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Etappen der Parteigeschichte der CSU

Frank Decker

/ 11 Minuten zu lesen

Auf dem Weg zur Dominanz in Bayern setzte sich die CSU gegen andere bürgerliche und föderalistische Parteien durch. Seit 1957 regiert sie in Bayern - meist mit absoluter Mehrheit.

Franz-Josef Strauß auf dem Oktoberfest 1979. (© picture-alliance)

Der Gründung der CSU in Bayern am 8. Januar 1946 lag der gleiche Gedanke einer Zusammenführung der bürgerlichen Kräfte zugrunde wie den Unionsgründungen in den übrigen deutschen Ländern. Zur Überwindung der konfessionellen Spaltung gesellten sich dabei als Herausforderungen einerseits die Integration der Bauernschaft, um deren Gunst zur Zeit der Weimarer Republik neben der Bayerischen Volkspartei auch der Bayerische Bauernbund rivalisiert hatte. Andererseits konkurrierte man mit dem Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), der FDP und den Sozialdemokraten um die Stimmen der - in Bayern überwiegend sudetendeutschen - Flüchtlinge (Hopp 2012: 76 f.).

Aufstieg zur bayerischen Hegemonialpartei

Der Weg zu einer breiten Sammlungspartei gestaltete sich schwierig, da es innerhalb der Partei zunächst noch starke Kräfte gab, die die CSU in derselben altbayerisch-katholischen und bayerisch-vaterländischen Tradition sahen wie die Bayerische Volkspartei der Weimarer Republik (Mintzel 1975: 83 ff.). Der Konflikt entzündete sich vor allem an der Frage des Umgangs mit der im Oktober 1946 gegründeten Interner Link: Bayernpartei, die an diese Linie gezielt anknüpfte. Während die Befürworter einer konfessionellen Öffnung und Abkehr vom bayerischen Partikularismus um Josef Müller eine strikte Abgrenzung von der Bayernpartei empfahlen, traten die Traditionalisten um Alois Hundhammer und Fritz Schäffer ebenso leidenschaftlich für eine Zusammenarbeit ein. Wie stark die neue Konkurrenz war, zeigt ein Vergleich der ersten und zweiten bayerischen Landtagswahl. Konnte die CSU die Stimmen im christlich-bürgerlichen Lager 1946 fast geschlossen auf sich vereinigen und über die Hälfte der Wählerstimmen verbuchen (52,3 Prozent), so fiel sie vier Jahre später, als die Bayernpartei (17,9 Prozent) und die Vertriebenenpartei BHE (12,3 Prozent) erstmals antraten, auf die Hälfte dieses Werts zurück (27,4 Prozent).

Dass die Modernisierer letztlich die Oberhand behielten und die CSU den bayerischen "Bruderkampf" für sich entscheiden konnte, lag im Wesentlichen an zwei Gründen. Zum einen hatte die Gründung der Bundesrepublik den radikal-föderalistischen Kräften den Boden entzogen, was dem Modell einer selbstständigen Landespartei innerhalb des Unionsverbundes ebenso in die Hände arbeitete wie der sich abzeichnende wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland. Zum anderen setzte die CSU alles daran, den Konkurrenten von der Macht fernzuhalten. Die von Konrad Adenauer ursprünglich beabsichtigte Aufnahme der Bayernpartei in die Bundesregierung scheiterte 1949 am Einspruch von Franz Josef Strauß, der als Landesgeschäftsführer damals die Funktion eines informellen Generalsekretärs und Parteisprechers ausübte. Und nach der Landtagswahl 1950 entschieden sich die Christsozialen, in Bayern mit der SPD zu koalieren - auch um eine weitere Aufwertung der Bayernpartei zu verhindern.

Der Aufstieg der CSU zur bayerischen Hegemonialpartei vollzog sich nicht bruchlos. Einen herben Rückschlag musste die Partei 1954 verkraften, als die Bildung einer Koalition mit der FDP und dem GB/BHE ausgerechnet an einem religionspolitischen Thema scheiterte - ihrem Festhalten an der konfessionellen Lehrerausbildung (Strauß 1989: 530 ff.). Die Niederlage führte zu einer Stärkung des Modernisierungsflügels unter dem neuen Vorsitzenden Hanns Seidel, der den Wandel der CSU von einer Honoratioren- zu einer modernen Massenpartei einleitete und sie nach dem Sturz der Viererkoalition aus SPD, FDP, GB/BHE und Bayernpartei 1957 an die Regierung zurückführte. Dem vorausgegangen war eine vergleichsweise harmlose Affäre um illegal erworbene Spielbankenlizenzen, die von der CSU gezielt geschürt wurde, um sich der ungeliebten Konkurrenz der Bayernpartei endgültig zu entledigen. Bis zur Landtagswahl 1962 bildete die CSU eine Koalition mit der FDP und dem GB/BHE. 1962 erreichte sie zwar erstmals die absolute Mehrheit, nahm aber bei der Regierungsbildung die inzwischen deutlich geschrumpfte Bayernpartei dennoch mit ins Boot. Von 1966 bis 2008 sollte sie Bayern dann ununterbrochen alleine regieren.

Die - auch im Vergleich zu anderen Landesverbänden - ungewöhnliche Dominanz lässt sich auf drei miteinander verbundene Faktoren zurückführen. Erstens waren die Christsozialen durch die Konkurrenz der Bayernpartei in stärkerem Maße als die CDU-Landesverbände gezwungen, organisatorische Strukturen aufzubauen, um die Wähler dauerhaft an sich zu binden. Zweitens profitierten sie als Landespartei von ihrer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene, wo insbesondere Strauß die von ihm übernommenen Ministerien für Atomfragen (1955/56) und Verteidigung (1956 bis 1962) nutzte, um die Entwicklung Bayerns zu einem modernen Industrie- und Technologiestandort zu forcieren. Diese Weichenstellungen haben dem Freistaat bis heute einen strukturellen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Regionen in der Bundesrepublik verschafft. Drittens wurde der bundespolitische Einfluss der CSU durch die personelle Konstellation begünstigt. Strauß, der seit 1961 Parteivorsitzender war, hätte noch vor seinem von der Spiegelaffäre erzwungenen Rücktritt als Verteidigungsminister 1962 das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten übernehmen können. Er zog es aber auf Drängen der Landesgruppe vor, in Bonn weiterhin die bundespolitische Linie der CSU zu bestimmen, während sich der neue Regierungschef Alfons Goppel im Gegenzug ganz auf die Rolle des Landesvaters beschränkte. Die Rollenteilung gestaltete sich weitgehend konfliktfrei und trug dazu bei, der Wählerschaft das Bild einer geschlossen auftretenden, im Land wie im Bund durchsetzungsstarken Partei zu vermitteln.

Auseinandersetzung mit der CDU unter Strauß

Nach dem Wechsel zur sozial-liberalen Koalition in Bonn 1969 musste die CSU ihre bundespolitische Rolle als Vertreterin der bayerischen Interessen erstmals aus der Opposition heraus wahrnehmen. Dies schadete ihrem Wählerzuspruch nicht, brachte sie aber in heftige Auseinandersetzungen mit der Schwesterpartei CDU. Während Strauß gegenüber beiden Regierungsparteien einen harten Konfrontationskurs einschlagen wollte, um die Rückkehr zur Macht zu erreichen, setzten die CDU-Vorsitzenden Rainer Barzel und - ab 1973 - Helmut Kohl auf eine kooperativere Linie, die ein unbedingtes Scheitern der Regierung ausschloss und die FDP als möglichen Koalitionspartner schonte. Die Auseinandersetzung zwischen den Unionsparteien mündete in die Aufkündigung der gemeinsamen Fraktionsgemeinschaft durch die CSU nach der Bundestagswahl 1976, bei der CDU und CSU nur äußerst knapp unterlegen waren und die CSU ihr bis dahin bestes Zweitstimmenergebnis erzielt hatte. Der Beschluss wurde von Strauß allerdings zurückgenommen, nachdem sich in der Partei Widerstand regte und Kohl keinen Zweifel daran ließ, dass die CDU eine Bundesausdehnung ihrer Schwester mit der Gründung eines eigenen Landesverbandes in Bayern beantworten würde (Jäger 2009).

1978 nutzte der CSU-Vorsitzende Strauß die Gelegenheit, um nach dem Ausscheiden Alfons Goppels in das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten zu wechseln. Da Kohl als Oppositionsführer in Bonn wenig Fortune zeigte, gelang es Strauß überdies, seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur 1980 innerhalb der Union durchzusetzen. In der Wahl selber hatte er gegen Amtsinhaber Helmut Schmidt keine Chance. Kohls Kalkül, den Machwechsel mithilfe der FDP noch während der folgenden Legislaturperiode zu schaffen, ging 1982 auf. Damit musste Strauß auch seine Ambitionen auf das Amt des Außenministers begraben, das bei der FDP und Hans-Dietrich Genscher verblieb. Strauß' offen artikulierter Unzufriedenheit mit der gemeinsamen Regierung wirkte der neue Kanzler geschickt entgegen, indem er den CSU-Chef bei der Vermittlung eines Milliardenkredits an die DDR unterstützte. Die Rolle von Strauß bei der finanziellen Stützung des SED-Regimes löste in Teilen der CSU Empörung aus und war der Anlass für die Abspaltung einer neuen rechtskonservativen Partei, der "Republikaner".

Nach Strauß' Tod 1988 wurden die Ämter des Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden wieder in verschiedene Hände gelegt. Bayerns Finanzminister Max Streibl zog in die Staatskanzlei ein, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag Theo Waigel übernahm den Parteivorsitz. Der Führungswechsel fiel in eine Umbruchsphase des Parteiensystems. 1989 erzielten die Republikaner ihre ersten spektakulären Wahlerfolge. Gleichzeitig konfrontierte die sich anbahnende deutsche Einheit die CSU mit der Perspektive eines dauerhaften bundespolitischen Bedeutungsverlustes. Die Partei versuchte dem mit einer Strategie für die neuen Länder zu begegnen (Kießling 2004: 170 ff.). Anfängliche Überlegungen, die CSU zumindest auf den Süden der DDR auszudehnen, wurden wegen des absehbaren Widerstands der CDU bald aufgegeben. Stattdessen setzte man auf die Gründung einer eigenständigen Ost-CSU. Diese ging als Deutsche Soziale Union (DSU) Anfang 1990 an den Start, konnte die in sie gesetzten Hoffnungen aber nicht erfüllen.

Edmund Stoiber in eimem Fernsehinterview am Abend der bayerischen Landtagswahl 2003. Die Wahl und die ihr folgende Zweidrittelmehrheit der CSU im Bayerischen Landtag markierten den Höhepunkt seiner 14-jährigen Amtszeit als Ministerpräsident. (© picture-alliance/dpa)

Stoiber: Zweidrittelmehrheit und gescheiterte Kanzlerkandidatur

Max Streibl, der als Ministerpräsident an den landesväterlichen Stil Alfons Goppels anknüpfen wollte, geriet wegen seiner Amtsführung frühzeitig in die Kritik. Sein Rücktritt im Zuge der "Amigo-Affäre" warf ein Licht auf die Verquickungen öffentlicher und privater Interessen in der CSU-Politik, die zum Erbe der Ära Strauß gehörten und eine unschöne Begleiterscheinung ihrer ununterbrochenen Regierungsmacht darstellten. In der Streibl-Nachfolge setzte sich Bayerns Innenminister Edmund Stoiber 1993 gegen Waigel durch, der als Parteivorsitzender und Bundesfinanzminister der natürliche Anwärter für das Amt gewesen wäre. Da Waigel Kohls Regierungspolitik loyal mittrug, herrschten zwischen ihm und Stoiber häufig Spannungen. Die größten Meinungsverschiedenheiten bestanden bei der Einführung des Euro, die Stoiber als übereilt ablehnte. Nach der klaren Niederlage der Union in der Bundestagswahl 1998, für die viele in der CSU auch Waigel verantwortlich machten, gelang es Stoiber, diesen von der Parteispitze zu verdrängen.

In den folgenden Jahren baute Bayern seine wirtschaftliche Vorrangstellung in der Bundesrepublik weiter aus. Stoibers Kanzlerkandidatur bei der Bundestagswahl 2002, die die Union gegen die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder nur knapp verlor, und die Zweidrittelmehrheit der CSU bei der Landtagswahl 2003 markierten die Höhepunkte seiner 14-jährigen Amtszeit als Ministerpräsident. Danach begann ein rasanter und weitgehend selbstverschuldeter Abstieg. Stoibers als zunehmend abgehoben wahrgenommener Führungsstil, seine kurzfristig rückgängig gemachte Ankündigung, 2005 als Minister in die Bundesregierung wechseln zu wollen, und die Bespitzelungsaffäre um die Fürther Landrätin Gabriele Pauli ließen den Rückhalt für den Vorsitzenden schwinden. Stoiber wollte allerdings nicht freiwillig gehen, sondern wurde vom neuen Führungsduo Günther Beckstein und Erwin Huber zum Rücktritt bewegt (Oberreuter 2008).

Horst Seehofer war von 2008 bis 2018 Bayerischer Ministerpräsident und bis 2019 Parteivorsitzender der CSU. (© picture-alliance/dpa)

Koalitionsregierungen in Bayern und sinkender bundespolitischer Einfluss

Der Absturz bei der Landtagswahl 2008 kostete die CSU die absolute Mehrheit und zwang sie zum ersten Mal seit 1966, eine Koalition einzugehen - mit der FDP. Gleichzeitig beendete er die "Ära" des Ministerpräsidenten Beckstein und Parteivorsitzenden Huber nach nur einem Jahr. Nachfolger in beiden Ämtern wurde Horst Seehofer, der Huber bei der Wahl zum Parteivorsitzenden im Jahr zuvor noch unterlegen war. Er führte die CSU bei der Landtagswahl 2013 zur absoluten Mehrheit zurück. Seehofers Führungsstil war erratisch und bisweilen populistisch. Der bundespolitische Einfluss der Partei sank unter seinem Vorsitz weiter und blieb geringer als unter Strauß oder Stoiber. Ob das zunehmend rebellische Auftreten der CSU in der Bundesregierung und gegenüber der CDU hierin seine Ursache hat, oder eine Reaktion darauf darstellt, ist umstritten.

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses Agieren in der Flüchtlingskrise, wo die Forderung der CSU nach einer Begrenzung und Kontrolle der Zuwanderung zu einem Zerwürfnis mit Kanzlerin Merkel und einem Großteil der CDU führte. Seehofer nutzte den Streit auch dazu, seine Autorität in der CSU wiederherzustellen, die er durch seine Ankündigung, 2018 nicht mehr als Ministerpräsident antreten zu wollen, selbst unnötig beschädigt hatte. Der Amtsinhaber machte keinen Hehl daraus, dass er Markus Söder, der sich als bayerischer Finanzminister und früherer Generalsekretär der Partei die beste Ausgangsposition im Kampf um die Nachfolge gesichert hatte, als künftigen CSU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten verhindern wollte. Nachdem Seehofers Versuch, Söder als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl nach Berlin "wegzuloben", erfolglos blieb, kündigte der Parteivorsitzende und Ministerpräsident entgegen seiner ursprünglichen Absicht an, für beide Ämter 2018 erneut zu kandidieren (Sebaldt 2018: 267). Das schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017, bei der die Partei in Bayern mit einem Verlust von 10,5 Prozentpunkten gegenüber 2013 auf 38,8 Prozent der Stimmen zurückfiel, sollte diese Absicht jedoch durchkreuzen. Auf parteiinternen Druck hin willigte Seehofer nun in eine Ämterteilung mit Söder ein. Dieser übernahm ab März 2018 das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten, während Seehofer Vorsitzender blieb und als Innenminister für die CSU in die Bundesregierung wechselte. Neuer Landesgruppenvorsitzender im Bundestag wurde der bisherige Verkehrsminister Alexander Dobrindt.

Das schwache Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl hing vor allem damit zusammen, dass es der Partei nicht gelungen war, den Streit mit der CDU über die Flüchtlingspolitik rechtzeitig vor der Wahl beizulegen. Zu einem Kompromiss über die von der CSU geforderte "Obergrenze" kam es erst im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP. Damit war zugleich die wichtigste Voraussetzung für eine Verständigung mit den Grünen erfüllt, deren Eintritt in die Regierung letztlich nicht an der CSU, sondern an der FDP scheiterte. Bei den anschließenden Verhandlungen mit der SPD über eine Neuauflage der Großen Koalition konnte die CSU wesentliche ihrer Forderungen sowie eine vorteilhafte Ressortverteilung durchsetzen.

Das bundes- und landespolitische Agieren der Partei stand in der Folge ganz im Zeichen der im Herbst 2018 anstehenden bayerischen Landtagswahl (Deininger 2020: 26 ff.). Während Seehofer seine Zuständigkeit als Bundesinnenminister nutzte, um die CSU als Vertreterin eines härteren Kurses in der Flüchtlingspolitik zu profilieren, versuchte Söder die von der AfD geöffnete Flanke nach Rechtsaußen in Bayern durch symbolträchtige Maßnahmen wie ein verschärftes Polizeigesetz und eine Kreuzpflicht in öffentlichen Gebäuden zu schließen. Diese wirkten stark polarisierend und stießen zum Teil auch in den eigenen Reihen auf Widerspruch.

Im Juni 2018 kündigte Seehofer einen umfassenden "Masterplan Migration" an, der als "nationale Maßnahme" auch die Möglichkeit von einseitigen Zurückweisungen an der Grenze vorsah. Kanzlerin Merkel und die CDU lehnten dies ab und traten stattdessen - genauso wie die SPD - für eine europäische Lösung des Asylproblems ein. Das Beharren der CSU auf ihrer Forderung führte zu einem erbitterten, auch auf der persönlichen Ebene ausgetragenen Streit zwischen den Schwesterparteien, der erst nach drei Wochen mit einem Formelkompromiss beigelegt werden konnte. Seehofer, Söder und Dobrindt nahmen dabei kurzzeitig sogar einen Bruch der Fraktionsgemeinschaft sowie der Regierung in Kauf.

Bei der Landtagswahl im Oktober 2018 fiel die CSU mit 37,2 Prozent auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950. Erneut musste sie eine Koalition eingehen - diesmal mit den Freien Wählern. Der Verbleib von Markus Söder im Amt des Ministerpräsidenten war dennoch unstrittig. Die Hauptverantwortung für die Wahlniederlage lastete man Seehofer an, der nach Abschluss der Regierungsbildung im Januar 2019 seinen Rückzug vom Parteivorsitz erklärte. Da der Europaabgeordnete und Parteivize Manfred Weber auf eine Kandidatur verzichtete, wurde der Weg für Söder auch in dieses Amt frei. Dieser hatte bereits während des Wahlkampfes einen bemerkenswerten Image- und Strategiewandel eingeleitet, indem er besonnenere Töne im Asylstreit anschlug und gegenüber der AfD fortan auf strikte Abgrenzung setzte. Um der aufstrebenden Konkurrenz der Grünen zu begegnen, rückte die CSU gleichzeitig umweltpolitische Themen verstärkt in der Vordergrund (Deininger / Ritzer 2020).

Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident seit 2018 und CSU-Vorsitzender seit 2019, mit Mund-Nasen-Schutz mit bayerischem Rautenmuster. Aufgrund seiner Wahrnehmung als entschlossener Krisenmanager nach Ausbruch der Corona-Pandemie wurde er auch als möglicher Kanzlerkandidat der Union für die Wahl 2021 gehandelt. (© picture-alliance)

Söder gelang es auch, ein Vertrauensverhältnis zu Kanzlerin Merkel und zur neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer aufzubauen. Seine Wahrnehmung als entschlossener Krisenmanager nach Ausbruch der Corona-Pandemie, die die CSU in den Umfragen wieder in die Nähe der 50-Prozent-Marke brachte, und das nach dem angekündigten Rücktritt von Kramp-Karrenbauer entstandene Machtvakuum in der CDU führten dazu, dass er 2021 die gemeinsame Kanzlerkandidatur der Union für sich und die CSU reklamierte und damit den neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet offen herausforderte. Anders als Strauß und Stoiber vor ihm gelang es Söder aber am Ende nicht, seinen Anspruch durchzusetzen. Durch den erbittert ausgetragenen Machtkampf trugen beide Aspiranten heftige Blessuren davon, die für den anstehenden Wahlkampf eine schwere Bürde darstellten. Söders mangelnde Loyalität gegenüber Laschet im Wahlkampf und sein an Stimmungen ausgerichteter "Schlingerkurs" bei der Pandemiebekämpfung und in der Energie- und Klimaschutzpolitik verstärkten jetzt auch in den eigenen Reihen Zweifel an dessen Führungsqualitäten und trübten die Hoffnungen auf einen Stimmenzuwachs bei der 2023 anstehenden Landtagswahl ein. Diese ruhen seit der Niederlage der bei der Bundestagswahl weniger auf der Landespolitik als auf dem Auftrieb, den beide Unionsparteien durch den "Zwischenwahleffekt" im Bund erfahren.

Quellen / Literatur

  • Buchstab, Günter (2009), Ein parlamentarisches Unikum: die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.), Die Fraktion als Machtfaktor, Bonn, S. 255-274.

  • Deininger, Roman (2020), Die CSU. Bildnis einer speziellen Partei, München.

  • Deininger, Roman / Uwe Ritzer (2020), Markus Söder. Der Schattenkanzler, München.

  • Handwerker, Christoph (2019), Die gespaltene Union zwischen Macht und Werten. Die Flüchtlingskrise als Zerreißprobe für CDU und CSU?, in: Oliver Hidalgo / Gert Pickel (Hg.), Flucht und Migration in Europa, Wiesbaden, S. 127-159.

  • Hirscher, Gerhard (2012), Die Wahlergebnisse der CSU. Analysen und Interpretationen, München.

  • Hopp, Gerhard (2012), Die Volkspartei CSU in Bayern. Rahmenbedingungen, Strukturmerkmale und aktuelle Zukunftsperspektiven eines Erfolgsmodells auf dem Prüfstand, in: Ralf Thomas Baus (Hg.), Parteiensystem im Wandel, Sankt Augustin/Berlin, S. 73-98.

  • Jäger, Wolfgang (2009), Helmut Kohl setzt sich durch, 1976-1982, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.), Die Fraktion als Machtfaktor, Bonn, S. 141-159.

  • Kießling, Andreas (2004), Die CSU. Macherhalt und Machterneuerung, Wiesbaden.

  • Mintzel, Alf (1975), Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945-1972, Opladen.

  • Oberreuter, Heinrich (2008), Stoibers Sturz. Ein Beispiel für die Selbstgefährdung politischer Macht, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 39 (1), S. 112-118.

  • Schäfer, Susanne (2010), Konstanz und Wandel: Die CSU-Programme im dokumentarischen Vergleich, in: Gerhard Hopp/Martin Sebaldt/Benjamin Zeitler (Hg.), Die CSU, Wiesbaden, S. 173-193.

  • Sebaldt, Martin (2018), Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. (CSU), in: Frank Decker/Viola Neu (Hg.), Handbuch der deutschen Parteien, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 264-276.

  • Strauß, Franz Josef (1989), Die Erinnerungen, Berlin.

  • Weigl, Michael (2013), Die Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. (CSU), in: Oskar Niedermayer (Hg.), Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 469-495.

Fussnoten

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Prof. Dr. Frank Decker lehrt und forscht am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Parteien, westliche Regierungssysteme und Rechtspopulismus im internationalen Vergleich.