Entstehung und Entwicklung
Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP, von 1997 bis 2010: ödp) entstand 1981 aus der Ökologiebewegung. Maßgeblich verantwortlich für ihre Gründung war Herbert Gruhl, der von 1969 bis 1978 für die CDU im Bundestag saß. Nach seinem Austritt aus der CDU rief er 1978 die Grüne Aktion Zukunft (GAZ) ins Leben und war später an der Gründung der Grünen als Sammlungspartei für die Ökologiebewegung beteiligt. Gruhl verließ im Januar 1981 mit einer Reihe anderer Mitglieder aus dem wertkonservativen Flügel die Grünen wieder, nachdem sich die politischen Differenzen in der Partei gegenüber den alternativen und linken Gruppen verschärft hatten (Schulze 2004: 140f.). Anfang 1982 formierte sich der Bundesverband der ÖDP, jedoch erfüllten sich angesichts des schnell wachsenden Erfolges der Grünen nicht die damit verbundenen Hoffnungen, zum parlamentarischen Arm der Ökologiebewegung zu werden.
Ab Mitte der 1980er-Jahre verschärften sich innerparteiliche Auseinandersetzungen um die ideologische Nähe zu rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen und die ÖDP sah sich mit teils massiven Vorwürfen "ökofaschistischer" Tendenzen konfrontiert. Gruhl verweigerte sich den Bestrebungen seiner Partei, sich davon zu distanzieren, und trat 1989 vom Parteivorsitz zurück. Der Versuch, seine Anhänger in einem Arbeitskreis Ökologie weiterhin an die Partei zu binden, scheiterte: Einige seiner Anhänger wechselten zu den Republikanern (REP) und 1990 trat schließlich auch Gruhl aus der ÖDP aus (Boom 1999: 122-124). Die Partei wurde durch diese Entwicklung empfindlich geschwächt, stabilisierte sich nach einigen Schwierigkeiten aber in den darauffolgenden Jahren; sie verzeichnete deutliche Mitgliederzuwächse und etablierte sich zumindest in Süddeutschland auf kommunaler Ebene mit Mandatsträgern in vielen Gemeinden.
Die ÖDP erreichte bisher auf kommunaler Ebene lediglich in Bayern und Baden-Württemberg mehr als 1 Prozent Stimmanteil. Ihr bisher bestes Ergebnis auf überkommunaler Ebene erreichte sie mit 2,1 Prozent der Stimmen bei den Landtagswahlen in Bayern im Jahr 1994. Gleichwohl hat sie sich zumindest in Bayern nahezu flächendeckend etablieren können: Sie ist dort inzwischen in einer Vielzahl der Kommunalparlamente vertreten, erzielt dabei vereinzelt Spitzenergebnisse bis in den mittleren zweistelligen Bereich und stellte nach der Kommunalwahl 2014 in acht Kommunen den ersten Bürgermeister - 2020 reduzierte sich diese Zahl auf sechs. Die ÖDP geht dabei zunehmend Listenverbindungen und Kooperationen mit der Familienpartei, den Grauen, der Tierschutzpartei und der FDP sowie vereinzelt auch mit den Grünen ein. Während sie bei Bundestagswahlen seit 1983 höchstens 0,4 Prozent erhielt, erreichte sie auch bei Europawahlen lange Zeit nicht über 0,8 Prozent der Stimmen (1994). Nachdem jedoch 2014 die Dreiprozenthürde für die Europawahlen in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, konnte die Partei 2014 mit 0,6 Prozent Stimmanteil einen Sitz im Europäischen Parlament erringen, wo sie anschließend vom ehemaligen Bundesvorsitzenden Klaus Buchner vertreten wurde (Kranenpohl 2018: 426). Bei der Europawahl 2019 konnte die ÖDP schließlich ihre Stimmenzahl annähernd verdoppeln und mit 1 Prozent der bundesweiten Stimmen erneut ein Mandat im Europaparlament sichern. Im Juli 2020 legte Buchner sein EP-Mandat nieder, sodass die Partei dort seitdem durch die Saarländerin Manuela Ripa vertreten ist.
Trotz fortwährend niedrigem Stimmenanteil bei Wahlen errang die ÖDP ab Mitte der 1990er-Jahre vielbeachtete juristische Erfolge. 1999 und 2008 erklärte der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof nach einer Klage der ÖDP die Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen und die "kommunale Ein-Sitz-Sperrklausel" für verfassungswidrig. 2004 setzte sich die ÖDP gemeinsam mit anderen Kleinparteien erfolgreich gegen eine Änderung des Parteiengesetzes zur Wehr, mit der der für die Inanspruchnahme der Parteienfinanzierung benötigte Stimmanteil erhöht worden wäre. 2012 strengte die ÖDP eine weitere Organklage gegen den Bundestag beim Bundesverfassungsgericht an. Ihr Vorwurf lautet, dass die Zuweisung finanzieller Mittel an Bundes- und Landtagsfraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und parteinahe Stiftungen eine unzulässige Form der Parteienfinanzierung darstellen, mit der nicht-parlamentarische Parteien benachteiligt würden. Im Juli 2015 wies das Bundesverfassungsgericht die Klage jedoch ab. 2014 war die ÖDP schließlich an der erfolgreichen Klage gegen die Sperrklausel bei Europawahlen mitbeteiligt.
Auch mit einigen erfolgreichen direktdemokratischen Projekten erlangte sie beachtliche mediale Aufmerksamkeit. Die Abschaffung des Bayrischen Senats per Gesetz zum 1.1.2000 durch Volksentscheid ging auf ein von der ÖDP unter dem Slogan "Schlanker Staat ohne Senat" 1997 initiiertes Volksbegehren zurück (Schulze 2004: 147-150). Ein 2009 von ihr in Bayern unter dem Motto "Für echten Nichtraucherschutz" initiiertes Volksbegehren führte 2010 zur Rücknahme vorangegangener Lockerungen des Rauchverbots in Gaststätten und Diskotheken. Im Mai 2018 initiierte die ÖDP weiterhin das Volksbegehren "Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern", dass mit einer Eintragungsquote von über 18 Prozent das bislang erfolgreichste bayerische Volksbegehren darstellt und 2019 vom Landtag gesetzlich realisiert wurde.
Wählerschaft, Mitglieder- und Organisationsstruktur
Über die Wählerschaft der ÖDP lassen sich nur in Bezug auf Bayern als ihrem Wählerschwerpunkt verlässliche Aussagen machen. So ist sie im vorwiegend katholischen Ober- und Niederbayern wesentlich erfolgreicher als in den protestantisch geprägten Teilen Frankens und in den ländlichen Gebieten stärker als in urbanen Regionen. Während sie in den 1990er Jahren überdurchschnittlich die unter 35-Jährigen ansprechen konnte, waren es später vor allem die höheren Altersgruppen (Kranenpohl 2006: 304f. und 2018: 426f.).
Die Mitgliederzahlen sind immer vergleichsweise niedrig geblieben. Seit der Gründung der Partei 1982 mit etwa 1.750 Mitgliedern verzeichnete die ÖDP bis 1985 zunächst sogar einen Mitgliederrückgang auf 1.350. Nach anschließenden Zuwächsen und einer erneuten Austrittswelle im Zusammenhang mit den ideologischen Flügelkämpfen um Herbert Gruhl 1989/1990, wuchs die Mitgliederzahl bis 1998 auf 7.200 an, ging dann wieder auf 6.000 im Jahr 2012 zurück und stieg in den letzten Jahren wieder deutlicher an (Stand 30.09.2021: 8.225, Vorgestellt 2021: 2). Mit knapp zwei Drittel der Mitglieder liegt der Schwerpunkt dabei auf Bayern (Kranenpohl 2018: 429).
Die Mitgliederstruktur ist der anderer Parteien nicht unähnlich. Es dominieren hohe Bildungsabschlüsse; etwa die Hälfte der Mitglieder hat einen Hochschulabschluss. Fast 90 Prozent der Mitglieder sind zudem stark im Vereinsleben aktiv, wobei es hier vor allem kirchlich-religiöse Gruppen und Umweltschutzverbände sind, in denen sich jeweils fast jeder Zweite engagiert. Zudem ist jedes vierte Parteimitglied in Bürgerinitiativen aktiv und jeder siebte in Tierschutzvereinen. Die ÖDP liegt dabei in allen genannten Bereichen jeweils sowohl vor den Unionsparteien als auch vor Bündnis 90/Die Grünen. Katholische Mitglieder bilden mit fast 60 Prozent die Mehrheit gegenüber 25 Prozent evangelischen Parteiangehörigen, wobei letztere eine deutlich überdurchschnittliche Kirchenbindung aufweisen (Kranenpohl 2008: 50-54, Biehl/Kranenpohl 2011: 100ff.).
Bei den inhaltlichen Präferenzen stehen ökologische Themen im Vordergrund, insofern als neun von zehn Mitgliedern die Kernenergie und acht von zehn eine Einschränkung des Umweltschutzes ablehnen. Gleichzeitig dominiert eine sozialkonservative Grundhaltung insbesondere im Zusammenhang mit der umfassenden programmatischen Betonung des Lebensschutzes. Diese Kombination dürfte der Grund dafür sein, dass die Partei bisher eine vergleichsweise geringe Abwanderung ihrer Mitglieder sowohl zu den soziallibertär geprägten Grünen zu verzeichnen hatte, für die es in der Partei gleichwohl die größten Sympathiewerte unter den übrigen Parteien gibt, als auch zu den nur mäßig ökologisch orientierten Unionsparteien (Kranenpohl 2008: 55-59).
Die ÖDP besitzt in allen 16 Bundesländern einen Landesverband. Ihre insgesamt 151 Kreisverbände haben einen deutlich regionalen Schwerpunkt in Süddeutschland, vor allem in Bayern mit 71 Kreisverbänden und 37 weiteren in Baden-Württemberg, darüber hinaus 14 in Nordrhein-Westfalen, 12 in Rheinland-Pfalz, und einzelne weitere in den übrigen Landesverbänden (Stand: September2021, Vorgestellt 2021: 2). Oberstes Organ und Beschlussgremium des Bundesverbandes ist der Bundesparteitag, der den neunköpfigen Bundesvorstand wählt. Bis 1989 stand die Partei unter der Führung von Herbert Gruhl, während der Vorsitz anschließend häufiger wechselte und die Vorsitzenden jeweils nur wenige Jahre im Amt waren. Klaus Buchner (2003-2010) führte die Partei wieder länger, bevor Sebastian Frankenberger (2010-2014) den Vorsitz übernahm. Frankenberger unterlag auf dem Bundesparteitag im November 2014 im ersten Wahlgang Gabriela Schimmer-Göresz, die jedoch bereits 2017 gesundheitsbedingt ihr Amt niederlegte. Ihre Nachfolge trat der vormalige Schatzmeister Christoph Raabs an (Kranenpohl 2018: 428f.). Auf dem Suhler Parteitag 2020 setzte sich jedoch Christian Rechholz bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden gegen Raabs durch.
Neben dem Bundesparteitag fungiert der Bundeshauptausschuss als "kleiner Parteitag" für die Beschlussfassung zwischen den Bundesparteitagen. Hinzu kommen ein "Ökologischer Rat" für die wissenschaftliche Beratung der Organe und Mandatsträger in ökologischen Fragen, der vom Bundesverband vorgeschlagen und auf vier Jahre gewählt wird, und derzeit 14 Bundesarbeitskreise zu verschiedenen Themengebieten (Satzung 2022).
Da die ÖDP bei Bayerischen Landtagswahlen und den Europawahlen regelmäßig über 1 respektive 0,5 Prozent der Stimmen erreicht und entsprechende Zuweisungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhält (1.284.888 Euro im Jahr 2021, Festsetzung staatliche Mittel 2022: Anlage 2), war ihr der Aufbau eines kleinen hauptamtlichen Mitarbeiterstabes im Umfang von ca. einem Dutzend Mitarbeitern (inklusive Teilzeitstellen) möglich.
Seit 1984 verfügt die ÖDP mit der regelmäßig erscheinenden Zeitschrift "ÖkologiePolitik" (anfangs: "Ökologie und Politik") über ein eigenes Presseorgan. Im unmittelbaren Umfeld der Partei besteht zudem seit 1992 eine Jugendorganisation "Junge Ökologen" und die parteinahe "Stiftung für Ökologie und Demokratie", deren Leiter der ehemalige Bundesvorsitzende Hans-Joachim Ritter ist. Die ÖDP ist darüber hinaus Gründungsmitglied des 2003 gegründeten Verbunds "World Ecological Parties", dem insgesamt 12 vorwiegend europäische Parteien angehören.
Programmatik
2013 beschloss die ÖDP ein neues Grundsatzprogramm. Dessen Basis ist ein umfassendes anthropologisches Konzept, das den Menschen in einem ökologischen und sozialen "Gesamtzusammenhang des Lebens" eingebunden sieht. In diesem müsse er gegenüber der Natur und seinen Mitmenschen "seiner persönlichen Verantwortung gerecht" werden (Grundsatzprogramm 2013: S. 7). Zentral dafür sei die "Achtung vor dem Leben", das als "in all seinen Ausprägungen [...] heilig" betrachtet wird (Grundsatzprogramm 2013: S. 4) und als umfassendes Konzept des Lebensschutzes die Anerkennung der Tiere als "Mitgeschöpfe" ebenso einschließt wie die Ablehnung "künstlicher" Eingriffe in die Natur. Daraus leitet sich eine grundsätzlich sehr skeptische Haltung gegenüber den Möglichkeiten des straffreien Schwangerschaftsabbruchs, der aktiven Sterbehilfe sowie medizinischer Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens ab, einschließlich der Forderung nach einem Verbot des Klonens und der embryonalen Stammzellenforschung (Bundespolitisches Programm 2021: S. 61-65). Die Partei hat sich hierbei jedoch in den letzten Jahren erkennbar von restriktiveren Forderungen entfernt und strebt eine intensivere gesellschaftliche Debatte über diese Problemfelder an. Ebenso fordert die ÖDP ein Verbot des Einsatzes genmanipulierter Pflanzen und Tiere auch für Forschungszwecke, eine sofortige (weltweite) Abkehr von der Kernkraft sowie umfassende Maßnahmen für Tier-, Umwelt- und Klimaschutz.
Daran anschließend fordert die ÖDP "Bindung und Bildung" als Einheit in der Kindererziehung und "entscheidende Grundlage für die Stabilität der Gesellschaft und der Wirtschaft"; für deren Sicherstellung habe sich die Familie als "bewährteste Lebensform" erwiesen (Grundsatzprogramm 2013: S. 11). Entsprechend müssten die familiäre Erziehungsarbeit durch ein steuer- und sozialversicherungspflichtiges "Erziehungsgehalt" aufgewertet und die einseitige finanzielle Förderung von Kindertagesstätten als "staatliche Bevormundung" sowie die "Diskriminierung" familiärer Erziehungsarbeit beseitigt werden. Dem ganzheitlichen Bildungsanspruch könne wiederum nur entsprochen werden, wenn Bildungsinstitutionen auch bestimmte Werte vermitteln und ein System ausschließlich öffentlich finanzierter Bildungs- und Erziehungseinrichtungen für Bildungsgerechtigkeit sorgt (Grundsatzprogramm 2013: S. 11ff.). Wirtschaftliche Belange treten laut Grundsatzprogramm hinter das Primat der Ökologie und des Gemeinwohls zurück, was sich im schlagwortartigen Bekenntnis zur "Postwachstumsökonomie", der "ökologisch-sozialen Marktwirtschaft" und zur Einführung eines "Gemeinwohl-Produkts" als alternativem Indikator für wirtschaftlichen Erfolg äußert. Im Grundsatzprogramm werden entsprechend dezentrale, subsidiäre und an Suffizienz orientierte ökonomische Strukturen, stärkere staatliche Regulierung sowie lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe gefordert (Grundsatzprogramm 2013: S. 16ff.). Im zuletzt 2021 überarbeiteten Bundesprogramm wird dem Konzept der "ökologisch-sozialen Marktwirtschaft" deutlich größerer Raum als zuvor gegeben und eine Kombination von intensiverer staatlicher "Wirtschaftssteuerung" und individuellem Bewusstseinswandel als Ausgangspunkt für den Übergang in eine Postwachstumsökonomie entworfen (Bundespolitisches Programm 2021: S. 69-83). Die Partei betont hierbei trotz umfangreicher Interventionsforderungen ihr Bekenntnis zur Marktwirtschaft und verortet ihre wirtschaftspolitischen Standpunkte in der Theorie des klassischen Ordoliberalismus.
Mehr soziale Gerechtigkeit soll durch die Senkung der Lohnnebenkosten zur Steigerung der Beschäftigungsquote erreicht werden. Diese soll durch den schrittweisen Übergang zu einer Besteuerung des Rohstoffverbrauchs gegenfinanziert werden. Daneben treten Forderungen nach einem "Pflegegehalt", einem System gesetzlicher Krankenkassen und der Beteiligung Kinderloser entsprechend ihrer "gesparten Kinderkosten" an der Finanzierung des Rentensystems und des Erziehungsgehaltes (Bundespolitisches Programm 2021: S. 45, 55 und 59).
Die Partei fordert die umfassende Unabhängigkeit politischer Amtsträger beispielsweise mittels des Verbots von Parteispenden durch Unternehmen und Großorganisationen. Daneben sollen Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene und die Direktwahl des Bundespräsidenten dem zunehmenden institutionellen Vertrauensverlust entgegenwirken (Bundespolitisches Programm 2021: S. 85ff.).