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Strukturelle Erfolgsbedingungen rechtspopulistischer Strategie

Nils C. Kumkar

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Indem es rechtspopulistischen Parteien gelungen ist, grundlegende Probleme gegenwärtiger Demokratien für sich nutzbar zu machen, konnten sie sich als fester Bestandteil des Parteiensystems etablieren.

197. Bundestagssitzung im Deutschen Bundestag: Leere Stühle auf der Regierungsbank. (© picture-alliance, dts-Agentur)

Rechtspopulistische Parteien konnten sich in den vergangenen Dekaden in zahlreichen Ländern als fester Bestandteil des Parteiensystems, in einigen auch als Regierungsparteien oder zumindest als dauerhafte, ernsthafte Wettbewerber um die Regierung etablieren. Dieser Erfolg in ganz unterschiedlichen politischen Situationen und Parteienlandschaften deutet darauf hin, dass es diesen Parteien gelungen ist, grundlegende Probleme gegenwärtiger, moderner Demokratien für sich nutzbar zu machen.

Am Beispiel der Alternative für Deutschland (AfD) in Deutschland lässt sich zeigen, dass die im öffentlichen Diskurs oft vorgebrachte Idee eines „gesellschaftlichen Rechtsrucks“ als Erklärung für den Aufstieg der Partei nur bedingt erklärungskräftig ist. Rechtsextreme Einstellungen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit haben über die vergangenen Dekaden nicht zu-, sondern eher abgenommen. Somit ist es unplausibel, den Erfolg dieser Parteien aus einer solchen Verschiebung zu erklären. Auch scheint es, als würde das sozio-demographische Profil der AfD-Wähler:innen im Zeitverlauf eher unspezifischer werden: Waren es zu Beginn eher ältere Wähler aus der unteren Mittelschicht, die AfD wählten, so greift das Potential inzwischen auch merklich in jüngere Alterskohorten und andere Einkommensgruppen aus. In drei Dimensionen unterscheiden sich die Wähler:innen der AfD allerdings markant von den Wähler:innen aller anderen Parteien: Erstens geben sie in Umfragen an, unzufriedener mit der Demokratie zu sein; zweitens vertreten sie in migrationspolitischen Fragen durchweg eine ablehnendere Position und drittens bekunden sie eine starke Abneigung vor allem gegenüber den Grünen, aber auch gegenüber den meisten anderen Parteien. Die Wähler:innen aller anderen Parteien wiederum erwidern diese Abneigung ihrerseits. Vor allem die Unzufriedenheit mit der Demokratie und die Abneigung gegenüber den anderen Parteien sind von Bedeutung, um zu verstehen, wie die rechtspopulistische Strategie in die Parteienlandschaft hineinwirkt.

Strategie des Rechtspopulismus

Die wohl am weitesten verbreitete Definition des Populismus fasst diesen als eine „dünne Ideologie“, die von verschiedenen politischen Inhalten befüllt werden kann, solange diese sich in das konstitutive Schema aus (korrupter) Elite und (gutem) Volk einfügen lassen. Rechtspopulismus als Strategie zu fassen, bedeutet nicht, dieser Definition zu widersprechen, sondern setzt vor allem einen Akzent: Es soll erhellen, wie rechtspopulistische Parteien sich gerade dadurch im politischen System etablieren können, dass sie dieses Schema als Polarisierungstreiber praktisch anwenden.

In einem gerade in jüngster Vergangenheit wieder verstärkt beachteten Vortrag präsentierte der rechtslibertäre Ökonom Murray Rothbard 1992 eine Skizze dieser Strategie: Es gehe im Kern darum, die Menschen gegen den Staat aufzubringen, indem man ihnen einerseits immer wieder vorführt, wo dieser seinen Aufgaben nicht gerecht werde und andererseits betont, wo er die ‚einfachen Leute‘ gängele und in ihrer Entfaltung behindere. Aufschlussreicherweise sind dabei die inhaltlichen Schwerpunkte (bei Rothbard: Steuer- und Sozialstaatskritik; repressive innere Sicherheit; kulturkonservative Förderung von traditionellen Familienbildern) in erster Linie Mittel zum Zweck der Staatsdelegitimierung als Elitendelegitimierung. Es gibt starke Anzeichen, dass diese Strategie im Falle der AfD aufgeht: Die allgemeine Unzufriedenheit, die AfD Wähler:innen in Umfragen bekunden, scheint zumindest in Teilen nicht nur ein Faktor in der Wahlentscheidung zu sein, sondern diese Wahlentscheidung selbst wirkt verstärkend auf eben diese Unzufriedenheit zurück.

Rechtspopulistische Akteure – gekommen, um zu bleiben

Aus dieser Perspektive ist plausibel, dass ein solcher Wettbewerber im Parteiensystem, wenn er sich erst einmal etabliert hat, seine Position auch behaupten und zu der eines dauerhaften Anwärters auf politische Macht ausbauen kann, der durch seine Präsenz das politische Feld maßgeblich mitprägt und dadurch umstrukturiert: Durch die, kollaborativ auch durch die anderen Parteien validierte, Performance als Fundamentalopposition nicht nur gegen die anderen Parteien, sondern eben auch gegen das gesamte Parteiensystem („die Zwangsjacke der erstarrten und verbrauchten Altparteien“, wie es der inzwischen geschasste Parteigründer Bernd Lucke in seiner Rede auf dem Gründungsparteitag der AfD formulierte), dockt sie an grundlegende Probleme des modernen politischen Systems an. Denn gerade wo die Parteien – aus vielfältigen Gründen – zunehmend mit Schwierigkeiten konfrontiert sind, ihre Programme als Umsetzung der Interessen ihrer Wähler:innenschaft zu legitimieren, sind sie für die Inklusion ihres Publikums zunehmend auf Konflikt untereinander und mit den rechtspopulistischen Herausforderern angewiesen: Dort, wo programmatisch keine Mehrheiten zu gewinnen sind, können sie dann zumindest noch mit dem Versprechen mobilisiert werden, die anderen zu verhindern.

Wo die ideologischen Differenzen zwischen Parteien als besonders stark wahrgenommen werden, ist dies erkennbar mit einer höheren Wahlbeteiligung verbunden. Entsprechend führte die Etablierung rechtspopulistischer Contender (dt. Anwärter) in den USA und Deutschland dazu, dass die Wahlbeteiligungen sichtlich höher ausgefallen sind. In einem Mehrparteiensystem wie dem der Bundesrepublik wirkt das allerdings auf die anderen Parteien zurück: Je klarer die geteilte Abgrenzung von der jeweiligen Fundamentalopposition ausfällt, umso weniger markant scheint die Abgrenzung der anderen Parteien voneinander. Der AfD ist es so gelungen, sich als Partei all derer attraktiv zu machen, die ihre grundlegende Ablehnung nicht nur einer konkreten Regierungspolitik, sondern gegenüber der zu erwartenden Regierungspolitik an sich zum Ausdruck bringen wollen. Die Verschiebungen im Parteiensystem durch die Etablierung der AfD verstärken diesen Prozess noch, indem sie Koalitionen über Grenzen der klassischen parlamentarischen Lager – d.h. (rot)-rot-grün und schwarz-gelb – hinweg geradezu erzwingen.

Auch deshalb ist es kurz- und mittelfristig unwahrscheinlich, dass die rechtspopulistischen Parteien aus dem gegenwärtigen Parteiensystem wieder verschwinden, weil sie nicht nur die Artikulation von Unmut über die Politik insgesamt in Mobilisierung umlenken können, sondern weil diese Mobilisierung darüber hinaus genau diesen Unmut verstärken dürfte. Auch Versuche, durch programmatisches Zugehen auf diese Parteien deren Wähler:innenbasis zu schmälern, dürften höchstens begrenzte Erfolge zeitigen. Denn das grundlegende Misstrauen, das sie selbst mit anheizen, dürfte sich zumindest in gewissem Ausmaße auch aus der gegenwärtigen Struktur des politischen Systems selbst speisen und kann deswegen eben nicht nur als Unzufriedenheit mit bestimmten politischen Maßnahmen gefasst werden. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass rechtspopulistische Parteien zumindest größere Mobilisierungsschwierigkeiten haben, wenn die zentralen Konfliktachsen der politischen Debatte sich vom Thema Migration, das am stärksten mit ihrem politischen Markenkern verbunden ist, wegverlagern. Theoretisch erwartbar wäre überdies, dass die Etablierung von anderen Parteien, die glaubhaft die Position einer Fundamentalopposition vertreten können, die rechtspopulistische Strategie ebenfalls vor große Schwierigkeiten stellen würde. Der Versuch einer Neuetablierung eines solchen Akteurs – wie auch immer man ihn normativ beurteilen will – kann einerseits, wie an den frühen Achtungserfolgen des BSW bei den Landtagswahlen 2024 in Thüringen, Brandenburg und Sachsen abzulesen ist, durchaus auf eine Nachfrage von Seiten des Publikums setzen. Wie an den direkt daran anschließenden Konflikten um die Regierungsbeteiligung des BSW und dessen daraufhin absackenden Umfragewerten aber ebenfalls deutlich werden sollte, wird ein solches Unterfangen dadurch verkompliziert, dass ihm (bisher) die Aura der internationalen Bewegung, die auch über Rückschläge hinweg tragen könnte, fehlt. Darüber hinaus könnte es sich auch als Problem erweisen, dass neben der AfD als bereits etablierter Anti-Volkspartei der Platz für Fundamentalopposition relativ schmal geworden ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Verschiedentlich wird kritisiert, dass „Rechtspopulismus“ als Sammelbezeichnung verharmlosend wirkt, weil sie die in Teilen klar rechtsextremen Tendenzen dieser Parteien verdecke (z.B. Wilhelm Heitmeyer, „Warum der Begriff Rechtspopulismus verharmlosend ist“, Der Spiegel, 24. August 2019, Externer Link: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wilhelm-heitmeyer-warum-der-begriff-rechtspopulismus-verharmlosend-ist-a-1283003.html.) In der Folge wird dieser Begriff dennoch verwendet, um Parteien zu bezeichnen, die Rechtspopulismus als Strategie verfolgen – auch wenn sie ideologisch durchaus rechtsextrem sein mögen.

  2. Floris Biskamp, „A societal shift to the right or the political mobilisation of a shrinking minority? Explaining rise and radicalisation of the AfD in Germany“, International Journal of Public Policy 17, Nr. 3 (2024): 139–65, Externer Link: https://doi.org/10.1504/IJPP.2024.138373.

  3. Frank Decker, „Wahlergebnisse und Wählerschaft der AfD“, Bundeszentrale für politische Bildung, 2. Dezember 2022, Interner Link: https://www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/afd/273131/wahlergebnisse-und-waehlerschaft-der-afd/#node-content-title-1.

  4. Michael A. Hansen und Jonathan Olsen, „Flesh of the Same Flesh: A Study of Voters for the Alternative for Germany (AfD) in the 2017 Federal Election“, German Politics 28, Nr. 1 (2019): 1–19, Externer Link: https://doi.org/10.1080/09644008.2018.1509312.

  5. Jochen Roose, „Eine Tief Abgespaltene Minderheit: Polarisierungstendenzen in Deutschland“, Forschungsjournal Soziale Bewegungen 35, Nr. 2 (2022): 298–316, Externer Link: https://doi.org/10.1515/fjsb-2022-0021; Ansgar Hudde, „Partisan Affect in Times of Fractionalization: Visualizing Who Likes Whom in Germany, 1977 to 2020“, Socius 8 (1. Januar 2022): 23780231221132366, Externer Link: https://doi.org/10.1177/23780231221132366.

  6. Cas Mudde, „The Populist Zeitgeist“, Government and Opposition 39, Nr. 4 (2004): 542–63, Externer Link: https://doi.org/10.1111/j.1477-7053.2004.00135.x.

  7. David Bebnowski, „Murray Rothbard’s Populist Blueprint: Paleo-Libertarianism and the Ascent of the Political Right“, Journal of the Austrian Association of American Studies 6(1) (2024): 35–53.

  8. Murray N. Rothbard, „Right-wing-populism: A strategy for the paleo movement.“, Rothbard Rockwell Report, 1992.

  9. Maja Adena und Steffen Huck, „Support for a Right-Wing Populist Party and Subjective Well-Being: Experimental and Survey Evidence from Germany“, PLOS ONE 19, Nr. 6 (2024): e0303133, Externer Link: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0303133. Auch in qualitativen Untersuchungen zur Rhetorik der AfD zeigt sich, dass deren Clou nicht zuletzt darin besteht, die Zuhörer:innen erst einmal klein und ohnmächtig zu machen, bevor man ihnen Stärke und Größe anbieten kann. Vgl. Lohl, Jan. "» Hass gegen das eigene Volk «. Tiefenhermeneutische Analysen rechtspopulistischer Propaganda." Psychologie und Gesellschaftskritik 41.3/4 (2017): 9-40.

  10. Für die Gelegenheitsstruktur, die im Falle der AfD diese Etablierung ermöglicht haben dürfte, vgl. Biskamp, „A societal shift to the right or the political mobilisation of a shrinking minority?“

  11. Theoretisch weiter ausgebaut finden sich die folgenden Überlegungen in Nils C. Kumkar, „Das Böse dahinter: Verschwörungstheorie, Populismus und die Kommunikation affektiver Polarisierung“, Zeitschrift für theoretische Soziologie 1/2024 (2024): 114–40.

  12. #1 Prof. Dr. Bernd Lucke, Grundsatzrede, AfD, Gründungsparteitag am 14.04.´13 in Berlin, 2013, Externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=jtmcecWO82g; vgl. Nils C. Kumkar, „‚...als ob man von Bratenduft satt werden könnte‘ - Der Diskurs der AfD am Beispiel der Gründungsparteitagsrede von Bernd Lucke“, in Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus, hg. von Oliver Decker, Johannes Kiess, und Elmar Brähler (Gießen: Psychosozial-Verlag, 2015), 127–50.

  13. Drei zentrale Faktoren sind u.a. die Explosion der Vielstimmigkeit und die immer engere Taktung von Politisierungszyklen, die es zunehmend schwierig machen, integrierende Programme zu formulieren; die zunehmende Komplexität politischer institutioneller Arrangements und ihre Verrechtlichung; die immer höheren kognitiven Ansprüche, die für die kompetente Teilnahme am politischen Diskurs geltend gemacht werden. Veith Selk, Demokratiedämmerung: Eine Kritik der Demokratietheorie (Berlin: Suhrkamp, 2023), 31–65; vgl. auch Philip Manow, Unter Beobachtung: die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde (Berlin: Suhrkamp, 2024), Alexander Bogner, Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet: (Ditzingen: Reclam Verlag, 2021).

  14. Russell J. Dalton, „The Quantity and the Quality of Party Systems: Party System Polarization, Its Measurement, and Its Consequences“, Comparative Political Studies 41, Nr. 7 (2008): 899–920, Externer Link: https://doi.org/10.1177/0010414008315860.

  15. Take Sipma und Carl C. Berning, „Economic conditions and populist radical right voting: The role of issue salience“, Electoral Studies 74 (1. Dezember 2021): 102416, Externer Link: https://doi.org/10.1016/j.electstud.2021.102416; James Dennison, „How Issue Salience Explains the Rise of the Populist Right in Western Europe“, International Journal of Public Opinion Research 32, Nr. 3 (2020): 397–420, Externer Link: https://doi.org/10.1093/ijpor/edz022.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Nils C. Kumkar für bpb.de

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Weitere Inhalte

Dr. Nils C. Kumkar ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Seine Forschungsschwerpunkte sind soziale Ungleichheit, neue Medien, Protest und Kritik, sowie insbesondere Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien. Die Ergebnisse seiner Forschung vermittelt er immer wieder auch jenseits des Fachpublikums einer breiten Öffentlichkeit in Presse und Rundfunk. 2022 veröffentlichte er im Berliner Suhrkamp Verlag ein vieldiskutiertes Buch zu „Alternativen Fakten: Zur Praxis der kommunikativen Erkenntnisverweigerung“.