„Angriff auf Deutschland“, „Machtübernahme“, „Es ist 5 vor 1933“ – Buchpublikationen über die Bedrohung der Demokratie durch die Alternative für Deutschland (AfD) hatten 2024 Hochkonjunktur. Ungeachtet der mitunter reißerischen Titel können an der Radikalisierung der Partei in den vergangenen zehn Jahren kaum Zweifel bestehen. Denn galt sie in Politik, Wissenschaft und Publizistik den meisten Beobachtern früh als rechtspopulistisch, hingegen nur selten als rechtsextremistisch
Allerdings gingen die namhaften Austritte, zunächst von Parteigründer Bernd Lucke (2015), später der Bundesvorsitzenden Frauke Petry (2017) und Jörg Meuthen (2022), nicht allein auf politische Differenzen um die Rechtstendenzen in der AfD zurück, sondern hatten zuvorderst persönliche Gründe. Während das 2020 formal aufgelöste rechtsextreme Netzwerk des Flügels durch die Wahlerfolge in seinen Hochburgen in den ostdeutschen Bundesländern zum innerparteilichen Machtzentrum aufstieg, verloren Gegenkräfte beständig an Einfluss. Seit dem Riesaer Parteitag 2022 sind im Parteivorstand keine offenen Widersacher des rechtsextremen Spektrums mehr vertreten.
Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse und der Bedeutungsgewinn rechtsextremer Positionen innerhalb der AfD machte die Partei zu einem Fall für den Verfassungsschutz. 2019 zunächst vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als sogenannter „Prüffall“ klassifiziert, wurde die AfD nach ihrer erfolgreichen Klage gegen diese Einordnung zwischenzeitlich heruntergestuft, seit März 2021 jedoch als rechtsextremistischer Verdachtsfall behandelt. Eine solche Kategorisierung ist in der Praxis von hoher Relevanz, da auf ihrer Grundlage nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung verwendet werden dürfen. Die Klage der AfD gegen die Entscheidung wurde am 8. März 2022 durch das Verwaltungsgericht Köln zurückgewiesen, ebenso die Berufung durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 13. Mai 2024.
Demokratie und (Rechts-)Extremismus – wo steht die AfD heute?
Extremismus lässt sich am besten darüber erklären und verstehen, was er nicht ist bzw. wogegen er sich richtet: nämlich gegen die Demokratie und ihre zentralen Prinzipien. Denn während die eigenen Ziele häufig nebulös bleiben, artikulieren Extremisten ihre Feindschaft gegen den demokratischen Rechtsstaat mehr oder weniger unverhohlen. Die Rede ist dann vom „System“ und seinen „ruchlosen“ Eliten, während man sich selbst als Bollwerk des „wahren Volkswillens“ inszeniert. Dabei ist Demokratie eben gerade nicht die Vorstellung von gesellschaftspolitischer Homogenität – was soll das sein, der eine geeinte „Volkswille“? Vielmehr meint Demokratie die Anerkennung von unterschiedlichen Interessen und die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Entsprechend werden in der Literatur übereinstimmend vier Eckpfeiler als Minimalbedingungen der Demokratie genannt: Volkssouveränität (inklusive Minderheitenschutz), Pluralismus (d. h. die Anerkennung unterschiedlicher Interessen und Weltanschauungen in einer Gesellschaft), Gewaltenteilung und -kontrolle sowie die Menschen- und Grundrechte. Wer sich gegen mindestens eines dieser Prinzipien richtet, gilt als extremistisch.
Auch wenn es keine einheitliche Definition des Begriffs gibt, lässt sich der Rechtsextremismus als eine „Ideologie der Ungleichheit“ verstehen. In diesem Sinne werden die universelle menschliche Freiheit und Gleichheit in Frage gestellt, und die eigene Gruppe/Ethnie/Kultur gilt als höherwertig gegenüber anderen. In der Regel sind antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen üblich. Das Ziel einer homogenen (Volks-)Gemeinschaft ist letztlich mit Interessenvielfalt, Minderheitenschutz, der Kontrolle des Regierungshandelns und dem universellen Anspruch individueller Grund- und Freiheitsrechte unvereinbar. Denn wer glaubt, nur der vermeintlich eine geeinte Volkswille existiere, wird jede Abweichung davon als Unrecht und Verrat wahrnehmen und daraus die Konsequenz ableiten, sich dagegen zur Wehr setzen zu müssen.
Rechtsextremismus innerhalb der AfD
Innerhalb der AfD hat sich in den vergangenen Jahren die Vorstellung einer absoluten, irrtumsfreien Volkssouveränität verfestigt, die unterschiedliche Interessen und gesellschaftspolitische Positionen ignoriert.
Die Idee einer ethnisch homogenen Gesellschaft als Grundlage vermeintlich „wahrer“ Volkssouveränität ginge unweigerlich mit zahlreichen Beschränkungen der Grund- und Menschenrechte „Anderer“ einher. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum forderte, das „Wahlrecht nach Abstammung“ wieder einzuführen: „Ansonsten werden in Zukunft Özdemirs und Özuguzes die politischen Entscheidungen in Deutschland herbeiführen – aller Voraussicht nach gegen den Willen der ethnischen deutschen Bevölkerung.“
Das Verhältnis zum Grundrecht der Religionsfreiheit erweist sich ebenso als Problem, vor allem wegen der Ablehnung des Islams („Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, „Minarett-Verbot in der bayerischen Bauordnung“
Politische Forderungen wie die der AfD zur Begrenzung von (illegaler) Zuwanderung oder nach der konsequenten Abschiebung ausreisepflichtiger Personen sind nicht grundsätzlich rechtsextremistisch, sondern legitimer Bestandteil der politischen Willensbildung und werden auch von anderen politischen Parteien vertreten. Jedoch hat sich die Stoßrichtung der Partei zur Umsetzung ihrer Ideen von einer ethnisch homogenen Volkszugehörigkeit in den vergangenen Jahren massiv verhärtet. Verschwörungstheoretische rechtsextreme Narrative der „Umvolkung“ und des „Großen Bevölkerungsaustauschs“ gehören heute zum Standardrepertoire der AfD.
Das Kernthema Migration/Remigration zeigt in aller Deutlichkeit den antipluralistischen Charakter der AfD. Da nur das ethnisch-kulturelle Volk als das deutsche Volk gilt, wird dessen Bewahrung vor „fremden“ Einflüssen als der einzig wahre Volkswille definiert. Andere Meinungen, Bedürfnisse und Lebensweisen stehen folglich im Widerspruch mit vermeintlich deutschen Interessen. Dem entgegenstehende Gesellschaftsmodelle werden als Verrat diffamiert und bekämpft. Argumentiert wird moralisch: Das deutsche Volk befinde sich in einer Art Notstandssituation gegen „Masseneinwanderung“ und die „brutale Verdrängung der Deutschen aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet“ durch „globalistische Eliten“.
Die Diskussion um ein AfD-Verbot
Am 13. November 2024 brachten 113 Bundestagsabgeordnete einen Antrag für ein AfD-Verbotsverfahrens ins Parlament ein.
Den extremistischen Charakter vieler AfD-Mitglieder bezweifeln auch die Gegner eines AfD-Verbots nicht, wohl aber die Recht- und Zweckmäßigkeit eines solchen Verfahrens.
Wie umgehen mit der AfD? Eine Einschätzung
Worin sich Befürworter und Gegner eines möglichen AfD-Verbotsverfahren einig sind: Statt mit einem schnellen Urteil dürfte vielmehr mit einem langwierigen Prozess zu rechnen sein. Denn für das Bundesverfassungsgericht geht es nicht nur um den Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit, sondern auch um die Frage der Verhältnismäßigkeit des Parteiverbots. Zudem ist bei der Beweisführung größte Genauigkeit geboten – eine Lehre aus dem ersten NPD-Verbotsverfahren 2003, das an Verfahrensfehlern durch die Antragsteller scheiterte.
Die Frage nach dem „richtigen“ politischen Umgang mit der AfD wird sich folglich auf absehbare Zeit nicht in Luft auflösen, sondern sie bleibt von zentraler Relevanz. Also was tun? Die bisherige Praxis der pauschalen Ausgrenzung durch alle anderen Parteien hat der AfD offenkundig weder geschadet noch zu ihrer Mäßigung beigetragen, im Gegenteil. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, z. B. mit ihr Bündnisse zu schließen, wäre mit Blick auf eine im Machtzentrum weithin rechtsextreme Kraft aus demokratietheoretischer Sicht hochproblematisch. Vielmehr braucht es mehr Entschlossenheit bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD. Viel zu selten wird auf deren Inkonsistenzen hingewiesen.
Demokratische Politiker und Politikerinnen sollten statt der symbolischen Dämonisierung offensiv und selbstbewusst die Debatte mit AfD-Vertretern suchen. Öffentliche Auftritte abzulehnen, bei denen auch die AfD eingeladen ist, spricht nicht nur für mangelnde Souveränität, sondern wird von AfD-Sympathisanten als Zeichen fehlender Fairness wahrgenommen, wovon die Partei am Ende wiederum profitiert. Weil sie isoliert wird, muss sich nicht zugeben, sich selbst zu isolieren – um genau daraus ihren Nutzen zu ziehen. Dabei lebt die Demokratie doch gerade vom Streit und der Kontroverse, vor allem dann, wenn es um Kernfragen des gesellschaftlichen Selbstverständnisses geht: Was ist eine möglicherweise missliebige, aber im Kern demokratische und damit legitime Auffassung – und wo ist die rote Linie demokratischer Prinzipien überschritten? Nicht über, sondern mit der AfD reden, heißt nicht wie die AfD zu reden.
Das bedeutet aber auch, nicht jede Position der AfD per se als rechtsextremistisch zurückzuweisen, bloß um nicht dem möglichen Vorwurf der „AfD-Nähe“ ausgesetzt zu sein. Dies wäre nicht nur einer Demokratie unwürdig, sondern vor allem unglaubwürdig, praktiziert man doch eben jenes Schwarz-Weiß-Denken, das Extremisten zu Recht vorgeworfen wird. Der AfD gelingt es, die gesellschaftlichen Herausforderungen durch Migration und „Ausländerkriminalität“ zu instrumentalisieren – indem sie pauschalisiert, diffamiert, dramatisiert. Deswegen dürfen jedoch nicht die tatsächlichen Probleme im Kontext von Zuwanderung ignoriert werden, ebenso wenig die damit verbundenen Sorgen und Ängste der Bevölkerung – die tatsächlich weit über die Wählerschaft der AfD hinaus reichen und nicht durchweg als rechtsextrem gelten können. Wenn Konfliktpotenzial und Handlungsbedarf existiert, braucht es demokratische Kräfte, die nach verfassungskonformen Lösungen suchen und nicht aus Opportunismus handeln, nach dem Motto: Was nutzt mir das Thema?
Zugegeben: Die Gratwanderung zu meistern, einerseits nicht in einen pauschalen Abwehrreflex gegenüber der AfD zu verfallen und sich andererseits dennoch deutlich vom Rechtsextremismus abzugrenzen, mag in der Praxis nicht leichtfallen. Aber sie kann gelingen. Wer offen gesellschaftliche Missstände aufzeigt und zugleich seriös verdeutlicht, welche Lösungswege machbar sind, ohne die Grundregeln der Demokratie und des Anstands in Frage zu stellen, wird vielleicht nicht beim harten rechtsextremistischen Kern der AfD, wohl aber bei einem großen Teil der gegenwärtigen Protestwähler Zustimmung erfahren. Um der Partei argumentativ entgegentreten, ihre Widersprüchlichkeit aufdecken und ihre antidemokratischen Grenzverletzungen offenlegen zu können, sind zwei Dinge dafür die Voraussetzung: Zum einen darf die Auseinandersetzung um politische Reizthemen wie Migration nicht den Spielregeln der digitalen Öffentlichkeit folgen und zu einem Überbietungswettbewerb plakativer Lösungen werden. Zum anderen muss eine offene Debatte z. B. zur Frage der Regulierung von Zuwanderung möglich sein, ohne deswegen als AfD-light diskreditiert zu werden. Nicht die eigene Weltsicht oder Klientel, schon gar nicht strategische Erwägungen sollten den Umgang mit der AfD leiten, sondern allein die Festigung unserer demokratischen politischen Kultur. Das gilt für Politik, Medien und Öffentlichkeit gleichermaßen, für verschiedene gesellschaftliche Milieus genauso wie für jede Einzelne und jeden Einzelnen.