument ins Feld geführt: Nicht mit Staatsgeldern eine in Teilen verfassungsfeindliche Partei zu unterstützen.

Den extremistischen Charakter vieler AfD-Mitglieder bezweifeln auch die Gegner eines AfD-Verbots nicht, wohl aber die Recht- und Zweckmäßigkeit eines solchen Verfahrens. Einesteils wird angeführt, die Verteidigung der Demokratie sei allein durch „argumentative Vernunft und außerparlamentarische Gegenmacht“ zu gewinnen, da sich rechtsextremes Gedankengut und die bereits etablierten Strukturen der AfD durch ein Verbot nicht beseitigen ließen. Im Gegenteil: Die AfD könne so ihr Opfernarrativ kultivieren und zusätzliche Sympathisanten gewinnen. Staatliche Verbote seien entsprechend kontraproduktiv, erzeugten sie doch „eher trotzige Märtyrer als aufgeklärte Mitbürger.“ Anderenteils wird das Schutzgut des Parteienstatus herausgestellt, weswegen die Hürden für ein Parteiverbot besonders hoch seien: Nicht allein die Verfassungsfeindlichkeit sei Voraussetzung dafür, sondern auch der Nachweis für eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung der Gesamtpartei. Zudem müsse ein Verbot des Bundesverfassungsgerichts auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Bestand haben, woran es Zweifel mit Blick auf vergangene Urteile des EGMR gibt. Im Scheitern eines Verfahrens sehen Gegner eines AfD-Verbots ferner die Gefahr des Persilscheins für die AfD, die sich als rehabilitiert und als Siegerin der Auseinandersetzung stilisieren würde. Vor allem aber das demokratietheoretische Argument wiegt schwer: mit einem Verbot etwa 20 Prozent der Wählerschaft aus dem demokratischen Prozess auszuschließen. Dazu die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger: „So paradox es klingt: Wir sichern die Demokratie gerade dadurch, dass wir die Feinde der Demokratie gewähren lassen.“

Wie umgehen mit der AfD? Eine Einschätzung

Worin sich Befürworter und Gegner eines möglichen AfD-Verbotsverfahren einig sind: Statt mit einem schnellen Urteil dürfte vielmehr mit einem langwierigen Prozess zu rechnen sein. Denn für das Bundesverfassungsgericht geht es nicht nur um den Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit, sondern auch um die Frage der Verhältnismäßigkeit des Parteiverbots. Zudem ist bei der Beweisführung größte Genauigkeit geboten – eine Lehre aus dem ersten NPD-Verbotsverfahren 2003, das an Verfahrensfehlern durch die Antragsteller scheiterte. Das zweite NPD-Verbotsverfahren zog sich dann über vier Jahre hin (2013-2017) und war ebenfalls nicht erfolgreich: Die NPD hatte laut Bundesverfassungsgericht nicht (mehr) das Potenzial, ihre demokratiefeindlichen Ziele durchzusetzen. Im Fall der um ein Vielfaches größeren AfD dürfte sich die Komplexität eines Prozesses und somit der Zeitaufwand nochmals erheblich steigern.

Die Frage nach dem „richtigen“ politischen Umgang mit der AfD wird sich folglich auf absehbare Zeit nicht in Luft auflösen, sondern sie bleibt von zentraler Relevanz. Also was tun? Die bisherige Praxis der pauschalen Ausgrenzung durch alle anderen Parteien hat der AfD offenkundig weder geschadet noch zu ihrer Mäßigung beigetragen, im Gegenteil. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, z. B. mit ihr Bündnisse zu schließen, wäre mit Blick auf eine im Machtzentrum weithin rechtsextreme Kraft aus demokratietheoretischer Sicht hochproblematisch. Vielmehr braucht es mehr Entschlossenheit bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD. Viel zu selten wird auf deren Inkonsistenzen hingewiesen.

Demokratische Politiker und Politikerinnen sollten statt der symbolischen Dämonisierung offensiv und selbstbewusst die Debatte mit AfD-Vertretern suchen. Öffentliche Auftritte abzulehnen, bei denen auch die AfD eingeladen ist, spricht nicht nur für mangelnde Souveränität, sondern wird von AfD-Sympathisanten als Zeichen fehlender Fairness wahrgenommen, wovon die Partei am Ende wiederum profitiert. Weil sie isoliert wird, muss sich nicht zugeben, sich selbst zu isolieren – um genau daraus ihren Nutzen zu ziehen. Dabei lebt die Demokratie doch gerade vom Streit und der Kontroverse, vor allem dann, wenn es um Kernfragen des gesellschaftlichen Selbstverständnisses geht: Was ist eine möglicherweise missliebige, aber im Kern demokratische und damit legitime Auffassung – und wo ist die rote Linie demokratischer Prinzipien überschritten? Nicht über, sondern mit der AfD reden, heißt nicht wie die AfD zu reden.

Das bedeutet aber auch, nicht jede Position der AfD per se als rechtsextremistisch zurückzuweisen, bloß um nicht dem möglichen Vorwurf der „AfD-Nähe“ ausgesetzt zu sein. Dies wäre nicht nur einer Demokratie unwürdig, sondern vor allem unglaubwürdig, praktiziert man doch eben jenes Schwarz-Weiß-Denken, das Extremisten zu Recht vorgeworfen wird. Der AfD gelingt es, die gesellschaftlichen Herausforderungen durch Migration und „Ausländerkriminalität“ zu instrumentalisieren – indem sie pauschalisiert, diffamiert, dramatisiert. Deswegen dürfen jedoch nicht die tatsächlichen Probleme im Kontext von Zuwanderung ignoriert werden, ebenso wenig die damit verbundenen Sorgen und Ängste der Bevölkerung – die tatsächlich weit über die Wählerschaft der AfD hinaus reichen und nicht durchweg als rechtsextrem gelten können. Wenn Konfliktpotenzial und Handlungsbedarf existiert, braucht es demokratische Kräfte, die nach verfassungskonformen Lösungen suchen und nicht aus Opportunismus handeln, nach dem Motto: Was nutzt mir das Thema?

Zugegeben: Die Gratwanderung zu meistern, einerseits nicht in einen pauschalen Abwehrreflex gegenüber der AfD zu verfallen und sich andererseits dennoch deutlich vom Rechtsextremismus abzugrenzen, mag in der Praxis nicht leichtfallen. Aber sie kann gelingen. Wer offen gesellschaftliche Missstände aufzeigt und zugleich seriös verdeutlicht, welche Lösungswege machbar sind, ohne die Grundregeln der Demokratie und des Anstands in Frage zu stellen, wird vielleicht nicht beim harten rechtsextremistischen Kern der AfD, wohl aber bei einem großen Teil der gegenwärtigen Protestwähler Zustimmung erfahren. Um der Partei argumentativ entgegentreten, ihre Widersprüchlichkeit aufdecken und ihre antidemokratischen Grenzverletzungen offenlegen zu können, sind zwei Dinge dafür die Voraussetzung: Zum einen darf die Auseinandersetzung um politische Reizthemen wie Migration nicht den Spielregeln der digitalen Öffentlichkeit folgen und zu einem Überbietungswettbewerb plakativer Lösungen werden. Zum anderen muss eine offene Debatte z. B. zur Frage der Regulierung von Zuwanderung möglich sein, ohne deswegen als AfD-light diskreditiert zu werden. Nicht die eigene Weltsicht oder Klientel, schon gar nicht strategische Erwägungen sollten den Umgang mit der AfD leiten, sondern allein die Festigung unserer demokratischen politischen Kultur. Das gilt für Politik, Medien und Öffentlichkeit gleichermaßen, für verschiedene gesellschaftliche Milieus genauso wie für jede Einzelne und jeden Einzelnen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zur Kontroverse um die AfD-Einordnung im Jahr 2019 exemplarisch Armin-Pfahl-Traughber, Die AfD und der Rechtsextremismus. Eine Analyse aus politikwissenschaftlicher Perspektive, Wiesbaden 2019; Tom Thieme, Dialog oder Ausgrenzung – Ist die AfD eine rechtsextreme Partei?, in: Bundeszentrale für politische Bildung vom 30. Januar 2019, unter: Interner Link: https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/ (05.11.2024).

  2. Siehe als Überblick von extremistischen Provokationen und Grenzüberschreitungen Tobias Müller, Die AfD im Bundestag. 30 bis 66 Prozent rechtsextrem, in: Katapult vom 20. September 2021, unter: Externer Link: https://katapult-magazin.de/de/artikel/30-bis-66-prozent-rechtsextrem (05.11.2024).

  3. Vgl. die Organisationsentwicklung nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Uwe Backes, Organisationen 2023, in: Ders. u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 36, Baden-Baden 2024, S. 151-174, hier: S. 164.

  4. Vgl. Eckhard Jesse/Tom Mannewitz, Die Alternative für Deutschland, in: Dies. (Hrsg.), Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 2. Auflage, Baden-Baden 2024, S. 601-621, hier: S. 604 f.

  5. Vgl. Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 08.03.2022, Az. 13 K 326/21 sowie Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Mai 2024, Az. 5 A 1216/22

  6. Vgl. o. A., AfD-Verbotsantrag im Bundestag verschoben, in: Tagesschau vom 17. Oktober 2024, unter: Externer Link: https://www.tagesschau.de/inland/afd-verbotsantrag-verschoben-100.html (5.11.2024).

  7. Vgl. als Überblick Tom Mannewitz u. a., Was ist politischer Extremismus? Grundlagen, Erscheinungsformen, Interventionsansätze, Frankfurt a. M. 2018, S. 17.

  8. Vgl. zum Unterschied absoluter und beschränkter Volkssouveränität Ulrich Weiß/Klaus Grimmer, Volkssouveränität, in: Dieter Nohlen/Florian Grotz (Hrsg.), Kleines Lexikon der Politik, 6. Auflage, München 2015, S. 709 f.

  9. Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 2023, Berlin 2024, S. 114.

  10. Gottfried Curio zitiert nach Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 08.03.2022, Az. 13 K 326/21, Rn. 882, unter: Externer Link: https://openjur.de/u/2395579.html (05.11.2024).

  11. Maximilian Krah, Politik von rechts. Ein Manifest, Schnellroda 2023, S. 56.

  12. Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 08.03.2022, Az. 13 K 326/21, Rn. 651 f.

  13. Vgl. ebd., Rn. 418.

  14. Landtag lehnt AfD-Antrag für generelles Minarett-Verbot ab, in: Süddeutsche Zeitung vom 25. April 2024, unter: Externer Link: https://www.sueddeutsche.de/bayern/religion-landtag-lehnt-afd-antrag-fuer-generelles-minarett-verbot-ab-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240425-99-806252 (05.11.2024).

  15. Vgl. Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023, Berlin 2024, S. 240-242.

  16. Ebd., Rn. 508.

  17. Alternative für Deutschland, Damit Sachsen Heimat bleibt. Wahlprogramm der AfD Sachsen für die Landtagswahl Sachsen 2024, S. 35.

  18. Vgl. Hendrik Cremer, Warum die AfD verboten werden könnte. Empfehlungen an Staat und Politik. Analyse des Instituts für Menschenrechte, Berlin 2023, S. 30.

  19. Vgl. ausführlich Martin Sellner, Remigration. Ein Vorschlag, Schnellroda 2024.

  20. Alternative für Deutschland, Stellungnahme der Fraktionsvorsitzenden Ost zur REMIGRATION vom 15. Januar 2024, unter: Externer Link: https://afd-thl.de/2024/01/15/stellungnahme-der-fraktionsvorsitzenden-ost-zur-remigration/ (05.11.2024).

  21. Björn Höcke, Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig, Berlin 2018, S. 205.

  22. Siehe Antrag auf Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der „Alternative für Deutschland“ gemäß Artikel 21 Absatz 2, 3 und 4 des Grundgesetzes i. V. m. § 13 Nummer 2 und 2a, §§ 43 ff. des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes [Vorabfassung], unter: Externer Link: https://dserver.bundestag.de/btd/20/137/2013750.pdf (14.11.2024).

  23. Vgl. als Überblick der öffentlichen Verbotsdebatte Melanie Amann u. a., Das schärfste Schwert, in: Der Spiegel vom 11. November 2023, S. 8-19.

  24. Marco Wanderwitz, Spiegel-Streitgespräch, in: Der Spiegel vom 1. Juli 2023, S. 31.

  25. Antrag auf Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der „Alternative für Deutschland“, S. 6.

  26. Maja Wallstein, Spiegel-Streitgespräch, in: Der Spiegel vom 9. November 2024, S. 28.

  27. Marco Wanderwitz (Anm. 20), S. 31.

  28. Vgl. als Überblick Eckhard Jesse, Das Instrumentarium des Parteiverbots: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, in: Uwe Backes u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 36, Baden-Baden 2024, S. 15-47, hier: S. 40-44.

  29. Claus Leggewie, Man darf einen Wettbewerber um Mehrheiten nicht durch ein Verbot bekämpfen, in: vorwärts 1/20024, S. 8.

  30. So Peter Voß, Wo bleibt der Aufschrei?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. April 2024, S.13.

  31. Vgl. Sophie Schönberger, Spiegel-Streitgespräch, in Der Spiegel vom 1. Juli 2023, S. 32.

  32. Dies. ebd.

  33. Siehe dazu Lars Flemming, Das NPD-Verbotsverfahren. Vom „Aufstand der Anständigen“ zum „Aufstand der Unfähigen“, Baden-Baden 2005.

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Prof. Dr. Tom Thieme ist Politikwissenschaftler und seit 2017 Professor für Gesellschaftspolitische Bildung an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Seine Forschungsschwerpunkte sind Vergleichende Politikwissenschaft (Demokratie und Diktatur) sowie Parteien- und Extremismusforschung.