Entstehung und Entwicklung
Am 29. März 2017 - und damit exakt an dem Tag als die britische Regierung Artikel 50 des EU-Vertrages aktivierte und somit offiziell ihr Austrittsgesuch an die EU übermittelt hatte - gründeten die drei Kommilitonen Andrea Venzon, Colombe Cahen-Salvador sowie Damian Boeselager die damals noch als "Vox Europa" bezeichnete pro- sowie pan-europäische Bürgerbewegung Volt Europa. Die Gründung der später als gemeinnütziger Verein eingetragenen Bewegung hatte dabei in zweifacher Weise symbolischen Charakter: Zum einen ist die Wahl des Gründungsdatums als bewusste Gegenreaktion auf populistische und anti-europäische Entwicklungen wie den Brexit oder die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa zu verstehen. Zum anderen spiegelt sich der pan-europäische Charakter der Bewegung auch in den unterschiedlichen Nationalitäten ihrer Gründungsmitglieder. So kommen die drei Gründerinnen und Gründer der Bewegung aus Italien (Venzon), Frankreich (Cahen-Salvador) sowie Deutschland (Boeselager) und somit zufällig auch aus Ländern, die unter den Initiatoren der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) waren, der ersten europäischen Organisation überhaupt.
Als erklärte Hauptziele der Partei gelten eine Intensivierung der Europäischen Integration sowie eine damit verbundene Reform des Institutionensystems, um das Bestreben nach einem "demokratischeren, transparenteren und stärkeren, föderalen Europa" (Volt Deutschland 2022a) umsetzen zu können. Um jene Ziele bereits im Namen der Bewegung zu signalisieren, entschloss man sich im Jahr 2018 zu einer Umbenennung von Vox Europa zu Volt Europa. Abgeleitet von der internationalen Maßeinheit für elektrisches Potential soll der europaweit verwendbare Name Volt verdeutlichen, dass die Partei "neue Energie nach Europa bringen [möchte]" (Volt Deutschland 2022b). Aktuell ist die Bewegung in 30 Ländern (Stand: 05/2022) aktiv und hat für die Umsetzung ihrer Ziele in zahlreichen Ländern nationale Parteien, die voltintern als "Sektionen" bezeichnet werden, gegründet.
Die nationale Sektion "Volt Deutschland" wurde als erste der offiziellen Parteiableger im März 2018 gegründet und ist seither bei Wahlen auf unterschiedlichen politischen Ebenen angetreten. Erstmals ist die Partei in der Bundesrepublik zur Europawahl 2019 angetreten. Weil sich die Partei einerseits als erste wirkliche transnationale Partei versteht, andererseits europaweite Listen jedoch verboten sind, trat die Partei in den verschiedenen Ländern nicht nur mit einheitlichem Namen und Logo, sondern auch mit einem komplett identischen Wahlprogramm an. Das auch als "Amsterdamer Deklaration" bezeichnete Dokument wurde auf der Basis des Grundsatzprogrammes formuliert und auf der ersten gesamteuropäischen Generalversammlung mit über 450 Delegierte (Rios 2018) im Oktober 2018 in der niederländischen Hauptstadt verabschiedet. Als selbstgestecktes Wahlziel strebte die Bewegung an, mindestens 25 Sitze aus sieben unterschiedlichen Staaten und damit die Anforderungen zur Bildung einer Europaparlamentsfraktion zu erreichen. Am Wahltag verfehlte die Partei - welche außerhalb Deutschlands auch in Belgien, Bulgarien, Luxemburg, den Niederlanden, Spanien und im Vereinigten Königreich angetreten war - ihr Ziel jedoch deutlich. In Deutschland erreichte die Partei 0,7 Prozent der Stimmen (~250.000 Wähler) und erlangte damit das europaweit einzige Mandat. Als Spitzenkandidat zog mit Damian Boeselager eines der Gründungsmitglieder der Bewegung, für Volt ins Europäische Parlament ein. Nach einer europaweiten internen Abstimmung unter Volt-Mitgliedern, schloss sich Boeselager der Fraktion "Die Grünen/ Europäische Freie Allianz" (Die Grünen / EFA) an.
Die Gründung des ersten Landesverbandes von Volt Deutschland erfolgte strategisch unmittelbar im Vorfeld der Landtagswahl im Stadtstaat Hamburg Ende 2019. Bei der im Februar 2020 abgehaltenen Bürgerschaftswahl war die Partei mit dem Wahlslogan "Zukunft. Made in Europe" angetreten und erreichte 1,3 Prozent der Stimmen (52.241 Wähler). Im Vergleich zur ein Jahr zuvor abgehaltenen Europawahl konnte die Partei im Stadtstaat einen minimalen Stimmenzuwachs von 0,1 Prozentpunkten verzeichnen. Ähnliche Ergebnisse konnten auch bei der Landtagswahl 2021 in Rheinland-Pfalz (1 Prozent) und der Abgeordnetenhauswahl in Berlin (1,1 Prozent) erreicht werden. Zu den am 15. März 2020 stattfindenden Kommunalwahlen in Bayern trat Volt mit Kandidaten in den kreisfreien Städten Bamberg und München an und erzielte 2,1 beziehungsweise 1,8 Prozent der Stimmen, was jeweils einem Stadtratsmandat entsprach. Nachdem sich der Bamberger Stadtrat Hans-Günter Brünker der aus Grüne, ÖDP und SPD bestehenden Koalition (Volt Deutschland 2020c) sowie der in München gewählte Stadtratsabgeordnete Felix Sproll sich der SPD-Fraktion anschloss (Süddeutsche Zeitung 2020), gehört Volt fortan sogar zwei kommunalen Stadtregierungen an. Ein halbes Jahr später sollte sich Volt auch bei den am 13. September 2020 in Nordrhein-Westfalen stattfindenden Kommunalwahlen beteiligen und 0,5 Prozent der Stimmen erhalten. Anders als es das landesweite Ergebnis auf den ersten Blick vermuten ließe, konnte die Partei jedoch in einigen Städten Achtungserfolge erzielen. So erzielte Volt in den Städten Paderborn (1,0), Düsseldorf (1,8), Münster (2,6), Siegen (3,0), Aachen (3,7), der Millionenstadt Köln (4,9) sowie Bonn (5,1 Prozent) bemerkenswerte kommunalpolitische Erfolge, die in der Summe dazu führten, dass die Partei fortan 16 Stadtrats- sowie vier Bezirksratsmandate begleitet (Landeswahlleiter Nordrhein-Westfalen 2020, Volt Deutschland 2020a). Hinzu kamen bei den Kommunalwahlen in Hessen und Niedersachsen im Jahr 2021 jeweils 20 bzw. 14 kommunale Mandate.
Wählerschaft, Mitglieder- und Organisationsstruktur
Über die Wählerschaft von Volt liegen bislang keinerlei wissenschaftliche Informationen und Ergebnisse vor. Aus Nachwahlbefragungen (exit polls), die unmittelbar am Wahltag durchgeführt werden sowie wahlkreisspezifischen Wahlergebnissen, lässt sich jedoch ableiten, dass Volt insbesondere von jüngeren und besser gebildeten Wählern Stimmen erhält. So erzielte die Partei bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen unter Jung- und Erstwählern ihre jeweils besten Ergebnisse - in Köln stimmten beispielsweise 10 Prozent dieses Wählersegments für die Partei, was Volt zur drittstärksten Kraft in dieser Altersgruppe werden ließ (Westdeutscher Rundfunk 2020). Dass die Partei darüber hinaus insbesondere von besser gebildeten Wählern Stimmen erhält, lässt sich daraus ableiten, dass die Partei nicht nur unter jüngeren, sondern gleichzeitig auch in Universitätsstädten lebenden Wählern beliebt ist - ein Trend, der sich nicht nur bei den Kommunalwahlen in NRW zeigte (u.a. Aachen, Düsseldorf, Siegen, Münster), sondern auch deutschlandweit bei den Europawahlen zu beobachten war (u.a. Erlangen, Göttingen, Heidelberg, Jena, Tübingen, Trier). Als genereller Trend lässt sich festhalten, dass die Partei in urbaneren Gegenden erfolgreicher ist als in ländlichen. Mit Blick auf das Geschlecht der Wählerschaft, lassen sich kaum Unterschiede ausmachen. Bei der Ratswahl in Köln haben Männer (6 Prozent) geringfügig häufiger für die Partei gestimmt als Frauen (4 Prozent) (Westdeutscher Rundfunk 2020).
Auch über die Mitglieder der Partei liegen bis dato nur wenige belastbare Informationen vor. Allerdings ist davon auszugehen, dass es zwischen den Wählern sowie Mitgliedern von Volt mit Blick auf sozialstrukturelle Merkmale hohe Überschneidungen gibt. Das typische Parteimitglied ist somit "jüngeren und mittleren Alters, gut gebildet [sowie] international vernetzt" (Deutschlandfunk 2019). Nach Angaben des ehemaligen Parteivorsitzenden Paul Loeper ist das Durchschnittsalter der Parteimitglieder zuletzt von 28 auf 34 Jahre angestiegen (Heinrich 2020). Hinsichtlich ihrer politischen Erfahrung lässt sich festhalten, dass die meisten Parteimitglieder (~70 Prozent) vor ihrem Beitritt nicht politisch aktiv gewesen sind (Rios 2018). Mitglieder, die bereits vor ihrem Engagement bei Volt politisch aktiv gewesen sind, kommen - zumindest im Falle des Hamburger Landesverbandes - von Parteien wie GRÜNE, SPD, DIE LINKE, CDU, aber auch FDP und Die PARTEI (Spandick 2020). Seit der Gründung der nationalen Sektion "Volt Deutschland" im März 2018 konnte die Partei einen stetigen Mitgliederzuwachs von 262 im Vorfeld der Europawahl auf zuletzt knapp 2.200 Mitglieder (Stand: 12/2020) verzeichnen (Bundestag 2020: 31). Europaweit verfügt die Partei derzeit (Stand: 08/2020) über rund 25.000 Mitglieder (Wenk 2020), darunter auch in Staaten, die wie die Schweiz oder Albanien nicht Teil der EU sind. Neben diesen offiziellen Parteimitgliedern profitiert die Partei darüber hinaus von einer großen Zahl an freiwilligen Unterstützern.
Organisatorisch folgt der Aufbau von "Volt Deutschland" einem klassischen Muster. Zu den Organen des Bundesverbandes zählen neben dem Bundesvorstand und -parteitag ebenfalls ein Bundesfinanzrat. Ersterer wird momentan von einer aus Rebekka Müller und Connor Geiger gebildeten Doppelspitze geführt (Bundeswahlleiter 2022: 2). Komplettiert wird der Bundesvorstand durch vier stellvertretende Vorsitzende (Carina Beckmann, Jennifer Scharpenberg, Maximilian Ochs, Jens Többen) sowie einen Schatzmeister (Leo Lüddecke). Gewählt wird der Bundesvorstand vom Bundesparteitag, der darüber hinaus auch das Bundesschiedsgericht sowie Rechnungsprüfer wählt. Im Bundesfinanzrat werden die Finanzfragen aller politischen Ebenen beraten und anschließend in Beschlüsse gefasst (Volt Deutschland 2021). Unterhalb der Bundesebene gliedert sich die Partei in Landes- und Kreisverbände sowie sogenannten Städteteams. Momentan existieren Landesverbände in allen 16 Bundesländern. Unterhalb der Landesverbände gibt es eine Reihe von Kreisverbänden, Städteteams sowie in Rheinland-Pfalz sogenannte „District Teams“. Bei den Städteteams handelt es sich rechtlich betrachtet - von wenigen Kreisverbänden abgesehen - indes nicht um eigenständige Organisationseinheiten. Aktuell existieren in Deutschland 139 Städteteams (Stand: 05/2022), wobei jedes Bundesland über mindestens eines jener Teams verfügt. Die meisten Städteteams finden sich mit Blick auf die Einwohnerzahl erwartungsgemäß in Bayern (23), Baden-Württemberg (21) und Nordrhein-Westfalen (31) (Volt Deutschland 2022c). Innerhalb der Stadtgruppen wird inhaltlich gearbeitet und Ideen ausgetauscht. Ergebnisse dieser Diskussionen werden anschließend an die jeweils nächsthöhere Organisationsebene weitergegeben. Eine Jugendorganisation wie YoungVolt in Österreich, gibt es in Deutschland bislang nicht. Auch wenn die beschriebene Organisationsstruktur im Wesentlichen derjenigen traditioneller Parteien folgt, weist die Partei organisatorisch dennoch zahlreiche Besonderheiten auf, die auf ihr pan-europäischen Charakter zurückzuführen sind. Dies zeigt sich nicht nur an dem Umstand, dass "Volt Deutschland" der europäischen Dachpartei "Volt Europa" zugeordnet ist, sondern auch an der transnationalen Partizipations- und Organisationsstruktur, wenn es um die Formulierung politischer Positionen und Programme geht (Kolster & von Homeyer 2019: 10). So verfasste man beispielsweise die Amsterdamer Deklaration, mit der man europaweit zur EU-Wahl angetreten war, gemeinsam auf einer Generalversammlung von "Volt Europa" und entschied über die Fraktionszugehörigkeit Boeselagers, der in Deutschland das einzige Voltmandat erzielt, in einem europaweiten parteiinternen Mehrheitsentscheid. Der Europaabgeordnete Boeselager kommentierte diesen Umstand mit den Worten: "Ich bin der einzige Abgeordnete, der in allen Mitgliedsländern eine eigene Partei hat" (Meier 2020). Dass es sich bei der pan-europäischen Partei "Volt Europa" tatsächlich um eine organisatorische Besonderheit handelt, wird beim Vergleich mit den traditionellen Europaparteien, wie z.B. der Europäischen Volkspartei (EVP) deutlich. Zwar formulieren diese mitunter ein eigenes Wahlmanifest und nominieren gemeinsame Spitzenkandidaten, diese führen jedoch national auch weiterhin mit eigenen Programmen, die von Staat zu Staat divergieren, Wahlkampf (Schirmer & Kainz 2019).
Programmatik
Hinsichtlich konkreter politischer Positionen und Inhalte beschreibt sich Volt stets als "paneuropäisch, pragmatisch und progressiv" (Volt Deutschland 2022d). Darüber hinaus betont die Partei, sich keiner Ideologie verschrieben zu haben und damit offen und ideologiefrei handeln zu wollen. Kolster & von Homeyer ordnen Volt als progressive Partei, die im Mitte-links-Spektrum des Parteiensystems zu verorten ist, ein (2019: 7). Der Parteienforscher Tarik Abou-Chadi verweist neben einem progressiven, auch auf ein liberales Auftreten der Partei, welche im Vergleich zu B90/Die Grünen deutlich weniger auf das Prinzip der Umverteilung setze (Heinrich 2020). Eine gewisse programmatische Nähe zu den Grünen entsteht indes durch die prominente Betonung von klima- und energiepolitischen Themen. Hoppe und Schmälter ordnen Volt programmatisch schließlich als so genannte "EU-Themen Partei" (2019: 146) ein, die insbesondere für die Adressierung sowie Betonung europapolitischer Themen und Positionen gegründet wurde. Dieser Aspekt tritt neben dem Europawahlprogramm (Amsterdamer Deklaration) auch deutlich in dem von Volt Deutschland verfassten Grundsatzprogramm, das in Zukunft durch ein gemeinsames europäisches Programm ersetzt werden soll, hervor. Anders als üblich, beginnt dies nicht mit einer Präambel oder einleitenden Vorworten, sondern thematisiert unmittelbar den programmatischen Markenkern der Partei, das Thema EU-Reform. Als langfristiges Ziel strebt die Partei ein "vereinigtes Europa mit einer echten europäischen Demokratie" (Volt Deutschland 2022d) an. Nur so könne laut Cahen-Salvador, der Mitbegründerin der Bewegung, "Frieden, Nachhaltigkeit und die Wahrung einer wohlhabenden Gesellschaft" (Rios 2018) gesichert werden. Im Sinne einer Vertiefung der Europäischen Integration fordert die Partei Reformen für nahezu alle Institutionen, Akteure und Prozesse. Hierfür strebt die Partei zunächst eine grundlegende Demokratisierung der EU an, die unter anderem mittels einer Direktwahl der Mitglieder des Rates der Europäischen Union durch die EU-Bürger realisiert werden soll. Ebenso müsse das Gesetzgebungsverfahren demokratisiert werden und das Europäische Parlament ein Initiativrecht erhalten. Im Bereich der Exekutive fordert die Partei das Amt eines Ministerpräsidenten, der aus der Mitte des Parlaments gewählt wird und einem europäischen Regierungskabinett vorsteht. Auch eine Steigerung der Transparenz, insbesondere im Bereich der Verwaltung, soll zur Demokratisierung beitragen. Im Gerichtswesen fordert Volt eine Ausweitung der Befugnisse des Europäischen Gerichtshofes sowie die Errichtung regionaler Zweigstellen des EuGHs. Mit Blick auf die Frage von Zuständigkeiten befürwortet die Partei das Prinzip der Subsidiarität, sieht gleichzeitig aber Schwächen bei sowohl der inhaltlichen als auch formalen Kompetenzausstattung der verschiedenen europäischen Institutionen (Volt Deutschland 2020b: 9-13). Bei ökonomischen Fragestellungen strebt die Partei als primäres Ziel eine weitere Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion an. Klimapolitisch tritt Volt für einen ambitionierten Klimaschutz ein, der unter anderem die Einführung einer EU-weiten CO2-Steuer vorsieht. Mit Blick auf die Energiewende fordert Volt eine gesamteuropäische Energiestrategie, die eine CO2-Neutralität priorisiert (Volt Deutschland 2020b: 44-46). Im Politikfeld der Asylpolitik müsse ein faires und einheitliches europäisches Asylsystem mit gemeinsamen Grundregeln errichtet werden (Volt Deutschland 2020b: 57-59). Zu weiteren politischen Kernforderungen der Partei zählt die Förderung und der Ausbau eines "Intelligenten Staates", zur Vereinfachung öffentlicher Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheit und Justiz mittels moderner Technologien, sowie die Stärkung der sozialen Gleichberechtigung als auch einer politisch aktiven Bürgerschaft (Volt Deutschland 2020b: 92-96, Volt Deutschland 2022a).