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Die Radikale Rechte im europäischen Vergleich | Rechtspopulismus | bpb.de

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Die Radikale Rechte im europäischen Vergleich Kernelemente und Unterschiede

Britta Schellenberg Anna Schellenberg

/ 14 Minuten zu lesen

Seit geraumer Zeit verzeichnet die Radikale Rechte in Osteuropa beachtliche Erfolge, nun zieht der Westen nach. Was bedeutet der Einzug der Radikalen Rechten in die Parlamente der Nationalstaaten und der Europäischen Union? Welche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede weisen rechtsradikale Parteien auf? Ein Überblick über die Situation und Entwicklung der Radikalen Rechten in Europa.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) im EU-Parlament in Straßburg, 09.10.2024. (© picture-alliance, Panama Pictures)

Hinweis

Die ursprüngliche Version dieses Textes wurde am 28.10.2018 veröffentlicht und am 14.10.2024 aktualisiert.

Die Radikale Rechte feierte ihre historisch größten Erfolge im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erklärt wird ihr einstiger Erfolg heute mit günstigen Gelegenheitsstrukturen wie gesellschaftlichen Modernisierungs- und Globalisierungsdynamiken, oft auch mit der Entwicklung des Kapitalismus sowie des Nationalismus. Trotz der Niederlage des Interner Link: Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg und dem sukzessiven Verschwinden faschistischer Regierungen in Europa entwickelten sich die alten Gruppierungen in den wachsenden Demokratien neu und Ideologieelemente leben fort. Dabei zeigt sich aktuell, dass die jahrzehntelang aufrecht erhaltene „Brandmauer“, der cordon sanitaire, der radikal rechte Parteien lange politisch isoliert hielt, in vielen Ländern nicht mehr wirksam ist oder zunehmend aufweicht.

Heute sitzen radikal rechte Parteien in Europa in etlichen nationalen Parlamenten. In sieben EU-Ländern (Niederlande, Italien, Finnland, Slowakei, Ungarn, Kroatien und Tschechien) stellen sie die Regierung oder sind Teil einer Regierungskoalition, zudem tolerieren die radikal rechten Schwedendemokraten in Schweden die dortige Regierung (Stand: Oktober 2024). Auch in Umfragen haben radikal rechte Parteien in vielen Ländern zuletzt an Zustimmung gewonnen: In sieben weiteren EU-Ländern sind sie aktuell entweder die stärkste oder zweitstärkste politische Kraft, so in Deutschland, Frankreich, Estland, Lettland, Belgien, Österreich und Polen (Stand: Oktober 2024). Auch bei den Interner Link: Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 konnte die Radikale Rechte zulegen: So stieg ihr Stimmenanteil zwischen 2004 und 2024 von 8,4 Prozent auf 20 Prozent.

Tatsächlich weist der wachsende Erfolg der Radikalen Rechten in Europa Gemeinsamkeiten auf: So verbindet sie ihr gemeinsamer ideologischer Kern und es zeigen sich typische Themensetzungen und ähnliche strategische Weichenstellungen. Auch bei den Wählern in den verschiedenen Ländern können gemeinsame bzw. vergleichbare Affinitäten festgestellt werden. Trotz Gemeinsamkeiten dürfen jedoch die national und regional unterschiedlichen Entwicklungen und Ausdrucksformen nicht aus dem Blick geraten.

Ideologischer Kern

Die Radikale Rechte vertritt eine Ideologie, die durch nativistische bis rassistische, autoritäre wie antiliberale und antidemokratische Haltungen geprägt ist.

Während ihre Kritik gegenüber Vertretern der Demokratie und demokratischen Institutionen laut ist, unterscheidet sich die Wortwahl und Schärfe der Agitation. Nur wenige rechtsradikale Politiker fordern offensiv die Abschaffung demokratischer Institutionen oder gar die Überwindung des demokratischen Systems. Zu beobachten ist jedoch, dass radikal rechte Parteien, wenn sie die Möglichkeit – beispielsweise als Regierungskraft – haben, demokratische Institutionen und Verfahrensweisen schwächen. So haben die Interner Link: PiS-Partei in Polen und die Fidesz in Ungarn die Unabhängigkeit der Justiz geschwächt; in Ungarn zeigt sich zudem eine zunehmende Bedrohung der Unabhängigkeit der Medien. Diese Vorgänge wurden vom Europäischen Gerichtshof und der EU-Kommission vielfach kritisiert und haben u.a. dazu geführt, dass die Auszahlung von EU-Geldern an diese Länder zurückgehalten wurden.

Während die Parteienfamilie in ihrer Agitation und in ihrem Handeln gegen das demokratische System nicht einheitlich auftritt, lassen sich folgende gemeinsame Kernelemente – die in ihrer Tendenz letztlich gegen die liberale Demokratie gerichtet sind – benennen:

Absprache von Rechtmäßigkeit und Abwertung von Politikern, Parteien und Parlamenten

Radikal rechte Parteien präsentieren sich als die „wahre Stimme des Volkes“ und als „Vertreter des einfachen Mannes" gegen eine angeblich „volksfremde”, „abgehobene” „politische Elite“. In den unversöhnlichen Angriffen auf „die etablierte Politik" und dem Verächtlichmachen von Politikern und politischen Parteien zeigt sich, dass anderen Meinungen und einer Diversität an Interessen grundsätzlich feindlich gegenübergestanden wird. Die radikal rechte Vorstellung von „dem Volk“ widerspricht der Grundidee der liberalen und parlamentarischen Demokratie. Diese geht davon aus, dass es unterschiedliche Interessen und Interessengruppen in der Gesellschaft gibt, die in Form von Parteien und anderen Interessenvertretern am Willensbildungsprozess mitwirken. Als Parteien repräsentieren und vertreten sie die jeweiligen Interessen. Schließlich gehört es zu den Aufgaben der Interessens-Vertreter*innen in der Demokratie durch Aushandlungsprozesse zu Lösungen zu finden und Politik (mit)zugestalten. Radikal rechte Bewegungen haben hingegen die Vorstellung, dass es einen Volkskörper gibt, dessen Wünsche, Ängste, Ziele einheitlich sind und daher einfach erkannt und umgesetzt werden könnten. So erklärt es sich auch, dass radikal rechte Parteien in ihren Slogans und Kampagnen anzweifeln, dass „das Volk“ auch wirklich von den regierenden Politikern vertreten wird. In diesem Zusammenhang prangern sie auch bestehende Legitimations- und Demokratiedefizite der supranationalen EU an. Dabei stellen sie Politiker und Parteien – sowie weitere Repräsentanten der demokratischen Gesellschaft, wie z.B. Journalisten und Wissenschaftler – als korrupt oder unglaubwürdig dar und werfen ihnen vor, sie würden für die eigenen persönlichen oder für „fremde“, „volksfeindliche“ Interessen „das Volk ausbeuten und verkaufen“. Die scharfzüngige Konsequenz aus diesem Denkmuster ist dann, dass Politiker als „Volksverräter“ bezeichnet werden und die freien Medien in der Demokratie als „Lügenpresse“.

Nativismus

Eine weitere ideologische Besonderheit der Radikalen Rechten stellt der Nativismus dar. Nativismus behauptet, dass ein Staat ausschließlich aus Mitgliedern einer „einheimischen“ Nation bestehen würde, wobei diejenigen, die von außerhalb der nationalen Grenzen oder der „Volksgemeinschaft“ kommen, als „Fremde“ und als Bedrohung für den eigenen Nationalstaat oder „das Volk“ betrachtet werden. In der Antwort auf die Frage, wer genau als „einheimisch” gilt, unterscheidet sich die Radikale Rechte allerdings. So wandte sich etwa die französische Rassemblement National vor den Europawahlen 2024 von der deutschen AfD ab und gab die gemeinsame Fraktionsarbeit auf, nachdem Anfang 2024 in Deutschland auch von AfD-Größen „Remigrations-”Plänen gegenüber Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft diskutiert wurden, deren Vorfahren einst Einwanderer waren. So unterscheiden sich radikal rechte Parteien in dem Glauben, ob Menschen sich durch eine vermeintliche, über Generationen vererbte Blutsverwandtschaft der „Volksgemeinschaft“ (dis-)qualifizieren – also darin, ob sie rassistisch und völkisch oder ob sie eher mit Vorrechten für Einheimische argumentieren. Sie stimmen hingegen darin überein, dass der Nationalstaat stets als monokulturell verstanden wird und Bürger deckungsgleich sein müssen. Ähnlich des „Volks“-Konzepts ist die „einheimische“ Bevölkerung eine konstruierte Idee. Nicht-Einheimische werden anhand nationalistisch-kulturalistischer Ausgrenzungsmerkmale wie Sprache oder Religion oder (vermeintlicher) Ethnizität identifiziert. Der Schutz eines vermeintlich „monokulturellen“ Nationalstaats vor Einwanderung steht für viele rechtsradikale Parteien im Mittelpunkt.

Feindbildkonstruktion

Über die Anti-Establishment-Agitation gegen Repräsentanten der Demokratie ebenso wie über die Agitation gegen das Fremde werden „Wir-Die“-Gruppen konstruiert und die „Zerstörung der Nation” oder “Die Zerstörung Europas“ durch „(Volks-)Fremde“ beschworen. Bei der Diskussion über gesellschaftliche Probleme werden differenzierte Ursachenanalysen zugunsten einfacher Gut-Böse-Schemata, Schuldzuweisungen und pauschalen Feindbildkonstruktionen ausgeblendet: Die Führungsfigur der Radikal Rechten und die "Wir"-Gruppe sind stets die Guten. „Die Anderen" stellen eine potenzielle Bedrohung für das Gemeinwohl dar, sie gelten als böse, gewalttätig und kriminell. Abwertende, beleidigende Reden über „Andere“ werden stets mit der „Meinungsfreiheit“ verteidigt. Dabei werden jedoch demokratische Meilensteine wie die Bewahrung der „Würde des Menschen“ (Interner Link: Grundgesetz Artikel 1) und gesetzlich verankerte Rechte zur Geleichbehandlung und zum Schutz vor Verleumdung und Diskriminierung ignoriert.

Themensetzung und Dynamiken: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Grob können bei den Radikalen Rechten in Europa weitere gemeinsame Themensetzungen festgestellt werden: Sie sind flüchtlings- und einwanderungsfeindlich, sie sind euroskeptisch und gegen die europäische Integration und sie lehnen etliche aus ihrer Sicht zu weitreichende Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen ab. Zudem vertreten die Parteien zutiefst konservative Familienwerte, und stehen Frauen- und LGBTQ+ Rechten kritisch bis ablehnend gegenüber, wobei es hier bemerkenswerte Ausnahmen gibt, wie weiter unten im Text ausgeführt wird. Ihre wirtschaftspolitischen Positionen sind weniger einheitlich, einige haben eine eher liberale Tradition, andere schließen sich Sozialstaatsforderungen (für ihre Staatsbürger) an. Jedoch zeichnet sich hier ein Trend ab: So fallen auch Parteien, die früher eher wirtschaftsliberale Positionen vertreten haben heute verstärkt durch Forderungen nach staatlicher Steuerung, Mindestlohn, niedrigem Renteneintritt, Protektionismus und anti-globalistischen Einstellungen auf.

Einwanderung und Geflüchtete

Alle rechtsradikalen Parteien vereint ihr Bestreben, Einwanderung zu begrenzen, Integration zu erschweren und liberale Regelungen in diesem Bereich rückgängig zu machen. Die meisten Parteien setzen sich lautstark dafür ein, dass die Migrations- und Asylpolitik eingeschränkt und stärker von den nationalen Regierungen kontrolliert wird. Dafür befürworten sie etwa strenge nationale Grenzkontrollen und die Abschiebung von Geflüchteten in ihre Herkunftsländer. Hier zeigt sich jüngst, dass auch andere politische Parteien heute entsprechende Forderungen haben. Viele radikal rechte Parteien lehnen gemeinschaftliche EU-Regelungen zu diesen Themen sowie internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention ab.

Tatsächlich erwirken einige rechtsradikale Parteien, wenn sie an Regierungen beteiligt sind oder diese dulden, Änderungen im Politikfeld „Migration und Integration“. Dies wurde u.a. sichtbar in Dänemark, wo die Dänische Volkspartei von 2001 bis 2011 und von 2015 bis 2019 verschiedene Minderheitsregierungen unterstützte. In diesem Zeitraum setzte die Dänische Volkspartei durch, dass die Regierung Grenzkontrollen und eine restriktive Gesetzgebung gegen die Eheschließung mit ausländischen Partner*innen einführte – so wurde das Einheiraten von Ausländern deutlich erschwert und die Migrations- und Integrationsgesetzgebung verschärft. Zwei Gesetzgebungen stechen hervor: Zum einen das sogenannte „Schmuck-Gesetz" (2016), das vorsieht, dass die Polizei Vermögen und Schmuck im Wert von über 10.000 Kronen (umgerechnet 1.340 Euro) von Geflüchteten beschlagnahmt. Begründet wird dies damit, dass das Geld für die Finanzierung des Aufenthalts der Geflüchteten eingezogen werde. Zum anderen das sogenannte „Ghetto-Gesetz" (2018), das von der Regierung als „Parallelgesellschaften“ klassifizierte Stadteile bis 2030 identifizieren und beseitigen soll. „Ghettos“ werden dabei u.a. durch den Anteil der „nicht-westlichen“ Bevölkerung, von Einwanderern und ihren Kindern bestimmt (weitere Kriterien: Kriminalitäts-, Arbeitslosigkeits- und Bildungsraten).

Die EU

Für die von einem starken Nationalismus gekennzeichnete Radikale Rechte ist der Multilateralismus der EU ein Dorn im Auge. Deshalb hatten viele Parteien früher einen EU-Austritt gefordert. Allerdings hat sich diese Haltung geändert, seitdem die negativen wirtschaftlichen Folgen des Interner Link: Brexit deutlich wurden. Heute wenden sich die meisten Parteien zwar weiterhin gegen die Europäische Integration und fordern mehr nationalstaatliche Souveränität, jedoch ohne die EU verlassen zu wollen. Einige Parteien wie Die Finnen und die Fratelli d’Italia haben in vielen Feldern dabei sogar unerwartet Zustimmung für den gegenwärtigen Kurs der EU gezeigt. Beispielsweise hat Italien mit Meloni nicht etwa die Aufnahme von Geflüchteten blockiert, sondern darüber hinaus für die Sanktionierung der radikal rechten Sonderwege von Ungarn und Polen in der EU gestimmt. Im Gegensatz dazu sind die polnische PiS und die ungarische Fidesz in ihrer Agitation während ihrer Amtszeit nicht nur euroskeptischer geworden, sie haben zudem konfrontative Beziehungen zur EU entwickelt, etwa in Bezug auf Rechtsstaatlichkeitsfragen und im Falle Ungarns auch durch freundschaftliches Verhältnis zu Putins Russland.

Klima- und Umweltpolitik

Radikal rechte Parteien bilden die schärfste Gegnerschaft zu Klima- und Umweltpolitikmaßnahmen. Dabei bezeichnen sie ökologische Maßnahmen wie den europäischen Interner Link: Green Deal und das Interner Link: Fit-for-55-Gesetzespaket als „elitär”, wirtschaftlich belastend und einschränkend für individuelle Freiheiten. Damit docken sie an Bedenken einiger Unternehmen und an abwehrende Stimmen in der Bevölkerung an. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) etwa behauptet, dass sich die europäische Klimapolitik „gegen unsere Wirtschaft, gegen unsere Freiheit, gegen unseren Wohlstand und letztlich gegen unsere Demokratie“ richten würde. Während die meisten radikal rechten Parteien die Existenz des Klimawandels heutzutage nicht mehr komplett abstreiten, zweifeln sie häufig an dessen menschgemachten Ursachen. Andere argumentieren, dass die Emissionen ihrer relativ kleinen Länder im Vergleich zu großen Emittenten wie China, den USA und Indien unbedeutend seien und deshalb nicht verringert werden müssten. Es gibt nur einzelne Ausnahmen innerhalb der Radikalen Rechten, die von sich aus für ehrgeizige Klimaziele stehen, so die Dänische Volkspartei in Dänemark, einem Land, in dem Klimapolitik vergleichsweise fortgeschritten und anerkannt ist.

Wirtschaft und Sozialpolitik

Die radikale Rechte vertritt keine einheitliche ökonomische Position und greift in vielen europäischen Ländern sowohl auf traditionell rechte als auch linke Positionen zurück. Tendenziell sind die Parteien kritisch gegenüber den globalen Märkten und transnationalen Bündnissen, was auch zu ihrer nationalistischen Weltsicht passt. Aktuell zeichnet sich ab, dass sich immer mehr Parteien von wirtschaftsliberalen Ansichten verabschieden und stärkere staatliche Eingriffe fordern. Dabei treten sie meist für den Erhalt traditioneller, nationaler Wirtschaftssektoren (z.B. Landwirtschaft, Bergbau, Stahlindustrie etc.) ein. Lange eher für osteuropäische Parteien oder die neo-nationalsozialistische deutsche Partei NPD (heute: Interner Link: Die Heimat) typisch, werben gegenwärtig auch westeuropäische radikale Rechte für sozial-nationalistische und Interner Link: autarke (wirtschaftlich von anderen Staaten unabhängige) Volkswirtschaften. „National und sozial" ist heute (wie in den 1920er und 1930er Jahren) ein typischer Slogan der radikalen Rechten europaweit. So nennt sich beispielsweise die FPÖ "soziale Heimatpartei" und verschränkt das Gerede über vermeintliche Souveränitätsverluste Österreichs mit sozialen Schutzversprechen für die Einheimischen. Auch wenn in Westeuropa zahlreiche radikal rechte Parteien eine wirtschaftsliberale Tradition haben – z. B. FPÖ, AfD, die französische Rassemblement National, die Schweizerische Volkspartei oder die norwegische Fortschrittspartei – erhält der Sozialstaat, der traditionell mit linkspolitischem Gedankengut assoziiert wird, heute eine zentrale Bedeutung im Parteiprogramm vieler rechtsradikaler Parteien (nicht so der AfD). So fordert beispielsweise die französische Rassemblement National inzwischen ein niedrigeres Rentenalter, eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie und eine Vermögensteuer. Während die Partei den Sozialstaat für französische Bürger auszubauen verspricht, sollen Ausgaben für Einwanderer gekürzt und diskriminierende Gesetze eingeführt werden, die französische Bürger im Job- und Wohnungsmarkt noch deutlicher bevorzugen.

Frauen- und LGBTQ+ Rechte

Die Positionen rechtsradikaler Bewegungen zur Familien- und Geschlechterpolitik beruhen überwiegend auf konservativen, traditionell-christlichen Werten. Zum Beispiel lehnt die AfD die “Ehe für alle” ab und unterstützt traditionelle Rollenbilder, in denen Frauen als Mutter und Ehefrau und Männern als Haupt der Familie hervortreten. Daher erklärt die AfD – wie viele ihrer politisch Verwandten – emanzipatorische Frauen und LGBTQ+ -Bewegungen zu Feindbildern. Maximilian Krah, ehemaliger AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, verkündete in diesem Duktus: „Feministinnen sind alle hässlich und grässlich.“ In Ungarn, wo die Fidesz-Partei regiert, wurden Frauen und LGBTQ+ -Rechte bereits eingeschränkt: Seit 2020 ist es Transgender-Personen verboten, ihr Geschlecht legal in offiziellen Dokumenten zu ändern, und auch die Abtreibungsgesetze wurden in den letzten Jahren zunehmend verschärft. Es gibt jedoch Ausnahmen innerhalb der Radikalen Rechten: die niederländische Partei für Freiheit unterstützt eine sozialliberale Familien- und Geschlechterpolitik, in der schwule und lesbische Paare als Eltern ihren Platz haben.

Rechtsradikale Parteien in der EU

Im Europäischen Parlament teilen sich die rechtsradikalen Parteien in drei Fraktionen: „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) sowie die nach den Interner Link: EU-Wahlen 2024 neu gegründeten Fraktionen „Patrioten für Europa“ (PfE) und „Europa der Souveränen Nationen” (ESN). Durch die EU-Wahl im Juni 2024 ist PfE mit 84 Sitzen die drittstärkste Kraft im Parlament geworden und die EKR mit 78 Sitzen viertstärkste. Die ESN nimmt mit ihren 25 Sitzen den letzten und achten Platz unter den Fraktionen im EU-Parlament ein. Die meisten Sitze der “Patrioten” (PfE) stammen von der alten „Fraktion Identität und Demokratie“ (ID), die sie im Wesentlichen ersetzt. Zu dieser neuen Fraktion gehören: Rassemblement National (Frankreich), Lega (Italien), FPÖ (Österreich), Partei für Freiheit (Niederlande) und Chega (Portugal). Zusätzlich erhält das Bündnis Sitze von der ehemals fraktionslosen Fidesz (Ungarn) und von Vox (Spanien), Letztere hat die EKR-Fraktion verlassen. Die stärkste Partei der neuen ESN-Fraktion bildet die AfD, neben der sich vor allem kleinere extrem rechte osteuropäische Parteien einfügen. Der Kern der EKR bleibt damit erhalten: die polnische PiS-Partei und Melonis Fratelli d’Italia. Obwohl die drei Fraktionen EKR, PfE und ESN ähnliche Standpunkte in der Migrations-, Klima- und Kulturpolitik vertreten, ist es bis dato unwahrscheinlich, dass die radikal Rechten im Europäischen Parlament einen kohärenten Block bilden könnten. Einer der größten Streitpunkte ist ihre unterschiedliche Außenpolitik. So unterscheiden sich die Anhänger der alten ID-Fraktion (und damit weitgehend auch der neuen „Patrioten für Europa“) von der EKR durch ihre engen Beziehungen zu autoritären Regimen wie Russland und China. Die Russlandnähe der Fraktion ID veranlasste beispielsweise die Partei Die Finnen im Jahr 2023, zur EKR zu wechseln. Die EKR-Fraktion gilt als die USA- und Transatlantik-freundlichste Fraktion im Europäischen Parlament. Parteien wie Melonis die Fratelli d’Italia stellen sich entschieden gegen Russlands Angriffskrieg und stimmen für die Verteidigung der Ukraine. Ein weiterer Unterschied lässt sich in ihrer Haltung gegenüber der EU erkennen: Während sich die EKR gemäßigter und kooperativer gegenüber der EU und der Politik aus Brüssel zeigt, verhielten sich die Mitglieder der ID oft klar EU-feindlich.

Obwohl die radikale Rechte nicht vereint ist und auch keine Mehrheit hinter sich sammeln kann, ist es wahrscheinlich, dass ihre zunehmende Stärke Einfluss auf die EU-Politik nehmen könnte. So übernehmen Mitte-Rechts-Parteien teilweise Positionen der radikalen Rechten, um Wähler zu gewinnen und die radikale Rechte zu schwächen. Insgesamt besteht das Risiko, dass zukunftsweisende Maßnahmen wie der Green Deal und Verträge wie die Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention geschwächt, missachtet oder aufgegeben werden. Dies könnte die EU in ihrem Bestreben, globale Vorreiterin im Kampf gegen den Klimawandel zu werden und als Verfechterin der Menschenrechte zu gelten, gefährden.

Festgestellt werden müssen auch Veränderungen innerhalb der Parteien selbst: So haben sich einige rechtsradikale Parteien gemäßigt, während andere radikaler geworden sind. Zum Beispiel versucht Marine Le Pen ihre Partei, die Rassemblement National, in den letzten Jahren ihrer faschistischen und antisemitische Vergangenheit zu entledigen und (potenziellen) Wählern durch ein moderates Auftreten ihre Regierungsfähigkeit zu beweisen. Im Gegensatz dazu haben sich Parteien wie die deutsche AfD über die letzten Jahre radikalisiert. In diesem Zusammenhang muss auch die Distanzierung von Marine Le Pen von der AfD Anfang 2024 verstanden werden, die schließlich zum Rauswurf der AfD aus der radikal rechten ID im Europäischen Parlament und zur Neugründung einer weiteren Fraktion beigetragen hatte.

Gelegenheitsstrukturen, Wähler und Erfolge

Eine weitverbreitete, nicht belegte Annahme ist, dass rechtsradikale Parteien Protestparteien seien. Studien zeigen jedoch, dass Wähler rechtsradikaler Parteien – wie die anderer Parteien – ihre Wahl in der Regel aus ideologischen und pragmatischen Erwägungen treffen. Die radikale Rechte kann von gesellschaftlich und wirtschaftlich schwierigen Zeiten profitieren und sie nutzen, um gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, gegen Einwanderer und gegen andere politische Bewegungen zu hetzen. Das verändert Diskurse und gesellschaftliche Stimmungen. Gleichzeitig führen wirtschaftliche Krisen nicht automatisch zur Unterstützung rechtsradikaler Parteien. Das Potential für eine solche Unterstützung ist kontextabhängig, zu berücksichtigen ist das Verhalten weitere politischer Akteure, gesellschaftlicher Dynamiken und Diskurse. Zudem zeigen Studien, dass die Befürwortung zu radikal rechten Gesellschafts- und Welterklärungen stark auf einem individuellen Deprivationsempfinden beruhen, also darauf, dass sich jemand selbst im Vergleich zu seiner Umgebung als benachteiligt empfindet (vgl. u.a. Heitmeyer) — dabei handelt es sich explizit um ein “Empfinden” und nicht unbedingt um eine tatsächliche Benachteiligung.

Lange galt: Der typische Wähler rechtsradikaler Parteien stammt aus der unteren Mittelschicht und ist männlich. Heute hat sich dieses Bild jedoch gewandelt. Daten zur EU-Wahl 2024 zeigen, dass das Wählerverhalten zunehmend nach Alter und Geschlecht differenziert ist. Auffällig ist die inzwischen in zahlreichen Ländern verstärkte Anziehungskraft rechtsradikaler Parteien auf junge Wähler. In Frankreich unterstützten beispielsweise 36 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die Rassemblement National (gegenüber insgesamt 31,4 Prozent), und in Deutschland war die AfD bei den 16- bis 24-Jährigen mit 17 Prozent knapp hinter der Union die beliebteste Partei (gegenüber insgesamt 15,9 Prozent AfD-Wählern). Dies ist auch deshalb bemerkenswert, da in Ländern wie Deutschland in den letzten Jahrzehnten jüngere Menschen im Schnitt weniger rechtsradikal als der Durchschnitt wählten. Weiter bestätigt sich: Männer stimmen deutlich häufiger für radikal rechte Parteien als Frauen. Ein besonders deutlicher Kontrast zwischen den Geschlechtern zeigte sich in Belgien: Hier war die Flämische Interessenpartei die erste Wahl bei jungen Männern, während sie bei Frauen in derselben Altersgruppe nur den sechsten Platz unter den Parteien belegte.

Im Gegensatz zu anderen in Parlamenten vertretenen Parteien sind rechtsradikale Parteien auf sozialen Medienplattformen weit präsenter und haben eine große Reichweite. Insbesondere junge Menschen informieren sich über soziale Medien und werden von rechtsradikalen Inhalten erreicht. Die (immer noch) weitgehend unregulierten sozialen Medien bieten ideale Bedingungen für radikale rechte Bewegungen, um Hass, Hetze, Fehlinformationen und Desinformation zu verbreiten. Themen, die stark emotionalisiert werden sowie vermeintlich einfache Lösungsstrategien für komplexe Probleme anbieten, erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit. Studien zeigen zudem, dass die Algorithmen sozialer Medien extreme politische Ansichten verstärken und Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen anheizen.

Resümee und Ausblick

Radikal rechte Parteien in Europa sind durch eine stark nationalistische, nativistische, rassistische und sexistische (Geschlechterrollen entsprechend traditionellen Familienbildern festschreibende) Ausrichtung vereint. Gemeinsam ist ihnen ein starkes Nationalgefühl, mit dem die Eigen-/“Wir”-Gruppe überhöht wird und (vermeintlich) „Andere“ und „(Volks-)Fremde“ von ihr negativ abgegrenzt und abgewertet werden. Gemeinsam ist ihnen ihre Kritik und Abneigung gegenüber europäischen und globalen Institutionen. Aktuell nicht mehr formuliert wird die komplette Ablehnung der Mitgliedschaft des eigenen Landes in der EU.

Die Kernideologie führt jedoch auch zu Konflikten zwischen den Parteien in Europa, da die unterschiedlichen nationalen und außenpolitischen Interessen und Narrative oft im Widerspruch zu einer übergreifenden Kooperation der Parteien stehen. Beispiele aus der Vergangenheit verdeutlichen dies schnell: So zerfielen frühere radikal rechte Fraktionen (etwa die Fraktion Identität, Tradition und Souveränität im Jahr 2007) aufgrund gegenseitiger Abwertung und Feindlichkeit. Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit der Radikalen Rechten bleibt eingeschränkt. Die Gräben zwischen den Parteien (etwa Affinität zu Russland und China bzw. der Nato und den USA) werden auch durch ihre zersplitterte Präsenz in drei Fraktionen im Europäischen Parlament deutlich. Trotz ihrer Differenzen ist zu erwarten, dass die Radikale Rechte aktuell eher stärkeren Einfluss auf bestimmte Politikfelder der EU wie Menschenrechts-, Einwanderungs-, Umwelt- und Klimapolitik haben wird. Dabei ist ihr gemeinsames Ziel nicht allein die Schärfungen dieser Politiken zu verhindern, sondern aktuelle Standards abzubauen.

Ob auf nationaler oder europäischer Ebene: Es stellt sich die Frage, ob die rechtsradikalen Parteien, jetzt da sie stärker in Parlamenten vertreten sind und auch zunehmend an der politischen Gestaltung beteiligt sind, ihre Versprechen an ihre Wähler einhalten können und ihren Aufwärtstrend fortsetzen werden – oder ob Ernüchterung eintritt

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Britta Schellenberg, geb. 1972, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München, und Leiterin des Zentrums Den Menschen im Blick.

Anna Schellenberg ist Absolventin der Universität Leiden (Niederlande) und hat einen Hintergrund in Internationalen Beziehungen und Politikwissenschaften.