Basisdemokratie, Trennung von Amt und Mandat und Geschlechterparität
So wie die Grünen den anti-bürgerlichen Habitus in ihren Gründerjahren äußerlich kultivierten, so wollten sie sich auch in der Organisation von den "Altparteien" abheben. Von den zum Teil sehr rigiden basisdemokratischen Prinzipien haben viele nur kurze Zeit überdauert, weil sie sich als wenig praktikabel herausstellten oder bei den Betroffenen auf Widerstand stießen. Dazu zählten z.B. die Rotationsregeln, die öffentliche Abhaltung von Fraktionssitzungen, die Abführung eines Teils der Diäten als "Parteisteuern" oder die Ausübung der Parteitätigkeit als Ehrenamt. Bei den verbliebenen Alleinstellungsmerkmalen fällt die Bilanz gemischt aus. Während die Frauenquote später von den anderen Parteien übernommen wurde, blieben die Trennung von Amt und Mandat, die Forderung nach einem Primat der Partei vor der Fraktion bzw. Regierung und die Doppelspitze in der Bewertung umstritten, weil sie die Herausbildung eines strategischen Führungszentrums erschwerten (Raschke 2001). Die Trennung von Amt und Mandat wurde durch einen Mitgliederentscheid 2003 abgeschwächt und gilt seither nur noch für zwei Drittel der Vorstandsmitglieder.
Eine Vorreiterrolle spielen die Grünen weiterhin bei der Geschlechterparität. So wie die Doppelspitzen in Partei und Fraktion mit mindestens einer Frau besetzt sein müssen, so gelten für alle übrigen Ämter und Gremien strikte Quotenregeln. Beschlüsse der Bundesdelegiertenkonferenz kommen nur zustande, wenn ihnen auch eine Mehrheit der anwesenden Frauen zustimmt. Zur Koordination der frauenpolitischen Themen unterhält die Partei einen Frauenrat, der zwei Mal im Jahr tagt. Darüber hinaus findet einmal jährlich eine Bundesfrauenkonferenz statt (Probst 2013: 520). Unter den Bundestagsfraktionen weisen die Grünen mit 59 Prozent (seit 2021) den höchsten Frauenanteil auf.
Organisatorischer Aufbau
Sieht man von diesen Besonderheiten und den teilweise abweichenden Begrifflichkeiten ab, entspricht der Parteiaufbau der Grünen dem der anderen deutschen Parteien (Switek 2012: 124 ff.). Oberstes Organ ist die jährlich oder zweijährlich stattfindende Bundesdelegiertenkonferenz, die den Parteivorstand und den aus 16 Mitgliedern bestehenden Parteirat wählt. Dem Vorstand obliegt die operative Leitung der Partei. Ihm gehören neben den beiden gleichberechtigten Vorsitzenden der/die Geschäftsführer/in, der/die Schatzmeister/in sowie zwei weitere Mitglieder an. Der Parteirat wurde 1998 eingerichtet, um die Arbeit von Partei, Fraktion und Regierung besser zu koordinieren. Der Länderrat, der als höchstes Organ zwischen den Parteitagen vier Mal im Jahr zusammentritt, besteht aus den Mitgliedern des Bundesvorstands und delegierten Vertretern der Landesverbände, Fraktionen und Bundesarbeitsgemeinschaften. Die "Grüne Jugend", in der man bis zum Alter von 28 Jahren Mitglied werden kann, ist von der Partei formal unabhängig, aber eng mit ihr liiert.
Auffällig ist, dass die Grünen trotz ihres basisdemokratischen Anspruchs am Delegiertenprinzip weitgehend festgehalten haben, wonach aus den unteren Parteigliederungen jeweils Vertreter in die nächsthöheren Gremien gewählt werden. 2013 und 2017 wurden die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl per Urwahl bestimmt, womit die Grünen dem allgemeinen, auch von den anderen Parteien aufgenommenen plebiszitären Trend entsprachen. Mit der Wahl von Annalena Baerbock und Robert Habeck zum Spitzenduo auf dem digitalen Parteitag 2021 kehrte man zum alten Verfahren zurück. Dass Baerbock dabei die Kanzlerkandidatin sein würde, entsprach einem Vorschlag des Parteivorstands, nachdem sie und Habeck diese Frage vorher informell untereinander geklärt hatten.
Über relativ große Eigenständigkeit verfügen innerhalb der Parteiorganisation die Landesverbände. Durch die hohe Zahl der Regierungsbeteiligungen ist deren Gewicht in den letzten Jahren gestiegen, sodass die von den Grünen gestellten Landesminister heute neben dem Bundesvorstand und ihrer Bundestagsfraktion eine weitere Machtsäule der Partei bilden. Dies gilt insbesondere für den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der zugleich der Hauptexponent des rechten Parteiflügels ist. Die Interessenwahrnehmung im Bundesrat stimmen die grünen Regierungsvertreter untereinander und mit der Parteispitze förmlich ab ("G-Koordination").
Nachdem die Parteiführung mit Baerbock und Habeck 2018 eine überzeugende Neuaufstellung erfahren hatte, gelang es dieser, den Einfluss sowohl der Regierungsgrünen als auch der Fraktionsspitze im Bundestag zurückzudrängen. Durch Baerbocks und Habecks Wechsel in die Bundesregierung hat sich das Machtzentrum der Grünen inzwischen dorthin verlagert. Größere Konflikte mit der 2022 neu gewählten Parteispitze (Ricarda Lang und Omid Nouripour) und der von Britta Haßelmann und Katharina Dröge angeführten Bundestagsfraktion sind bislang ausgeblieben. Bei der Bestellung der grünen Regierungsmitglieder war es zuvor zu einem solchen Konflikt gekommen, als Baerbock und Habeck anstelle des vom linken Flügel favorisierten Anton Hofreiter Cem Özdemir als neuen Landwirtschaftsminister durchsetzten.
An Bedeutung verloren haben innerhalb der Grünen die Strömungen, deren Systematisierung in den 1980er-Jahren eine wissenschaftliche Herausforderung darstellte (Raschke 1993: 43). Die relative Geschlossenheit der Partei lässt sich daran erkennen, dass die Gegenüberstellung von "Realos" und "Fundis" aus dem Sprachgebrauch praktisch verschwunden ist. Die heutigen Flügel der Grünen streiten nicht mehr über die Notwendigkeit eines pragmatischen Reformansatzes, sondern nur noch darüber, mit welchen Schwerpunkten und mit welchem Nachdruck dieser zu verfolgen sei. Die "Rechten" stehen dabei Bündnissen mit Union und FDP aufgeschlossener gegenüber als die "Linken", die überwiegend auf Koalitionen mit der SPD (und falls nötig: mit der Partei Die Linke) setzen. Beim Klimaschutzpolitik verlaufen die Konfliktlinien weniger zwischen "links" und "rechts" als zwischen den Vertretern der älteren und jüngeren Generation. Letztere räumen ihr unbedingte Priorität ein und drängen deshalb auf radikalere Maßnahmen. Weil sie seit 2018 verstärkt in die Grünen eingetreten sind, deutet sich hier eine Verschiebung der innerparteilichen Kräfteverhältnisse an.
Wachsende Mitgliederzahl und junge Mitglieder
Die Mitgliederzahl der Grünen stieg bis Mitte der 1980er-Jahre und erneut ab 1992 stetig an. Anfang der 1990er-Jahre und nach dem Regierungseintritt 1998 hatte die Partei durch die Loslösung des fundamentalistischen bzw. pazifistischen Flügels zwei größere Austrittswellen zu verkraften. Von 1999 bis 2008 pendelte sich die Mitgliederzahl bei etwa 45.000 ein, seither sind wieder deutliche Zuwächse zu verzeichnen. Im Vergleich zu 2015 sollte sich die Mitgliederzahl auf 125.700 bis Ende 2021 mehr als verdoppeln, allein 2019 - auf dem Höhepunkt der Fridays-for-Future-Proteste - legte sie gegenüber dem Vorjahr um fast 30 Prozent zu. Sozialstrukturell weisen die Mitglieder starke Ähnlichkeiten mit der grünen Wählerschaft auf, lediglich der Frauenanteil - der höchste unter den im Bundestag vertretenen Parteien - liegt mit knapp 42,3 Prozent klar darunter. Das Durchschnittsalter der Grünen-Mitglieder war mit 48 Jahren bis 2020 stets das niedrigste unter den Bundestagsparteien, bevor die FDP 2021 gleichzog.