Amtsinhaber Barack Obama wurde 2008 unter anderem auch als Kritiker des Irakeinsatzes gewählt. Der Krieg in Afghanistan dauert mittlerweile länger als alle anderen Kriege in der US-Geschichte zuvor. So wird der Rückzug in Etappen aus den mit Verbündeten geführten Kriegen im Mittleren Osten von der Mehrheit der US-Bürger honoriert, wie auch seinerzeit das Auffinden von Osama bin Laden, das mit dessen Tod endete, unter Obamas Führung. In der Tat sehnen sich die Amerikaner nach jedem klaren Endpunkt, wenn es um die Tragödie des 11. Septembers 2001 und seiner Folgen geht.
Doch ein Gefühl der wiederhergestellten Sicherheit muss letzten Endes ausbleiben. Denn die Ermordung des amerikanischen Botschafters in Libyen, ausgerechnet am 11. September 2012 von islamistischen Milizen verübt, und gleichzeitig der Bürgerkrieg in Syrien sowie die zunehmenden Spannungen mit dem Iran deuten keineswegs auf bevorstehende Friedenszeiten im Nahen Osten hin. Deswegen mahnt der republikanische Herausforderer, Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, seine Landsleute nicht lediglich zur Wachsamkeit, sondern auch zur weiteren Kampfbereitschaft in der Region. Aber werden solche Kassandrarufe der Konservativen am 6. November von den Wählern erhört?
Auch wenn der Wahlkampf sich bis jetzt hauptsächlich mit der Innenpolitik beschäftigte, könnten neue Episoden und Eskalationen im Mittleren Osten das politische Klima in den USA durchaus ins Wanken bringen. Und auch wenn Außenpolitik für den Ausgang dieses Wahlkampfes wie erwartet eher nicht ausschlaggebend sein wird, wird diese Wahl in außenpolitischer Hinsicht doch auch eine Richtungswahl. Je nachdem wer gewinnt, Obama oder Romney, werden die unterschiedlichen Ansätze der Demokraten und Republikaner deutlich hervor treten. Die amerikanische Rolle in der Welt des 21.Jahrhunderts wird unterschiedlich parteipolitisch interpretiert und geprägt.
Ein Reset für das neue Millenium, welches am 11.9.2001 so unheilvoll anbrach, das war die Hoffnung des außenpolitischen Teams um Präsident Obama in 2008. Würde nicht unter Obamas ruhiger Hand eine neue Epoche der amerikanischen Macht einsetzen können? Eine Epoche, in der eine kluge, nuancierte Rede des US-Präsidenten an der Universität von Kairo, oder etwa ein klares Bekenntnis zur amerikanischen Weltrolle bei der Nobelpreisverleihung in Oslo, politisch effektiver ist als militärische Brigaden unter der Führung des neokonservativen Präsidenten George W. Bush oder dessen seinerzeit kandidierenden Nachfolgers John McCain ...
Barack Obamas Strategie
Es kam anders: Obama setzte militärisch ebenfalls auf eine neue Epoche. Der geschickte Einsatz militärischer Sonderkommandos oder unbemannter Drohnen, etwa in Pakistan und Afghanistan, sollte jetzt und in der Zukunft eine größere Rolle spielen – trotz der Widerstände seitens der Regierungen in Kabul und Islamabad, und trotz der Opposition der amerikanischen Friedensbewegung. Der Afghanistankrieg sollte erfolgreich mit einem einmaligen und befristeten "Surge", einem Anschwellen der Truppen, bis zur Mitte dieses Jahres zu Ende gebracht werden. Erst nach diesem zahlenmäßigen Anstieg der Soldaten erfolgte der Beginn der Truppenreduzierung rechtzeitig zur Wahl 2012.
Die andauernde militärische Präsenz der USA in Asien wurde spürbar erhöht, um den Großmachtehrgeiz des wirtschaftlichen Rivalen China in Schach zu halten. Besonders die neuen US-Marinebasen in Australien sorgten für Überraschung und Eindruck in ganz Asien. Amerika, der Sieger des Pazifikkrieges im Zweiten Weltkrieg, kündigt unter Obama an, im 21. Jahrhundert weiterhin eine entscheidende Rolle im zunehmend strategisch umstrittenen Südchinesischen Meer zu spielen. Trotz Obamas hoher Beliebtheitswerte in Europa, hat das Weiße Haus unter seiner Regie nie einen Hehl daraus gemacht: der Kontinent der Zukunft liegt in Süd- und Ostasien.
Mitt Romney setzt auf Bewährtes
Obwohl Mitt Romney als ehemaliger Gouverneur von Massachusetts wie die allermeisten Präsidentschaftskandidaten über keinerlei außenpolitische Erfahrung verfügt, lassen seine Wahlkampfreden sowie seine außenpolitischen Berater ein traditionelles, republikanisches Programm für eine eventuelle Amtszeit vermuten. Für republikanische Wähler sowie Führungsfiguren bleiben die alten Konflikte im Mittleren Osten weiterhin von existentieller Bedeutung für die amerikanische Bevölkerung und den amerikanischen "Way of Life". Im Gegensatz zu den Demokraten glauben sie zum Beispiel, dass eine robuste Handhabung der iranischen Atomwaffenpläne bald notwendig sein könnte, sollten internationale Wirtschaftssanktionen ein iranisches Einlenken nicht bewirken. Für den Republikaner Mitt Romney ebenso wie für dessen Vorgänger als Präsidentschaftskandidaten und heutigen Senator John McCain, sind die engen Beziehungen mit traditionellen Verbündeten viel wichtiger als die Annäherungspolitik gegenüber traditionellen Gegnern.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Wie schon deutlich geworden ist: Demokraten sind keineswegs die sprichwörtlichen Tauben im Gegensatz zu den republikanischen Falken. Die strategischen Unterschiede zwischen den Parteitraditionen in den USA sind wesentlich subtiler als etwa die bloße, instinktive Präferenz für diplomatische Mittel auf der einen Seite oder die Bevorzugung militärischer Stärke auf der anderen. Sowohl demokratische Präsidenten, wie Obama oder Bill Clinton, als auch republikanische Präsidenten, wie George W. Bush oder Ronald Reagan, verwenden stets eine bunte und sich wechselnde Mischung aus diplomatischen und militärischen Maßnahmen. Vielmehr ist es ihre politische Auffassung und ihr Verständnis internationaler Konflikte selbst, die man relativ deutlich parteipolitisch unterscheiden kann.
Diese unterschiedlichen außenpolitischen Konzeptionen, Sichtweisen und Denkrichtungen finden sich bis heute bei ihren idealtypischen Protagonisten Ronald Reagan und Bill Clinton. So gesehen gehört Barack Obama der Clintonschen Schule der internationalen Politik an, ebenso wie Mitt Romney zur Reaganschen Schule gehört.
Ronald Reagan hatte mit der traditionellen Eindämmungspolitik der amerikanischen Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion gebrochen, indem er durch seine Rüstungspolitik die amerikanische Militärmacht klar überlegen machte. Diese Politik der Stärke und des Drucks, flankiert durch den von den USA einst unterstützten Guerillakrieg in Afghanistan, war nicht auf eine tatsächliche, militärische Konfrontation angelegt. Dennoch oder gerade deshalb erreichte sie erfolgreich ihr Ziel: den Zusammenbruch der UdSSR.
Man dämmte den Einfluss Moskaus nicht nur ein, man sorgte effektiv für dessen Ende. Auch wenn Mitt Romney nicht die gleichen Verhältnisse in der Weltpolitik oder der Weltwirtschaft erben würde, er bekennt sich zur Linie Reagans. Schon jetzt hat er der Öffentlichkeit wissen lassen, dass er großen Druck gegen Russland wegen dessen Unterstützung von Iran und Syrien aufbauen würde. Ebenfalls plant Romney offenbar eine harte Gangart gegen China. Wo Obama erst Konsens in Handelsfragen mit China gesucht hat, hat Romney eine Konfrontation mit China in wirtschaftlichen Fragen vom Anfang seiner möglichen Amtszeit an versprochen.
Denn Romney hält die Macht des amerikanischen Präsidenten für noch groß genug, um bedeutsame Ergebnisse durch unilateralen Druck zu erzielen. Seine stete Parole: "No Apologies" (keine Entschuldigungen) für die USA. Das beinhaltet für Mitt Romney auch eine größere, emotionale Nähe zur militärischen Führung. In einem Interview mit der New Yorker Zeitschrift kritisierte er: "Wir wussten, dass dort ein entscheidender Punkt in der Kriegsführung bald erreicht werden würde, aber er (Obama) hat fast gar keine Zeit mit der militärischen Führung verbracht. So wusste er nicht rechtzeitig, welche Art von Aufstockung der Truppen dort nötig war. Also musste man die Entscheidung erst erarbeiten und hat dadurch Zeit verloren. Ich glaube, das war ein Fehler. Obama entschied sich dann für 30.000 Soldaten statt der 40.000, die das Militär sich gewünscht hat. Das war ein weiterer Fehler."
Der Clintonsche Ansatz betonte dagegen vielmehr die Notwendigkeit einer Einbindung der USA in internationale Allianzen und Prozesse des Konflikt-Managements. Clinton stand für eine gewisse Globalisierung und Internationalisierung der Politik nach dem Ende des Kalten Krieges.
Obama zeigt ähnliche Ansätze zum Beispiel mit seiner bisherigen Politik in Libyen. Dort bereitete er eine neue Form von multilateraler Kooperation vor, "leading from behind", "das Führen von Hinten", in der die amerikanische Luftwaffe lediglich eine strategisch wichtige Unterstützung für europäische Streitkräfte anbietet.
Clintons Schwerpunkt lag darin, Gefahren einzudämmen, die etwa ein Staat wie der Irak darstellt. Dabei war seine Regierung, wie es die von Obama heute ist, alles andere als pazifistisch: Sie befahl unter ihrer Doktrin der «humanitären Intervention» weitaus mehr Militäreinsätze als Ronald Reagan! Das weiß kaum jemand in Deutschland, aber es bleibt eine von vielen für manche unangenehmen Wahrheiten. Dennoch scheute sie die direkte Konfrontation mit Gegnern wie dem Irak oder Nord-Korea im Zuge einer großangelegten strategischen Maßnahme. In einer zweiten Amtsperiode wäre Obamas Verhalten gegenüber Iran oder China mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von solcher Umsicht geprägt.
Zwei Denkrichtungen – ein Land
Es gibt wichtige Unterschiede in den demokratischen und republikanischen Traditionen Amerikas. Viele Kritiker warnen stets vor jeglichem "Presidential War". Der Begriff des Präsidialkriegs ruft in den USA Erinnerungen an Vietnam hervor. Denn er war vor allem das Ergebnis einer langen Reihe von Entscheidungen, die einsam von den Präsidenten getroffen wurden. Obamas enger außenpolitischer Berater, Vizepräsident Joe Biden, war ebenso wie Obama ein eindeutiger Kritiker des Irakkrieges im Jahr 2003, als Biden dem Senatsausschuss für Auswärtige Beziehungen vorstand. Er argumentierte damals, dass ein so folgenreiches Unternehmen wie ein Krieg gegen den Irak nur mit einer breiten nationalen Unterstützung und einer regen öffentlichen Debatte gelingen könnte. Ähnlich hat der Vizepräsident in den letzten Jahren im Kabinett Obama argumentiert. Er mahnte, dass der notwendige Rückhalt in der Bevölkerung für eine amerikanische Eskalierung in Afghanistan nicht vorhanden war.
Dennoch haben die von den USA geführten Kriege eine inhärente "präsidiale" Komponente, trotz der verfassungsrechtlich klar definierten Vorrechte des Kongresses, den Krieg formell zu erklären. Der Präsident ist der militärische Oberbefehlshaber und verfügt somit über den Vorteil, die Initiative erstmals überhaupt ergreifen zu können. Aus seiner Erfahrung als Gouverneur in Massachusetts, kann man davon ausgehen, dass Mitt Romney einen starken präsidialen Aspekt in seine Außenpolitik einbauen würde.
Verschiedene Traditionen begründen unterschiedliche Sichtweisen
Hinter diesen verschiedenen Ansätzen zwischen den modernen Demokraten, den Globalisierungspolitikern wie Clinton und Obama, und den zum Neokonservativismus tendierenden modernen Republikanern, wie Bush jr. und Romney, liegen natürlich ganz unterschiedliche Weltanschauungen.
Clintonisten meiden eine Politik der Konfrontation, die Freunde wie Feinde im Ausland unter Zugzwang setzt. So haben die Anhänger der Clinton-Schule die Kritik an den Kriegsplänen Bushs durch Amerika eigentlich freundlich gesinnte Länder, wie die Türkei und Jordanien, tunlichst zu vermeiden gesucht. Dahinter stand die große Sorge, dass der Krieg, der als Krieg gegen den Terror der Al Quaida begonnen hat, zu einem «Kampf der Kulturen» eskalieren könnte. Ein solcher Kampf wäre letztendlich ein Triumph für Osama bin Laden und das Ende der globalisierten, vom Freihandel geprägten Welt, die nach dem Kalten Krieg mit Russland entstanden ist.
Die gegnerische Schule hat sich weit weniger von den Gedankenmustern des Kalten Krieges verabschiedet oder entfernt. Konservative betrachten den Clintonschen Blick auf die Welt als infantile Illusion. Sie glauben, dass nur eine unilaterale, zielorientierte Politik der Stärke und des Drucks den Frieden in der Welt garantieren kann. Hier favorisiert man die polarisierende Rhetorik der «Achse des Bösen» oder blitzkriegsartige Schläge gegen den Irak oder Iran, wenn man meint, dadurch Kriegspläne und Rüstungsprogramme des Gegners effektiv zu verhindern.
Ein führender Denker der Neokonservativen, Paul Wolfowitz, thematisierte diesen Konflikt zwischen den Denkschulen noch während Clintons Amtszeit in einem Essay mit dem Titel «Schon wieder Fin-de-Siècle», das im konservativen Magazin «National Interest» erschien. Dort beschreibt er den zur vorletzten Jahrhundertwende in Europa herrschenden Optimismus, dass weltweiter Wohlstand und Frieden in greifbarer Nähe seien. Dann jedoch begann das blutige 20. Jahrhundert! Wolfowitz zieht Parallelen zu Clintons Regierungszeit mit ihrer Rhetorik der Globalisierung und des beispiellosen Wachstums, der Begeisterung für Rüstungskontrolle und dem Gefühl, das «Ende der Geschichte» sei erreicht. Was das Wachstum anging waren die Republikaner allerdings der Überzeugung, Clinton ernte lediglich die Früchte der Reaganschen Wirtschaftspolitik.
Unter dem Motto «Fighting to win» – kämpfen, um zu gewinnen – dachte die Gruppe um den Republikaner Wolfowitz über die Notwendigkeit nach, nach dem 11. September 2001 die globale Ordnung anders zu definieren. Man wies die Doktrin der Eindämmung zurück, die konkrete Gefahren nur bannen wolle, und charakterisierte damit treffend den «Feuerwehrstil», der sich aus den Argumenten der Eindämmung ableitet – nämlich nur dort einzugreifen, wo gerade Gefahr droht. Obamas Politik im Mittleren Osten hat Elemente von diesem sehr vorsichtigen Pragmatismus.
Die Anhänger der Obamaschen Politik erklären demgegenüber, dass man mit unausgegorenen Aktionen wie etwa dem Krieg im Irak oder gar einem schlecht vorbereiteten und unpopulären Angriff auf den Iran nur in Wespennester sticht und am Ende noch mehr Terror und «asymmetrische Kriegsführung» erzeugt. Die Reagan-Schüler finden solche Einwände nur naiv. Romney steht in dieser Tradition. Die Clinton-Schüler wiederum beschuldigen ihre Gegner, mit ihrer Politik letztendlich "self-fulfilling prophecies", also sich selbst erfüllende Prophezeiungen zu schaffen.
Beispiel Syrien
Den ersten Testfall der konkreten Unterschiede zwischen Obama und Romney scheint der Bürgerkrieg in Syrien zu liefern. In einer außenpolitischen Rede am Virginia Military Institute Anfang Oktober 2012 argumentierte Romney für erheblich gesteigerte militärische Hilfe an die syrischen Rebellen, damit die "Freie Syrische Armee" gegen das vom Iran massiv unterstütze syrische Assad-Regime eine Chance erhält zu bestehen. Obama dagegen hat eher versucht, den Konflikt "einzudämmen," in dem er auf Saudi Arabien und Qatar Druck ausübt, ihre militärische Hilfe an die sunnitischen Rebellen auf Kleinwaffen zu beschränken.
Mit Blick auf den Einsatz in Afghanistan erklärt Romney, dass er sich nicht an das von Obama benannte Abzugsdatum 2014 gebunden fühlt. Diese republikanischen Ansätze sind aber kein Mentekel für eine Rückkehr zur Außenpolitik von Bush jr., gleichwohl eine deutliche Mahnung gegen alle Gedankenspiele an einen Rückzug aus dem Mittleren Osten.