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Wie umgehen mit rechtspopulistischen Akteuren?

Samuel Greef

/ 14 Minuten zu lesen

Lange spielten in Deutschland rechtspopulistische Akteure keine nennenswerte Rolle. Mittlerweile sind auch hier Demokratie und Gesellschaft gefordert, Antworten auf den Umgang mit Rechtspopulismus zu finden.

Bei einem Treffen in Lissabon kamen 2023 Parteivorsitzende der europäischen Rechtsaußenparteien zusammen: von links beginnend Tino Chrupalla (AfD), André Ventura (Chega, Portugal) und Marine Le Pen (Rassemblement National, Frankreich) (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Paulo Spranger/Global Imagens/At)

Die Gesellschaft ringt seit einiger Zeit um den richtigen Umgang mit „rechten Akteuren“, unter denen im Folgenden rechtspopulistische Akteure sowie die radikale und extreme Rechte zusammengefasst werden. Das gilt für die unterschiedlichen Ebenen – politisch, gesellschaftlich und medial – genauso wie individuell. Zugleich zeigt sich, dass keine einheitlichen Strategien existieren, sondern der Umgang nicht nur nach Kontext, sondern auch beteiligten Akteuren variiert. Zudem können mit unterschiedlichen Reaktionsformen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken einhergehen.

Zunächst wird daher anhand von drei grundsätzlichen Umgangsformen – Ignorieren, Auseinandersetzen und Konfrontieren – aufgezeigt, dass diese zu ambivalenten Ergebnisse führen können. Im Anschluss werden ausgewählte konkrete Gegenstrategien betrachtet.

Diese drei Umgangsformen können potenziell sowohl nutzen als auch schaden und prinzipiell auf der politischen sowie auf der gesellschaftlichen und medialen Ebene angewandt werden.

1. Ignorieren

Ignorieren kann, sofern es nicht aus Desinteresse erfolgt, sondern bewusst eingesetzt wird, eine Form des strategischen Umgangs sein. Unter bestimmten Umständen ist es sinnvoll, nicht über jedes von rechten Akteuren hingehaltene „Stöckchen“ – wie etwa gezielte Provokationen und Skandalisierungen, um Diskussionen auf ein bestimmtes Thema umzulenken – zu springen. So verwehrt man ihnen die eingeforderte Aufmerksamkeit.

In anderen Kontexten kann Ignorieren aber auch als stillschweigende Zustimmung interpretiert werden, wenn etwa eine rassistische Äußerung unkommentiert bleibt. Dieser Eindruck kann im Übrigen nicht nur bei dem ignorierten Akteur entstehen, sondern auch bei unbeteiligten Dritten. Damit besteht die reale Gefahr einer Verschiebung der Grenzen (des Sagbaren) und damit letztlich einer Normalisierung von (extrem) rechten Positionen und Narrativen.

2. Auseinandersetzen

Eine zweite grundsätzliche Umgangsform besteht darin, sich mit rechtspopulistischen oder rechtsextremen Positionen und Akteuren inhaltlich auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung kann bspw. in einem Dialog mit rechten Akteuren bestehen oder darin, extrem rechte Positionen zu entkräften, Desinformationen belegte Fakten entgegenzustellen oder sich mit Argumenten in einer Debatte zu positionieren.

Zwar bietet man damit diesen Positionen oder Akteuren eine Bühne und Aufmerksamkeit. Zugleich können jedoch Grenzen aufgezeigt, Aufklärung betrieben oder demokratische Werte hervorgehoben werden.

3. Konfrontieren oder ausgrenzen

Noch schärfer verläuft eine solche Grenzziehung durch Konfrontation und Ausgrenzung. Bei dieser Umgangsform wird, etwa aufgrund von rechten Äußerungen oder Handlungen, ein Mitglied aus dem Verein ausgeschlossen oder Mitarbeitenden gekündigt.

Einerseits wird so klar ersichtlich, dass das Überschreiten bestimmter Grenzen mit handfesten Konsequenzen einhergeht, was abschreckend wirken und untermauern kann, dass eigene Werte nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten verteidigt werden. Solche Reaktionen können andererseits dazu führen, den Opfer-Mythos rechtspopulistischer Akteure zu befeuern. Zugleich besteht die Gefahr, für demokratische Ansprache noch offene Personen abzuschrecken, die sich, anstatt ihnen mit Dialog und Auseinandersetzung zu begegnen, durch Ausgrenzung weiter ideologisch verhärten und radikalisieren könnten.

Diese grundlegenden Ambivalenzen von Chancen und Risiken in den Reaktionsformen spielen auch bei den Umgangsstrategien auf den unterschiedlichen Ebenen eine Rolle.

Politische Ebene

Auf der politischen Ebene – vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen – stehen insbesondere Abgeordnete, Parteien und die Regierung vor der Frage, wie sie auf die Herausforderung von rechts reagieren. Einige der unterschiedlichen Umgangsformen mit rechtspopulistischen Akteuren in Parlamenten und grundsätzlich im politischen Wettbewerb werden im Folgenden dargestellt.

„Brandmauer“

Während in anderen europäischen Ländern rechtspopulistische Parteien mitregieren – mitunter, weil Koalitionspartner darauf hoffen, diese mit politischer Verantwortung einhegen zu können – wurde in Deutschland auf Landes- und Bundesebene lange die sogenannte „Brandmauer“ gegenüber der Interner Link: Alternative für Deutschland (AfD) als Strategie verfolgt. Dies bedeutete nicht nur, dass keine Regierungskoalition unter Beteiligung der AfD gebildet wurde. Es wurde auch nicht für Anträge der AfD gestimmt, Mehrheiten für eigene Positionen wurden unter Ausschluss der Partei gesucht und man ließ sich nicht mit ihren Stimmen in Ämter wählen. Als Thomas Kemmerich (FDP) 2020 mit AfD-Stimmen zum Thüringischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, führte dies zu einem bundesweiten Eklat und zu seinem Rücktritt nach nur 25 Stunden im Amt (Decker 2020).

An dieser Strategie der "Brandmauer" wird mittlerweile nicht mehr bedingungslos festgehalten. Dies äußert sich beispielsweise in der bereits auf kommunaler Ebene vorzufindenden Zusammenarbeit, wie eine Studie zu ostdeutschen Kommunen zeigt (Hummel/ Taschke 2023). In einer Umfrage unter CDU-Mitgliedern antworteten 45 Prozent auf die Aussage „Die CDU sollte auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen“ mit „Nein, sie sollte zumindest in den ostdeutschen Ländern und Kommunen von Fall zu Fall mit der AfD zusammenarbeiten“ (Der Spiegel 2024). Insofern scheint es durchaus offen, wie sich einzelne Parteien und Politiker:innen nach den Landtagswahlen in Interner Link: Sachsen, Interner Link: Thüringen und Externer Link: Brandenburg verhalten werden.

Allerdings gibt es auch Stimmen, die eine "Brandmauer" im Sinne einer kategorischen Ablehnung jedweder Zusammenarbeit kritisch sehen. Etwa, weil man damit „einen Teil des demokratisch gewählten Parlaments von der politischen Mitgestaltung aus[schließt]“ oder auf die Durchsetzung der Interessen der eigenen Wähler:innen verzichtet, wenn die dafür erforderliche parlamentarische Mehrheit nur mit Stimmen der AfD zu erreichen wäre (Stecker zitiert nach Schmid 2024).

„Entzauberung“

Ein programmatisches Nachahmen anderer Parteien hat sich als Strategie nicht bewährt. Wähler:innen bleiben nicht nur eher beim authentischen „Original“, vielmehr verleiht die Übernahme rechter Positionen deren Ideologie den Anschein der Normalität. Ebenso ist ungewiss, ob sich rechtspopulistische Parteien selbst entlarven oder entzaubern, sobald sie an die Macht kommen und in politischer Verantwortung stehen. Denn selbst wenn dies langfristig der Fall sein sollte, etwa weil sie keine tragfähigen Konzepte und Lösungen für die Herausforderungen dieser Zeit anzubieten haben, können sie bis dahin erhebliches Unheil anrichten. Etwa durch Aktivitäten, die schleichend Rechtsstaat und Demokratie aushöhlen könnten. Dass unsere Institutionen an einigen Stellen vor solchen Gefahren nicht sonderlich gut geschützt sind, zeigt die Diskussion um mehr Schutz für das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Zentrale Regelungen wie die Wahl von Richter:innen mit Zweidrittelmehrheit sollen demnach nicht mehr in dem mit einfacher Mehrheit zu ändernden Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) festgehalten, sondern in das nur mit Zweidrittelmehrheit veränderbare Grundgesetz (GG) aufgenommen werden (Bräutigam/ Nordhardt 2024). Solche Herausforderungen stellen sich aber nicht nur auf Bundesebene. Bezogen auf verfassungsrechtliche und gesetzliche Einfallstore auf Länderebene zeigen Beck et al. (2024: 11f.) gleichwohl auch die Ambivalenz dieses Umgangs (bei einer erstarkenden AfD) auf: Mit Blick auf das thüringische Verfassungsgericht weisen sie auf die Gefahr hin, dass Richter:innen nicht nachgewählt werden können, wenn die AfD über mehr als ein Drittel der Sitze im Landesparlament und damit über eine Sperrminorität bei Abstimmungen verfügt, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern.

Verbotsverfahren

Zuletzt wurden die Mittel der sogenannten wehrhaften Demokratie öffentlichkeitswirksam diskutiert. Hierbei ging es um den strategischen Umgang mit der in einigen Bundesländern als gesichert rechtsextrem oder als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften AfD (inklusive ihrer Jugendorganisation Junge Alternative). Nach Externer Link: Art. 21 Abs. 2 GG können Parteien, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“ verboten oder zumindest von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden.

Die Hürden für ein solches Verbot sind, auch nach der Rechtsprechung des Externer Link: BVerfG zum 2017 gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD, hoch. Es kann zurzeit nicht sicher davon ausgegangen werden, dass ein solches, mehrjähriges Verfahren gegen die AfD erfolgreich wäre. Nicht nur ein Scheitern könnte die Position der Partei weiter stärken, sondern bereits das Verfahren selbst zur Solidarisierung und einem Opfer-Mythos beitragen. Ein Verbot könnte Personen in den Untergrund drängen und deren Radikalisierung begünstigen oder alternative Organisationsstrukturen entstehen lassen. Auf der anderen Seite würden durch ein Verbot erhebliche Ressourcen durch Parteienfinanzierung, Mitarbeiter:innenstellen sowie Netzwerke und Spenden zugunsten der Partei wegfallen.

Unabhängig von diesen Abwägungen wird aber auch argumentiert, dass eine Demokratie eine Partei wie die AfD aushalten könne und diese inhaltlich „gestellt“ werden müsse. Zudem seien demokratietheoretische Implikation zu berücksichtigen. So sieht Wolfgang Merkel (2024: 21) es als demokratietheoretisch nicht unproblematisch an, einem großen Teil „des Elektorats die gewählte Repräsentanz zu nehmen“. Nicht nur würden durch ein Verbot diese Menschen in ihren Wahlpräferenzen, die zugleich eine Repräsentationsschwäche im Parteiensystem offenbart, eingeschränkt. Ebenso wären die anderen Parteien weniger veranlasst, sich responsiver auch mit den Sorgen und Nöten derjenigen auseinanderzusetzen, die nicht zu ihrem Wählerklientel gehören.

Zugleich läuft die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz auf Bundes- und Länderebene weiter, sodass die Frage eines Verbotsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend geklärt werden muss. Darüber hinaus sind rechtspopulistische Parteien in ein Interner Link: Netzwerk aus unterschiedlichen rechten Gruppierungen und Akteuren eingebunden. Da über diese Netzwerke ein Austausch von Personal, Geldflüssen, Wahlwerbung und mediale Unterstützung organisiert wird, müssten für einen strategischen Umgang auch diese in den Blick genommen werden. In diesem Sinne ist das jüngste Verbot der rechtsextremen Vereinigung COMPACT-Magazin GmbH durch das Innenministerium durchaus als eine (indirekte) Form des Umgangs mit rechtspopulistischen Parteien zu deuten – wenngleich die gerichtliche Bewertung der Verhältnismäßigkeit eines Verbots in Abwägung zur Meinungs- und Pressefreiheit noch aussteht.

Aber auch jenseits dieser rechtlichen Einordnung wird das Verbot ambivalent bewertet. Zwar stehen der wehrhaften Demokratie rechtsstaatliche Mittel im Kampf gegen Verfassungsfeinde zur Verfügung, die nur dann wirken können, wenn sie auch eingesetzt werden oder ihr Einsatz zumindest in Erwägung gezogen wird. Allerdings spielt ein Verbot nicht nur der Opfererzählung der Rechten, „eine subversive Kraft zu sein, die vom Staat unterdrückt werden muss“, in die Hände, sondern kann mit Blick auf z. B. die COMPACT-Magazin GmbH als Werbung für das Magazin und Verharmlosung seiner Inhalte wirken, sollte das Verbot vom BVerwG kassiert werden sollte (Joswig/ Reinecke 2024).

Beispiele Umgang im Bundestag und in Landesparlamenten

Alterspräsident Bereits 2017 wurde die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages angepasst, sodass nicht mehr das lebensälteste, sondern das dienstälteste Mitglied des Bundestages als Alterspräsident die konstituierende Sitzung eröffnet (Deutscher Bundestag 2017). Diese Ehre wäre andernfalls wahrscheinlich einem Abgeordneten der AfD zugefallen. Auf der Landesebene stellte die AfD allerdings in sechs Parlamenten den Alterspräsidenten und eröffnete die konstituierende Sitzung.

Vorsitz in Ausschüssen sowie Bundes- und Landtagsvizepräsidenten Kandidat:innen der Partei fielen auch wiederholt bei den Wahlen zum Vorsitz in Bundesausschüssen und (nicht in allen Fällen) bei Landtagsausschüssen sowie als Bundes- und Landtagsvizepräsidenten durch – auch wenn der Partei diese formal zustehen. Aus diesem Grund reichte die AfD eine Klage vor dem Verfassungsgericht ein, Externer Link: die allerdings scheiterte (Kirsch 2024).

Stiftungsfinanzierungsgesetz Ende 2023 verabschiedete der Bundestag ein lange gefordertes Stiftungsfinanzierungsgesetz (StiftFinG), das die bisherige verfassungsrechtlich uneindeutige Finanzierung der parteinahen Stiftungen regelt. Das Gesetz legt nicht nur fest, dass die der politischen Stiftung nahestehende Partei mindestens in drei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten sein muss. Auch muss sich die Stiftung aktiv für Völkerverständigung und die freiheitlich demokratische Grundordnung (FDGO) einsetzen (Deutscher Bundestag 2023). Infolge des Gesetzes hat die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) keinen Anspruch auf eine jährliche Finanzierung in Millionenhöhe.

Verwirkung der Grundrechte Noch weitergehender sind die Diskussionen über die Notwendigkeit und Chancen eines Verbotsverfahrens gegen die Partei sowie über die Möglichkeit zur Externer Link: Aberkennung des passiven Wahlrechts für ausgewiesene Rechtsextremisten in ihren Reihen – hierbei wird zuvorderst der Blick auf Björn Höcke gerichtet.

Fußnoten

  1. Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Thüringen.

Als zentrale Strategie auf politischer Ebene bleibt aber, gute Politik zu machen und diese adäquat zu kommunizieren, dabei auch hinter den Erfolg rechtspopulistischer Parteien zu schauen und bessere Antworten auf die Herausforderungen dieser Zeit zu finden. Kurzum: Die Sorgen und Nöte in der Bevölkerung ernst nehmen und gesellschaftlich relevante Probleme lösen. Thematische Leerstellen im politischen Raum sollten geschlossen werden, um zu verhindern, dass Wähler:innen sich nicht mehr repräsentiert fühlen oder den Eindruck haben, in der Politik würden bestimmte Themen nicht hinreichend angegangen bzw. verschwiegen – und in der Folge eher dazu tendieren, am rechten Rand zu wählen.

Dies kann auch zu einer wichtigen Strategie gegen Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien beitragen: Die „stille Reserve“ der demokratischen Kräfte unter den Nichtwähler:innen und Politikverdrossene davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, für eine gerechte, pluralistische und demokratische Gesellschaft wählen zu gehen.

Gesellschaftliche Ebene

Wenn von Zivilgesellschaft gesprochen wird, denkt man in der Regel an den von ehrenamtlichem Engagement, Gemeinwohlorientierung und Demokratieförderung geprägten, in vielfältigen Vereinen und Verbänden organisierten Teil. Allerdings gehören auch (an rechtspopulistische Parteien anschlussfähige) Bewegungen wie PEGIDA oder Querdenken sowie rechtsradikale Vereine zur Zivilgesellschaft (Rüttgers 2018).

Das schafft unterschiedliche Herausforderungen: Wie umgehen mit eigenen Mitgliedern, die mit rechtsextremer Gesinnung in Erscheinung treten? Wie umgehen mit Anfeindungen und Angriffe von außen, weil man sich für ein demokratisches Miteinander oder antirassistisch engagiert? Was tun bei parlamentarischen Anfragen aus AfD-Fraktionen, mit dem Ziel die öffentliche Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Projekten infrage zu stellen? In der in Vereinen und Verbänden organisierten Zivilgesellschaft existieren ähnliche Umgangsformen mit den Herausforderungen und Interventionen durch rechte Akteure, auf die im Folgenden eingegangen wird. Laut Schroeder et al. (2020, 2022) finden sich diese Umgangsformen bei allen Unterschieden zwischen Organisationen in den verschiedenen untersuchten Feldern (z.B. Kultur, Religion, Arbeitswelt, Wohlfahrt).

Kommunikative Abgrenzung

Zumeist dominieren inhaltlich-kommunikative Formen des Abgrenzens gegenüber (extrem) rechten Positionen und Akteuren – indem etwa in Stellungnahmen auf Werte der Organisation verwiesen wird (siehe hierzu auch die Beispiele in der Infobox).

Daneben wird in vielen Organisationen eine lebhafte Debatte um den richtigen Umgang mit der AfD geführt, etwa ob zu Veranstaltungen neben den anderen Parteien auch AfD-Vertreter:innen eingeladen werden sollen oder nicht. Wie auch auf den anderen Ebenen existiert hier ein Dilemma zwischen einer dargebotenen Bühne zur Selbstdarstellung oder der Befeuerung eines Opfer-Mythos der Partei. Unabhängig vom konkreten Ergebnis solcher Diskussionen ist es jedoch wichtig, dass diese Debatten offen und breit in der Mitgliedschaft geführt werden. So kann mit den Mitgliedern geklärt werden, für welche Werte die Organisation steht und diese nicht nur in der Satzung festgeschrieben, sondern auch gelebt und verteidigt werden.

Unvereinbarkeitsbeschlüsse

Selten findet sich dagegen eine strukturell-organisatorische Strategie, etwa in Form von Unvereinbarkeitsbeschlüssen mit der AfD oder Anpassungen von Satzungen, mit denen rechtssichere Möglichkeiten zum Ausschluss von rechtsextremen Mitgliedern, Ehrenamtlichen oder Funktionären geschaffen werden.

Gleichwohl haben durchaus einige große Vereine und Verbände der organisierten Zivilgesellschaft solche Satzungsänderungen und Vorstandsbeschlüsse erlassen, um auf der Ebene der Mitglieder oder (ehrenamtlich) Engagierten gegen die AfD Stellung zu beziehen. So existieren bspw. beim Verband christlicher Pfadfinder*innen (VCP 2024), beim Schriftsteller:innen-Verband PEN, bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) oder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit der AfD – wer Mitglied in diesen Organisationen sein will, darf nicht gleichzeitig Mitglied der AfD sein. In der IG Metall sind Amt und Mandat unvereinbar – wer für die AfD antritt oder ein Mandat bekleidet, kann kein (Ehren-)Amt in der Gewerkschaft übernehmen (Schroeder et al. 2022: 89f.). Der ambivalente Charakter einer solchen Konfrontationsstrategie wurde bereits oben beschrieben.

Demonstrationen

Zu einer gegen Rassismus und Rechtsextremismus resilienten Zivilgesellschaft tragen auch die landesweiten Protestaktionen in Reaktion auf die Correctiv-Recherche bei, denn sie bestärken laut Bitschnau und Koos „die Gegner:innen der AfD, sich aus der Defensive zu wagen und das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand zu nehmen“ (Bitschnau/Koos 2024: 9). Gleichzeitig weisen sie darauf hin (2024: 1, 8), dass bei den Protesten zwar „die Mitte der Gesellschaft“ zusammenkommt, dabei aber Personen aus einem „Teil der Mitte“ dominieren, die sich „der oberen Mittelschicht zugehörig fühlen, politisch links der Mitte verorten und überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse besitzen.“

Mediale Ebene

Demokratietheoretisch betrachtet sollen Medien im Rahmen der Rundfunk- und Pressefreiheit mit ihrer (kritischen) Berichterstattung einen wichtigen Beitrag zur Meinungs- und politischen Willensbildung leisten – im besten Falle in Form unabhängiger, sachlicher, wahrheitsgemäßer und umfassender Berichterstattung. Zugleich wird ihre Rolle beim Aufstieg rechtspopulistischer Parteien kritisch hinterfragt. Einerseits erzeugen sie Öffentlichkeit und bieten damit rechten Akteuren eine Bühne. Anderseits machen sie sich angreifbar, wenn über bestimmte Themen nicht berichtet wird. Für rechtspopulistische Parteien bietet sich damit die Möglichkeit, etablierte Medien einer vermeintlichen Zensur zu bezichtigen oder sich als Opfer einer gegen sie gerichteten Medienlandschaft (Stichwort: "Systempresse") zu inszenieren. Gleichwohl fragen sich die Medien für einen verantwortungsvollen Umgang nicht nur, wie sie berichten, sondern wägen auch ab, was berichtenswert und öffentlichkeitsrelevant ist und damit einen Nachrichtenwert besitzt. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bleibt es nach Einschätzung von Fischer-Lescano und Restle (2021) grundsätzlich der Autonomie der Sender überlassen, welchen Raum sie rechtspopulistischen Parteien in der Berichterstattung einräumen: Es gibt keinen „Anspruch auf Sendezeit“.

Repräsentation

Zugleich sind Journalist:innen kein Abbild der Gesellschaft, wenn man etwa auf soziale Herkunft, Bildungsstand oder politische Einstellung schaut. Das Gros im Journalismus entstammt „überdurchschnittlich häufig einem akademischen Milieu, neigt politisch leicht nach links und häufiger zu den Grünen“ (Schmidt et al. 2023: 309). Zwar lässt sich aus diesem Befund nicht automatisch ableiten, dass sich dieser Bias in der Berichterstattung nach professionellen, journalistischen Standards – jenseits von Kommentarspalten und Meinungsartikeln – widerspiegelt. Allerdings könnten laut Schultz „Vorlieben und Abneigungen in subtiler Form auch die übrige Berichterstattung beeinflussen, beispielsweise die Auswahl von Themen und Gesprächspartnern“ (2024). Da auch „das Medienvertrauen des Publikums und die Zufriedenheit mit dem Journalismus politisch asymmetrisch ausfallen“, kommt Hoffmann (2023: 9) zu dem Schluss, dass die (Journalist:innen der) etablierten Medien die Perspektivenvielfalt weiter stärken müssen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, dass Menschen, die sich „im professionellen Journalismus nicht mehr repräsentiert“ fühlt, nicht „vermehrt zu ,alternativen Medien‘ abwandern.“

Social Media

Nicht nur aus diesen Gründen, sondern insbesondere auch, weil es ihnen eine ungefilterte Veröffentlichung ihrer Inhalte ermöglicht, setzen rechtspopulistische Parteien ohnehin schon auf eigene alternative Medien und digitale Formate in Social Media. Die AfD verfügt in den sozialen Medien (allen voran Facebook, Instagram, TikTok, Twitter und YouTube) verglichen mit den anderen Parteien häufig über die meisten Anhänger:innen und die größte Reichweite (Hillje 2022: 72ff.). Dabei spielt ihnen die Logik der sozialen Medien mit kurzen Posts und deren Algorithmen in die Hände. Demnach werden emotionalisierende Inhalte bevorzugt, weil diese zu mehr Interaktion und damit längeren Verweilzeiten auf der jeweiligen Plattform führen – passend zu ihren zugespitzten, provokanten, verkürzten und vereinfachten emotionalisierenden Botschaften.

Naheliegend wäre es, dass auch die anderen Parteien und Politiker:innen stärker in sozialen Medien aktiv werden. Ebenfalls werden die Plattformen wiederholt aufgefordert, falsche Aussagen kenntlich zu machen sowie Hass und Hetze zu löschen. Gleichzeitig sind Regulierungsbehörden wie die Bundesnetzagentur (BNetzA) gefordert, bestehende Gesetze wie das Externer Link: Digitale-Dienste-Gesetz durchzusetzen. Wenn es um die Frage geht, wie man in Sozialen Medien Fake News, Desinformation oder extremistischen Inhalten begegnen soll, stellt sich ein grundsätzliches Dilemma: So benötigen private als auch öffentlich-rechtliche Medien einerseits angepasste, insbesondere für die junge Zielgruppe attraktive Formate, die sich an der Social-Media-Logik und den Algorithmen der Plattformen ausrichten, um Verbreitung zu finden; andererseits können insbesondere öffentlich-rechtlichen Medien inhaltliche Entscheidungen nicht nur an Reichweite und Ausspielrate ausrichten, wenn sie ihrem Auftrag umfassender Information und demokratischer Willensbildung nachkommen wollen (Eichler 2022). Darüberhinausgehende konkrete Reformimpulse, etwa für eine stärkere Dialogorientierung, hat die Agora Digitale Transformation formuliert (Klausa 2024).

Zum Schluss

Es gibt keine Best-Practice-Lösung im Umgang mit rechtspopulistischen Parteien. Strategisches Handeln heißt, kontextbedingt Reaktionsmöglichen abzuwägen, wohlwissend, dass jede Entscheidung mit Vor- und Nachteilen behaftet ist. Klar ist aber auch: Um dem Erstarken rechtsextremer Einstellungen und Aktivitäten wirksam begegnen zu können, ist Engagement auf individueller Ebene – dort, wo jed:er tagtäglich unterwegs und aktiv ist – unverzichtbar. Es gibt keine Mehrheit für antidemokratische, völkisch-nationalistische und autoritäre Positionen in der Gesellschaft. Die Leipziger Autoritarismus-Studie (Decker et al. 2022) und die Mitte-Studie (Zick et al. 2023) belegen, dass die große Mehrheit hinter der demokratischen Grundordnung steht. Dies muss noch viel häufiger angesichts einer radikalen lauten Minderheit deutlich werden.

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Dr. Samuel Greef ist habilitierter Politologie und Informatiker. Er arbeitet als Privatdozent an der Universität Kassel am Lehrstuhl „Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wan-del“.