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Rechtspopulismus: Erscheinungsformen, Ursachen und Gegenstrategien

Prof. Frank Decker / Dr. Marcel Lewandowsky

/ 27 Minuten zu lesen

Für eine ganze Reihe von fremdenfeindlichen Protestparteien hat sich der Begriff "rechtspopulistisch" durchgesetzt. In der Forschung jedoch war lange umstritten, ob rechtspopulistische Parteien über eine gemeinsame ideologische Basis verfügen. Die Politikwissenschaftler Frank Decker und Marcel Lewandowsky über die Genese und den ideologischen Gehalt dieser politischen Strömung.

Jörg Haider mit seiner Frau Claudia bei einer Wahlveranstaltung in Wien im Oktober 1986. (© picture-alliance, picture alliance/IMAGNO)

Einleitung

Seit Mitte der 1980er Jahre ist es in zahlreichen westeuropäischen Ländern zur Herausbildung einer neuen und zugleich neuartigen Parteienfamilie gekommen, für die sich in der Wissenschaft und im journalistischen Sprachgebrauch der Begriff "rechtspopulistisch" eingebürgert hat. Als die Neuankömmlinge am rechten Rand (Front National, Lega Nord, Vlaams Blok, FPÖ) in ihren Ländern auf den Plan traten und die ersten spektakulären Wahlerfolge erzielten, war man noch geneigt, sie als flüchtige Protesterscheinungen abzutun, wie es sie in den westlichen Demokratien – auch in populistischer Gestalt – schon immer gegeben hatte. Es herrschte also die Erwartung, dass die Herausforderer über kurz oder lang wieder zurückgestutzt oder aus den Parteiensystemen ganz verschwinden würden. Die weitere Entwicklung sollte dies gründlich widerlegen. Nicht nur, dass die Rechtspopulisten ihre Stellung verteidigen und sogar noch ausbauen konnten. Das Phänomen begann sich nun auf andere westeuropäische Länder auszudehnen und machte auch vor den neuen Demokratien Mittelosteuropas nicht halt.

Der Begriff "Rechtspopulismus" hat sich sowohl in der Forschung als auch in der Umgangssprache als Bezeichnung für fremdenfeindliche Protestparteien weitgehend durchgesetzt. In der Forschung galt jedoch lange als strittig, ob er auf eine gemeinsame ideologische Basis zurückgeführt werden kann oder er überhaupt als Gegenstand der Forschung geeignet sei. Bei der Untersuchung der europäischen Vertreter wurden auch immer wieder Überschneidungen zwischen Populismus und Extremismus deutlich. Einige Autoren betonen, dass der Populismus supplementäres Merkmal einer radikalen Ideologie sei, es sich also lediglich um einen besonderen Politikstil von Parteien der radikalen Rechten handele. Andere Forscher sehen die populistischen Parteien als eigenständigen Parteientypus. Tatsächlich erweist sich der Populismus als äußerst wandlungsfähig. Besonders erfolgreiche Exponenten wie Geert Wilders‘ Partij voor de Vrijheid (PVV) in den Niederlanden oder die Dansk Folkeparti in Dänemark geben sich nicht mehr als Außenseiter vom rechten Rand, sondern als Verteidiger der liberalen Demokratie gegen die vermeintliche Bedrohung durch "den Islam". Kulturelle treten an die Stelle rassistischer Abgrenzungsmuster. Dabei werden die Zuwanderer und die politischen Eliten gleichzeitig angeprangert. Letztere hätten eine erfolgreiche Integrationspolitik versäumt und seien aus falsch verstandener political correctness nicht gewillt, die mit der Migration verbundenen Probleme zu benennen. Das Establishment habe sich ohnehin von den Bürgern abgesetzt; es verfolge in den raumschiffartigen Parlamenten (materielle) Eigeninteressen, während "das Volk" als Träger demokratischer Legitimation bei den Entscheidungen nicht (mehr) berücksichtigt werde.

Nach einem kontinuierlichen Aufwuchs bis zum Jahre 2000 neigte sich die Erfolgskurve der rechten Herausforderer bis Mitte der 2000er Jahre zunächst leicht nach unten; danach stieg die Resonanz wieder deutlich an. Der Rechtspopulismus erfasste jetzt auch Länder, in denen er vorher nicht in Erscheinung getreten war. Das zwischenzeitliche Tief dürfte mehr mit Schwächen beim politischen Angebot als mit einer nachlassenden Empfänglichkeit der Wähler für rechtspopulistische Botschaften zu tun gehabt haben. Ein Beleg dafür ist, dass der Populismus auf die etablierten Parteien des politischen "Mainstreams" immer stärker übergriff. Diese machten sich sowohl die Themen der rechtspopulistischen Akteure als auch deren Wähleransprache zu eigen. Ein gutes Beispiel dafür ist der aggressive Präsidentschaftswahlkampf Nicolas Sarkozys 2012 in Frankreich. Zwei – sich häufig auch in Parteienform überlappende – Spielarten des Populismus nehmen die christdemokratisch-konservativen und sozialdemokratischen Parteien heute in ihren Zangengriff – ein kapitalismuskritischer und/oder wohlfahrtschauvinistisch geprägten Sozialpopulismus und ein kulturalistisch unterfütterter Anti-Islam-Populismus.

Was ist Populismus?

Das "Schillernde" des Populismus ist in der Forschung nahezu zu einem Sprichwort avanciert. Alltagssprachlich setzt man den Populismus häufig mit einer popularitätsheischenden, den Stimmungen in der Bevölkerung nachlaufenden und nachgebenden Politik gleich. In der Konsequenz ist er negativ besetzt. Es heißt, der Populist biedere sich "Volkes Meinung" an; es gehe ihm nicht um die Sache, sondern allein um die Wählergunst.

Den wissenschaftlichen Inhalt des Begriffs trifft das nur zum Teil. Hier wird mit Populismus in erster Linie eine Haltung umschrieben, die für das sogenannte "einfache" Volk und gegen die herrschenden gesellschaftlichen und politischen Eliten Partei ergreift. Der Populismus befindet sich also in Opposition zum (angeblichen) Establishment und verzichtet deshalb bewusst auf die Zustimmung relevanter Bevölkerungsteile. Gerade dieser Außenseiterstatus verschafft ihm Glaubwürdigkeit unter seinen Anhängern.

Träger einer solchen Anti-Establishment-Orientierung können einzelne Personen, Bewegungen, Parteien oder auch ganze Regime sein. Für die wissenschaftliche Analyse des Populismus bietet es sich an, drei Bedeutungsebenen voneinander zu unterscheiden. Die erste Bedeutungsebene fragt danach, wie der Populismus entsteht, das heißt, welche gesellschaftlichen Ursachen ihm zugrunde liegen. Die zweite Bedeutungsebene bezieht sich auf die ideologischen Inhalte des Populismus, welche Abgrenzungsmuster er pflegt und welche Gruppe(n) er mit seinem Volksbegriff adressiert. Die dritte Bedeutungsebene stellt auf die formalen und stilistischen Merkmale des Phänomens ab; hier geht es um die Organisation des Populismus und seine Techniken der Wähleransprache.

Gesellschaftliche Entstehungshintergründe. Populistische Parteien und Bewegungen sind ein Phänomen gesellschaftlicher Modernisierungskrisen; sie treten auf, wenn infolge zu raschen Wandels oder zu großer Verwerfungen bestimmte Bevölkerungsgruppen Wert- und Orientierungsverluste erleiden. Diese Verluste gehen mit Statusangst, Zukunftsunsicherheit und politischen Entfremdungsgefühlen einher. Schon zu früheren Zeiten hat es populistische Bewegungen gegeben, die sich dies zunutze machten. So verdankt der wissenschaftliche Begriff seinen Namen der ausgangs des 19. Jahrhunderts in den USA entstandenen Populist Party. Als weiteres Beispiel könnte man die Poujadisten in der IV. Französischen Republik nennen, zu deren Abgeordneten damals bereits Jean-Marie Le Pen gehörte, der spätere Gründer des Front National. Handelt es sich bei den historischen Populismen um zeitversetzt auftretende Erscheinungen, so sind die aktuellen Modernisierungsprozesse dadurch charakterisiert, dass die Gesellschaften in ihrer ökonomischen, kulturellen und politischen Problembetroffenheit immer mehr zusammenrücken. Dies erklärt, warum die meisten der heutigen populistischen Parteien in Europa in etwa zeitgleich entstanden sind und sich in den jeweiligen Parteiensystemen dauerhaft etablieren konnten.

Selbstverständnis und Ideologie. Charakteristisch für den Populismus ist sein "schizophrenes" Gleichheitsverständnis: Einerseits bringen die Populisten das Volk in Stellung gegen die herrschende Elite, die sie in verschwörungstheoretischer Manier als Verräter des eigentlichen Volkswillens brandmarken. Andererseits grenzen sie das "einheimische" Volk von vermeintlich Nicht-Zugehörigen aus anderen Nationen oder Kulturen ab. Es ist nicht in erster Linie eine Rückwärtsgewandtheit, sondern das anti-egalitäre Moment, das solche Abgrenzungen als ideologisch “rechts” qualifiziert. Auch linke Populisten pflegen das anti-elitäre Ressentiment, die Gegnerschaft zum System und die Parteinahme für die "kleinen Leute". In der Regel spielt ihr Volksbegriff diese allerdings nicht gegen andere gesellschaftliche Gruppen – etwa die "Ausländer" – aus, und in wertebezogenen Fragen tritt der Linkspopulismus eher liberal auf. Es gibt jedoch auch Ausnahmen von dieser idealtypischen Unterscheidung, insbesondere beim niederländischen Populismus um Geert Wilders und dessen ideologischen Vorgänger Pim Fortuyn: Fortuyn lebte seinen hedonistischen Lebensstil und seine Homosexualität offen aus, und auch Wilders inszeniert sich als Bewahrer der liberalen Gesellschaftsordnung gegenüber dem Islam.

Auftreten und Organisation. In formaler Hinsicht treten als Hauptmerkmale rechtspopulistischer Parteien ihr Selbstverständnis als gesellschaftliche Bewegung (zum Beispiel im Zusammenwirken mit außerparlamentarischen Protestgruppen) und das Prinzip der charismatischen Führerschaft hervor. Innerparteiliche Konflikte werden häufig nicht demokratisch ausgetragen, sondern von der Führungsspitze autoritär entschieden. Darüber hinaus kennzeichnet den Populismus eine bestimmte Art und Weise, wie er sich zu den umworbenen Wählern in Beziehung setzt. Inhalte und formale Merkmale des Populismus stehen in engem Zusammenhang. Das inhaltliche Selbstverständnis gipfelt in der Ausrichtung auf eine Führerfigur als Verkörperung des "Volkswillens"; die Anti-Establishment-Orientierung äußert sich in den Techniken der populistischen Agitation.

Identität und Feindbilder

Adressat und ideologische Grundlage aller Formen des Populismus ist die romantisierte Vorstellung eines homogenen "Volkes" als identitätsstiftendes Ideal. Die Komplexität moderner Gesellschaften, die sich in der Vielfalt von Interessen und Lebensformen widerspiegelt, wird negiert. Die inhaltliche Füllung des Volksbegriffes variiert dabei je nach ideologischer Ausrichtung. Rechte Parteien verweisen auf die nationale Identität, während linke Gruppierungen stärker an den sozialen Status appellieren, etwa von Arbeitnehmern und Arbeitslosen. Beiden Richtungen ist gemeinsam, dass sie die Partikularinteressen ihrer Adressaten als den "wahren" und einzigen Volkswillen propagieren.

Populismus ist also immer auch eine Abgrenzungsideologie. Dem "guten" Volk wird die politische Elite gegenübergestellt, die sich durch Eigeninteressen dem eigentlichen demokratischen Souverän entziehe und vom Willen "des Volkes" entfernt habe. Die populistische Demokratievorstellung ist vage. Sie spielt die Volkssouveränität gegen den Verfassungsstaat aus, "beansprucht, demokratischen Willen ohne demokratische Formen zum Ausdruck zu bringen." Demokratie wird als unmittelbare und absolute Umsetzung des konstruierten, homogenen "Volkswillens" verstanden. Unzulänglichkeiten des politischen Prozesses und materielle Regierbarkeitsprobleme führen die Populisten auf den Unwillen der politischen Eliten zurück, den Volkswillen zu berücksichtigen. Politische Entscheidungen werden daher aus komplexen Zusammenhängen gelöst und der Verantwortung einzelner oder dem "Establishment" als Ganzes zugeschrieben.

Um den "Volkswillen" unmittelbar zum Ausdruck zu bringen, setzen die Populisten zum einen auf charismatische Führungspersönlichkeiten, die als "Sprachrohre des Volkes" inszeniert werden. Andererseits propagieren sie direktdemokratische Beteiligungsformen, die die repräsentativen und verfassungsstaatlichen Institutionen im politischen Entscheidungsprozess umgehen sollen.

Auf der kulturellen Achse grenzt der Populismus all jene Gruppen aus, die er nach seinem Volksbegriff als "Fremde" identifiziert, also vornehmlich ethnische, kulturelle und religiöse Minderheiten; auch können Bevölkerungsteile aufgrund ihrer sexuellen Orientierungen (z.B. homosexuelle Menschen) oder politischen Überzeugungen (Linke) dabei ins Visier geraten. Zum Feindbild gehören außerdem einzelne Länder wie die USA oder staatenübergreifende Institutionen wie die Europäische Union, die als Gefahr für die nationale Kultur dargestellt werden.

Wer zu den "Feinden" gehört, ist je nach politischer Situation unterschiedlich. Waren es schon in den 1980er und frühen 1990er Jahren häufig Asylbewerber, die sich verbaler Attacken von Seiten der Rechtsparteien ausgesetzt sahen, verdanken sich die Wahlerfolge und mediale Resonanz des Populismus seit den 2000er Jahren nicht zuletzt der Agitation gegen Muslime (etwa im Falle der PVV, der Dansk Folkeparti, der schweizerischen SVP oder der österreichischen FPÖ). Wie die deutsche Debatte um Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" illustriert hat, sind islamfeindliche Ressentiments in den politischen Mainstream weit vorgedrungen. Oft wird der Islam mit Islamismus als dessen politischer Ausprägung gleichgesetzt und künstlich eine Brücke zum Terrorismus geschlagen. Die Flüchtlingsbewegungen aus nordafrikanischen und arabischen Staaten haben Rechtspopulisten mit der Warnung vor "Überfremdung" und "Islamisierung" aufgegriffen und für sich nutzbar gemacht.

Antiislamischer Populismus profitiert von vorhandenen Ängsten, die durch die Serie islamistischer Terroranschläge seit dem 11. September 2001 gewachsen sind. Muslimische Gemeinden werden häufig als "Parallelgesellschaften" wahrgenommen, die sich der Integration verweigerten. Der Populismus kann hier durchaus auf reale Probleme verweisen, etwa die wachsende religiöse Radikalisierung oder die Schwierigkeiten muslimischer Migranten auf dem Arbeitsmarkt. Das Perfide besteht darin, dass seine Vertreter diese Probleme instrumentalisieren, indem sie Misstrauen vor den "Fremden" schüren und Muslime unter Generalverdacht stellen. Die Warnung der Rechtspopulisten vor der Übernahme des "christlichen Abendlandes" durch einen aggressiven Islam erfolgt in der Regel nicht auf Grundlage eines rassistischen, sondern eines eurozentristischen Weltbildes. Statt auf Verständigung und die Förderung eines aufgeklärten, liberalen Islam setzen sie auf Abschottung und Abgrenzung von der vermeintlich nicht-zugehörigen kulturellen Fremdgruppe bis hin zur offenen Forderung nach Massenabschiebung.

Populismus und Modernisierung

Mit dem durch die Globalisierung noch beschleunigten gesellschaftlichen Modernisierungsprozess gehen massive strukturelle Veränderungen einher: Arbeitsverhältnisse verändern sich, ganze Wirtschaftszweige lösen sich auf, traditionelle Bindungen (etwa an die Familie oder an Institutionen wie Gewerkschaften, Parteien, Kirchen etc.) lockern sich. Die Modernisierung produziert nicht nur objektive Verlierer, die dauerhaft in Erwerbslosigkeit und/oder Armut leben. Auch Personen, die nicht unmittelbar betroffen sind, sondern ihren eigenen sozialen Abstieg lediglich befürchten, können durch den Prozess verunsichert werden.

Die schon erwähnte erste "echte" populistische Partei, die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA entstandene Populist Party, hatte sich in diesem Sinne als Sprachrohr der Farmer im Süden und Westen des Landes verstanden, deren ökonomische Position und kulturelle Lebensweise durch die industrielle Entwicklung bedroht wurde. Auch in anderen Staaten, vornehmlich in Mittelosteuropa, bildete sich der Populismus zunächst als Agrarpopulismus heraus, der die bäuerliche Lebenswelt gegen Industrialisierung und Urbanisierung verteidigen wollte.

War es Ende des 19. Jahrhunderts der Niedergang des primären Sektors, so sind die westlichen Gesellschaften seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Bedeutungsverlust des industriellen Sektors geprägt; die klassische Dienstleistungsindustrie seit der Jahrtausendwende wiederum von der zunehmenden Digitalisierung. Auch hier führt der Strukturwandel dazu, dass bestimmte Berufsqualifikationen nicht mehr nachgefragt werden; gleichzeitig gerät die ökonomische Gestaltungsfähigkeit des Nationalstaates angesichts der globalisierten Wirtschaft unter Druck. Die einzelnen Länder werden in einen Wettbewerb um die besten Standortbedingungen hineingezwungen, der Löhne und Sozialstandards tendenziell nach unten drückt. Die Folgen sind Arbeitslosigkeit, wohlfahrtsstaatlicher Leistungsabbau und eine Spreizung der Schere zwischen Arm und Reich.

Die Wahlerfolge der Rechtspopulisten stehen aber auch in Zusammenhang mit dem kulturellen Wandel, den wir seit etwa den 1960er Jahren in den westlichen Gesellschaften beobachten. Angetrieben wird dieser zum einen durch den Zuzug von Migranten, die insbesondere in den urbanen Ballungsräumen als religiös und kulturell abgrenzbare Gruppen sichtbar in Erscheinung treten. Zum anderen sind früher vorherrschende traditionelle Ordnungsvorstellungen durch eine neue Vielfalt von Lebensstilen und postmaterialistischen Wertorientierungen verdrängt worden (Individualisierung).

Sogenannte "Modernisierungsverlierer", die von den negativen Effekten ökonomischen Fortschritts unmittelbar betroffen sind, machen einen relativ hohen Anteil der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien aus. Allerdings lässt sich die Erklärung für deren Wählerzuspruch nicht darauf verkürzen. Es ist vor allem die subjektive Deprivation, das heißt die Angst vor sozialem Abstieg, gepaart mit dem Gefühl, politisch machtlos und von den etablierten Parteien und Politikern nicht vertreten zu sein, die bestimmte Gruppen der Gesellschaft für die populistischen Botschaften empfänglich macht. Die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien rühren folglich nicht unmittelbar aus der ökonomischen und kulturellen Modernisierung, sondern daraus, dass die gemäßigten Parteien des linken und rechten Mainstreams in der Krise als Transmissionsriemen des politischen Systems versagen: Zum einen werden sie sich im Wettbewerb um die mehrheitsfähige Wählermitte ideologisch immer ähnlicher, können also nicht mehr glaubhaft vermitteln, für unterscheidbare politische Konzepte zu stehen. Zum anderen haben sowohl die sozialdemokratischen als auch die konservativen bzw. christdemokratischen Parteien ökonomische und kulturelle Positionen geräumt, die ihre Programmatik und Ideologie über Jahrzehnte hinweg prägten.

Diese Probleme der Parteien sind zum Teil hausgemacht; zum Teil fußen sie ebenfalls auf strukturellen Veränderungen, die es ihnen schwerer machen, ihre angestammten Funktionen als Repräsentationsorgane und Träger des demokratischen Wettbewerbs zu erfüllen. Die Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten in trans- und supranationale Gremien – etwa der Europäischen Union – führt zu immer länger werdenden Legitimationsketten und wachsender Intransparenz. Die politischen Akteure reagieren darauf, indem sie die Darstellung und mediengerechte Inszenierung der Politik von deren technokratischen Wirklichkeit entkoppeln. Die Wähler wiederum merken oder ahnen den Widerspruch. Es verwundert daher nicht, dass das Bild einer machtlosen, sich in Phrasen verlierenden politischen Klasse weithin anschlussfähig geworden ist.

Organisatorische Merkmale

Die populistischen Herausforderer weisen auch in organisatorischer Hinsicht eigene Merkmale auf, die sie von den Vertretern des politischen Mainstreams abheben. Letztere werden in der Parteienforschung heute meistens unter den – von Angelo Panebianco so bezeichneten – Typus der "professionellen Wählerpartei" subsumiert, der eine modernisierte Form der Mitglieder- und Funktionärspartei darstellt. Bei den Rechtspopulisten lassen sich drei davon abweichende Organisationstypen unterscheiden, die zum Teil ineinander übergehen: Den ersten Typus könnte man ebenfalls im Anschluss an Panebianco als charismatische Partei bezeichnen. Unter ihn fällt das Gros der heutigen Rechts- und Linkspopulisten. Solche Parteien gruppieren sich um eine einzelne Person, die als Anführer meistens auch die Urheber der Partei sind. Institutionalisierte Strukturen und demokratische Verfahren treten in der Organisation hinter der Autorität des Anführers zurück; es gilt das Prinzip der loyalen Gefolgschaft. Beispiele sind der französische Front National unter seinem früheren Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen oder die niederländische Partij voor de Vrijheid (PVV), die in ihrem Vorsitzenden Geert Wilders ihr einziges Mitglied hat.

Beim zweiten Typus, exemplarisch von Silvio Berlusconis Forza Italia oder der tschechischen ANO des Oligarchen Andrej Babiš verkörpert, wird die Organisation von einer einzelnen Unternehmerpersönlichkeit begründet, maßgeblich aus deren eigenen Mitteln finanziert und nach den Prinzipien eines Wirtschaftsunternehmens geführt. Dieser Typus der Unternehmerpartei ist weniger ideologisch geprägt als der populistische Typus, dem er ansonsten ähnelt; er stellt eine spezifische Form der Wählerpartei dar. Gemein ist beiden Typen, dass zwischen der Parteiführung und den Mitgliedern eine eher lose institutionelle Verbindung besteht; die Parteien also organisatorisch weniger ausdifferenziert sind als etablierte Parteien.

Den dritten Typus bildet die Bewegungs- oder Rahmenpartei. Deren Organisation besteht aus einem locker verbundenen Netzwerk von Aktivisten, die aus der Gesellschaft hervortreten. Beispiele sind die Piraten, die deutschen Grünen in ihrer Entstehungsphase oder die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in Italien, die zugleich Überschneidungen mit dem charismatischen Typus aufweist. In den Vereinigten Staaten haben populistische Bewegungen, die ohne dominante Führungspersönlichkeiten auskommen, eine lange Tradition. Ein Beispiel ist die rechtspopulistische Tea-Party-Bewegung.

Der Bewegungscharakter des Populismus lässt sich zum einen daran festmachen, dass seine Vertreter zumeist keine Abspaltungen von existierenden Parteien sind, sondern gesellschaftlichen Ursprungs. Zum anderen folgt er aus dem ideologischen Verständnis einer Anti-Parteien-Partei. Die Kritik am Machtsystem der repräsentativen Institutionen und das Eintreten für mehr direkte Entscheidungsrechte des Volkes stellen in der populistischen Demokratieauffassung Seiten derselben Medaille dar. Auch die Bedeutung der charismatischen Führung ergibt sich unmittelbar aus der populistischen Vorstellung eines einheitlichen Volkswillens, der durch eine einzelne Person an der Spitze scheinbar am besten abgebildet werden kann. Die Abhängigkeit der Bewegung von dieser Person bleibt allerdings prekär, weil deren Nimbus früher oder später verblassen dürfte. Die Bedeutung des Charismas für den Populismus ist insofern zu relativieren. Sie zeigt sich vor allem in der Etablierungsphase – bei der Gründung und dem Durchbruch der Parteien bei Wahlen, die sich tatsächlich fast immer einzelnen herausragenden Führungspersönlichkeiten verdanken. Den allermeisten dieser Parteien ist jedoch gelungen, auch nach deren Ausscheiden weiterzubestehen und erfolgreich zu bleiben. Im Zuge dieser institutionellen Verstetigung schwächten sie ihren Bewegungscharakter ab und passten sich in der Organisationsform den Mainstream-Parteien an.

In einigen Ländern ist die Institutionalisierung durch die Verrechtlichung des Parteiwesens ohnehin vorgegeben. So wäre es z.B. in der Bundesrepublik gar nicht möglich, eine Partei nach dem "Führerprinzip" zu errichten, da Grund- und Parteiengesetz strenge demokratische Anforderungen an deren "innere Ordnung" stellen. Dass die so generierten Teilhabeansprüche der Basis einen kontrollierten Aufbau der Parteiorganisation erschweren, lässt sich an der Eskalation der personellen und Machtkonflikte in der AfD ablesen, die der Spaltung der Partei im Juli 2015 vorausgingen. Im Gebot innerparteilicher Demokratie liegt insofern ein größeres Erfolgshemmnis für die populistischen Herausforderer als im Wahlrecht oder den Regeln der Parteienfinanzierung. Verschärft wird das Problem durch das von ihnen selbst propagierte plebiszitäre Demokratieverständnis, das sie konsequenterweise auch in der eigenen Organisation gelten lassen müssen. Dies zeigt sich z.B. darin, dass die AfD häufig Mitgliederversammlungen anstelle von Delegierten entscheiden lässt. Mit ihrem Modell einer gleichberechtigten Dreier- bzw. Doppelspitze in der Führung weist sie zudem Organisationselemente auf, die man in der Bundesrepublik bisher nur von den linken Parteien (Grüne und Die Linke) kannte.

Stilmittel des Populismus

Als Politikstil bezeichnet man das Auftreten – die performance – eines politischen Akteurs, das heißt die Art und Weise, wie er an das Wählerpublikum heran- und mit diesem in Beziehung tritt. Dies schließt zum einen die rhetorische Ansprache, zum anderen die Ästhetik des Auftritts ein. In aufsteigender Reihenfolge ihrer Radikalität lassen sich folgende “Stilmittel” des Populismus identifizieren:

Rückgriff auf common sense-Argumente. Eine typische Argumentationsfigur besteht in der Gleichsetzung von individueller und kollektiver Moral nach dem Motto: Was sich im privaten Bereich bewährt und als richtig erwiesen hat, kann im öffentlichen Bereich nicht falsch sein! Dieser Logik folgt z. B. ein Großteil der populistischen Aussagen zur Wirtschaftspolitik (Forderungen nach Sparsamkeit, stärkerer Eigenvorsorge, individueller Haftung bei Unternehmenspleiten und ähnliche).

Vorliebe für radikale Lösungen. Populisten halten nichts von einer Politik kleiner Schritte, sondern verlangen stets das beherzte Durchgreifen, den großen Wurf. Weil sie Kompromissfähigkeit als Untugend erachten, geraten sie fast zwangsläufig in den Status einer Fundamentalopposition. Entsprechend schwer tun sie sich, wenn sie selbst Verantwortung übernehmen, es sei denn, sie verfügen – wie in Ungarn unter Fidesz – über die gesamte Macht und können die Durchsetzung ihrer radikalen Lösungen ohne größeren Widerstand betreiben.

Verschwörungstheorien und Denken in Feindbildern. Das populistische Bild der Gesellschaft entspricht einer klaren Frontstellung: hier das Volk und seine Fürsprecher, dort der innere und äußere Feind. Die Konstruktion des Feindbildes erfolgt zum einen durch Personifizierung – gesellschaftliche Probleme werden auf bestimmte Personengruppen projiziert, um diese als Schuldige zu entlarven –, zum anderen durch verschwörungstheoretische Begründungen. Dabei wird auch die eigene Partei oder Bewegung gern als "Opfer" hingestellt.

Provokation und Tabubruch. Die Parteinahme für den "kleinen Mann" bedeutet nicht, dass der Populismus dessen Stimmungen hinterherläuft und immer nur solche Meinungen vertritt, die besonders populär sind. Der Zwang, sich von der angeblich herrschenden Elite abzugrenzen, verlangt im Gegenteil nach kalkulierten Entgleisungen; diese sollen an Tabus rühren und damit provozierend wirken. Populisten setzen sich über die Gebote politischer Korrektheit gezielt und bisweilen lustvoll hinweg, die sie als Ausfluss eines "linksliberalen Meinungskartells" betrachten.

Emotionalisierung und Angstmache. Wortwahl und Diktion tragen dazu bei, Stimmungen in der Bevölkerung emotional anzuheizen. Der populistische Akteur spielt mit Ressentiments und Vorurteilen, die sich in aggressiver Form gegen den angeblichen Feind entladen. Vorhandene Unsicherheiten und Statusängste werden nicht argumentativ entkräftet, sondern im Gegenteil als "Malaise" bewusst geschürt, um das Publikum für die populistische Botschaft empfänglich zu machen. Die Gegenüberstellung von Freund und Feind gibt dem Agitator die Möglichkeit, sich selbst als Auserwählten und Retter hinzustellen.

Verwendung von biologistischen und Gewaltmetaphern. Um die Feindlage glaubwürdig zu vermitteln, greift der Agitator zu drastischen Formulierungen, bedient er sich einer Sprache, die an Gewalt und Krieg erinnert. Die Ablehnung des Fremdartigen und "Widernatürlichen" wird durch sexuelle, medizinische oder Tiermetaphern zum Ausdruck gebracht, die das Bild einer kranken, von Zerfall und Zersetzung bedrohten Gesellschaft zeichnen sollen (Volkskörper, Geißel, Schmarotzer, Raubtierkapitalismus und ähnliche).

Populismus und Extremismus

Populistische Parteien können zugleich extremistisch sein, wenn sie die Schwelle zur offenen Systemfeindlichkeit überschreiten. Unter den europäischen Vertretern galt dies z.B. lange Zeit für den französischen Front National, den – später in Vlaams Belang umbenannten – belgischen Vlaams Blok und die Schwedendemokraten. Inzwischen haben diese Parteien den harten Extremismus zurückgedrängt und bemühen sich um ein gemäßigteres Erscheinungsbild. Ob es sich dabei um ein ehrlich gemeintes Bekenntnis oder lediglich eine Camouflage des rassistischen Gedankenguts handelt, bleibt unter den Beobachtern umstritten.

Als rechtspopulistische Vertreter mit extremistischen "Einsprengseln" können auch die FPÖ und die AfD bezeichnet werden. Damit bilden sie innerhalb der populistischen Parteienfamilie allerdings die Ausnahme, deren Mainstream – von den skandinavischen Fortschrittsparteien über Berlusconis Forza Italia bis hin zu Fidesz in Ungarn – gerade nicht extremistisch ist. Umgekehrt kann es rechtsextreme Parteien geben, denen die typischen Elemente des Populismus fehlen. Dies gilt z.B. für die bundesdeutsche NPD, die ausschließlich virtuelle Wahlkämpfe führt und es gar nicht darauf angelegt, zu der von ihr umworbenen Wählerschaft in eine öffentlich sichtbare Beziehung zu treten.

Im europäischen Vergleich ziehen die nicht-populistischen extremen Rechtsparteien gegenüber den nicht-extremistischen populistischen Vertretern klar den Kürzeren. Der Populismus stellt also die eigentliche Erfolgsformel der Rechtsparteien dar. Der Extremismus steht solchen Erfolgen eher im Wege, weil er ideologisch gemäßigte Wähler abschreckt und die Entwicklung einer populistischen Strategie der Wähleransprache behindert. Der Zusammenhang hat allerdings zugleich eine aus Sicht der gemäßigteren Vertreter unschöne Kehrseite: Sind die Populisten im Wählerwettbewerb erfolgreich, könnten extremistische Kräfte versuchen, auf deren Trittbrett aufzuspringen. In der Bundesrepublik wurde auf diese Weise eine Reihe von Rechtsaußenparteien unterwandert (Republikaner, Bund Freier Bürger, Schill-Partei), die daraufhin prompt an Wählerzuspruch verloren bzw. an innerparteilichen Richtungskonflikten zugrunde gingen. Mit Blick auf den Erfolg der Niederländer Pim Fortuyn und Geert Wilders liegt die Vermutung nahe, dass der Populismus umso erfolgreicher ist, je weiter er sich selbst in der vermeintlichen "Mitte" verortet und je bürgerlicher er sich in seinem Auftreten gibt.

Wenn die Extremisten "systemfeindlich" sind, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass sich die Rechtspopulisten automatisch innerhalb des "Verfassungsbogens" bewegen. Die populistische Demokratiekonzeption stellt den "deliberativen" Elementen der modernen Demokratie, dem geduldigen Aushandeln, Abwägen und Argumentieren, die autoritäre "Dezision" gegenüber. Die reale Interessen- und Meinungsvielfalt in heutigen, ausdifferenzierten Gesellschaften wird verneint und soll in einer mehrheitsabsolutistischen, tendenziell autoritären Organisation von Entscheidungen ausgehebelt werden. Populismus ist in letzter Konsequenz immer anti-liberal und anti-pluralistisch. Weil er die institutionellen und kulturellen Prinzipien aushöhlt, auf denen die heutige Demokratie beruht, wirkt er wie ein "schleichendes Gift".

Solange die Herausforderer in der Opposition verharren und als reine Protestparteien auftreten, dürfte von ihnen für die verfassungsmäßige Ordnung keine unmittelbare Bedrohung ausgehen. Bedenklich wird es erst, wenn sie über Regierungsmacht verfügen und ihre Demokratievorstellungen aktiv umsetzen können. Die Erfahrungen nach der Machtbeteiligung bzw. -übernahme rechtspopulistischer Parteien in Österreich, Italien, Ungarn und neuerdings auch Polen haben gezeigt, dass diese Befürchtungen keineswegs aus der Luft gegriffen sind und auch durch das mögliche Scheitern der Populisten an der Regierung nicht zerstreut werden können.

Rechtspopulismus in der Bundesrepublik Deutschland

Deutschland galt lange Zeit als schwieriges Terrain für rechtspopulistische Parteien. Das lag nicht etwa daran, dass Einstellungsmerkmale, auf die der Rechtspopulismus rekurriert, unter den Wählern hierzulande weniger ausgeprägt wären. Dennoch schaffte es bislang keiner der Herausforderer in den Bundestag. Unter dem Eindruck der seinerzeitigen Großen Koalition gelang der NPD 1969 mit 4,3 Prozent der Zweitstimmen ein Achtungserfolg. Danach brauchte es fast ein halbes Jahrhundert, bis mit der Alternative für Deutschland (AfD) und ihrem 2013er Resultat von 4,7 Prozent eine neu entstandene Rechtsaußenpartei dieses Ergebnis überbot.

Aus der vergleichenden Forschung weiß man, dass es in der Regel einer Initialzündung, eines bestimmten "populistischen Moments" bedarf, um solche Parteien oder Bewegungen hervorzubringen. Bei der AfD war es die Finanz- und Eurokrise, die das "Gelegenheitsfenster" für eine neue EU-kritische Partei öffnete. Deren programmatische Kernforderungen – kontrollierte Auflösung der Währungsunion und Absage an eine weitere Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses – eigneten sich bestens, um daran eine breitere rechtspopulistische Plattform anzudocken, die die Gegnerschaft zum Establishment mit Anti-Positionen in der Zuwanderungsfrage und anderen Bereichen der Gesellschaftspolitik verknüpfte.

Die AfD war keine Ad-hoc-Parteigründung. Sie kann eher als das Ergebnis eines lange währenden, bürgerlich-konservativen Protestes gegen die Europolitik der Bundesregierung Angela Merkels (und ihrer Vorgänger) interpretiert werden. Die AfD gründete sich aus einem Kreis konservativer Ökonomen, umfasste aber auch gesellschaftspolitisch konservative Netzwerke. Empirische Befunde zu den Kandidaten der Partei zeigen, dass rechtspopulistische Einstellungsmerkmale von Beginn an präsent waren. Diese fanden allerdings in der Programmatik der Partei zunächst wenig Widerhall. Bis zur Europawahl 2014 trat die AfD zwar populistisch auf, indem sie die etablierten Parteien, Bundesregierung und die EU kritisierte, konzentrierte sich aber auf euroskeptische Positionen. Ihre Forderung nach Abwicklung der gemeinsamen europäischen Währung schloss dabei neben der ökonomischen auch eine politische Dimension mit ein, indem sie auf die Rückgewinnung nationalstaatlicher Souveränität abzielte. Zugleich achtete die Partei darauf, ein möglichst bürgerliches Auftreten zu wahren. Nichtsdestoweniger nährten gegen den Islam oder Gender Mainstreaming gerichtete Aussagen von AfD-Funktionären bereits in der Entstehungszeit der Partei den Verdacht, dass es sich, wenn nicht um eine rechtspopulistische Partei im klassischen Sinne, so doch zumindest um ein funktionales Äquivalent handele; eine Partei also, die nicht offen rechtspopulistisch auftritt, aber auf der Wählerebene wie eine solche funktioniert.

Nach der Europawahl 2014 stellte die AfD die gesellschaftspolitischen Themen immer stärker in den Mittelpunkt. Die Euro-Krise nahm demgegenüber einen deutlich geringeren Stellenwert ein. Stattdessen warb die Partei mit restriktiven Positionen in der Einwanderungspolitik und stilisierte sich besonders in den ostdeutschen Ländern als Bewahrerin der einheimischen Kultur. Die innerparteiliche Auseinandersetzung, die sich am Führungsstil des Sprechers Bernd Lucke entzündete, im Kern aber die ideologische Ausrichtung der AfD betraf, mündete im Sommer 2015 in deren Spaltung. Nachdem Lucke den Vorsitz in einer Kampfabstimmung an Frauke Petry verlor, trat er mit seinen Gefolgsleuten aus der AfD aus und brachte unter der Bezeichnung "Allianz für Fortschritt und Aufbruch" (ALFA) eine neue Gruppierung an den Start, die jedoch bei den folgenden Landtagswahlen chancenlos bleiben sollte. Bei der AfD bildete sich das rechtspopulistische Profil unterdessen immer deutlicher aus. Verfestigt wurde es im Sommer 2016 auf dem Stuttgarter Parteitag, wo sich die Partei erstmals ein Grundsatzprogramm gab. Die Selbstbeschreibung als Alternative zu den Etablierten, aber auch kritische Passagen gegen den Islam und das Bekenntnis zur traditionellen Mehrkindfamilie bildeten dessen Kernaussagen.

Bereits bei der Bundestagswahl 2013 hatte sich gezeigt, dass die AfD ihre Unterstützung weniger dem Euro-Thema verdankte als dem Unbehagen weiter Bevölkerungskreise an der Migrations- und Integrationspolitik. Der Befund deckt sich mit anderen Studien, die der im öffentlichen Diskurs immer wieder auftauchenden Diagnose, es handele sich um eine kurzlebige Protestpartei, empirisch fundiert widersprechen: Die AfD lebt danach zum einen von der Parteien- bzw. Politikverdrossenheit ihrer Wähler. Zum anderen besteht zwischen Partei und Elektorat ein hohes Maß an Konvergenz in sozio-kulturellen Positionen. Auch wenn nur ein gutes Viertel der AfD-Unterstützer ein geschlossen rechtsextremes Weltbild aufweisen, kann dies doch als Hinweis darauf gelesen werden, dass die AfD zwar zu einem großen Teil aus Protest unterstützt wird, es ihr aber zugleich gelungen ist, durch eine in die politische Mitte gewanderte Union freigewordene Wählerpotenziale am rechten Rand des Parteiensystems für sich zu gewinnen. Zumindest auf mittlere Sicht spricht also einiges dafür, dass sich der Rechtspopulismus in Gestalt der AfD nun auch in der Bundesrepublik etablieren kann.

Rechtspopulismus in Mittel- und Osteuropa

In den mittelosteuropäischen Staaten hat sich eine andere Form des Rechtspopulismus entwickelt, als sie aus Westeuropa bekannt ist. Die wesentlichen Unterschiede bestehen darin, dass sich die dortigen Vertreter weniger gegen zugewanderte Muslime als gegen eingesessene nationale und ethnische Minderheiten – etwa Sinti und Roma – richten. In der Regel treten sie mit dem Anspruch auf, die eigene Ethnie innerhalb der gemeinsamen, historisch legitimierten Grenzen zusammenzuführen (Irredentismus). Hinzu kommt, dass die religiöse Identität in Gestalt des Katholizismus (etwa in Polen) oder des orthodoxen Christentums eine weitaus größere Rolle spielt als in den säkularisierten Gesellschaften Westeuropas. Im Vergleich zu den dortigen Rechtspopulisten, deren wirtschaftspolitische Programmatik auch liberale Züge trägt, propagiert der Großteil der mittelosteuropäischen Exponenten eine sozialprotektionistische Politik. Gemeinsam mit den westeuropäischen Nachbarn ist ihnen der Protest gegen das politische Establishment. Mit der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und der ungarischen Fidesz haben sich rechtspopulistische Staatsparteien etabliert, die ihren anti-elitären Habitus und ihre Außenseiterrolle auf der europäischen Bühne fortsetzen.

Die Ursachen für die Herausbildung eines spezifischen mittelosteuropäischen Rechtspopulismus liegen in der Historie. Die Parteien schließen an autoritäre Vor- und Zwischenkriegstraditionen ebenso an wie an die verklärte Egalität der staatssozialistischen Gesellschaftsordnung. Nach dem Epochenumbruch 1989/1990 begann der politische Wettbewerb praktisch bei Null. Entsprechend profitieren rechtspopulistische Parteien von mangelnden Parteibindungen sowie von großer Skepsis gegenüber den alten und neuen politischen Eliten.

Ähnlich wie in Westeuropa ist das Spektrum der rechtspopulistischen Parteien in Mittelosteuropa alles andere als einheitlich. Dies zeigt ein Vergleich zwischen der polnischen PiS und der ungarischen Fidesz. Der ideologische Kern der 2001 von Lech Kaczyński gegründeten PiS fußt auf dem Bild des "Polentums" und besteht zum einen im polnischen Nationalismus, zum anderen in ihrer konservativ-katholischen Gesellschaftspolitik. Die Partei steht in enger Verbindung zu dem katholischen Radiosender Radio Maryja. Sie war mehrmals an polnischen Regierungen beteiligt und stellt seit 2015 die alleinige Regierungsfraktion.

Fidesz stellt seit 2010 unter Ministerpräsident Viktor Orbán die ungarische Regierung. Die Partei wurde jedoch bereits 1988 gegründet. Allerdings handelte es sich damals um eine liberale, bürgerliche Formation. Erst ab Anfang der 1990er Jahre kam es nach Abspaltungen zur Herausbildung eines konservativen, nationalistischen Profils, das sich nach der Wahlniederlage 2002 noch zuspitzte. Die ungarische Wählerschaft galt lange Zeit nicht als affin gegenüber dem Rechtspopulismus. Die Festigung von Fidesz als Partei mit breiten Mehrheiten stellte sich erst nach 2006 ein, als ein Skandal um Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány dessen sozialdemokratische Regierung zu Fall brachte. Die Beispiele Polen und Ungarn illustrieren, welche Auswirkungen die Regierungsbeteiligung von Rechtspopulisten haben kann. In Polen hat die Regierung unmittelbar nach den Wahlen ihren Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien ausgedehnt und gleichzeitig das Verfassungsgericht zu entmachten versucht. Damit eifert sie nicht nur dem "antiliberalen" Vorbild Ungarns nach, dessen Umbau zu einem quasi-demokratischen autoritären System seit der Machtübernahme von Fidesz konsequent betrieben wird, sondern auch dem – von seinem Urheber Wladimir Putin zynisch als "gelenkte" Demokratie titulierten – Herrschaftsmodell des verhassten russischen Nachbarn. Dabei waren es gerade Ungarn und Polen gewesen, die den eigenen Freiheitswillen in der kommunistischen Zeit gegen die Sowjetunion am konsequentesten unter Beweis gestellt hatten.

Meinung: Strategien der Auseinandersetzung

Die dauerhaft hohen Wahlergebnisse der Rechtspopulisten weisen darauf hin, dass es sich nicht um kurzlebige Protestphänomene handelt. Die etablierten Parteien und die zivilgesellschaftlichen Akteure müssen sich daran gewöhnen, dass sich rechtspopulistische Parteien etablieren – fraglich ist, wie den Populisten begegnet werden kann. Ein wesentliches Ziel sollte darin liegen, ihnen die Protestgründe, von denen sie profitieren, zu entziehen. Dies erfordert eine Kombination aus tatsächlicher (materieller) Problemlösung durch "gutes" Regieren, symbolischer Repräsentation der potenziellen Protestwählerschaft und politischer Auseinandersetzung mit den rechten Herausforderern.

Im politischen Wettbewerb haben sich die Parteien des Mainstreams an unterschiedlichen Strategien versucht. Diese reichen von Isolation (Deutschland, Frankreich), Imitation (Dänemark) bis zu Kooperation (Österreich, Finnland). Keine der gewählten Strategien hat die Wahlergebnisse von Rechtspopulisten bislang dauerhaft sinken lassen. In Dänemark und jüngst in Österreich haben sich nach Konservativen und Christdemokraten auch die Sozialdemokraten auf die Positionen der Rechtspopulisten eingelassen und dafür einen hohen Preis gezahlt. In Dänemark wurde die sozialdemokratisch geführte Regierung bei der Parlamentswahl Mitte 2015 abgewählt. In Österreich stürzte sie 2016 nach dem Umschwenken auf eine restriktivere Flüchtlingspolitik in eine tiefe Krise, die im Rücktritt von Bundeskanzler Werner Faymann endete.

Österreich ist aber auch ein Beispiel für die Konsequenzen, die eine Regierungsbeteiligung für rechtspopulistische Parteien haben kann. Zwischen 2000 und 2007 koalierte die konservative ÖVP auf Bundesebene mit der FPÖ. In dieser Zeit spaltete sich von der FPÖ das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) ab. Dem waren eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen und ein massiver Stimmenverlust bei der vorgezogenen Nationalratswahl 2002 vorausgegangen. Auch wenn das BZÖ inzwischen in der Versenkung verschwunden ist und die FPÖ sich seit Jahren nach Wählerstimmen auf Augenhöhe mit SPÖ und ÖVP befindet, zeigt das Beispiel, dass die Kompromisse einer Koalitionsregierung protestorientierte Parteien in heftige interne Konflikte stürzen können. Auch die Partei "Die Finnen" hat seit ihrer Regierungsbeteiligung in Finnland mit starken Popularitätsverlusten zu kämpfen.

In Dänemark und den Niederlanden wurden konservative Regierungen von Rechtspopulisten geduldet bzw. gestützt. Solche Konstellationen zahlen sich für Rechtspopulisten möglicherweise am meisten aus: Sie können Einfluss auf die Regierungsgeschäfte nehmen, befinden sich aber selbst nicht in der Verantwortung.

Dämonisierung und Isolation hingegen, wie sie die etablierten Parteien in Deutschland und Frankreich versuchen, führen nicht zu den erhofften Effekten. Das grundlegende Problem besteht darin, dass die etablierten Parteien die Herausforderer "entlarven" wollen, selbst aber Objekt des Populismus sind – handelt es sich bei ihnen doch gerade um die Vertreter jener "Altparteien", gegen die die Rechtspopulisten ihre Wähler erfolgreich mobilisieren. Der Versuch, die Parteien auszugrenzen, kann dann den unerwünschten Effekt haben, dass sich deren Sympathisanten ebenso stigmatisiert fühlen. So führt auch der Ausschluss aus der politischen Debatte dazu, die von den Rechtspopulisten behauptete Außenseiterrolle sogar noch zu bestätigen. Es dürfte daher generell sinnvoller sein, die politische Konfrontation nicht zu vermeiden, sondern gerade zu suchen. Auch dabei gilt jedoch, die Außenseiterrolle der Partei nicht zu adressieren, sondern den politischen Gegner inhaltlich zu stellen und mit seinen mangelnden Lösungsangeboten zu konfrontieren. Nehmen die linken wie rechten Parteien des politischen Mainstreams für sich in Anspruch, die besseren Argumente zu haben, so sollten sie auch die Gelegenheit nutzen, diese unaufgeregt ins Feld zu führen.

Welche Handlungsempfehlungen lassen sich aus dem Scheitern der gegensätzlichen Bekämpfungsstrategien ableiten? Neben der unmittelbaren politischen Auseinandersetzung erscheinen folgende vier Aufgaben(felder) wesentlich: Erstens bedarf es auf der nationalen wie auf der europäischen Ebene einer Politik, die ökonomischen und sozialen Zusammenhalt der Gesellschaften wieder stärker in den Mittelpunkt rückt. Das Bewusstsein der Bedeutung, die der Wohlfahrtsstaat für diesen Zusammenhalt gewinnt, ist in der Vergangenheit mehr und mehr abhandengekommen. Sie zeigt sich gerade mit Blick auf den internationalen Wettbewerb: Je weiter sich die Volkswirtschaften nach außen öffnen, umso wichtiger werden Bildung und Ausbildung (um sich für den Wettbewerb zu wappnen), aber auch die Absicherung gegen die durch den Wettbewerb entstehenden Risiken im Inneren. Gelingt es der Politik nicht, eine Gesellschaft auf der Basis von Chancengleichheit und Fairness zu errichten, kann das Populismus-Potenzial nicht reduziert werden.

Zweitens muss man beim Rechtspopulismus versuchen, der Konkurrenz auf deren eigenem Feld zu begegnen – der Wertepolitik. Dies stellt vor allem für die in ihrem Werteverständnis eher materialistisch geprägten Sozialdemokraten ein schwieriges Problem dar, die verloren gegangenen Kredit aber nur zurückgewinnen können, wenn sie der rechten "Gegenmodernisierung" ein eigenes, nicht-regressives Modell einer guten Gesellschaft entgegenstellen, das die Bedürfnisse der Menschen nach Zugehörigkeit aufnimmt. Dies gilt vor allem für die Zuwanderungspolitik. So entschieden man der rechtspopulistischen Perfidie entgegentreten muss, soziale Konflikte in rein kulturelle oder nationale Konflikte umzudeuten, so wenig sollte man umgekehrt der Versuchung unterliegen, kulturelle Differenz (und den Umgang mit ihr) auf ein ausschließlich soziales Problem zu reduzieren.

Drittens gilt es deutlich zu machen, warum eine Politik, die die Märkte auf der europäischen und transnationalen Ebene reguliert und dazu nationale Zuständigkeiten abgibt (bzw. abzugeben bereit wäre), dennoch im nationalen Interesse ist. Diese Herausforderung stellt sich in der Auseinandersetzung mit dem rechten und linken Populismus gleichermaßen. Die zunehmend europamüden Bürger lassen sich für das Integrationsprojekt nur zurückgewinnen, wenn die sozialen und kulturellen Nebenfolgen, die sich aus dem Marktgeschehen ergeben, nicht mehr ausschließlich der nationalstaatlichen Politik aufgebürdet werden. In anderen Bereichen – etwa der Außen- und Verteidigungspolitik – wäre es geboten, dass die politischen Eliten selbst über ihren Schatten springen; hier scheitert die Überwindung des nationalen Denkens nicht an den Widerständen der Bevölkerung.

Und viertens müssen die Parteien sich nach außen hin gegenüber den Bürgern öffnen. Dies verlangt nach einem anderen Repräsentations- und Organisationsverständnis, das mit dem heutigen Modell der von oben gesteuerten Mitglieder- und Funktionärsparteien bricht. Überlegt werden sollte auch, ob und in welcher Form man die repräsentative Parteiendemokratie durch direktdemokratische Beteiligungsverfahren ergänzen kann – damit sich die Rechtspopulisten dieser Forderung nicht exklusiv bemächtigen. Vor allem braucht es eine neue Kultur des Zuhörens und Aufeinanderzugehens. Die in einer Demokratie unverzichtbare Volksnähe des Politikers gebietet nicht, dem Volkswillen hinterherzulaufen, sondern den Bürgern Gehör zu schenken. Dies setzt voraus, dass man die Lebenswirklichkeiten seiner Wähler kennt oder ihnen zumindest nicht ausweicht.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Christoph Möllers, Demokratie. Zumutungen und Versprechen, Hamburg 2008, S. 33.

Lizenz

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Frank Decker, Dr. rer. pol., Dipl-Pol., ist seit 2001 Professor für Politikwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und seit 2011 Wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP). Dr. Marcel Lewandowsky ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Rechtspopulismus.