Das Townhall-Debattenformat: Bürger bestimmen die Themen
Diesmal war alles anders: das Debattenformat, die Themen, die Körpersprache – und das Urteil, wer gewonnen hat. Townhall-Format nennt man die Inszenierung dieses zweiten Aufeinandertreffens. Bürger stellten die Fragen im Auditorium der Hofstra-Universität in Hampstead im Staat New York. CNN hatte sie mit Hilfe von Meinungsforschern ausgesucht; zum Zuge kommen sollten nur Wähler, die noch nicht entschieden haben, wem sie ihre Stimme geben. Daraus ergab sich eine ganz neue Dynamik. Bei der ersten Debatte hatte ein Moderator das jeweilige Thema vorgegeben. Und die beiden Kontrahenten blieben relativ statisch hinter ihren Redepulten stehen. Beim zweiten Aufeinandertreffen war das Bild ein anderes. Es gab viel Bewegung auf der Bühne. Der Kandidat, dem die Frage galt, erhob sich, ging auf den Fragesteller zu, erklärte in zwei Minuten seine Sicht. Danach stand der Kontrahent auf und hatte die selbe Zeit zur Erwiderung. Häufig standen beide gleichzeitig auf der mit rotem Teppich ausgelegten Bühnenmitte und versuchten, eine aus ihrer Sicht falsche Behauptung richtig zu stellen.
Die Bürger sprachen Themen an, die für sie im Alltag wichtig sind. Ältere sorgen sich um ihre Jobs, das Wirtschaftswachstum und die Schulden. Studenten wollen wissen, wie sie ihre Unigebühren zurückzahlen können und wie viel staatliche Hilfe es dafür gibt. Frauen fragen, wie Obama und Romney es mit Gleichberechtigung, gerechter Bezahlung und dem in Amerika allgegenwärtigen Streit um Abtreibungsverbot oder sexuelle Selbstbestimmung halten.
Rechnungen mit viel Fantasie
Die vielen Millionen Fernsehzuschauer erlebten ein im Ton ziviles, aber in der Sache hartes Rededuell über gut 90 Minuten. Obama zeigte von Anfang, dass er Romney nicht abermals die Initiative überlassen wolle. Gleich in der ersten Antwort attackierte er: Wäre es nach den Republikanern gegangen, wären die Autofirmen GM und Chrysler Bankrott gegangen. Durch die Finanzhilfe der Regierung seien hunderttausende Arbeitsplätze gerettet worden. „Ihre Zahlen stimmen nicht!“, werfen sich beide bei den Themen Steuern und Schuldenabbau vor.
Die Diskussion - ein echtes Rededuell
Romney bekräftigt seine neue Position, dass er die Reichen nicht entlasten wolle: Die obersten fünf Prozent sollten nach seinem Plan weiter 60 Prozent aller Einkommensteuer bezahlen. Monatelang hatte er Steuererleichterungen für alle gefordert, auch für die Reichen, diese Position aber in der ersten Debatte geändert. Damals verpasste Obama die Chance, ihn dafür als „Flip Flopper“ hinzustellen: einen Mann, der seine Meinung wechselt, wenn er sich davon einen Vorteil verspricht.
Nun hämmerte Obama den Zuhörern ein, Romney kündige einerseits Steuersenkungen an und verspreche anderseits, dass er Abschreibungsmöglichkeiten in gleicher Höhe streichen werde, um die Schulden abzubauen. Er verweigere aber die Auskunft, welche Schlupflöcher er konkret beenden wolle. So bleibe eine Lücke, die Obama bisher mit fünf Billionen Dollar über zehn Jahre beziffert hatte, nun aber auf acht Billionen schraubte.
Romney erwidert, Obama könne nicht rechnen. Eben deshalb seien die Schulden der USA heute so hoch. Auch er übertreibt, als er den Präsidenten für die Hälfte der heutigen Schulden in Höhe von mehr als16 Billionen Dollar verantwortlich machte. Unter Obama ist faktisch etwa ein Drittel hinzugekommen. Der größte Defizitsünder war George W. Bush.
Von Bush jr. war bisher selten die Rede im Wahlkampf – es wirkt, als wollten die USA nicht an ihn erinnert werden. Doch nun fragt eine Frau danach. Sie sei enttäuscht von Obama. Aber sie fürchte, dass Romney zu Bushs Rezepten zurück wolle, und die seien doch der Auslöser der tiefen Krise gewesen. Romney solle sagen, was ihn von Bush unterscheide. In dem Augenblick huscht ein halb erleichtertes, halb spöttisches Lächeln über Obamas Gesicht. Romney nennt eine ausgewogene Haushaltspolitik und das Bemühen um fairen Handel. Wenn China mogele, werde er einschreiten. „Sie sind der Letzte, der hart mit China umgeht“, spottet Obama. Romney sei finanziell beteiligt an chinesischen Firmen, die Amerika Jobs wegnehmen. Das gelte auch für Obamas Geldanlage, behauptet Romney und fragt, wann der Präsident zuletzt seine Altersversorgung angeschaut habe. „Nicht so oft. Meine ist nicht so dick“, erwiderte Obama. Das Publikum lachte.
Romneys Patzer – einer mit Folgen?
In der Außenpolitik unterläuft Romney ein Patzer. Die Aufklärung, wie es zu der Ermordung von vier US-Diplomaten in Libyen kam – durch eine Demonstration, die spontan eskalierte, oder einen Terrorakt von Al Qaida – ist ein wunder Punkt für Obama, weil er im Laufe der Zeit verschiedene Erklärungen abgegeben hat. In der Debatte versteift sich Romney auf die Behauptung, Obama habe viele Tage gebraucht, ehe er zugab, dass es ein geplanter Terrorakt war. Da muss er sich von Moderatorin Candy Crowley korrigieren lassen. Obama hatte bereits am Tag nach den Morden von Terror gesprochen. Nun spielen die TV-Sender immer wieder die Szene mit Romneys Irrtum.
Nach einer Blitzumfrage von CNN sehen 46 Prozent Obama als Sieger der Debatte, 39 Prozent Romney. Am Montag, 22. Oktober, folgt das letzte TV-Duell.
(Transkript der gesamten Debatte: Externer Link: www.washingtonpost.com )
In den Umfragen sind die Auswirkungen der Debatte nicht sofort abzulesen. Sie werden sich erst mit mehreren Tagen Abstand spiegeln. Zunächst zeigen die Erhebungen der Demoskopen noch den Pro-Romney-Trend der jüngsten dreizehn Tage. Er hat Obamas Vorsprung von mehr als drei Prozentpunkten von Anfang Oktober zu einer eigenen, wenn auch knappen Führung gedreht. Und doch wetten noch immer 65 Prozent auf einen Wahlsieg Obamas, nur 35 Prozent setzen auf Romney.
Einen guten Überblick über diese gegenläufigen Trends vermittelt die Internetplattform Realclearpolitics:
Externer Link: http://www.realclearpolitics.com/
Das Urteil der Medien über Sieger und Verlierer der zweiten Debatte sowie die Weiterungen folgt überwiegend den parteipolitischen Sympathien des jeweiligen Mediums. Obama wird überwiegend als Gewinner betrachtet, zum Beispiel im Editorial der New York Times:
Externer Link: www.nytimes.com
Und ebenso in der Washington Post:
Konservative Beobachter sprechen dagegen lieber von einem Unentschieden.
Externer Link: www.redstate.com
Das kommt einem Eingeständnis, dass der Präsident dieses Mal die Nase vorn hatte, schon sehr nahe.