Die Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik ist umstritten. Politikwissenschaftler wünschen sich traditionell eine Parteipolitisierung der Kommunalpolitik, während Juristen den Parteieneinfluss auf die kommunale Selbstverwaltung eher zurückdrängen wollen. Das ist auch darauf zurückführen, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene grundlegend von der Landes- und Bundesebene unterscheiden und deshalb Kommunen von Juristen andere Aufgaben zugewiesen werden, während die Politikwissenschaft häufig die Besonderheiten dieser Ebene und deren Auswirkungen auf die Parteiakteure ausgeblendet hat. Im Folgenden sollen deshalb kurz diese unterschiedlichen Leitbilder von Kommunalpolitik skizziert werden, um daran anschließend die institutionellen Besonderheiten und deren Auswirkung auf die Akteure zu diskutieren.
Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie
Die traditionelle juristische Sicht befürwortet in der Regel eine starke Stellung des direktgewählten Bürgermeisters (starke exekutive Führerschaft), während Ratsmitgliedern und Parteien eine starke Zurückhaltung auferlegt wird. Im Stadt- oder Gemeinderat als Selbstverwaltungsorgan soll dementsprechend der "Parteienstreit" deutlich reduziert werden, auch weil angesichts der begrenzten rechtlichen Spielräume der kommunalen Ebene und der dort vorrangig zu lösenden Sachprobleme eine Parteipolitisierung zu nicht sach- und selbstverwaltungsgemäßen Lösungen führt (Püttner 2007: 386). Vorbild hierfür ist häufig die baden-württembergische Kommunalpolitik in kleinen und mittleren Gemeinden, in der häufig starke Bürgermeister auf konkordanzdemokratische Räte mit einstimmigen Beschlüssen treffen - auch aufgrund der bürgermeisterzentrierten baden-württembergischen Kommunalverfassung (Bogumil/Holtkamp 2016).
Konkordanzdemokratie und Konkurrenzdemokratie
Als Konkordanzdemokratie werden in der Politikwissenschaft Demokratien bezeichnet, in denen Konflikte hauptsächlich durch das Aushandeln von Kompromissen und gütliches Einvernehmen beigelegt werden. Oft werden hier auch Minderheiten an der politischen Willensbildung beteiligt. In der Konkurrenzdemokratie spielen dagegen Mehrheitsentscheidungen eine dominante Rolle. Konflikte werden von der Mehrheit entschieden, die Einbindung entgegenstehender Positionen ist nicht nötig oder relevant.
Die meisten Demokratien sind eine Mischung beider Typen. Das System der Schweiz wird oft als weitgehender Vertreter der Konkordanzdemokratie angeführt, Großbritannien ist dagegen nah am Idealtypus der Konkurrenzdemokratie.
Politikwissenschaftler übertragen demgegenüber häufig das Modell der nationalen Konkurrenzdemokratie, die durch den Wettbewerb zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen im Bundestag geprägt ist, auf die Kommunalpolitik und sehen dementsprechend Kontrollprobleme, wenn der Parteienwettbewerb und die Handlungsspielräume des Kommunalparlaments beispielsweise durch eine starke Stellung des Bürgermeisters eingeschränkt werden (Naßmacher/Naßmacher 2007). Vorbild sind häufig die eher konkurrenzdemokratischen Kommunalparlamente in Nordrhein-Westfalen, die auch aufgrund der dortigen Kommunalverfassung eine starke Stellung gegenüber dem Bürgermeister haben.
Zumindest ist heute klar, dass sich empirisch schon bedeutende Besonderheiten der Kommunalpolitik verzeichnen lassen, die eher gegen eine starke Parteipolitisierung in den durchschnittlichen Kommunen sprechen (Holtkamp 2008; Holtkamp 2017; vgl. anders Holtmann 2013).
Institutionelle Besonderheit der kommunalen Ebene
Interner Link: Nach den Gemeindeordnungsreformen, die den meisten Ländern in den 1990er-Jahren durchgeführt wurden, werden die Kommunen mit der Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters zunehmend als präsidentielle Regierungssysteme eingeordnet. Wenn der Bürgermeister und seine Partei keine klaren Mehrheiten im Kommunalparlament haben, ist das präsidentielle System nur schwer mit der Konkurrenzdemokratie vereinbar. In diesem Kohabitationsfall blockieren sich häufiger Stadtrat und Bürgermeister selbst und dies führt zu suboptimalen Entscheidungen (Bogumil et al 2014). In der Konkordanzdemokratie - also bei geringer Parteipolitisierung - hingegen kann der direktgewählte Bürgermeister über Fraktionsgrenzen hinweg über Verhandlungen seine politischen Mehrheiten suchen.
Ähnliche Blockaden wurden bei dem Zusammenspiel von Direktdemokratie und Konkurrenzdemokratie beobachtet (Holtkamp 2017). Die in allen Gemeindeordnungen eingeführten Bürgerbegehren werden in der Konkurrenzdemokratie häufig von der Opposition genutzt, um die Ratsbeschlüsse der Mehrheitsfraktionen zu kippen. In der Konkordanzdemokratie werden hingegen Ratsbeschlüsse meist einstimmig verabschiedet, sodass Bürgerbegehren kaum von einer "Opposition" genutzt werden können, um sich für zukünftige Wahlen zu profilieren. Bei gleichzeitig geringen kommunalen Spielräumen gerade im Zuge der kommunalen Haushaltskrise sind diese Blockaden eher als schädlich für den politischen Output einzuordnen und sprechen deshalb eher für die Konkordanzdemokratie.
Eine weitere institutionelle Besonderheit auf kommunaler Ebene ist, dass Parteien kein Wahlvorschlagsmonopol haben, sondern der Konkurrenz von freien Wählergemeinschaften ausgesetzt sind. Parteien haben also auf lokaler Ebene gerade nicht ein "Machtmonopol", wie es häufiger unterstellt wird (Antonio 2015: 565).
Weiterhin charakteristisch für die lokale Ebene ist der Begriff der Nähe (Andersen 1998: 17). Sozial kann in Gemeinden eher ein Kleinklima des Vertrauens entstehen und emotional besteht eine größere Identifikationsbereitschaft der Bürger auf kommunaler Ebene. Diese Nähe der kommunalen Ebene führt dazu, dass die Parteien als Vermittler weniger von den Bürgern und den Ratsmitgliedern benötigt werden. Es dominiert eine personenbezogene Kommunikation, und grundsätzliche Konflikte werden gerade aufgrund dieser Nähe eher vermieden. Darüber hinaus ist der geringe Professionalisierungsgrad lokaler Parteien und Ratsfraktionen zu berücksichtigen, der u. a. auf die geringe staatliche bzw. kommunale Finanzierung der Parteien zurückzuführen ist. So gibt es in Deutschland keine staatliche Rückerstattung von kommunalen Wahlkampfkosten, und die Ratsmitglieder verstehen ihr Mandat prinzipiell ehrenamtlich.
Der Einfluss der Gemeindegröße
Aufgrund vieler der hier beschriebenen Besonderheiten ist davon auszugehen, dass in den Kommunen durchweg nicht der Grad der Parteipolitisierung erreicht wird, der die Bundesebene charakterisiert, wobei die Varianz zwischen den Kommunen schon erheblich ist. Das liegt einerseits an Unterschieden zwischen den Kommunalverfassungen, die die Kompetenzen von Bürgermeister und Rat unterschiedlich ausgestalten. Anderseits variieren diese kommunalen Besonderheiten stark nach Gemeindegröße (Tausendpfund / Vetter 2017: 28). Kommunalpolitik in Großstädten weicht deutlich weniger von den konkurrenzdemokratischen Mustern auf Bundesebene ab als in kleineren Gemeinden. In letzteren sind die kommunalrechtlichen Handlungsspielräume, insbesondere über die unterschiedlich zugewiesenen Kompetenzen in den Gemeindeordnungen, deutlich kleiner als in größeren Städten. Der Begriff der Nähe und die aus dieser Nähe resultierende, stark personenbezogene Kommunikation, die die Vermittlungsfunktion von Parteien begrenzt, sind für kleinere Gemeinden typischer als für Großstädte. Auch das Vermeiden grundsätzlicher Konflikte dürfte aufgrund dieser Nähe in kleinen Gemeinden ausgeprägter sein als in Großstädten. Auch die Bedingungen für eine eigenständige, stabile lokale Parteiorganisation sind aufgrund der höheren Anzahl von Parteimitgliedern und der bedingt besseren Finanzausstattung sowie der stärkeren lokalen Präsenz von Berufspolitikern (Kreisgeschäftsführer, Fraktionsgeschäftsführer, Landtagsabgeordnete etc.) in Großstädten deutlich günstiger (Holtkamp 2008). Außerdem müssen in kleineren Gemeinden im Verhältnis zur Einwohnerzahl deutlich mehr Ratsmandate besetzt werden. Dies kann zu erheblichen Rekrutierungsproblemen und damit zur Nominierung von Kandidaten mit geringer Parteibindung als "Notlösung" führen. Und das wird maßgeblich auch die Zukunft der Ortsparteien bestimmen.
Zukunft der Lokalparteien
Trotz der skizzierten Einschränkungen der Kommunalpolitik ist damit nicht gesagt, dass die lokalen Parteien funktionslos sind oder werden. Sie dienen insbesondere der Rekrutierung von Berufspolitikern, die sich in den großen Volksparteien bei personalisiertem Verhältniswahlrecht in Bund und Ländern im starken Maße in den einzelnen Kreisverbänden profilieren müssen. Und zugleich nehmen diese Einschränkungen zumeist mit zunehmender Gemeindegröße ab, sodass in Großstädten Parteien für die Wähler schon eine Orientierungsfunktion haben.
In den anderen Kommunen ist eher davon auszugehen, dass die Parteipolitisierung weiter abnehmen wird. Hierfür sprechen einerseits die zunehmenden Wahlerfolge der Wählergemeinschaften. Bereits heute sind sie insbesondere in Ostdeutschland stark vertreten. So erreichen Wählergemeinschaften in Ostdeutschland bei den Kommunalwahlen Stimmenanteile zwischen 38,6 % in Sachsen und 53,3 % in Thüringen (Holtmann et al. 2012: 151) und in den klassischen Hochburgen in Süddeutschland können sie annähernd 50% der Stimmenanteile erringen.
Andererseits führt der extreme Mitgliederschwund der Parteien (vgl. hierzu auch Holtmann et al. 2017) dazu, dass in den kleineren Kommunen zukünftig kaum noch genügend Personal zur Verfügung steht, um die Kommunalpolitik stark parteipolitisch durchdringen zu können. Zwischen 1990 und 2016 haben die CDU 45 Prozent und die SPD 54 Prozent ihrer Mitglieder verloren (Niedermayer 2017). Rechnet man die zukünftigen Mitgliederverluste allein durch zu erwartende Todesfälle hoch, ist bis 2040 ein weiterer Rückgang der SPD- und CDU Mitgliedschaft von 60 Prozent zu erwarten (Decker et al. 2014: 5). Das wird wahrscheinlich dazu führen, dass immer weniger Parteien in kleineren Kommunen überhaupt zur Kommunalwahl antreten werden, was wiederum die Wahlerfolge der Wählergemeinschaften forcieren könnte.