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Strategien und mediale Aufmerksamkeit im US-Wahlkampf | USA | bpb.de

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Strategien und mediale Aufmerksamkeit im US-Wahlkampf Interview mit Prof. Curd Knüpfer

Julian Heissler

/ 9 Minuten zu lesen

Im Interview erläutert Prof. Curd Knüpfer die Kommunikationsstrategien im Präsidentschaftswahlkampf, die Parteistrukturen und das Mediensystem in den USA sowie die Rolle von Informationszyklen und Emotionen für öffentliche Aufmerksamkeit.

Kamala Harris und Donald Trump während der TV-Debatte auf abc News. (© Sipa USA / picture alliance)

Curd Knüpfer

Prof. Dr. Curd Knüpfer ist Professor der Politikwissenschaft an der University of Southern Denmark in Odense. Zuvor lehrte er am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin. Er ist Experte für politische Kommunikation und das US-amerikanische Mediensystem.

Julian Heissler: Der Präsidentschaftswahlkampf geht in die heiße Phase. Die Meinungsforscher erwarten einen knappen Ausgang.Interner Link: Kamala Harris hat nun den Begriff „Freiheit“ ins Zentrum ihrer Kampagne gerückt. Warum?

Curd Knüpfer: Die Hoffnung der Demokraten ist, durch die Nutzung des Begriffs die Pläne der Republikaner als Bedrohung für traditionelle amerikanische Werte darzustellen. Gleichzeitig versuchen sie so, dem Vorwurf etwas entgegenzusetzen, den Leuten durch Warnungen vor Interner Link: Trump nur Angst machen zu wollen. Die Idee ist, sich diesen umfassenden Freiheitsbegriff zu eigen zu machen und so die Pläne der Republikaner mit etwas Positivem, klassisch Amerikanischem zu kontern.

In den vergangenen Jahren hatten vor allem die Republikaner versucht, den Begriff „Freiheit“ für sich zu reklamieren. Hat Sie der Vorstoß der Harris-Kampagne überrascht?

Nein. Wahnsinnig originell ist die Idee nicht. In jedem Wahlkampf, an den ich mich erinnere, versuchen beide Seiten, den Begriff für sich zu nutzen. Freiheit wird ständig umgedeutet. Interner Link: Ronald Reagans Vorstoß, Freiheit vor allem als Freiheit von staatlichem Handeln zu definieren war eine Reaktion auf die Demokraten, die seit der Großen Depression den Begriff in das Wohlstaatsnarrativ eingebettet hatten – als Freiheit, sich offen zu entfalten und nicht in Angst leben zu müssen. Jetzt versuchen die Demokraten eben, das Wort „Freiheit“ gegen Trump einzusetzen.

Wie genau?

Das Narrativ der Harris-Kampagne zielt auf mehreren Ebenen darauf ab, die Pläne von Donald Trump als Abweichung von der Norm darzustellen – als eigentlich unamerikanisch. Dazu greifen sie zu unterschiedlichen Methoden. Beim glamourösen Parteitag den Begriff „Freiheit“ ins Zentrum zu stellen, ist eine Möglichkeit, diese Botschaft positiv zu formulieren. Die Partei will es den Republikanern nicht überlassen, das Land über den Slogan „Make America Great Again“ zu definieren. Sie versucht stattdessen, diese Vision der USA als etwas radikales, ablehnenswertes darzustellen.

Warnungen vor Trump sind nicht neu. Seit Jahren bezeichnen die Demokraten ihn als „existenzielle Bedrohung für die Demokratie“. Das hat sich zumindest Interner Link: in den Umfragen für den damals wahlkämpfenden Interner Link: Präsident Biden kaum positiv ausgewirkt.

Ich denke schon, dass die Warnungen vor der Gefahr für die Demokratie durch Trump kommunikativ funktioniert haben. Dass Bidens Umfragewerte schlecht waren, hing damit zusammen, dass er schon seit langem unbeliebt ist und dass große Teile der Bevölkerung mit Interner Link: seiner Politik nicht einverstanden waren. Der Slogan war deshalb nicht falsch.

Seit einigen Wochen setzt die Demokratische Partei in Bezug auf Trump vor allem auf ein neues Wort: „Weird“ – also merkwürdig oder komisch. Warum verfängt das besser?

Das hängt meiner Meinung nach mit dem Zeitpunkt zusammen. Die Demokraten haben vor allem auf das „Gefahr“-Narrativ gesetzt, als sich die Republikaner im Aufwind befunden haben. Darauf haben die Demokraten mit maximaler Negativität reagiert – was auch völlig normal ist. Jetzt haben die Demokraten Momentum, und damit ändert sich auch der Wahlkampf. Doch die Grundbotschaft ist die Gleiche geblieben: Das, was Trump vorhat, ist ein Bruch mit unseren Traditionen. Dazu passt übrigens auch die Nominierung von Tim Walz für das Amt des Vizepräsidenten. Er strahlt durch sein Auftreten und Aussehen eine herkömmliche „Normalität“ aus, die es ihm erlaubt, die Pläne der Republikaner als Abweichung zu definieren. Barack Obama oder Kamala Harris wäre das möglicherweise qua ihrer Person weniger vergönnt.

Unterscheidet sich dieser Wahlkampf kommunikativ also nicht von den Wettbewerben in der Vergangenheit?

Die politische Öffentlichkeit in den USA wandelt sich seit Jahrzehnten. Strukturelle Faktoren haben sich verschoben – und das beeinflusst die Politik. Besonders wichtig ist Interner Link: das Thema Wahlkampffinanzierung. Seit sich vor 14 Jahren die Rechtslage durch das Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall Citizens United v. FEC geändert hat, können ganz andere Akteure in den Wahlkampf eingreifen und indirekt ihre Botschaften setzen. Das rückt die klassischen Parteien ein Stück weit in den Hintergrund. Das sehen wir auch in diesem Wahlkampf, etwa in den Debatten um Project 2025. Dabei handelt es sich um ein Programm für die nächste republikanische Administration, das unter der Führung der Heritage Foundation, eines konservativen Think Tanks, erarbeitet wurde. Die Demokraten behandeln diesen Entwurf so, als sei er das offizielle Programm der Republikaner. Das geht natürlich nur, weil die GOP selbst kein eigenes detailliertes Programm vorgelegt hat, mit dem sie sich von Project 2025 distanzieren könnte. Das zeigt, wie viel diffuser die Politik in den USA geworden ist. Das macht es für die Parteien schwer, selbst zu definieren, was ihre Ziele sind.

Citizens United v. FEC

Citizens United v. Federal Election Commission ist ein Leiturteil des US-amerikanischen Supreme Court von 2010. Mit einer knappen Mehrheit von 5 zu 4 Stimmen entschieden darin die Richter des Obersten Gerichts der USA, dass unabhängige Ausgaben für politische Kampagnen durch Unternehmen, NGOs, Gewerkschaften oder andere Assoziationen nicht eingeschränkt werden dürfen. Das hochumstrittene Urteil berief sich auf das First Amendment zur Verfassung der USA und insbesondere die Redefreiheit, und hob somit einen Teil des Bipartisan Campaign Reform Act von 2002 auf, ein Gesetz zur Regulierung der Wahlkampffinanzierung.

Aber es gibt doch offizielle Parteiprogramme, die von den Parteitagen verabschiedet werden. Welche Bedeutung haben diese dann noch?

Es gibt diese sogenannten Plattforms. Aber die sind nicht vergleichbar mit Regierungsprogrammen, wie wir sie aus zentraleuropäischen Parteisystemen kennen. Das sind Sprechzettel voller Phrasen und teils widersprüchlichen Inhalten – vor allem bei den Republikanern. Die Demokraten betreiben noch eher Politik nach der alten Schule. Dort gibt es noch einen funktionierenden Parteiapparat.

Warum ist der bei den Republikanern verschwunden?

Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Zum einen waren die Demokraten historisch immer föderaler organisiert mit lokalen Strukturen, während die Republikaner schon länger ein strategischer Apparat sind, der zentraler gesteuert wird. Zum anderen hat die GOP im Zuge der Finanzkrise und der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten im Jahr 2008 einen Schock erlebt, der etwas in ihr verschoben hat. Große Teile der Alten Garde wurden aus Führungspositionen verdrängt und von neuartigen Ideologen ersetzt, die es verstanden haben, sich mit Interner Link: dem neuartigen medialen Ökosystem zu verkoppeln, das über die Jahre entstanden ist. Das hat den Wandel beschleunigt.

Wie sieht dieses Mediensystem aus?

Die USA waren lange geprägt von dem, was wir im 20. Jahrhundert als ein liberales Mediensystem bezeichnet haben. Das heißt: Kommerzielle Medien, die von einem hohen Maß an Professionalität geprägt sind. In den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren haben wir jedoch erlebt, wie sich das System zum Teil gewandelt hat und sich einem polarisierten pluralistischem Modell annähert, wie wir es etwa aus Griechenland oder Italien kennen, wo die Medienstruktur der Parteienstruktur gleicht. Da sind wir in den USA allerdings noch nicht angekommen. Dort erleben wir gerade eine Hybridität. Wir haben immer noch den klassischen, sehr professionellen Journalismus, den Medien wie die New York Times betreiben, gleichzeitig aber auch ein eigenes konservatives Ökosystem, das schon seit den 1980ern heranwächst – zunächst personifiziert durch Radio-Kommentatoren wie Rush Limbaugh und Medienpersönlichkeiten wie Brent Bozell, seit 1996 dann durch Fox News und heute zusätzlich noch durch Podcasts.

Es gibt doch auch US-amerikanische Medien, die sich explizit als links verstehen…

Die gibt es. Sender wie MSNBC haben sich irgendwann dazu entschlossen, die Nähe der Demokraten zu suchen. Aber das lässt sich nicht mit dem Apparat auf der rechten Seite des politischen Spektrums vergleichen. Dort koordinieren sich die Anbieter viel strikter, stimmen sich ab. Das ist ein Projekt, das bereits seit den 1970ern von konservativen Kreisen intensiv verfolgt wird – auch mit viel Geld. So ist eine eigene Welt entstanden, die etwa jungen konservativen Journalisten einen klaren Karrierepfad innerhalb des Apparats anbieten kann. So etwas gibt es so auf der linken Seite des politischen Spektrums nicht – und in den traditionellen Medien, die noch Teil des „liberalen Mediensystems“ sind, schonmal gar nicht. Dort wird klassischer Journalismus betrieben. Diese Medien als links abzustempeln, ist übrigens eines der wichtigsten Ziele dieses konservativen Medienbiotops.

Können Wahlkämpfer angesichts dieser Fragmentierung überhaupt noch das ganze Wählerspektrum erreichen?

So richtig gab es diese Möglichkeit nie. Aber die Zeit der Rundfunkära, in der ein Sender viele Empfänger erreichte, ist vorbei. Damals war das Fernsehen das Hauptmedium und jeden Abend definierte ein Nachrichtensprecher, was die Agenda ist. Der Archetyp dafür war Walter Cronkite, der ein hohes Maß an Vertrauen genoss und der die US-Bevölkerung durch viele besondere Momente der Zeitgeschichte wie den Mord an Interner Link: John F. Kennedy oder den Interner Link: Vietnam-Krieg begleitete. Damals setzte vorrangig eine Institution, der professionalisierte Journalismus, die Themen, über die am nächsten Tag gesprochen wurde und die dann auch von den Zeitungen und anderen Medien aufgegriffen wurden. Doch das ist vorbei. Heute leben wir in einer Zeit der Informationszyklen, in denen fast alle Medien gleichzeitig das gleiche Thema aufgreifen und darauf reagieren. Doch diese Zyklen sind getrieben von Ereignissen, nicht mehr von einer definierten Agenda. Das macht es für politische Akteure schwierig. Um durchzudringen, müssen sie laut und sichtbar genug sein, dass man sich ihnen nicht entziehen kann. So macht das etwa Trump. Oder sie müssen das Momentum auf ihrer Seite haben.

Das heißt, mit Inhalten allein können die Kandidaten nicht mehr durchbrechen?

Es ist zumindest schwierig. Donald Trump gelingt es allerdings immer wieder. Er zieht eigentlich schon seit 2012 so viel Aufmerksamkeit auf sich wie sonst wohl kein anderer Politiker. Damit ist er eine absolute Ausnahmefigur. Trump war über Jahre diese eine Sache, über die alle geredet haben. Kritiker werfen den Medien deshalb schon lange vor, dass sie ihm zu viel Aufmerksamkeit zukommen lassen. Die Antwort der Journalisten ist dann oft, das sie sich mit ihm auseinandersetzen müssen, eben weil er so viel Aufmerksamkeit bekommt. An diesem Punkt wird es dann zu einem Selbstläufer. Und den erleben wir gerade wieder einmal. Verglichen damit haben es andere schwer, die womöglich einen ausgearbeiteten Programmentwurf vorstellen wollen. So funktioniert es nicht mehr. So durchbricht man einen Informationszyklus nicht. Nehmen Sie die Parteitage: Es war in den USA ganz problemlos möglich, die Republican National Convention in Milwaukee oder die Democratic National Convention in Chicago vollständig auszublenden. Wer sich dafür interessierte, konnte sie leicht finden, aber man konnte sie ebenso leicht umgehen. Das wäre früher schwieriger gewesen, da die Treffen der Parteien wohl fast sämtliche Nachrichtenkanäle dominiert hätten. Heute sind solche Ereignisse eher mit Sportereignissen vergleichbar. Ich kann schnell erfahren, wer im Medallienspiegel vorne liegt. Aber von allein findet mich diese Information nicht.

Trump setzte schon immer auf Themen, die beim Publikum eine emotionale Reaktion auslösen. Funktioniert es also vor allem so?

Es gibt nicht die genau eine Erklärung. Aber in der Forschung ist sehr gut beschrieben, wie der Mechanismus funktioniert. Leser finden vor allem im Internet Inhalte, die durch die Algorithmen der großen Tech-Plattformen vorsortiert wurden, um eine Reaktion auszulösen. Das haben auch die klassischen Medien gelernt – über die Klicks, die ihre Artikel anziehen. Und Inhalte, die emotionalisieren, ziehen nun einmal besonders viele Zugriffe auf sich und werden so auch durch die Plattformen immer weiter nach oben gespült. In den Redaktionen stellt man sich also die Frage: Was interessiert unsere Leser? Und die Antwort ist beispielsweise: Trump, der macht die richtig sauer. Oder: Harris zieht gerade ganz viel positive Energie an. Daraus folgt dann: Mehr Trump! Mehr Harris! Das ist ein Interpretieren von Emotionen – und das machen sowohl die Demokraten, als auch die Republikaner, als auch die Medienhäuser.

Was bedeutet das für die Wahlkämpfe der Zukunft?

Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Sicher ist, dass sich die mediale Umgebung immer weiter wandeln wird. Man darf nicht unterschätzen, was die neue Finanzstruktur der US-Wahlkämpfe auch für Auswirkungen auf die Medienlandschaft hat. In den Swing States gibt es kleinere Fernsehstationen, die finanziell quasi davon abhängig sind, dass alle zwei bis vier Jahre massiv Geld für Werbespots ausgegeben wird. Das verändert natürlich Dinge. Und es wird sich zeigen müssen, ob das demokratische System mit diesen neuen Konditionen umgehen kann.

Was meinen Sie?

Das System muss beweisen, dass es weiterhin auf herkömmliche Art und Weise gesellschaftliche Probleme lösen kann. Wenn hier eine Brücke zerfällt, dann muss sie wieder aufgebaut werden. Da helfen keine emotionalisieren Wahlkampfbotschaften. Dann muss das demokratische System zeigen, dass es funktioniert und dass es Resultate liefert. Wenn es das nicht tut, dann zersprengen diese neuen Konditionen den Apparat. Wenn Interner Link: die Republikaner legitime Wahlergebnisse nicht mehr anerkennen, oder ihre Drohungen umsetzen, demokratisch legitimierte Gegner einzusperren, dann haben wir es künftig nicht mehr mit einer Demokratie zu tun – und dann spielt natürlich auch der Wahlkampf eine ganz andere Rolle.

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Julian Heissler, Jahrgang 1983, arbeitet als USA-Korrespondent in Washington, D. C. Zuvor berichtete er als Parlamentsberichterstatter aus Berlin. Er ist Absolvent der Freien Universität Berlin und der Journalistenausbildung der Hamburg Media School. Er nahm an mehreren internationalen Journalistenprogrammen teil, unter anderem Medienbotschafter China-Deutschland der Robert Bosch Stiftung und dem USA-Programm der RIAS Berlin Kommission.