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"October Surprise" | USA | bpb.de

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"October Surprise" Wahl-Spezial aktuell

Dr. Christoph von Marschall

/ 5 Minuten zu lesen

Das Ergebnis des ersten TV-Duells im aktuellen US-Wahlkampf war für viele überraschend. Herausforderer Mitt Romney wirkte kraftvoll, Präsident Barack Obama verschlafen. Die Pro-Obama-Dynamik scheint vorerst gestoppt. Romney ist damit aber noch nicht auf der Siegerstraße.

Die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney (Republikaner) und Barack Obama (Demokraten) vor ihrer ersten TV-Debatte am 3. Oktober 2012. (© AP)

Die Situation nach dem 1. TV-Duell – die Spannung steigt

Da hat Amerika seine sprichwörtliche "October Surprise". Und wie das bei Überraschungen eben so ist, kam auch diese aus gänzlich unerwarteter Richtung. In der ersten der drei Fernsehdebatten zwischen Amtsinhaber und Herausforderer hat der Republikaner Mitt Romney überraschend gut abgeschnitten. Barack Obama enttäuschte dagegen mit einem müden, uninspirierten Auftritt. Das hat Folgen – und die lassen sich mit wenigen Tagen Abstand in den Umfragen ablesen. Vor dem Rededuell hatte der Präsident im Schnitt der landesweiten Erhebungen mit mehr als drei Prozentpunkten geführt. Vor allem aber lag er in den meisten der sieben wahlentscheidenden Swing States vorne. Seit Mitte September hatte ein Trend an Dynamik gewonnen, der Obama begünstigte und seine Wiederwahl zu einer nahezu sicheren Perspektive zu machen schien. Mitt Romney brauchte einen "Game changer", ein Ereignis, das den Trend wendet. Diese Entwicklung hat er sich selbst erkämpft durch sein überraschend kraftvolles Verhalten in der Fernsehdebatte. Seither ist ein Schwenk in den Umfragen zu beobachten. National hat sich Obamas Vorsprung drei Tage nach der Debatte halbiert. In zwei wichtigen Swing States, Florida und Virginia, liegt Romney nun vorn. Auch in Ohio, das schon in den Wahljahren 2000 und 2004 der Schicksalsstaat für George W. Bush und seine Gegner war und 2012 erneut diese Rolle spielen dürfte, wird es nun knapp. Einen guten Überblick über die Umfragen bietet: Externer Link: http://www.realclearpolitics.com

Ist das die Wende im Rennen?

Für ein solches Urteil ist es zu früh. Romney hat die Pro-Obama-Dynamik gestoppt. Er selbst ist damit aber noch nicht auf der Siegerstraße. Sondern das Rennen ist nun wieder offen. Amerikaner lieben Duelle. Es folgen die Debatte der Vizepräsidentschaftskandidaten Joe Biden und Paul Ryan am 11. Oktober sowie zwei weitere Fernsehduelle zwischen Obama und Romney am 16. und am 22. Oktober. Sie können die neue Dynamik verstärken oder den Trend erneut wenden, dieses Mal gegen Romney. Zudem gab es neben dem für Obama schädlichen Debattenverlauf weitere wichtige Ereignisse am Ende der vergangenen Wochen, die den Präsidenten begünstigen. Wegen der kurzen Zeit seither haben sie sich aber noch nicht in den Umfragen niedergeschlagen. Am Freitag, 05.10.2012, wurde bekannt, dass die Arbeitslosenrate erstmals seit Obamas Amtsantritt auf unter 8 Prozent gesunken ist: auf exakte 7,8 Prozent. Diese Entwicklung nimmt Romney einen wichtigen Angriffspunkt. Er hat dem Präsidenten gerne vorgeworfen, der sei nicht in der Lage, die Arbeitslosenrate unter die Zahl bei seinem Amtsantritt zu senken. Zudem erzielte Obamas Wahlkampfteam ein hohes Spendenaufkommen im September und steuert nun auf eine neue Rekordmarke zu: eine Milliarde Dollar als Summe aller Wahlkampfspenden.

Politisches Gespür oder taktisches Kalkül? Positionswechsel des Herausforderers

Es ist nicht garantiert, dass diese guten Nachrichten für den Präsidenten den Negativ-Effekt aus dem ersten TV-Duell ausgleichen können. Das bleibt abzuwarten. Ziemlich sicher ist, dass Mitt Romney noch einen Preis bezahlen wird für die Strategie, mit der er den guten Eindruck im ersten Rededuell erkauft hat. In der Debatte hat er auf mehreren Sachgebieten andere Positionen vertreten als zuvor im Wahlkampf: in der Steuerpolitik, bei seiner Strategie, Amerikas Schuldenberg abzubauen, und bei seiner Haltung zur Gesundheitsreform. Er ist in diesen Fragen weiter in die Mitte gerückt, weg von den radikaleren Positionen, die seine Partei hören möchte. Er möchte auf diese Weise die Stimmen von Wechselwählern in der Mitte der Gesellschaft gewinnen. Aber er läuft Gefahr, dass diese Positionswechsel den Eindruck verstärken, dass er ein "Flip Flopper" sei: ein Mann ohne Überzeugungen, der jeweils das sage, wovon er sich gerade den meisten Nutzen verspreche. Mit diesem Vorwurf hat Romney schon länger zu kämpfen. Ein Beispiel von vielen: Romney und sein Vize Paul Ryan versprechen seit Monaten, die Steuern für alle zu senken. Obama will dagegen die Sätze für die Reichen erhöhen. Der Kontrast schadete Romney in den Umfragen. In der Debatte sagte er nun, er werde die Steuern für Reiche nicht senken. Solche Wenden sind hoch riskant. Obama war offenbar überrascht und verpasste die Chance zum Gegenangriff, was seine Anhänger enttäuschte. Mit etwas zeitlichem Abstand beginnen US-Medien Romneys inhaltliche Wende zu hinterfragen. Auch da muss sich erst noch zeigen, welche Folgen das hat. Erfahrene Beobachter amerikanischer Wahlen warnen vor überstürzten Schlussfolgerungen. Eine schlechte Woche allein – in diesem Fall für Obama – entscheide nicht die Wahl, analysiert Dan Balz in der Washington Post: Externer Link: http://www.washingtonpost.com/politics/decision2012/did-past-weeks-events-change-romneys-obamas-fortunes/2012/10/06/95d51f80-0fd4-11e2-bb5e-492c0d30bff6_story.html

Amerika ist anders

Die erste Fernsehdebatte samt ihrer Interpretation in den Medien war ein Schock für Europa. Barack Obama kann die Wahl tatsächlich noch verlieren? Die meisten Deutschen nehmen ihn als alternativlos wahr – die Republikaner gelten ihnen nicht als ernsthafte Wahlmöglichkeit. Obama galt als der Popstar der Medien schlechthin. Und dieser Mann soll die wichtigste Fernsehdebatte des Jahres verloren haben – gegen einen Mitt Romney, der bisher nicht gerade telegen wirkte? Amerika folgt anderen Regeln als Europa. Die Faustformeln bewahrheiten sich auch 2012, nicht nur das Schlagwort von der "October Surprise". Es bestätigt sich auch die Erfahrung, wonach Herausforderer in den TV-Rededuellen meist besser abschneiden als der Amtsinhaber. Die Haupterklärung dafür: Präsidenten sind Widerspruch nicht mehr gewohnt. Seit vier Jahren redet ihnen die Umgebung meist nach dem Mund. Sie reagieren nicht souverän, wenn der Konkurrent Contra gibt, und das womöglich mit Behauptungen, von denen beide wissen, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen, sondern Wähler umgarnen sollen.

Unterschiedliche Wirkungen im Fernsehen, Radio und in Zeitungen

Erneut bewahrheitet sich auch: Der visuelle Eindruck ist wichtiger als inhaltliche Überzeugungskraft – jedenfalls im Fernsehen. Klar gewonnen hat Romney das Duell im Urteil der TV-Sender und ihrer Zuschauer. Bürger, die die Debatte am Radio verfolgt haben, hatten den Eindruck, Obama sei besser gewesen. Das Urteil der Zeitungen ist ausgewogen, wenn auch geteilt je nach der politischen Ausrichtung. Konservative Blätter sehen Romney als Sieger, progressive meinen, Obama habe die Schlacht um die Argumente gewonnen. Doch auch folgende Regel gilt in Amerika: Jeder bekommt eine zweite Chance.

Auf Obama und Romney liegt nun gleichermaßen die Last, in den Fernsehdebatten Nummer zwei und drei zu punkten.

Fussnoten

Christoph von Marschall berichtet seit 2005 für das bundesweit erscheinende Berliner Blatt „Der Tagesspiegel“ aus den USA. Er ist der bisher einzige deutsche White-House-Korrespondent. Und er ist Autor von Biographien über "Barack Obama - Der schwarze Kennedy" (2008) und preisgekrönt über "Michelle Obama - Ein amerikanischer Traum" (2009). Zum Wahljahr 2012 erschienen gleich zwei Bücher, im Januar "Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“ und bereits im September "Der neue Obama - Was von der zweiten Amtszeit zu erwarten ist".