Wenn wir von den negativen Auswirkungen der “Digitalisierung“ sprechen, wird häufig auch die Angst vor Polarisierung und Radikalisierung thematisiert. In diesem Zusammenhang wird häufig der Begriff “alternative Medien“ diskutiert. Ganz grundsätzlich zeichnen sich alternative Medien durch eine Abweichung (=Alternative) von etwas anderem aus, auf das sie sich beziehen. Sie stellen sich bewusst in den Gegensatz zu einer “herrschenden“ Öffentlichkeit, um vernachlässigte oder unterdrückte Themen, Probleme oder soziale Gruppen der allgemeinen Wahrnehmung zugänglich zu machen. Der Begriff wird jedoch auch benutzt, wenn beispielsweise selbsternannte “ Verteidiger des Abendlandes“ die Medien als “Lügenpresse“ diffamieren, auf Webseiten trollen, somit Meinungsäußerungen stören und Diskussionen im Keim ersticken. Unter dem Sammelbegriff „alternative Medien“ werden daher auch Medien subsumiert, die das Qualitätskriterium der Ausgewogenheit für sich ablehnen und bewusst Nachrichten mit einer bestimmten politischen Stoßrichtung veröffentlichen. Im Englischen wird von“partisan media“ gesprochen. Auch extremistische Gruppierungen nutzen in sozialen Medien eine verzerrte, “alternative“ Darstellung, um ihre Botschaften in den Diskurs einzubringen, mit dem Ziel, Radikalisierungsprozesse anzustoßen.
Rechte Themen in den öffentlichen Diskurs einbringen
Wir beobachten online Veränderungen durch die neue Vielfalt öffentlicher Teilhabe – gerade zu Themen, über die selten gesprochen wird: Hier wandelt sich zum einen der partizipative Journalismus, zum anderen sind auch Blogger/-innen, kommentierende Internetnutzer/-innen oder Webseiten-Betreiber/-innen potenziell Teilnehmer/-innen an öffentlichen Diskursen. Öffentlichkeiten können demnach beispielsweise durch unzählige Diskussionsforen, virtuelle Archive, Mailinglisten, Blogs, Posts in sozialen Medien, Kommentare, Videos oder eigene Webseiten entstehen (ebd.). Rechtspopulistische Parteien und ihre Politik sind in den westlichen Gesellschaften, wenn nicht auf der ganzen Welt, immer erfolgreicher geworden. Beispiele für rechtspopulistische Parteien sind die AfD (Alternative für Deutschland), die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) oder die nationale Sammelbewegung RN in Frankreich (Rassemblement National, hervorgegangen aus dem Front National). Zu den rechtsextremen Gruppen zählen in Deutschland beispielsweise die Identitäre Bewegung oder autonome Nationalisten. Häufig sind es solche rechtspopulistischen Parteien oder sogar rechtsextreme Gruppen, die sich online als Alternative darstellen, und sich vehement gegen die “Leitmedien“ wenden, denen sie eine einseitige und verzerrte Themendarstellung unterstellen und Misstrauen gegen sie schüren wollen.
Rechte, rechtspopulistische und rechtsextreme politische Akteure profitieren von einem Klima der Angst in der Gesellschaft, welches auch durch die Verknüpfung zwischen der jüngsten “Flüchtlingskrise“, Terrorismus und einer angeblichen Verbreitung des Islams in westlichen Gesellschaften hervorgerufen wird. Sie nutzen gezielt die Unsicherheit der Nutzer/-innen, um ihre radikalen Weltanschauungen zu stärken. Vor allem im Internet werden Parolen, Botschaften und Aufrufe verbreitet und so unzensiert einem großen Massenpublikum zugänglich gemacht.
Diese Strategie geht mit Befürchtungen einher, dass sich Menschen in Echokammern gegenseitig ihre Einstellungen verstärken. Die Idee geht zurück auf die Tatsache, dass Menschen tendenziell lieber mit andern Menschen in Beziehung treten, die ihnen bei einer Vielzahl von Merkmalen (z. B. die eigene politische Meinung oder die eigene ethnische Herkunft) ähnlich sind. Während diese Annahme häufig in Studien nicht bestätigt werden kann, zeigt sich, dass Menschen mit bereits vorhandenen extremen politischen Einstellungen häufiger in homogenen Echokammern zu finden sind und sich stärker von anderen Meinungen abwenden . Zudem überschätzen sie die Zustimmung in der breiten Bevölkerung und fühlen sich infolge stärker im Recht . Eine solche Tendenz zeigt sich für Menschen mit gemäßigten politischen Einstellungen nicht. Darin verdeutlicht sich der „Teufelskreis“: Ist jemand bereits politisch extremer, kann sich diese Tendenz in homogenen Netzwerken weiter verfestigen. Ist jemand politisch gemäßigt eingestellt, hat er/sie auch häufiger Kontakt mit heterogenen Perspektiven und Meinungen.
Eine Hinwendung nach rechts spiegelt sich auch in den kommunikativen Bemühungen und Diskursstrategien der populistischen Rechte wider, die versucht, die Grenzen der akzeptablen Sprache in öffentlichen Diskursen hin zu radikaleren Positionen und Sichtweisen zu verschieben und diese somit zu “normalisieren“. Beispielsweise werden NS-Vokabular oder Verschwörungsmythen zum Holocaust benutzt, um diese wieder in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Die Wirksamkeit einer solchen Normalisierungs-Strategie ist daher weniger auf der individuellen Ebene von Menschen zu sehen, die für rechtsradikale Agitation anfällig sind, sondern eher hinsichtlich der Debatte in der Gesellschaft. Sichtbar werden solche Diskurse auch durch die Sprache, die im Internet mit Bezug auf bestimmte Menschengruppen kursiert:
Hassrede (engl. Hate Speech) wird definiert als „der sprachliche Ausdruck von Hass gegen Personen oder Gruppen, insbesondere durch die Verwendung von Ausdrücken, die der Herabsetzung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen dienen“. Schmitt unterscheidet vier verschiedene Gründe, um Hassrede im Internet zu verbreiten. Diese Art der gruppenbezogenen Ausgrenzung und Herabwürdigung wird eingesetzt, 1. um andere auszugrenzen, 2. um andere einzuschüchtern (aufgrund von eigenen Gefühlen wie Wut oder einem Bedrohungserleben), 3. um Macht zu demonstrieren, also Dominanz und Deutungshoheit in einem Diskurs deutlich zu machen und 4. natürlich auch aus Spaß oder Nervenkitzel.
Hate Speech als Strategie, um den gesellschaftlichen Konsens zu brechen
Obwohl die Feststellung nicht neu ist, dass Online-Medien aufgrund von negativen Kommunikationspraktiken wie Trolling (emotionale Provokationen) oder Flaming (unspezifische Beschimpfungen) nicht den allgemeinen Höflichkeitsnormen entsprechen, scheint das Risiko einer Konfrontation mit eher unzivilen Online-Diskursen gerade in den sozialen Medien zuzunehmen.
Ein Fünftel der Facebook-Nutzer/innen (21%) berichten sogar, persönlich mit Hassrede-Material im Internet in Berührung gekommen zu sein. Für Gruppen, die bevorzugt als Ziele von Hassrede ausgewählt werden, wie Mitglieder von stigmatisierten Gruppen (also Politiker/-innen, Aktivist/-innen oder Journalist/-innen), können diese Zahlen wesentlich höher liegen: Im Jahr 2016 gaben beispielsweise 42% der deutschen Journalist/-innen an, persönlich angegriffen worden zu sein. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch mehr als die Hälfte (67%) der Deutschen, die älter als 14 sind, von Erfahrungen mit “Hasskommentaren“ berichten. Zudem berichtet etwa die Hälfte der Jugendlichen zwischen 14 und 19 in Deutschland von Berührungspunkte mit extremistischer Online-Propaganda Bewusst werden sowohl rechts- und linksextremistische sowie religiös-extremistische Inhalte wahrgenommen. Diese Studie zeigt jedoch auch, dass Kontakt mit Extremismus über vielfältige Quellen möglich ist: Neben sozialen Medien berichten Jugendliche auch, über das Fernsehen, Zeitungen/Zeitschriften und Videoplattformen auf extremistische Inhalte gestoßen zu sein. Das direkt soziale Umfeld erscheint weniger bedeutsam.
Online-Hetze kann zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen
Der kürzlich veröffentlichte Bericht der Online Civil Courage Initiative argumentiert, dass Online-Hass zu gesellschaftlicher Polarisierung und extremistischer Radikalisierung beitragen kann. Diesem Zusammenhang liegt zugrunde, dass Radikalisierungs- und Polarisierungsprozesse häufig mit einer fortlaufenden Einstellungsänderung (hin zum Extremen, beispielsweise bei der politischen Einstellung) beginnen. Wie kann nun Online-Hetze solche Prozesse begünstigen? Negative Kommentare unter Nachrichtenbeiträgen können zum Beispiel die journalistische Qualität, Vertrauenswürdigkeit und Überzeugungskraft des Beitrages reduzieren.Darüber hinaus änderten Leser/-innen von Online-Nachrichten häufiger ihre Meinung, wenn Leser/-innen-Kommentare sich gegen die Position des Nachrichtenartikels richteten. Im laufenden Strom von Online-Nachrichten in Newsfeeds ist zudem möglich, dass einzelne Aussagen wahrgenommen, aber nicht weiter hinterfragt werden. So können Hasskommentare die Einstellungen gegenüber den verunglimpften Gruppen verändern und Nutzer/-innen dazu anregen, sich selbst negativer über die angesprochene Gruppe zu äußern. Gleichzeitig können Hasskommentare auch direkt denjenigen schaden, die angegriffen werden:
Hassrede löst bei ihren Opfern negative emotionale Reaktionen aus und fördert Vorurteile und Aggressionen gegenüber der Gruppe, die die Hassrede verbreitet, . Selbst lediglich Zeuge von Hassrede zu sein, kann das soziale Vertrauen in andere Menschen und in die Gesellschaft als Ganzes verringern. Eine politische Polarisierung kann somit damit einhergehen, dass die unterschiedlichen Gruppen sich immer mehr voneinander entfernen, nicht mehr miteinander in Austausch treten und ihre „Wir gegen die“-Mentalität verstärken.
Versuche, Online-Hass entgegenzuwirken, wie durch die Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) , stehen in der Kritik, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verringern. Auch präventive Maßnahmen bringen Probleme mit sich, weil sie selbst die Aufmerksamkeit von Hassrednern auf sich ziehen oder Medienprodukte der (rechten) alternativen Medien durch Empfehlungsalgorithmen direkt mit ihnen verknüpft werden. Es kann jedoch ebenso festgehalten werden, dass viele rechte Gruppen nicht komplett am öffentlichen Diskurs “vorbeileben“. Eine Analyse der Posts auf AfD-nahen Facebook-Seiten zeigte, dass dort häufig alternative Medienquellen benutzt wurden. Zwar wurden zahlreiche kleinere Quellen geteilt, die sich explizit gegen die massenmediale Berichterstattung (und häufig damit verbundene Tendenz zur politischen Mitte) ausrichteten.
Gemessen an ihrer Reichweite waren Quellen, die sich bekanntlich gegen die AfD ausrichteten, unterrepräsentiert, wie beispielsweise Webseiten der Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder die Webseite von bild.de. Hingegen waren drei Quellen, die häufig in der Debatte um alternative Medien erwähnt werden, auffällig häufig vertreten: Die Webseite der rechtskonservativen Wochenschrift Junge Freiheit, die deutsche Ausgabe der kontrovers diskutierten Epoch Times und die Nachrichtenseite des Kopp Verlags, welcher auf das Verlegen von Büchern mit verschwörungstheoretischem Gedankengut spezialisiert ist. Vor allem von Nutzer/-innen-Seite (nicht so sehr hingegen von Parteiangehörigen) wurden solche alternativen Quellen in den Diskurs eingebracht. Inhalte etablierter traditionell-kommerzieller Nachrichten-Webseiten wie Focus.de und Welt.de wurden jedoch über alle Nutzer/-innengruppen hinweg am häufigsten geteilt.
Abschließend kann daher festgehalten werden, dass alternativen Medienquellen das Potenzial zugesprochen wird,
1. einen immer extremer geführten Diskurs und seine häufig rechtspopulistischen Positionen salonfähig zu machen und
2. über thematische Anknüpfungspunkte auch verschwörungstheoretisches Gedankengut oder Fake News in den öffentlichen Diskurs einzubringen.