Zur Überraschung von Öffentlichkeit und Politik zogen Ende des Jahres 2014 in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden die Montagsdemonstrationen der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) große Aufmerksamkeit auf sich. Die Umzüge sollten den Unmut "gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden" zum Ausdruck bringen. Als unmittelbaren Anlass nannte der Organisator Lutz Bachmann gegenüber der neu-rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" "Massenschlägereien zwischen Moslems und Jesiden in Hamburg und Celle und eine Pro-PKK-Aktion hier in Dresden".
Ihrer Selbstdarstellung zufolge agiert die Bewegung unabhängig, organisiert von einem privaten Kreis. Nach dem ersten Umzug am 20. Oktober 2014 wuchs Pegida schnell an und wurde bald außerhalb Dresdens wahrgenommen. Es bildeten sich nicht nur regionale Ableger wie Legida (Leipzig), auch in Westdeutschland traten ähnliche Gruppen auf: Dügida (Düsseldorf), Bogida (Bonn), Pegida Frankfurt Rhein-Main oder Mügida (München) und Bagida (Bayern). Während sich in den westdeutschen Städten allerdings jeweils nur bis zu wenige hundert Menschen zu Veranstaltungen der Pegida-Ableger versammelten, demonstrierten kurz vor Weihnachten am 22. Dezember 2014 schon 17.500 Menschen in der sächsischen Hauptstadt Dresden. Die Zahl der Gegendemonstranten hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Zenit überschritten: vorläufiger Höhepunkt waren 9.000 Pegida-Gegner, die am 8. Dezember 2014 in Dresden zusammenkamen. Außerhalb Dresdens stellten sich dagegen mehr Menschen den Versuchen entgegen, Pegida bundesweit zu verankern. Dies spricht dafür, Pegida als "ein ostdeutsches Phänomen" zu betrachten.
Die Mobilisierung vollzog sich sowohl vor Ort als auch bundesweit fast ausschließlich in viralen Formen, vor allem über soziale Medien. Herkömmliche Öffentlichkeitsarbeit fand nicht statt, die Zusammenarbeit mit etablierten Medien wurde meist verweigert. Die ablehnende Haltung gegenüber der Presse artikulierte sich auf den Pegida-Umzügen in Sprechchören der Teilnehmer ("Lügenpresse"). Journalistenfragen blieben häufig unbeantwortet, Einladungen zu Talkshows und auch zu einer Diskussionsveranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen kamen die Vertreter der Pegida nicht nach. Eine Ausnahme in dieser programmatischen Gesprächsverweigerung stellt die Zusammenarbeit mit Medien des äußersten rechten politischen Spektrums dar. Die Zurückhaltung gegenüber etablierten Medien nahm erst ab, als die Lokalpresse Bachmanns Vorstrafen und seine Nähe zum sächsischen Rotlichtmilieu thematisierte.
Politikstil und Programmatik
Die Einordnung von Pegida wird erheblich durch ihre unscharfe Programmatik erschwert. In den ersten Wochen fehlten verbindliche Inhalte jenseits des titelgebenden Schlagworts "Islamisierung". Ein im Vorfeld der Demonstration vom 15. Dezember 2014 publiziertes, 19 Punkte umfassendes "Positionspapier" bemüht sich um positive Formulierungen. Es befürwortet die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen als "Menschenpflicht" und forderte die Aufstockung der finanziellen Mittel zur Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern, bot aber zugleich die klassischen Law-and-order-Stichworte zu den Themen Abschiebung und Migranten-Kriminalität. Die Autoren des Papiers positionierten sich auch zu Themen wie der "sexuellen Selbstbestimmung" (Punkt 12) und "Gendermainstreaming" (Punkt 17), die in konservativen bis rechtsextremen Kreisen besonders stark abgelehnt werden.
Die breite Fächerung der Willensäußerungen von Pegida trug zusammen mit der zivilen Praxis des "Spaziergangs" offenbar maßgeblich zum Erfolg der Bewegung bei. So wurde in Form und Inhalt eine maximale Identifikationsfläche geschaffen. Die Stärke der Pegida lag daher mehr in einem aktivistischen Impuls als im Angebot einer inhaltlichen Analyse. Der Düsseldorfer Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler sprach daher von einem "niedrigschwellige[n] Angebot zur Mitwirkung".
Mit Verwendung der Parole "Wir sind das Volk!" und der Wahl des Montags als Tag der Demonstration hat sich Pegida bewusst in die Tradition des ostdeutschen Wendeherbstes von 1989 gestellt. Dazu gehört die demonstrative Distanz zur etablierten Politik. Ihr Sprecher Bachmann pflegt erfolgreich die Rhetorik vom einfachen Mann auf der Straße, den "die da oben" längst vergessen hätten: "Lasst sie schwätzen in ihren Talkshows, lasst sie diskutieren in ihren Politikrunden und lasst sie rätseln, was sie falsch machen. Sie werden es ohnehin nicht begreifen. Sie haben den Kontakt zur Basis schon lange verloren und ihre Wähler verraten." Diese populistische Anklage wurde mitunter von stark verzerrten Darstellungen getragen. Das Gerücht einer behördlichen Umbenennung traditioneller Berliner Weihnachtsmärkte in "Wintermärkte" aus Rücksicht gegenüber Muslimen war erwiesenermaßen falsch. Als vermeintliches Beispiel des drohenden Verlustes kultureller Identität verfehlte es jedoch seine Wirkung ebenso wenig wie die Behauptung, arme deutsche Rentner könnten sich keine Christstollen mehr leisten, während Flüchtlinge in reich ausgestatteten Unterkünften lebten. Der anfänglich gemäßigte Ton der Pegida verschärfte sich vor allem angesichts wachsender öffentlicher Kritik. Auf der Demonstration vom 22. Dezember 2014 erfüllte nach Einschätzung von Werner Patzelt der Beitrag eines Redners aus Leipzig den Strafbestand der Volksverhetzung. Am 5. Januar 2015, beim ersten "Spaziergang" nach der selbstverordneten Winterpause, zu dem 18.000 Pegida-Anhänger in Dresden zusammenkamen, versuchte eine Gruppe von Hooligans aus den Reihen der Pegida, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen.
Reaktionen
Pegida erhielt von Anfang an Beifall von der extremen Rechten. Der erste Umzug am 20. Oktober fand kurz vor dem Aufmarsch der "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) in Köln am 26. Oktober 2014 statt. Im Gegensatz zum demonstrativ gewaltaffinen Spektrum der Hooligans blieb Pegida betont friedlich und legte mehr Wert auf ein bürgerliches Erscheinungsbild. Die "Junge Freiheit" hatte den Aufmarsch der HoGeSa aufgrund des Erscheinungsbildes noch als "Machtdemonstration einer Subkultur" ambivalent bewertet, in Pegida erkannte die äußerste Rechte jedoch schnell eine erfolgversprechende Alternative zu HoGeSa, die "zeigt, wie es geht". Lokale Medien berichteten schon Ende Oktober von der Teilnahme von Hooligans an den Umzügen. In ihrem Anspruch, die angebliche europäische Identität zu schützen und zu rekonstruieren, weist Pegida zudem große Schnittmengen mit der neurechten "Identitären Bewegung" auf, von der sie starken Zuspruch erhält. Bei Pegida-Initiativen außerhalb Dresdens war das Engagement von Protagonisten der äußersten Rechten augenfällig.
In der bürgerlichen Rechten kam die deutlichste Unterstützung für Pegida aus den Reihen der AfD. Der stellvertretende Parteichef Alexander Gauland nahm am 15. Dezember an der wöchentlichen Demonstration in Dresden teil, die sächsische AfD-Vorsitzende Frauke Petry äußerte Verständnis für die Forderungen der Demonstranten und kündigte für Januar 2015 ein Treffen mit den Pegida-Organisatoren in ihrem Landtagsbüro an. Der Thüringische AfD-Landeschef Björn Höcke forderte gegenüber der nationalkonservativen Zeitschrift "Sezession" eine engere Kooperation seiner Partei mit Pegida, monierte aber in deren Abendland-Begriff den fehlenden Bezug auf die "antiken und germanischen Wurzeln".
Zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort kritisierten, Pegida vertrete "chauvinistische Positionen und ein autoritäres Demokratieverständnis". Insgesamt erzeuge die Strömung einen "Resonanzraum für Rassismus". Der unabhängige "Rat für Migration" sprach von einer "falschen Problemdiagnose" der Pegida und warnte davor, eine "religiöse Minderheit zum Sündenbock für strukturelle Probleme" zu machen. Nach Einschätzung der Beratungsstelle Hayat, die sich mit Islamismus und Ultranationalismus befasst, arbeitet Pegida mit einem "neu-völkische[n] Kammerton, ausgeprägte[n] Pauschalierungen, Mythen und Schlagwortpropaganda". Das Ansinnen von Pegida, gegen den islamischen Fundamentalismus zu agieren, wies sie zurück: "Völkische und abendländische Mythen können nicht die gezielte, von den Grundwerten der deutschen Demokratie ausgehende Auseinandersetzung mit freiheitsfeindlichem Islamismus und seiner militanten Fraktion ersetzen."
Der Anspruch der Pegida, sich gegen den Islamismus zu positionieren, spielte ohnehin in der Debatte kaum eine Rolle. Selbst wohlwollenden Beobachtern zufolge ging es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern "um das Asyl- und Einwanderungsrecht". Diese Abwesenheit des Themas "Islamismus" ist bemerkenswert, immerhin ist die Gegnerschaft "gegen die Islamisierung des Abendlandes" namensgebend für Pegida. Doch bietet Pegida außer einer stichworthaften Ablehnung von "Parallelgesellschaften" und der "Scharia" (Punkt 16) keine Auseinandersetzung mit dem fundamentalistischen Islam. Anstelle dessen trat das allgemeine Thema der "Überfremdung". Daran zeigt sich, dass der vorgebliche Kampf der Pegida gegen den Islamismus nur dazu diente, mit einer maximal konsensfähigen Parole aufzutreten. Angesichts der aktuellen Verbrechen islamistischer Akteure im Mittleren Osten konnte dieses Agitationsmoment mehr Wirkung entfalten als nationalistische Parolen gegen "Überfremdung".
Fazit: Pegida als rechtspopulistische Bewegung
Pegida kann nicht zur extremen Rechten neonazistischen Zuschnitts gezählt werden, die sich in Sachsen in Form der NPD und der "Kameradschaften" etabliert hat. Schon in ihrer Verwendung des Begriffs "Abendland" knüpft sie eher an die ultrakonservative "europäische Bewegung" der 1950er Jahre an. Dennoch ist es Pegida gelungen, Schlagworte der äußersten Rechten für eine breite Masse attraktiv zu machen. Mit einer zunächst vergleichsweise gemäßigten Rhetorik verankerte sie deren politische Anliegen im Diskurs der gesellschaftlichen Mitte.
Die "volkstümlich und rebellisch-autoritär inszenierte Verkündung extrem rechter Theoreme auf der Basis emotionalisierter Argumentation", wie sie bei Pegida anzutreffen war, ist das klassische Kennzeichen des Rechtspopulismus. Pegida ist damit ein Indikator für eine "gestörte Beziehung zwischen Wählern und Gewählten oder, im populistischen Sprachgebrauch, zwischen ’Volk’ und ’Eliten’". Gerade ihre Betonung der eigenen Durchschnittlichkeit untermauert diesen Befund, denn Populismus resultiert aus einem "Bündnis von oberen und unteren Mittelschichten, die sich von den kriselnden Volksparteien abwenden". Der Begriff "Rechtspopulismus" wiederum "dient in der politologischen Forschung zur typologischen Eingrenzung jüngerer Erscheinungen auf der politischen Rechten, die sich von den ’etablierten Parteien’ abgrenzen und die Attitüde eines ’Anti-Establishment’-Protests kultivieren. Dies geht einher mit der Betonung der Interessen des ’eigenen’ nationalen – teils auch regionalen – Kollektivs, der Abgrenzung gegenüber Minderheiten, der Ablehnung von Zuwanderung sowie ’Law-and-Order’-Forderungen bei gleichzeitiger Kritik eines überbordenden Sozialstaats." Alle diese Elemente treffen auf Pegida zu. Mit ihrer demagogischen Aufbereitung von Fragen kultureller Tradition, etwa mit dem Gerücht um die angeblichen "Wintermärkte", dem rebellischen Habitus der Politikferne und einer pauschalen Medienschelte, die meist in einfachen Law-and-order-Parolen mündeten, steht Pegida für die Ausbreitung des Rechtspopulismus. Für dessen Etablierung auf parlamentarischer Ebene, die in Deutschland verglichen mit anderen europäischen Ländern bislang nur schleppend vorankam, könnte Pegida daher ein wichtiger Schritt sein. Der Kampf gegen den Islamismus diente dabei nur als Alibi, einen tatsächlichen Beitrag zu diesem hat Pegida nicht geleistet.