Von der Massenpartei zur professionellen Wählerpartei
In ihrer Aufstiegs- und Etablierungsphase stellte die SPD den Prototyp einer Massen- oder Massenintegrationspartei dar, die ihre Anhänger über ein dichtes Netz an Vereinen und gesellschaftlichen Organisationen an sich band. Dazu gehörte auch eine eigene Parteischule und -presse - am Ende des Kaiserreichs gab sie rund 70 Zeitungen heraus (Walter 2018: 38 f.). Die Auflösung der Milieustrukturen, mit der sich die SPD im Laufe der Zeit zur "professionellen Wählerpartei" entwickelte, setzte bereits in der Weimarer Republik ein und beschleunigte sich in den 1950er- und 1960er-Jahren. Die Sozialdemokraten wuchsen in den staatlichen Machtapparat hinein und nutzten ihn, um ihre Ideen einer sozialen Zähmung des Kapitalismus zu verwirklichen. Dadurch wurden die gesellschaftlichen Netzwerke, die die jetzt dem Staat obliegenden Funktionen der Daseinsvorsorge vorher mit übernommen hatten, zum Teil überflüssig. Die Milieupartei wurde zum Opfer des eigenen Erfolgs.
Der Begriff der "professionellen" Wählerpartei ist insofern irreführend, als die SPD schon zu Zeiten der Massenpartei über einen hauptamtlichen Parteiapparat verfügte, der sich damals allerdings noch nicht mehrheitlich aus Akademikern zusammensetzte (Grunden 2012: 100 ff.). Die Lenkung der Massen durch die Führung sollte dabei der strikten demokratischen Kontrolle unterliegen. Wie verschieden die beiden Prinzipien - Lenkung von oben und Kontrolle von unten - in der SPD bis heute harmonieren, lässt sich an der Struktur und Amtsdauer ihrer Führungsspitzen ablesen. Kam die Partei von 1946 bis 1987 mit drei Vorsitzenden aus (Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer und Willy Brandt), wechselte der Vorsitz danach 13 Mal, wobei die Vorsitzenden mit einer Ausnahme (Hans-Jochen Vogel) alle unfreiwillig aus dem Amt schieden. Unterschiedliche Erfahrungen hat die SPD in ihren beiden Regierungsphasen mit der Trennung bzw. Verbindung der Ämter des Parteivorsitzenden und Regierungschefs gemacht. Für Helmut Schmidt war es vermutlich eher von Nutzen, dass der Vorsitz während seiner Kanzlerschaft bei Brandt blieb. Die Doppelspitze Schröder - Lafontaine hielt nach dem Wahlsieg 1998 dagegen nicht einmal ein halbes Jahr.
Gremien, regionale Gliederung und Parteiflügel
Bis 1958 wurde die Partei von einem "Büro" aus besoldeten Vorstandsmitgliedern geführt, die nicht gleichzeitig Bundestagsabgeordnete sein durften. Seither führt das Präsidium die Geschäfte. Dieses umfasst etwa ein Dutzend Mitglieder und tagt wöchentlich. Ihm gehören neben dem/der/den Vorsitzenden die fünf Stellvertreter, der/die Generalsekretär/in, der/die Schatzmeisterin, der/die Verantwortliche für die Europäische Union sowie eine vom Parteitag festzulegende Zahl weiterer Mitglieder an, die aus dem Vorstand heraus gewählt werden. Der Vorstand umfasst laut Satzung bis zu 34 Personen. Seit 2019 verfügt die Partei über eine männlich/weibliche Doppelspitze, die als Option zugleich in der Satzung verankert wurde. Das Amt eines Generalsekretärs kennt die SPD erst seit 1999; dessen politische Aufgaben hatte vorher der Bundesgeschäftsführer wahrgenommen. Oberstes Organ der SPD ist der alle zwei Jahre stattfindende Bundesparteitag, der den Vorstand wählt und über Satzungen und Programme beschließt. Ihm gehören 600 gewählte Delegierte und die Vorstandsmitglieder an. Zwischen den Parteitagen entscheidet der jährlich zusammentretende Parteikonvent, der aus 235 stimmberechtigten Mitgliedern besteht (Grunden / Janetzki / Salandi 2017: 65 ff.).
Die territoriale Gliederung der SPD weicht von derjenigen der anderen Parteien durch die Sonderstellung der Bezirke ab, die lange Zeit die zentrale Organisationseinheit zwischen dem Bundesverband und den Ortsverbänden bildeten. Ihre Bedeutung ist seit der Einführung der Landesverbände im Jahre 1971 zurückgegangen. Dasselbe gilt auf der horizontalen Ebene für die wichtigen Arbeitsgemeinschaften und Vereinigungen (Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen und Jungsozialisten), deren Einfluss in den 1970er-Jahren ihren Höhepunkt erreichte (Lösche / Walter 1992: 238 ff.). In jüngster Zeit haben sich vor allem die Jusos als Machtfaktor zurückgemeldet, indem sie unter ihrem Vorsitzenden Kevin Kühnert (2017 bis 2020) den Widerstand gegen einen erneuten Eintritt in die Große Koalition anführten. Von den Einnahmen der Partei entfallen jeweils ein Drittel auf die Bundespartei, die Landesverbände und die nachgeordneten Gebietsverbände. Im Willy-Brandt-Haus, der Berliner Parteizentrale, sind ca. 200 Personen hauptamtlich beschäftigt.
Eine größere Rolle als die sektoralen Gliederungen spielen in der Sozialdemokratie die politischen Strömungen oder Faktionen, die institutionell in der Bundestagsfraktion verankert sind und von dort Ableger in der Parteiorganisation bilden. Über die längste Tradition verfügt der Zusammenschluss der Parteirechten im "Seeheimer Kreis", der Mitte der 1970er-Jahre als Reaktion auf den wachsenden Einfluss der Neuen Linken in der SPD entstand. Der linke Flügel organisiert sich in der "Parlamentarischen Linken". Ein Kreis jüngerer Abgeordneter schloss sich 1998 im "Netzwerk Berlin" zusammen. Diese Gruppierung verortet sich selbst in der Mitte, liegt in ihren inhaltlichen Positionen aber relativ nahe bei den "Seeheimern". Der soziologische Hintergrund der Strömungen hat sich im Zuge des Generationenwechsels seit den 1970er-Jahren stark gewandelt. Rekrutierte sich der rechte Flügel damals vorwiegend aus dem Gewerkschaftslager, zählen dessen Vertreter heute meist zum linken Flügel. Unter den liberalen Modernisierern befinden sich umgekehrt nicht wenige Angehörige der früheren Neuen Linken (Grunden 2012: 112 f.).
Überalterung der Mitglieder und Organisationsschwäche im Osten
Der hohe Mitgliederbestand, der ein Kennzeichen der Massenpartei war, blieb der SPD auch nach ihrem Wandel zur Volkspartei erhalten. Durch den starken Zustrom neuer Mitglieder seit Ende der 1960er-Jahre wurde 1976 erneut die Millionenmarke überschritten, seither ist die Mitgliederentwicklung rückläufig, wobei sich der Abwärtstrend seit Beginn der 1990er-Jahre rapide beschleunigte. Rechnet man die CSU mit ein, wurde die SPD von den Unionsparteien in der Mitgliederstärke schon seit Mitte der 1980er-Jahre überflügelt. Ende 2021 lag sie mit 393.700 Mitgliedern knapp vor der CDU; im Vergleich zu 1990 entspricht dies einem Minus von 58,3 Prozent. Der langfristige Rückgang ist vor allem auf den fehlenden Nachwuchs zurückzuführen, was sich zugleich im gestiegenen Durchschnittsalter der Mitglieder (auf 61 Jahre) widerspiegelt.