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Pegida – eine Protestbewegung zwischen Ängsten und Ressentiments Eine Analyse aus der Sicht der Bewegungs-, Extremismus- und Sozialforschung

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber

/ 14 Minuten zu lesen

In der Pegida-Bewegung gegen die "Islamisierung des Abendlandes" artikuliert sich ein diffuser Protest gegen die politische Elite. Dabei dominiert aber nicht das differenzierte Argument, sondern die emotionale Pauschalisierung. Insofern handelt es sich auch um eine Ressentimentbewegung.

Pegida - eine "Ressentimentbewegung": Anhänger des islamkritischen Pegida-Bündnisses versammeln sich am 09.02.2015 vor der Frauenkirche in Dresden. (© picture-alliance, ZB)

Seit dem 20. Oktober 2014 demonstrieren in Dresden meist an Montagen die Anhänger einer Bewegung, die sich "Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) nennt. Dabei versammelten sich zeitweise um die 25.000 Demonstranten. Auf Plakaten konnte man Slogans wie "Gewaltfrei & vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden" oder "Gegen religiösen Fanatismus und jede Art von Radikalismus. Gemeinsam ohne Gewalt" lesen. Bei den Versammlungen wurden aber auch Slogans wie "Lügenpresse" und "Volksverräter" zur Bezeichnung von Medien und Politik skandiert. Mittlerweile entstanden in anderen deutschen Städten einige Ableger, die sich ähnliche Bezeichnungen mit der Nennung des jeweiligen Ortes gaben. Gleichzeitig lösten diese Demonstrationen jeweils Gegen-Demonstrationen aus. Angesichts der dadurch deutlich werdenden gesellschaftlichen und politischen Relevanz soll hier eine Einschätzung von Pegida aus Sicht der Bewegungs-, Extremismus- und Sozialforschung formuliert werden.

Diffuse Positionen und Themen

Betrachtet man die Pegida-Bewegung im Lichte der Geschichte der Protestbewegungen im Nachkriegsdeutschland, so fallen einige Besonderheiten ins Auge: Es handelte sich früher meist um Bestrebungen, die wie die Friedens- und Ökologiebewegung ideologisch-politisch mehrheitlich eher "links" und weniger "rechts" orientiert waren. Auch wenn die Repräsentanten von Pegida sich als "weder links noch rechts" definieren wollen, sprechen die Anliegen und Themen eher für eine "rechte" Protestbewegung, wobei die genauere Einordnung noch einer späteren Erörterung vorbehalten bleiben soll. Darüber hinaus fällt bei der vergleichenden Betrachtung die Diffusität der Positionen und Themen auf: Während frühere Protestbewegungen konkrete Absichten wie etwa die Ablehnung des Baus von Atomkraftwerken oder der Stationierung von Mittelstreckenraketen hatten, bleibt das mit "Islamisierung" gemeinte Phänomen in der Pegida-Selbstdarstellung unklar. Es wird noch nicht einmal in den offiziellen Erklärungen der Veranstalter begründet oder erläutert.

Hohe Bedeutung individueller Akteure und Zugänge

Als weitere Besonderheit im Vergleich mit früheren Protestbewegungen fällt die hohe Bedeutung individueller Akteure und Zugänge auf: Am Beginn standen zuvor meist politische Organisationen, also bestimmte Gruppen, Parteien oder Vereine, die zu Demonstrationen oder Veranstaltungen aufriefen. Erst danach beteiligten sich in höherem Maße unorganisierte Einzelpersonen. Bei Pegida scheint dies nicht der Fall zu sein. Auch die Gründer agierten als Individuen und gehörten zuvor meist keiner politischen Organisation an. Beispielhaft dafür steht etwa der als Hauptinitiator geltende Lutz Bachmann. Selbst die Mitglieder einer Partei agierten sowohl als Initiatoren wie als Mitläufer nicht in deren Auftrag. Exemplarisch hierfür steht der Mitinitiator Siegfried Däbritz, ein ehemaliger FDP-Stadtrat, der aber nicht im Namen seiner Partei aktiv wurde. Eine Ausnahme hinsichtlich der individuellen Zugänge stellen die Angehörigen rechtsextremistischer "Kameradschaften" oder Parteien dar, welche aber in der Gesamtschau von marginaler Bedeutung sind.

Entstehung der Pegida-Bewegung

Der erwähnte Lutz Bachmann gilt als eigentlicher Gründer von Pegida, hatte er doch am 11. Oktober 2014 eine Facebook-Gruppe mit der Bezeichnung "Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" initiiert. Als offizielle Begründung dafür wurde die Ablehnung einer Unterstützung der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) bei ihrem Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) angegeben. Daraufhin schloss sich der ebenfalls bereits erwähnte Siegfried Däbritz dem Projekt an, gelte es doch gegen "Glaubenskriege auf unseren Straßen" und die "Islamisierung unseres Landes" vorzugehen. Diese beiden Formulierungen bildeten denn auch die ersten bedeutsamen Parolen auf den Transparenten der späteren Pegida-Bewegung. Mit der Anspielung auf die "Glaubenskriege" bezog man sich auf gewalttätige Konflikte, die Anfang Oktober 2014 in verschiedenen Städten zwischen pro-jesidischen/pro-kurdischen Demonstranten und salafistischen Gegen-Demonstranten stattgefunden hatten. Mit zehn anderen Personen entstand nun das Organisationsteam der Pegida-Bewegung.

Entwicklung der Pegida-Demonstrationen 2014

Fortan rief man zu "Montagsspaziergängen", so die offizielle Formulierung für die Demonstrationen, in Dresden auf. Zunächst nahmen daran am 20. Oktober 2014 nur 350 Personen teil. Am 27. Oktober stieg die Zahl auf 500, am 3. November hatte sie sich auf 1.000 verdoppelt. Am 10. November waren es schon 1.700 und am 17. November 3.200 Teilnehmer. Parallel dazu berichtete zunächst die regionale, dann aber auch die überregionale Presse über das Pegida-Phänomen. Auch für andere Medien wurden die Demonstrationen ein bedeutendes Thema für ihre Berichterstattung. Dies beförderte den rapiden Anstieg der Teilnehmerzahl: Am 24. November kamen 5.500 und am 1. Dezember 7.500. Danach folgte gar eine fünfstellige Zahl von Demonstranten den Aufrufen: Am 8. Dezember waren es 15.000 und am 22. Dezember 17.500 Teilnehmer. Berücksichtigt man die örtliche Fixierung auf Dresden, die kalte Jahreszeit und das bevorstehende Weihnachtsfest, so kann man den Demonstrationen eine enorme Mobilisierungswirkung bescheinigen

Gemäßigte offizielle Positionen in 19 Punkten

Nachdem die Pegida-Bewegung öffentlich kritisiert wurde, versuchten sich die Initiatoren durch eine 19-Punkte-Erklärung am 10. Dezember 2014 deutlicher inhaltlich zu positionieren. Die dortigen Ausführungen enthalten in der Gesamtschau eher gemäßigte Auffassungen und teilweise konstruktive Vorschläge. Dafür steht etwa die Forderung nach "dezentraler Unterbringung für Kriegsflüchtlinge und Verfolgte anstatt in teilweise menschenunwürdigen Heimen". Dem schließen sich aber auch wieder diffuse Erklärungen wie die zu "Erhaltung und Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur" an. Insgesamt handelt es sich bei diesen offiziellen Auffassungen aber nicht um die real vorhandenen Positionen der Pegida-Demonstranten oder -Führungsspitze. Denn die 19-Punkte-Erklärung diente erkennbar dazu, den Anschein einer gemäßigten und realistischen Auffassung in die breite Öffentlichkeit hinein zu vermitteln. Die Inhalte des Positionspapiers wurden denn auch nicht auf den Versammlungen dargestellt oder erörtert.

Hetzerische Stimmung durch die Initiatoren

Dort dürfte etwa ein Bekenntnis zur "Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten" als Menschenpflicht – ein ausformulierter Bestandteil der 19 Punkte – hetzerische Kommentare und rigorose Verdammung auslösen. Denn bei den Demonstrationen herrscht häufig eine von Aversionen und Ressentiments geprägte emotionale Stimmung und kein von Reflexionen und Sorgen getragener sachlicher Ton vor. Der Pegida-Initiator Lutz Bachmann meinte etwa in einer Rede mit aggressivem Unterton, Flüchtlinge lebten in "luxuriös ausgestatteten Unterkünften", während sich arme Rentner "kein Stück Stollen" mehr zu Weihnachten leisten könnten. Darüber hinaus kann man an seiner Person auch anschaulich den Gegensatz von dem offiziell beschworenen Bild der Anständigkeit und den tatsächlich propagierten Hassbildern veranschaulichen. Denn Bachmann distanzierte sich stets bei Nachfrage von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Auf Facebook-Einträgen hatte er indessen Migranten als "Dreckspack", "Gelumpe" und "Viehzeug" tituliert.

Empirische Studien zu den Demonstrierenden

Um genauere Auskunft über die Besonderheiten und Motive der Pegida-Demonstranten zu erhalten, führten Sozialwissenschaftler unter ihnen Befragungen durch: Dazu gehörte eine Forschergruppe um den Berliner Soziologen Dieter Rucht, die Ergebnisse aus Beobachtungen und Online-Interviews zusammentrug. Man verteilte dazu 3.500 Handzettel, welche aber nur von 670 Demonstranten angenommen wurden. An der Befragung selbst beteiligten sich dann nur 123 Personen. Eine weitere Studie erstellte eine Forschergruppe um den Dresdener Politologen Hans Vorländer, welche um die 400 Demonstranten bei drei Veranstaltungen befragte. 65 Prozent der für die Befragung ursprünglich angesprochenen Personen lehnten indessen eine Teilnahme ab. Vorländer sah darin kein Problem hinsichtlich einer angestrebten Repräsentativität oder möglichen Verzerrung. Diesbezüglich muss hier indessen Kritik formuliert werden: Die Annahme, wonach es zwischen den Antwortwilligen und Antwortunwilligen keine Unterschiede gibt, lässt sich nicht stützen.

Ergebnisse der Studien zu Besonderheiten

Gleichwohl verdienen die Ergebnisse der nicht-repräsentativen Studien kritische Aufmerksamkeit: Nach der Rucht-Studie handelt es sich zu vier Fünftel um Männer, welche überwiegend Angestellte oder Arbeiter waren und dem Mittelstand zuzurechnen seien. Über 20 Prozent verfügten demnach über Abitur oder Fachhochschulreife, weitere über 30 Prozent hätten ein abgeschlossenes Studium. Nach der Vorländer-Studie entstamme der "typische" Pegida-Demonstrant der Mittelschicht, sei gut ausgebildet, berufstätig, verfüge über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, sei 48 Jahre alt, männlich, gehöre keiner Kirche und keiner Partei an. Diese Erkenntnisse zu den sozialen Besonderheiten der Pegida-Demonstranten hinsichtlich Alter, Geschlecht und Sozialstatus entsprechen auch weitgehend den Beobachtungen, die man aus persönlichen Eindrücken gewinnen kann. Und bei der Rucht-Studie nahmen die Forscher auch Demonstrationsbeobachtungen als Bestandteile ihrer Datenbeschaffung mit auf.

Ergebnisse der Studien zur Motivation

Bezüglich der Motivation der Pegida-Demonstranten kamen die beiden Studien zu folgenden Ergebnissen: Laut der Rucht-Untersuchung handelt es sich bei diesen keineswegs nur um "besorgte Normalbürger". Vielmehr wiesen sie politische Positionen rechts von der Mitte des gegenwärtigen Meinungsspektrums auf. Bei der Selbsteinschätzung gaben 33,3 Prozent "rechts" und 1,7 Prozent "extrem rechts" an. Am kommenden Sonntag würde man zu 89 Prozent die AfD und zu 5 Prozent die NPD wählen. Bei den politischen Einstellungen gab es folgende Zustimmungswerte (in Klammern als Vergleich die Angaben für die Gesamtbevölkerung): Bejahung eines starken Führers für Deutschland 4,3 (9,2), Forderung nach einer Einschränkung des Moscheebaus 93 (42,2) oder Rede von einer übertriebenen Darstellung von NS-Verbrechen 11,4 (6,9) Prozent. Nach der Vorländer-Studie demonstrierten die Pegida-Anhänger mehr aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit der Politik (54 Prozent) und weniger gegen die "Islamisierung des Abendlandes" (23 Prozent).

Problematik der Repräsentativität der Studien

Wie die erwähnten Angaben zu den Rückläufen bei der Befragung bereits deutlich machten, besteht ein Problem hinsichtlich der Repräsentativität der Studien. Dies räumte die Rucht-Untersuchung auch ein. Bei ähnlichen Studien im Kontext anderer Protestbewegungen lag die Rücklaufquote zwischen 35 und 52 Prozent, bei Pegida nur bei 18 Prozent. Die Forscher bekannten denn auch, dass die Stichprobe nicht repräsentativ und eher verzerrt sei. Sie gingen davon aus, dass an der Befragung eher die politisch moderateren Demonstranten teilgenommen hatten. Demgegenüber sah die Vorländer-Studie kein größeres Problem für die Repräsentativität, obwohl sich deren Ergebnisse ebenfalls nur auf eine eher geringe Rücklaufquote von 35 Prozent stützen konnte. Darüber hinaus spricht noch ein anderer Grund gegen die Repräsentativität der Daten: Bei den Pegida-Demonstranten besteht ein großer Vorbehalt gegenüber Medien und Politik. Die hier besonders stark ausgeprägten Akteure dürften eben gerade nicht zu einem Interview mit den Wissenschaftlern bereit gewesen sein.

Faktencheck zu den Islamisierungs-Behauptungen

Ein Ergebnis der vorgenannten Studien ist von besonderem Interesse: Entgegen der Namensgebung von Pegida, die sich ausdrücklich gegen die "Islamisierung" wenden will, spielt das damit gemeinte Thema offenbar keine so große Rolle für die Demonstrationsteilnehmer. Da in Dresden selbst nur 0,4 Prozent und in Sachsen nur 0,2 Prozent der Menschen gläubige Muslime sind, lässt sich für die dortige Region schwerlich von einer bedrohlichen Ausbreitung des Islam sprechen. Auch darüber hinaus passen derartige Behauptungen nicht zur sozialen Realität: Zwar lässt sich etwa gegenwärtig sehr wohl ein Anstieg von Einwanderung konstatieren, indessen kommen die gemeinten Personen gerade nicht aus muslimisch geprägten Ländern. Es gibt sogar eine stärkere Rückwanderung in die Türkei als eine stärkere Zuwanderung aus diesem Land. Der Blick auf diese beiden Gesichtspunkte ignoriert nicht die Probleme einer Einwanderungsgesellschaft, bei Pegida erscheinen sie aber in einer verzerrten und wirklichkeitsfremden Perspektive.

Momentaufnahmen von den Demonstrationen

Betrachtet man einzelne Momentaufnahmen von den Demonstrationen, dann entsteht der Eindruck von einer Gruppe von Menschen mit diffusen Ansichten und hetzerischen Stimmungen: Eine Fernsehdokumentation lies einzelne Demonstrationsteilnehmer ausführlich zu Wort kommen, wobei auch hier das Problem der Repräsentativität besteht. Darunter befand sich beispielsweise ein Mann, der zunächst in sachlichem Ton seine allgemeine Sorge um die Werte des Abendlandes zum Ausdruck brachte. Daraufhin fragte ihn der Interviewer, welche das denn konkret seien. Schließlich äußerte der Mann, dies könne er gerade auch nicht sagen. Ein anderer Befragter behauptete mit aggressivem Tonfall, Ausländer kämen als Schmarotzer nach Deutschland und würden alles bekommen. Er selbst meine das so, sei aber kein Nazi. Wiederum ein anderer Befragter erklärte mit schriller Stimme, dass die Einwanderung von Muslimen aufgrund von Befehlen aus Tel Aviv und Washington erfolge. Das habe aber nichts mit einer Rechtslastigkeit zu tun, das sei eine Tatsache.

Die "Wir sind das Volk"-Beschwörung

Bei den Demonstrationen riefen die Teilnehmer, mitunter angeregt durch "Ordner" oder "Verstärker" der Organisatoren, bestimmte Parolen, die hier nähere Aufmerksamkeit verdienen sollen: Die Aussage "Wir sind das Volk" diente den damaligen DDR-Oppositionellen zum Protest gegen die SED-Diktatur. Heutige Repräsentanten der seinerzeitigen Bürgerrechtsbewegung distanzierten sich in aller Entschiedenheit von der Vereinnahmung dieser Formulierung durch Pegida. Dort hat sie auch eine andere Bedeutung und Zielrichtung: Man beansprucht damit die Interessen und den Willen des "Volkes" zu verkörpern, ohne dafür eine wie auch immer geartete ideelle oder tatsächliche Legitimation präsentieren zu können. Alle Umfragen zum Thema belegen außerdem, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung die Positionen von Pegida teilt. Darüber hinaus enthält die Aussage "Wir sind das Volk" einen Subtext: Die Anderen gehören nicht zum Volk. Auch Andersdenkende und nicht nur Migranten sollen ausgegrenzt werden.

"Lügenpresse"- und "Volksverräter"-Rufe

Als weitere Parolen, die man regelmäßig bei Pegida-Demonstration hören konnte, verdienen die "Lügenpresse"- und "Volksverräter"-Rufe besondere Aufmerksamkeit: Derartige Formulierungen nutzten bereits die Nationalsozialisten in ihrer "Kampfzeit" in der Weimarer Republik. Auch heutige Neonazis bedienen sich ihr häufig bei Aufmärschen. Diese historisch-politische Dimension mag den meisten Pegida-Demonstranten nicht bewusst sein, aber sie stellen auch unabhängig davon problematische Aussagen dar: Das breite Feld der etablierten Medien wird pauschal der bewussten Falschinformation bezichtigt, während man sich selbst allein im Besitz der Wahrheit wähnt. Woher die "richtigen" Informationen jeweils kommen, stellt keinen Gegenstand von kritischen Reflexionen dar. Die "Volksverräter"-Rufe diffamieren pauschal alle Politiker, die aber im Unterschied zu den Pegida-Demonstranten sehr wohl über eine demokratische Legitimation verfügen. Auch hier beansprucht man, im Interesse des angeblich "wahren Volkes" zu sprechen.

Frage des rechtsextremistischen Charakters

Angesichts solcher Aussagen stellt sich die Frage nach dem rechtsextremistischen Charakter von Pegida: Zunächst kann man konstatieren, dass die Mehrheit der Demonstranten keine "Nazis in Nadelstreifen" sind. Zwar nahmen auch NPD-Aktivisten, Neonazis und Hooligans an den Veranstaltungen in Dresden teil. Sie stellten dort aber nur eine Minderheit dar. Indessen belegt diese Erkenntnis nicht notwendigerweise die demokratische Gesinnung der Mehrheit der Pegida-Demonstranten. Es lässt sich nämlich ein politischer von einem sozialen Rechtsextremismus unterscheiden: Zum Erstgenannten gehören die organisierten Anhänger in Gruppen oder Parteien, zum sozialen Rechtsextremismus zählen die so denkenden Personen. Über das Ausmaß einschlägiger Potentiale informieren die Ergebnisse der Sozialforschung, die meist ein rechtsextremistisches Einstellungspotential von zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung konstatierten. Bislang konnte dieses von NPD und Neonazis nicht mobilisiert werden, möglicherweise ist es der Pegida-Bewegung stärker gelungen.

Entwicklung der Pegida-Demonstrationen 2015

Diese Einsicht bedingt aber kein pauschales Bild von den Demonstranten, die sich offenkundig aus unterschiedlichen Individuen mit verschiedenen Motiven zusammensetzen. Die dominierende Anti-Haltung gegenüber den Medien wie der Politik erhöhte noch die Bereitschaft zur Teilnahme an den Pegida-Versammlungen. Ein gegenteiliger Aufruf der Bundeskanzlerin Angela Merkel, der von ihr mit großer öffentlicher Beachtung anlässlich ihrer Weihnachtsansprache formuliert wurde, führte aber nicht zur Reduzierung der Teilnehmerzahl. Am 5. Januar 2015 nahmen 18.000 Personen an dem "Montagsspaziergang" teil. Einen erneuten Anstieg der Demonstrationsteilnehmer bewirkten die islamistischen Morde in Paris. Am 12. Januar beteiligten sich nach Polizeiangaben 25.000 Menschen an der Pegida-Versammlung. Die für den 19. Januar geplante Kundgebung wurde abgesagt, da es Morddrohungen gegen einen Initiator gegeben habe. Am 25. Januar – diesmal ein Sonntag – kamen dann erstmals weniger, aber noch über 17.000 Personen zusammen.

Krise und Zerwürfnisse in der Führung

Eine für den 2. Februar angekündigte Demonstration sagte die Pegida-Führung hingegen ab, da sechs Führungspersonen aus dem zwischenzeitlich gegründeten Vorstand zurückgetreten waren. Als Grund nannten die Akteure interne Konflikte, die mit der Rolle des ursprünglichen Pegida-Initiators Bachmann zusammenhingen. Dieser hatte aufgrund von Diebstahl und Drogenbesitz eine Haftstrafe erhalten, was ihn ohnehin als "Verteidiger des Abendlandes" nicht besonders glaubwürdig erscheinen ließ. Hinzu kamen die erwähnten fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen, die mit einem Foto in Hitler-Pose durch die Medien bekannt wurden. Dies führte zu Bachmanns Rücktritt von allen Funktionen und zu dessen Ablösung durch Kathrin Oertel. Da der Pegida-Initiator immer noch im Hintergrund persönlichen Einfluss nahm, lösten damit einhergehende Konflikte die erwähnten personellen Veränderungen aus. Auch Oertel, die zwischenzeitlich durch einen Fernsehauftritt bundesweite Bekanntheit erlangt hatte, zählte zu den zurückgetretenen Führungspersonen.

Ableger in anderen deutschen Städten

Der kontinuierliche Anstieg der Demonstrationsteilnehmer und die große öffentliche Aufmerksamkeit für Pegida motivierten bereits im Dezember 2014 die Gründung von ähnlichen Aktionsformen und Initiativen in anderen deutschen Städten. Sie gaben sich meist gleichlautende Bezeichnungen, wobei am Beginn aber ein Bezug auf den jeweiligen Ort enthalten war. Bogida, Dügida, Kögida oder Legida stehen etwa für "Bonn", "Düsseldorf", "Köln" und "Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes". Vergleicht man diese Ableger mit Pegida, so fallen folgende Besonderheiten auf: Bei den Pegida-Ablegern in anderen deutschen Städten war der Anteil von Personen aus dem organisierten Rechtsextremismus bedeutend höher, mitunter bei den Veranstaltern gar dominierend. Außerdem gab es ein Vielfaches mehr an Gegen-Demonstranten, was mit einigen Abstufungen auch für Leipzig gilt. Insofern ist das Pegida-Phänomen in einem gewissen Ausmaß ein Ost-Phänomen bzw. eine Dresdener Besonderheit, wofür die genauen Gründe noch erforscht werden müssen.

Einschätzung von Pegida als politisches Phänomen

Angesichts des Fehlens repräsentativen Datenmaterials und der Verschiedenheit der Demonstrationsteilnehmer setzen sich aktuelle Einschätzungen von Pegida einem möglichen Pauschalisierungsvorwurf aus. Gleichwohl können mit gewissen Einschränkungen einige verallgemeinerbare Bewertungen formuliert werden. Bezüglich des Charakters von Pegida als politischem Phänomen lässt sich folgendes konstatieren: Allgemein distanzierten sich die Initiatoren öffentlich von Hooligans und Neonazis. Dies haben gemäßigtere Kräfte im Rechtsextremismus wie etwa die DVU, "Pro"-Parteien oder die REP auch getan. Die Auffassungen und der Habitus der Pegida-Akteure entsprechen denn auch stark diesem politischen Bereich, der sich durchaus glaubwürdig bürgerlich und gewaltfrei gibt. Gleichwohl stehen ebenso die feindlichen Stimmungen gegen Flüchtlinge wie die rigorose Verdammung der Politik für rechtsextremistische Einstellungen. Demokratische Bürger, die für eine Änderung der Migrationspolitik eintreten, würden anders agieren und formulieren.

Einschätzung von Pegida als soziales Phänomen

Diese Auffassung schließt demnach gar nicht aus, dass einige gesellschaftliche Probleme von Pegida-Demonstranten mit einer inhaltlichen Berechtigung angesprochen wurden: Für die Klage über eine Entfremdung von Bürgern und Politik gibt es ebenso gute Gründe wie für eine Kritik an einer konzeptionslosen Migrationspolitik. Darüber hinaus bestehen in bestimmten Regionen und Schichten mehr soziale Probleme als mitunter mit Blick auf das allgemeine Wachstum der Wirtschaft zur Kenntnis genommen wird. Insofern artikuliert sich in den Pegida-Protesten ein durchaus nachvollziehbarer und verständlicher Unmut. Eine besonders problematische Dimension besteht aber darin, dass die damit einhergehenden Einstellungen und Stimmungen auf Fremde und Migranten projiziert werden. Dies geschieht noch dazu in emotionaler bis hetzerischer Art und Weise. Dazu passt die in gelegentlichen "Putin hilf"-Rufen zum Ausdruck kommende Begeisterung für den russischen Präsidenten, steht sie doch mustergültig für eine autoritäre Charakterstruktur.

Einschätzung von Pegida in der Gesamtschau

Bei der Betrachtung von Pegida in der Gesamtschau fällt zunächst auf, dass die Protestbewegung entgegen der medialen Bezeichnung als "islamkritisch" und der postulierten Selbstbezeichnung "gegen die Islamisierung" eben diesen beiden Aspekten nur geringe Aufmerksamkeit widmete. Weder findet eine kritisch-rationale Auseinandersetzung mit dem Islam statt, noch spielt eine "Islamisierung" in den Erklärungen eine größere Rolle. Für Letzteres bietet Dresden auch keinen Anlass. In den Städten, wo man von einer solchen Entwicklung wie etwa in Bonn-Bad Godesberg eher sprechen könnte, fanden derartige Proteste kaum Zulauf. Dies begründet mit die Auffassung, dass es den Demonstranten weniger um eine Islamisierung oder Migrationspolitik geht. Vielmehr artikuliert deren diffuser Protest ein Spannungsverhältnis von demonstrierenden Akteuren und politischer Elite. Dabei dominiert aber nicht das differenzierte Argument, sondern die emotionale Pauschalisierung. Insofern handelt es sich auch um eine Ressentimentbewegung.

Prognose zur Entwicklung von Pegida

Der erwähnte Rücktritt ehemaliger Führungspersonen und die Neugründung eines Bündnisses "Direkte Demokratie für Europa", das in Konkurrenz zu Pegida eigene Demonstrationen durchführen will, deuten einen Niedergang der Protestbewegung an. Aber auch ohne diese inneren Konflikte hätten sich die "Montagsspaziergänge" mit der Zeit wohl erschöpft. Denn die Initiatoren konnten bzw. können den Teilnehmern keine politische Perspektive liefern. Daher dürfte die Anzahl der Teilnehmer fortan kontinuierlich sinken, was letztendlich zur Auflösung von Pegida führen würde. Die Einstellungen der Demonstranten und die Gründe für ihr Engagement bleiben aber. Ein Großteil der Aktivisten dürfte fortan zu den AfD-Stammwählern gehören, eine Minderheit sich in der Partei aktiv beteiligen. Insofern wird das beschriebene Phänomen in anderer Form weiter existieren. Dies gilt auch und gerade für das Einstellungspotential, das sich bei den Pegida-Demonstrationen mitunter in aggressiver und hetzerischer Art und Wiese artikulierte.

Fussnoten

Dipl.-Pol., Dipl.-Soz., Jg. 1963, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes in Brühl mit den Schwerpunkten Extremismus und Ideengeschichte, Lehrbeauftragter an der Universität zu Bonn mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Herausgeber des seit 2008 erscheinenden Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung (Brühl).