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Der Aufstieg der Rechtspopulisten in den USA | Rechtspopulismus | bpb.de

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Der Aufstieg der Rechtspopulisten in den USA

Heike Buchter

/ 14 Minuten zu lesen

Der Wahl Donald Trumps zum 5. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gingen Jahrzehnte der Krise vor allem der weißen Mittelschicht voran. Die rechtspopulistisch ausgelegte Tea-Party-Bewegung machte sich diese Krise zunutze – und wurde schließlich von Donald Trump gekapert.

Der designierte US-Präsident Donald Trump spricht im Dezember 2016 vor Anhängern im Crown Coliseum in North Carolina. (© picture-alliance, picture alliance/ZUMA Press)

Als Interner Link: Donald Trump im Juni 2015 die goldene Rolltreppe der New Yorker Trump Towers hinunterfuhr, um im Blitzlichtgewitter seine Präsidentschaftsbewerbung offiziell anzukündigen, schien es ein weiterer Einfall des Immobilienvermarkters und Reality-TV-Stars zu sein, um seinen Namen bekannt zu machen. Bei seinen frühen Wahlkampfreden belustigten sich die politischen Beobachter darüber, dass Trump statt Reformpläne seine Steaks anpries. Bis er in den Umfragen an seinen scheinbar gewichtigeren Konkurrenten vorbeizog. Es war vor allem ein Motiv, mit dem Trump die Basis der republikanischen Partei für sich begeisterte: Sein Versprechen, eine Mauer nach Mexiko zu bauen. Der Einfall schien Parteioberen und vielen Medienvertretern nur Hohn und Spott wert. Doch Trump traf einen Nerv. Der routinierte TV-Mann, dessen hauptsächliche Einnahmequelle seine Bekanntheit als "Marke" ist, erkannte schnell, wie er offene Feindseligkeit gegenüber Immigranten und Muslimen für sich nutzen konnte.

Trump verspricht, was sich vor allem viele Wähler der "Working Class", der Arbeiter-Mittelschicht in den USA schon lange wünschen. Seit Jahren kämpfen sie mit schrumpfenden Einkommen und trüberen Zukunftsaussichten. Das mittlere Einkommen der Bevölkerung in mehrheitlich von Weißen besiedelten ländlichen Regionen liegt laut der US-Zensus-Behörde vier Prozent unter dem der Städter, 13 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, die in den USA offiziell bei 22.000 Dollar Jahreseinkommen liegt. Laut einer Umfrage des Sozialforschungsinstituts Pew Research Center nach der Wahl ging ein Drittel der Befragten in ländlichen Gebieten davon aus, dass es ihren Kindern einmal finanziell schlechter gehen wird als ihnen selbst. Ein großer Teil fürchtet, von Einwanderern überholt und an den Rand gedrängt zu werden. So gaben 65 Prozent der befragten Weißen in ländlichen Regionen an, dass amerikanische Arbeitnehmer unter der wachsenden Zahl der Immigranten leiden.

Trump hat sich zu ihrem Sprachrohr gemacht. "Wir müssen uns unser Land zurückholen", sagt er immer wieder. Was er und seine Anhänger meinen, beschrieb der konservative Essayist Joseph Epstein im Juni 2016 im Wall Street Journal. Sie sähen ein Amerika, das ihnen zunehmend fremd sei. Er beschreibt eine Trump-Wählerin, eine "vernünftig wirkende Frau aus der Mittelschicht", die sich in den Medien nicht mehr wiederfinde. Dort, so Epstein, präsentiere sich ihr eine Montage aus Szenen wie "Demonstranten der Schwarzenbewegung Black Lives Matter, die die jüngste Zielscheibe ihre Zornes einschüchtern, ein küssendes lesbisches Pärchen bei seiner Hochzeit, eine junge Mutter, die um ihre Tochter trauert, dem unschuldigen Opfer eines Schusswechsels unter Gangmitgliedern, Diskussionen über die Toilettennutzung von Männern, die sich als Frauen identifizieren und verweichlichte College-Studenten, die sich über vermeintliche psychologische Verwundungen durch Mitstudenten oder Professoren ausweinen." Epstein sieht im Aufstieg Trumps eine Folge der jüngsten Schlacht in den "Culture Wars".

Seit den 1920er Jahren bricht dieser Konflikt zwischen den Vertretern der ländlich-traditionellen Werte und den Verfechtern von liberal-städtischen Ideen immer wieder aus. Der soziale Wandel beängstigt viele Amerikaner. In einer Untersuchung des Institute for Advanced Studies in Culture, dem Kulturforschungszentrum der University of Virginia, die im Oktober 2016 veröffentlicht wurde, gaben 58 Prozent der Befragten an, der überkommende Lebensstil der Amerikaner, der "American Way of Life", verschwinde immer schneller. Bei einer Befragung des liberalen Brookingsinstituts ebenfalls im Jahr 2016 stimmten 50 Prozent der Aussage zu, die amerikanische Kultur habe sich seit den 1950er Jahren mehrheitlich verschlechtert.

Ein älteres Ehepaar in Iowa, das sich aus religiösen Gründen geweigert hatte, eine private Kapelle für eine Hochzeit von Homosexuellen zu vermieten, wurde von diesen daraufhin wegen Diskriminierung verklagt. Als der Fall bekannt wurde, wurde das Ehepaar wegen seiner Weigerung von Familie und Freunden als "religiöse Eiferer" gemieden. Schließlich mussten sie das Gebäude verkaufen. Die öffentliche Meinung sei so schnell gekippt, sagte die Frau der New York Times: "Plötzlich waren wir die Minderheit. Es macht uns Angst." Aus Sicht Epsteins und anderer Konservativer haben die Liberalen mit ihrem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft und ihrer Political Correctness den jüngsten "Kulturkrieg" klar für sich entschieden. Und die "Trumpkins", wie er sie nennt, stellen die wütenden Verlierer dar, die nun Revanche verlangen.

Aber Trump spricht vor allem all diejenigen an, die sich von der Globalisierung und der Digitalisierung verunsichert und abgehängt fühlen. Tatsächlich gewann Trump mit die meisten Stimmen im Rust Belt im Nordosten der USA, etwa in Indiana, Ohio und Pennsylvania. Die Region war einst die Heimat der Massenfertigung – Textil, Schuhe, Möbel und zuletzt Elektronik - die über die vergangenen Jahrzehnte in Billiglohnländer abwanderten. Viele Rust Belt-Bewohner – überwiegend Weiße – sahen, wie immer mehr Produkte in den Regalen in ihrem lokalen Wal-Mart aus dem Fernen Osten kamen. Gleichzeitig verschwanden ihre Arbeitsplätze, die bis dahin auch dank starker Gewerkschaften eine gute soziale Absicherung geboten hatten. Seit 1990 sind im verarbeitenden Gewerbe laut dem US-Wirtschaftsministerium mehr als sechs Millionen Stellen abgebaut worden. In den am stärksten betroffenen Regionen und Branchen begann der Abstieg zeitgleich mit dem Interner Link: Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA). Laut einer Studie des US-amerikanischen Economic Policy Institutes aus dem Jahr 2013 hat das Abkommen knapp 700.000 Jobs vernichtet. Der Studie zufolge sind, seit China 2001 in die Welthandelsorganisation eintrat, insgesamt 3,2 Millionen Arbeitsplätze in den USA beseitigt oder verlagert worden, davon allein 2,4 Millionen Jobs in der Industrieproduktion, vor allem in der US-Elektronik- und Computerbranche. Unternehmensvertreter machen allerdings weniger den Freihandel dafür verantwortlich, als vielmehr Faktoren wie die Automatisierung und den technischen Wandel. Sie verweisen darauf, dass die US-Industrieproduktion 2015 auf 1,91 Billionen Dollar (Commerce Department, inflationsbereinigt in Dollar 2009) angestiegen ist und damit fast den Rekord von 2007, dem Jahr vor der Rezession, erreicht hat. Eine Studie des Ball State University's Center for Business and Economic Research kam 2015 zu dem Schluß, dass nur 13,4 Prozent aller verlorenen Arbeitsplätze einer Verlagerung in Billiglohnländer zum Opfer fielen. Die große Mehrheit sei auf eine höhere Produktivität zurückzuführen. Und dennoch: In der Wahrnehmung der Betroffenen verbanden sich der Verlust ihrer Arbeitsplätze mit den von den Gewerkschaften vergebens bekämpften Interner Link: Freihandelsabkommen und der zur gleichen Zeit stattfindenden Zunahme der Immigranten.

Viele Gebiete, in denen Trump hohe Zustimmung genießt, sind auch Gegenden, in denen der Drogenmissbrauch epidemisch ist, Depressionen verbreitet sind und Selbstmordraten steigen. Entgegen dem jahrzehntelangen Trend in den Industrieländern ist die Lebenserwartung in den USA das erste Mal gesunken. Bei weißen Frauen, die in ländlichen Gebieten wohnen, ist die Sterblichkeitsrate um 30 Prozent gestiegen. Eine ähnliche dramatische Entwicklung war zuletzt in Osteuropa und Russland zu beobachten – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Früher reichte ein High-School-Diplom, um in der Industrie einen ordentlichen Job finden zu können. Ein Job mit einem Einkommen, mit dem sich ein Haus finanzieren ließ und man die Kinder komfortabel großziehen konnte. Heute braucht, wer nicht dauerhaft zum Mindestlohn im Einzelhandel oder im Fast-Food-Gewerbe angestellt werden will, in der Regel vier Jahre College-Ausbildung. Es ist kein Zufall, dass laut einer Auswertung der New York Times bei der Präsidentschaftswahl 2016 63 Prozent der weißen Männer für Trump stimmten (und 52 Prozent der weißen Frauen) sowie 67 Prozent der weißen Wähler ohne College-Abschluss. Trump hat ihrem Zorn eine Richtung gegeben: Einwanderer. "Sie nehmen uns unsere Jobs, unsere Industriearbeitsplätze, unser Geld, sie machen uns alle", behauptete er in seinen Reden. Trumps Kritiker sehen darin die Suche nach einem politischen Sündenbock. Doch Michael Lind, Mitgründer des Washingtoner Think Tank New America, hält die Position aus Sicht von Trump und seinen Anhängern für nachvollziehbar. "Wenn ich ein amerikanischer oder europäischer Populist bin, der nicht daran glaubt, dass eine wohlmeinende Regierung ihm ein Mittelschichteinkommen verschaffen wird – sei es durch Steuersubventionen oder Transferleistungen –, dann ergeben Einwanderungsbeschränkung und Protektionismus durchaus Sinn."

In der Angst der Trump-Anhänger vor Überfremdung und insbesondere vor muslimischer Zuwanderung finden sich Parallelen zu Interner Link: Pegida und dem französischen Interner Link: Front National um Marine Le Pen. Die Haltung "der" Amerikaner zur Immigration unterscheidet sich allerdings vom Stimmungsbild in vielen europäischen Staaten. Das liegt an der historischen Entstehungsgeschichte zunächst als Kolonie britischer Einwanderer. "Wir sind eine Nation von Immigranten" ist ein Satz, der sich in politischen Reden, in Schulbüchern und auf der offiziellen Webseite der amerikanischen Botschaften findet. Mit diesem Satz begründete Präsident Obama etwa seine Entscheidung, den Kinder von Einwanderern, die von ihren Eltern über die Grenze geschmuggelt wurden, eine Bleiberecht zu geben. Im Laufe der US-Geschichte gab es allerdings immer wieder Phasen, in der neue Einwanderergruppen wie etwa die Iren und Chinesen zunächst abgelehnt und eingeschränkt wurden. Fragt man Trump Anhänger nach ihren Ansichten zur Immigration, dann verweisen sie oft darauf, dass illegale Einwanderer die öffentliche Sicherheit gefährdeten. Bei einer Umfrage des Pew Research Center erklärten überzeugte Trump-Anhänger, illegale Einwanderer seien für schwere Straftaten verantwortlich. Trumps Tiraden gegen angebliche kriminelle Mexikaner bestärken sie in ihrer Meinung.

Auch die Medien haben Ressentiments geschürt

Geschürt wurden diese Ressentiments in den USA auch durch reaktionäre Talk-Radios. 1987 wurde die Vorschrift aufgehoben, nach der Radiosender stets beiden politischen Seiten Sendezeit einräumen mussten. Das machte Talk-Formate erfolgreich, die eine Mischung aus Entertainment und radikal konservativen Kommentaren boten. Rush Limbaugh etwa erreicht wöchentlich 13 Millionen Hörer, es ist laut dem Branchenjournal Talkers Magazin das meist gehörte Programm der USA. Angeregt davon kamen der Zeitungszar Rupert Murdoch und der Fernsehmann Roger Ailes – der frühere Medienberater von Richard Nixon, Ronald Reagan und George H. W. Bush – Anfang der 1990er Jahre darauf, ein ähnliches Format fürs Fernsehen zu entwickeln. So entstand Fox News: eine Mischung aus aktuellen Berichten, meist präsentiert von attraktiven jungen Frauen, und extrem konservativen pauschalisierenden Kommentaren. Die Einschaltquoten gaben Ailes und Murdoch schnell recht: Bereits 2002 überholte Fox News den etablierten Konkurrenten CNN.

Der Sender veränderte auch die politische Diskussion. Als Reaktion auf Fox positionierte sich etwa der Kabelsender MSNBC im linken Flügel des Spektrums. Politiker traten zunehmend in Medien auf, die ihnen freundlich gesinnt waren. Das trug dazu bei, dass sich die Fronten zwischen den Parteien verhärteten. Jeder Kompromiss in Washington wurde von Fox und den anderen Meinungssendern als Niederlage gegeißelt. Fox wurde zum Königsmacher für Politiker der republikanischen Partei.

Es waren die Finanzkrise und die Wahl Barack Obamas, die 2009 schließlich zur einer offenen rechtspopulistischen Revolte führte. Interner Link: Obama repräsentierte alles, was die Verlierer des neuen Amerika verachten: Ein schwarzer Harvard-Professor, Sohn eines Afrikaners, der an die gestaltende und umverteilende Rolle der Regierung glaubt. Früh sah sich Obama Attacken ausgesetzt, die ihn als "unamerikanisch" disqualifizieren sollten. Ein politischer Rivale in Chicago zweifelte 2004 öffentlich daran, dass Obama tatsächlich in den USA geboren worden sei. Obama versuchte, das Gerücht durch die Veröffentlichung seiner Geburtsurkunde auszuräumen. Trump, der schon vor seinem Antritt 2015 immer wieder behauptete, mit dem Gedanken einer Präsidentschaftskandidatur gespielt hatte, griff den Vorwurf vor Interner Link: Obamas Wiederwahl 2012 wieder auf. Da der Präsident der USA im Land geboren sein muss, kamen die Zweifel am Geburtsort Obamas Zweifeln an seiner Legitimität gleich.

Die Gründung der Tea Party

Es fehlte nur ein Zündfunke, um aus dem angestauten Frust eine neue Bewegung zu machen. Am 19. Februar 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, rief der Börsenreporter Rick Santelli während seiner Sendung zu einer neuen "Tea Party" auf – so wie einst die amerikanischen Rebellen der englischen Kolonialmacht die Steuern und Gefolgschaft verweigerten, so sollten "Patrioten" sich nun der Obama-Regierung verweigern. Anlass war die Ankündigung der Regierung gewesen, Hausbesitzern mit niedrigem Einkommen, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten, ihre Schulden zu erlassen. Das Programm bestätigte die Ängste vieler Angehöriger der weißen Mittelschicht, die durch die Rezession bereits verunsichert waren, dass der neue Präsident eine großangelegte Umverteilung plante. Viele Amerikaner gaben der staatlichen Förderung von Hauseigentum bei Minderheiten die Hauptschuld an der geplatzten Kreditblase. Der Staat habe aus Gründen der politischen Korrektheit Schwarzen und Latinos Kredite ermöglicht, die diese dann nicht bedienen wollten oder konnten – und nun sollte genau diesen Hausbesitzern auf Kosten der Allgemeinheit geholfen werden, so Santelli. Seinem Aufruf folgten Tea-Party-Aktionen im ganzen Land, vielerorts bildeten sich Gruppen. Es war der Beginn der Tea-Party-Bewegung.

Mit seiner Gesundheitsreform befeuerte Obama die Revolte. Tea-Party-Anhänger sahen in Obamacare, wie sie es verächtlich nannten (erst später übernahm Obama den Begriff selbst), eine Wiederholung des Schuldenerlasses – nur in einer nie dagewesenen Dimension. Obamas Gesundheitsreform zielte darauf ab, Millionen bisher unversicherter Menschen den Zugang zur Krankenversicherung zu verschaffen. Ein großer Anteil der Unversicherten sind Immigranten oder gehören Minderheiten an. Ein häufiger Kritikpunkt war der Verstoß gegen das Prinzip des freien Marktes, sowie das Maß an staatlicher Kontrolle, zum Beispiel auch die Strafe für Unversicherte, die häufig als „sozialistisch“ verunglimpft wurde. Was Teile der "Working Class" auch störte, ist ihre Annahme, dass ihre Beiträge dazu dienen, die Absicherung für Menschen zu bezahlen, die – aus ihrer Sicht – selbst nichts oder zu wenig dazu beitragen. Somit brachte auch die Solidarität, zu der sie der – schwarze – Präsident Obama mit seiner Reform verpflichtete, sowohl die republikanische Basis als auch viele Demokraten gegen Obamacare auf. Die Soziologinnen Theda Skocpol und Vanessa Williamson beschäftigten sich 2011 in einem Buch mit dem Aufstieg der Tea Party. Sie stellten fest, dass deren Anhänger, trotz der Kritik an Obamacare, oft gleich mehrfach selbst von staatlichen Programmen profitierten – etwa von der staatlichen Rente Social Security sowie von Medicare, der staatlichen Gesundheitskasse für Rentner. "Sie sind vollkommen überzeugt, dass sie sich diese Leistungen mit harter Arbeit verdient haben", beschreibt Skocpol deren Argumente.

"Unterwanderung" der Republikaner

Anders als vergleichbare rechtspopulistische Bewegungen in Europa schaffte es die Tea Party, rasch zu einer der einflussreichsten politischen Kräfte des Landes zu werden. Der Preis war jedoch ihre Vereinnahmung durch vermögende konservative Sponsoren. Vor allem waren es die Brüder Charles und David Koch, die zusammen 84 Milliarden Dollar schweren Erben eines Öl- und Chemieimperiums, die den Tea-Party-Anhängern halfen, den Marsch durch die Institutionen anzutreten. Ihre politischen Ziele – ein radikal libertäres Amerika, weitgehend frei von staatlichem Einfluss und Regulierung – verfolgen die Brüder seit mehr als drei Jahrzehnten. Sie bauten ein Netz von Institutionen auf, die ihre Ideologie verbreiten sollen. Dazu gehörte etwa das Cato Institute, die prominenteste wirtschaftsliberale Denkfabrik, die Charles Koch mitgründete. Die großzügige Unterstützung der Familie hat auch die erzkonservative Heritage Foundation genossen. In den 1980er Jahren stifteten die Kochs Millionen als Starthilfe für das Mercatus Center, das nach eigenen Angaben die Brücke zwischen akademischen Ideen der freien Marktwirtschaft und realer Anwendung schlagen soll. Die durchschlagendste Initiative der Kochs war jedoch die Americans for Prosperity Foundation, bei deren Schwester-Organisation Americans for Prosperity (AFP) die frühen Anführer der Tea Party tatkräftige Hilfe beim Aufbau ihrer Bewegung erhielten. Für die Kochs bot die Tea-Party-Bewegung, die Santelli angestoßen hatte, eine willkommene Gelegenheit, ihre bis dahin vorwiegend auf das Washingtoner Establishment abzielenden Aktivitäten mit einer Volksbewegung zu verbinden. David Koch stritt zunächst ab, die Tea Party direkt zu finanzieren. Doch bei einer Veranstaltung der Americans for Prosperity erklärte er: "Vor fünf Jahren gaben mein Bruder Charles und ich Startkapital für Americans for Prosperity, und es hat meine wildesten Träume übertroffen, wie AFP zu dieser enormen Organisation angewachsen ist– Hunderttausende Amerikaner aus allen Schichten, die aufstehen und für die ökonomische Freiheit kämpfen, die unsere Gesellschaft zu einer der reichsten der Geschichte gemacht hat." Seine Rede wurde von einem Dokumentarfilmer eingefangen, der sich bei der Veranstaltung eingeschlichen hatte.

Die einzigartige Zangenbewegung aus Tea-Party-Aktivisten, die lokale Wahlen beeinflussen konnten, und Tea-Party-Sponsoren, die Wahlkampagnen für Wunschkandidaten finanzierten, unterschied laut der Harvard-Soziologie-Professorin Skocpol die Bewegung von früheren populistischen Revolten der Parteibasis. Was die Tea Party von vergleichbaren Gruppen in Europa trennt: Statt eine neue Partei zu gründen, sahen sie ihre Chance im Zweiparteiensystem der USA darin, die republikanische Partei zu "unterwandern". Die Tea-Party-Abgeordneten – offiziell Teil der Republikaner – waren es vor allem, die Obamas spätere Initiativen wie etwa die Einwanderungsreform scheitern ließen. Ihre radikale Verweigerungshaltung führte zur Haushaltssperre 2013, die Washington für zwei Wochen lahmlegte und die bis dahin exzellente Kreditbewertung der USA erschütterte.

Doch die Finanziers haben sich bei ihrer Übernahme der Tea Party verkalkuliert. Das wurde spätestens klar, als die Mehrheit der Tea-Party-Anhänger 2015 begann, Trumps Kandidatur zu unterstützen. Eine These ist: Es ging ihnen vermutlich nicht um die freie Marktwirtschaft und die Reduzierung der Rolle des Staates. Es ging ihnen um Jobs und Chancen für sich selbst und nicht zuletzt darum, sich Gehör in Washington zu verschaffen. Die Kochs zeigten sich offen enttäuscht vom Aufstieg Trumps. "Es geht nur noch um Persönlichkeitskult, nach dem Motto: Deine Mutter hat faule Eier gegessen", klagte Charles Koch gegenüber Reportern des Wall Street Journal im Oktober 2015. In der TV-Sendung "Morning Joe", in der er erstmals gemeinsam mit seinem Bruder David ein Interview gab, erklärte er, er sei "seit geraumer Zeit enttäuscht" von der republikanischen Partei. Ihre geduldige Vorarbeit, mit der sie die Partei in die von ihnen bevorzugte Ausrichtung gedrängt hatten, hatte stattdessen den Boden für einen Kandidaten bereitet, den sie nicht unter Kontrolle haben. Schlimmer noch, der entgegengesetzte Interessen verfolgt. So hat Donald Trump eine protektionistische Politik versprochen. An einer Abschottung Amerikas können die Kochs mit ihrem internationalen Konzern kein Interesse haben. Während die Kochs gerne mehr Latinos für ihre Sache gewinnen wollen, bezeichnete Trump mexikanische Immigranten als Vergewaltiger und Kriminelle. Und während das Ideal der Kochs der Nachtwächterstaat ist, lehnen die meisten Tea-Party-Anhänger und Trump-Wähler eine Kürzung oder gar Abschaffung der staatlichen Renten- und Gesundheitsversicherung ab. Der Unterschied liegt darin, dass die meisten Tea-Party-Anhänger und Trump-Wähler selbst Beiträge in die staatlichen Sozialversicherungssysteme eingezahlt haben. Natürlich erwarten sie im Gegenzug für ihre Zahlungen eine Leistung des Staates – zum Beispiel die Absicherung im Alter. Obamacare allerdings halten sie für ungerecht, weil sich das System aus Steuergeldern finanziert und davon auch Menschen profitieren, die finanziell nichts zu den Leistungen beitragen.

Amerika hat immer wieder Wellen des Populismus erlebt, sowohl vom linken als auch vom rechten politischen Spektrum ausgehend. Ende des neunzehnten Jahrhunderts etwa rebellierten die Farmer. Der Aufstand, der sich vor allem gegen Wall-Street-Banker und Immigranten wandte, hatte überwiegend ökonomische Gründe – die Landbevölkerung fühlte sich abgehängt von der Industrialisierung. Aber es war auch eine kulturelle Abwehr gegen den wachsenden Einfluss der Metropolen und eine Sehnsucht nach der angeblich sozial gleicheren Ära der Gründerväter, den frühen Tagen der Republik. Auch der Demokrat Huey Long, Gouverneur von Louisiana von 1928 bis 1932, agitierte gegen die Banker und Kapitalisten und verlangte eine Umverteilung der Vermögen zugunsten der Armen. George Wallace, Gouverneur von Alabama für die Demokraten, kämpfte im Namen der weißen Mehrheit gegen die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre. Pat Buchanan, Präsidentschaftsbewerber im Jahr 1992, kommt Trump mit seiner Ablehnung der Immigranten und isolationistischen Tendenzen am nächsten, wobei Trump keine durchgängige konservative Ideologie erkennen läßt. Wohl gerade deshalb konnte er mit seinen Versprechen eine weit breitere Basis von Unterstützern anziehen, als es die Tea Party je konnte. Donald Trump, der stets stolz seine Erfolge preist, kann einen weiteren dazu zählen. Er hat erreicht, was vor ihm kein amerikanischer Politiker geschafft hat: Eine breite, mehrheitsfähige, rechtspopulistische Bewegung in den USA. Die hat ihn im November 2016 zu ihrem Präsidenten gewählt. Und sie wird nicht so schnell wieder aus Washington verschwinden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. http://blogs.census.gov/2016/12/08/a-comparison-of-rural-and-urban-america-household-income-and-poverty/

  2. http://www.pewresearch.org/fact-tank/2016/11/17/behind-trumps-win-in-rural-white-america-women-joined-men-in-backing-him/#

  3. http://www.iasc-culture.org/survey_archives/VanishingCenter.pdf

  4. http://www.prri.org/research/prri-brookings-immigration-report/

  5. http://www.epi.org/publication/china-trade-outsourcing-and-jobs/

  6. http://conexus.cberdata.org/files/MfgReality.pdf

  7. http://www.npr.org/sections/health-shots/2016/12/08/504667607/life-expectancy-in-u-s-drops-for-first-time-in-decades-report-finds

  8. “My fellow Americans, we are and always will be a nation of immigrants.“ https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2014/11/20/remarks-president-address-nation-immigration

  9. http://www.pewresearch.org/fact-tank/2016/08/25/5-facts-about-trump-supporters-views-of-immigration/

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Heike Buchter arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Journalistin in den USA. Sie berichtete über die Folgen der Terroranschläge vom 11. September, die Finanzkrise und zuletzt die Wahl von Donald Trump. Seit 2008 ist sie Korrespondentin für die Wochenzeitung "Die Zeit".