1. Rahmenbedingungen: USA und DDR – die Ungleichen
Wenn in Zeiten der deutschen Zweitstaatlichkeit von deutsch-amerikanischen Beziehungen die Rede war, so verstand man meistens und automatisch die westdeutsch-amerikanischen Beziehungen darunter. Das war durchaus verständlich, denn die DDR als „Zweiter“ deutscher Staat blieb immer im Schatten der Bundesrepublik. Für die Weltmacht USA war die DDR zu klein und zu unwichtig. Politisch galt sie als ein künstliches Gebilde, das als treuester Satellit Moskaus nicht nur im Schatten der westdeutsch-amerikanischen, sondern auch im Schatten der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen stand. Warum sollte Washington ein besonderes Interesse an der DDR entwickeln, wenn ohnehin alle diesbezüglichen Grundfragen in Moskau entschieden wurden? So gesehen konnte die DDR auch keine eigenständige USA-Politik entwickeln. Die amerikanische Deutschlandpolitik war auf die Bundesrepublik, ihren wichtigsten Bündnispartner, fixiert. Washington respektierte lange Zeit den Bonner Alleinvertretungsanspruch; ihre DDR-Politik wurde weitestgehend mit Bonn abgestimmt. Jede Aufwertung Ost-Berlins sollte vermieden werden. Erst 1974 im Zuge entspannter amerikanisch-sowjetischer Beziehungen, der neuen Ostpolitik Willy Brandts und des Grundlagenvertrages erkannten die USA die DDR diplomatisch an. Obwohl auch danach von amerikanischer Seite eher Gleichgültigkeit überwog, war dieser Schritt für Ost-Berlin ein enormer Prestigegewinn. Von Normalisierung konnte aber keine Rede sein. Die DDR war kein ebenbürtiger Partner. Es entwickelten sich offizielle politische, wirtschaftliche und auch kulturelle Kontakte, die aber nur wenig ausbaufähig waren. Die entscheidenden Blockaden von amerikanischer Seite waren die Verletzung der Menschenrechte in der DDR, symbolisiert durch die Berliner Mauer, die Nichtgewährung von Demokratie, freien Wahlen, Reisefreiheit und Selbstbestimmung. Auch spielte die Weigerung der DDR eine Rolle, amerikanisch- jüdische Restitutionsansprüche anerkennen zu wollen. Zudem besaß die DDR in den USA keine Lobby, ungleich anderer Ostblockstaaten wie Polen oder Ungarn. DDR-Flüchtlinge gingen in den anderen deutschen Staat und nicht in die USA. Auch die Kommunistische Partei der USA konnte kaum Lobbyarbeit übernehmen. Sie war zu klein, zu unwichtig, auch zu orthodox. Ihr Einsatz hätte eher kontraproduktiv gewirkt. Gleichwohl blieb die DDR aus Washingtoner Sicht als Siegermacht des II. Weltkrieges zwangsläufig immer im Blick ihrer Vier-Mächte-Verantwortung für Berlin und Deutschland als Ganzes. Zudem bildete die DDR aus militärischer Sicht den westlichsten Vorposten des Warschauer Paktes, der direkt an die NATO angrenzte.
Der DDR wurde erst in der ersten Hälfte der 80er Jahre mehr Aufmerksamkeit zuteil, als Honecker das durch den Tod Breschnews und der Übergangsparteichefs in Moskau entstandene Vakuum für eine eigenständige Politik auszuloten versuchte. So grenzte sich Honecker von der sowjetischen Eiszeitpolitik ab, kritisierte die Raketenstationierung auf deutschem Boden und favorisierte eine Dialogpolitik mit den westlichen Partnern. Das wurde in Washington sehr wohl wahrgenommen. Im Zuge der damaligen amerikanischen Differenzierungspolitik reiste der erste stellvertretende amerikanische Außenminister Whitehead zweimal in die DDR, um die Ernsthaftigkeit von Honeckers Politik zu prüfen. Im Gegenzug reiste 1988 Hermann Axen, Politbüromitglied, in die USA und wurde auch von George Shultz, dem damaligen amerikanischen Außenminister, empfangen. Das waren die jeweils ranghöchsten gegenseitigen Besuche vor dem Fall der Mauer 1989. Es blieb ein Intermezzo. Die amerikanische Seite konnte eine nachhaltige Eigenständigkeit der DDR-Politik kaum erkennen, und als Gorbatschow 1985 in Moskau an die Macht kam und mit Perestroika und Glasnost den Sozialismus wieder attraktiv machen wollte, fiel Honecker mit seiner sturen Haltung und seinem Reformunwillen in Washington durch. Honeckers Traum, einmal im Machtzentrum der westlichen Welt, im Weißen Haus, empfangen zu werden, erfüllte sich nicht. Erst dem ersten frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, war ein Empfang im Oval Office vergönnt.
Die DDR unternahm viel, um in den USA das Image des Mauerstaates loszuwerden. Besonders auf kulturellem Gebiet bot die DDR alles auf, was sie zu bieten hatte. Namhafte DDR-Künstler weilten und gastierten seit den 70er Jahren regelmäßig in den USA. Zu ihnen gehörten die Schriftsteller Christa Wolf und Günter Kunert, das Leipziger Gewandhausorchester unter der Leitung von Kurt Masur, die international gefeierten Opernstars Peter Schreier und Theo Adam, sowie die Brechtinterpretin Gisela May. Die Eislaufprinzessin Katarina Witt verzauberte die Herzen vieler Amerikaner. Der bedeutendste Beitrag war wohl die glanzvolle Kunstausstellung „Die Pracht Dresdens“, die 1978/79 in Washington, New York und San Francisco gezeigt wurde. Sie zog ca. 1,5 Millionen Kunstinteressierte an. Ironischerweise wurde dieses Ereignis weniger mit der DDR, sondern mit „Germany“ assoziiert, also mit der Bundesrepublik.
2. Amerika-Bilder in der DDR
Es gab in der DDR nicht das Amerikabild schlechthin. Wollte man es grob unterscheiden, so gab es das offizielle, staatsverordnete, weitgehend ideologisch geprägte Amerikabild auf der einen und das private, alltagskulturelle Amerikabild auf der anderen Seite. Beide beeinflussten sich gegenseitig; in beiden Bildern gab es Nuancen und im Laufe der Jahre auch Veränderungen.
2.1 Das offizielle Amerikabild
Ostdeutsche Amerikabilder waren stark geprägt durch die Entwicklung des kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion in der Nachkriegszeit. Die DDR als Satellit der Sowjetunion geriet zwangsläufig in diesen Sog. Somit war die Haltung zum „Klassenfeind“ politisch vorprogrammiert. Ideologisch war es vorgeprägt durch die Leninsche Imperialismustheorie, derzufolge das „reaktionäre und menschenfeindliche Wesen des Imperialismus“ vor allem in Gestalt der Hauptmacht des Westens, der USA, überwunden werden müsse. Damit war ein Feindbild, politisch und ideologisch, vorgegeben. Es lehnte sich stark an die sowjetische Argumentation jener Zeit an. Besonders grobschlächtig gebärdete es sich in der Hochphase des Stalinismus der 50er, aber auch der 60er Jahre. Kampagnen wurden gefahren gegen „Modernismus“, „Kosmopolitismus“, “Objektivismus“, „amerikanische Dekadenz“, „amerikanischen Militarismus“, gegen den „American way of life“, gegen Jazz, Rock’n Roll und Beat, gegen „Niethosen“ (Jeans), gegen „Langhaarige“, „Rowdytum“ usw. Mit diesem rigiden Herangehen wurden im Grunde genommen nur eigene Defizite bloßgelegt, die sich aus dem Wunsch nach mehr Weltoffenheit ergaben.
In den 70er und 80er Jahren wurde das Amerikabild differenzierter. Die Entspannungs- und Dialogpolitik trug wesentlich dazu bei, auch die internationale Anerkennung der DDR, nicht zuletzt die diplomatische Anerkennung durch die USA im Jahre 1974. Die DDR musste sich weltoffener geben. Nunmehr wurde auch die Haltung gegenüber den USA vielfältiger. Mit der diplomatischen Anerkennung und mit dem zentralen Anliegen Honeckers, einmal im Weißen Haus empfangen zu werden, gestaltete sich die Auseinandersetzung flexibler. Neben den „aggressiven Kriegstreibern“ wurden nun verstärkt „realistische Kräfte“ ausgemacht, die man in Honeckers Versuch der Schaffung einer weltweiten „Koalition der Vernunft“ durchaus einbeziehen konnte. Auch wurde das „andere Amerika“ verstärkt entdeckt, mit dem man sich solidarisieren konnte: so zum Beispiel mit der schwarzen kommunistischen Bürgerrechtlerin Angela Davis oder mit Pete Seeger und Joan Baez wegen ihrer Anti-Kriegssongs. In der DDR entstand eine durch die staatsgelenkte Jugendorganisation FDJ beeinflusste „Singebewegung“, die sich auf die Tradition der amerikanischen hootenanny berief. Einmal im Jahr gab es ein „Festival des politischen Liedes“. 1973 fanden die X. Weltfestspiele in (Ost-)Berlin statt. Obwohl politisch instrumentalisiert, waren sie dennoch für viele Jugendliche in der DDR ein Fenster zur Welt. Westfernsehen wurde stillschweigend geduldet, Jeans waren nicht länger verpönt, Beatmusik auch nicht, Konzerte mit Bob Dylan und Bruce Springsteen wurden veranstaltet. Der Druck im Kessel DDR war immer größer geworden, so dass sich die SED-Führung eingestehen musste, wenn man den westlichen Einfluss schon nicht verhindern konnte, so wollte man ihn wenigstens vereinnahmen und politisch steuern.
2.1.1 Das offizielle USA-Bild in der DDR (am Beispiel der Schulbücher in der DDR)
Den Kern des so genannten einheitlichen sozialistischen Bildungssystems in der DDR bildete die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule. Die Bildungsinhalte waren so konzipiert, dem Schüler einen hohen Grad an (selektiver) Allgemeinbildung zu vermitteln, und ihn gemäß der marxistisch-leninistischen Weltanschauung „politisch-moralisch“ zu erziehen. Das USA-Bild war diesem Diktum in besonderer Weise unterworfen, handelte es sich doch nicht um ein „normales“ Land, sondern um die „Hauptmacht des Imperialismus“, die, wie Präsident Reagan meinte, den Sozialismus, das “evil empire“, auf den Scheiterhaufen der Geschichte werfen wollte. Die USA als Unterrichtsstoff wurden vor allem in den Fächern Geschichte, Geographie, Staatsbürgerkunde und - was überrascht - nur am Rande im Englischunterricht vermittelt. Erst in der Abiturstufe war im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts eine ausführlichere Behandlung Amerikas vorgesehen. Für alle Schulen der DDR gab es verbindliche Lehrpläne und einheitliche Schulbücher. Innerhalb dieser staatlichen Vorgaben hatte jeder Lehrer begrenzten individuellen Spielraum, den er nutzen konnte – oder auch nicht. Die Schüler wurden das erste Mal in der 7. Klasse, also mit 13 Jahren, mit dem Lehrstoff USA konfrontiert. Im Geschichtsunterricht dieser Klassenstufe wurde auf sieben Seiten die „Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika“ behandelt. Die Schüler erfuhren in anschaulicher Form etwas über die nordamerikanischen Indianer, den „Bostoner Teesturm“, den Unabhängigkeitskampf und die Unabhängigkeitserklärung. Namen wie George Washington, Thomas Jefferson, Lafayette und sogar Steuben prägten sich ein. Farbige Bilder, wie die der Freiheitsglocke in Philadelphia oder die von der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung verstärkten diese emotional ansprechende Grundstimmung. Die Entstehung der Vereinigten Staaten wurde bis auf die gewaltsame Vertreibung der Indianer durchgängig positiv als „bürgerliche Revolution“ bewertet. Der Unabhängigkeitserklärung von 1776 wurde „grundsätzliche Bedeutung für die Entwicklung des fortschrittlichen Denkens in Europa“ zugestanden. Dieses positive Amerika-Bild brach in den folgenden Schuljahren abrupt ab. Entsprechend der Leninschen Imperialismusdefinition, wonach zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert die entwickelten westlichen Industrieländer, allen voran die USA, in ihr „imperialistisches“, das heißt „faulendes“, „parasitäres“ und schließlich „sterbendes“ Stadium hinüber gewachsen seien, wurden die USA fortlaufend vor allem unter diesem Verdikt behandelt. Da laut Lenin Imperialismus „Reaktion auf der ganzen Linie“ sei, konnte das zu vermittelte Geschichtsbild im Grunde nur noch negativ sein. Der Lehrstoff über die USA war damit ideologisch vorbestimmt.
Im Geschichtsbuch der Klasse 8, das die deutsche und internationale Entwicklung von der Revolution 1848/49 bis zur Novemberrevolution 1918/19 umriss, erschienen die USA lediglich auf zwei Seiten im Zusammenhang mit dem „beginnenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt“. Besonders am Beispiel des spanisch-amerikanischen Krieges von 1898 wurden die USA als kriegslüsterne Macht vorgeführt, um Lenins Lehre vom Zusammenhang von Imperialismus und Krieg zu untermauern. Ebenfalls in der 8. Klassenstufe wurden die USA im Rahmen des Geographieunterrichtes behandelt. Mit 22 Seiten erschienen sie deutlich hervorgehoben im Vergleich zum befreundeten Kuba mit 8 Seiten. Die Schüler erfuhren hauptsächlich etwas über die wirtschaftlichen Regionen und die Entwicklung der USA zur mächtigsten Industriemacht der westlichen Welt. Differenzierung gab es insofern, dass beeindruckende Wolkenkratzer von New York mit dem trostlosen Harlem, die leistungsfähige Landwirtschaft mit ständigen Überproduktionskrisen kontrastiert wurden. Insgesamt aber wurden vorrangig die inhumanen Auswüchse eines brutalen kapitalistischen Systems beschrieben. Der Eindruck wurde genährt, wonach die USA allein ein Land der Rassendiskriminierung, der Drogensucht, der Kriminalität und des sozialen Verfalls seinen. Anhand der industriellen Ballungsgebiete des Nordens wurde die brutale kapitalistische Ausbeutung festgemacht, die Lohnarbeiter des Südens wurden zu „modernen Sklaven“ degradiert. Beigefügte tendenziöse Statistiken suggerierten den baldigen Niedergang der USA. Nun ist es zweifellos unstrittig, wie sehr das Land unter Kriminalität, Drogenproblemen und sozialen Spannungen leidet. Aber die ganze Vielfalt, neben dem Hässlichen auch die ganze Schönheit des Landes zu zeigen, wirklich Land und Leute vorstellen, das war mit den gegebenen ideologischen Prämissen nicht vereinbar. In der Klassenstufe 9 wurden die USA im Rahmen des Geschichts- und Staatsbürgerkundeunterrichts weiter behandelt. Im Geschichtsunterricht tauchten die USA hauptsächlich mit dem Zweiten Weltkrieg und der Gestaltung der Nachkriegsordnung auf. Die Eröffnung der Zweiten Front wurde zwar hervorgehoben, aber als alleiniges Motiv die spätere Vorherrschaft über Teile Europas unterstellt. Die Amerikaner erschienen weniger als Befreier, sondern als jene, die „bei Tag und Nacht deutsche Städte bombardierten“, wie zum Beispiel Dresden. Die Westmächte, allen voran die USA, wurden für das Abrücken von den Vier-Mächte-Vereinbarungen und für den Übergang zum kalten Krieg verantwortlich gemacht. Im Staatsbürgerkundeunterricht dieser Klassenstufe wurden die USA im Rahmen der „historischen Ablösung des Kapitalismus“ gemäß der Leninschen Imperialismustheorie behandelt. Demzufolge waren die USA ein undemokratisches Land, das den Frieden bedrohe, regiert vom militärisch-industriellem Komplex – ein Hindernis für den gesellschaftlichen Fortschritt.
Das Geschichtslehrbuch Klasse 10 konzentrierte sich auf die Geschichte der DDR von der Gründung bis in die 80er Jahre. Im internationalen Teil spielten die USA eine gewisse Rolle. Positiv erwähnt wurden sie im Zusammenhang mit dem Teststoppabkommen von 1963, dem Sojus-Apollo-Projekt von 1975 und den Gipfeltreffen zwischen den sowjetischen und amerikanischen Präsidenten Gorbatschow und Reagan. Ansonsten überwog das traditionell negative Bild von den USA als internationaler Kriegstreiber, von dem der Weltfriedens und der Fortschritt bedroht würden. Dieses Lehrbuch kam noch1989, im Jahr der Wende, in die Schulen. Nichts war zu spüren von einem neuen Herangehen an die internationale Politik oder einem Abrücken von der Leninschen Imperialismustheorie – zu einer Zeit, als in der Sowjetunion unter Gorbatschow schon längst ein „neues Denken“ angesagt war. Es entsprach ganz der Reformunwilligkeit der Bildungsministerin Margot Honecker. Die Schüler fühlten sich oft agitiert, waren gelangweilt; die Einseitigkeit war offenkundig. Die Lehrer standen zwischen staatlichen Vorgaben und oftmals besserem Wissen.
Im gesamten Englischunterricht der Klassen 7 bis 10 waren lediglich in Klasse 10 zwei Lektionen den USA vorbehalten. Die darin vermittelten Informationen waren mehr als dürftig. Man erfuhr ein paar Fakten über New York, ansonsten wiederholte sich bereits Bekanntes aus den anderen Fächern – nur eben auf Englisch. Beide USA-Lektionen waren derart lieblos und langweilig, dass sie wahrlich nicht dazu anregten, sich eingehender mit dem Land zu beschäftigen. Da dieser Lehrstoff noch dazu am Ende des Lehrgangs lag, also in den Sommermonaten, fielen sie ohnehin oftmals dem „hitzefrei“ zum Opfer.
Die Englischlehrer befanden sich in einer besonders misslichen Situation. Sie hatten sich für die englische Sprache aus besonderen, natürlich positiven Bezügen entschieden. Aber alles war „second hand“. Wie sollten sie Freude an Sprache, Land und Leute wecken, wenn vieles ideologisch besetzt war und ihnen darüber hinaus verweigert wurde, in ein englischsprachiges Land zu reisen? In dieser Einschränkung nutzten viele Englischlehrer zusätzliche Informationsquellen, wie Fachbücher, Bildbände, amerikanische Belletristik, nicht zuletzt Westfernsehen, um ihr Wissen über die USA zu erweitern. Natürlich war auch das Amerikabild vieler Schüler vielschichtiger und ging weit über den Lehrstoff der Schule hinaus. Neben dem Lehrbuchbild gab es vor allem ein (West)Fernsehbild und ein Musikbild von den USA. Nicht wenige Schüler fühlten sich gerade wegen der englischsprachigen Musik für den Englischunterricht motiviert.
3. Das private Amerikabild
Neben dem offiziellen gab es ein privates, sehr diffuses Amerikabild. Da der (normale) DDR-Bürger die USA aus eigenem Erleben nicht kannte, bezog er sein Bild aus anderen Quellen. Die ersten Prägungen erfolgten sicherlich durch Indianer- und Cowboygeschichten von Karl May und Friedrich Gerstäcker. Ab den 60er Jahren, mit dem Einzug des Fernsehens, wurde das Amerikabild durch das Westfernsehen ungemein angereichert. Kinder- und Jugendserien wie „Lassie“, „Fury“, „Bonanza“, „Am Fuße der blauen Berge“, „Rauchende Colts“, in denen nicht nur die Sehnsucht nach Wildwest-Romantik vertieft wurde, sondern in denen auch am Ende immer das Gute über das Böse siegte, waren für diese Jugendgeneration prägend (Im Westen drehte man übrigens „Wildwest-Filme“, im Osten dagegen drehte die DEFA „Indianerfilme“, Anmerkung von Lothar G. Kopp/bpb). Buntschillernde Serien über Glanz, Glamour und Heimtücke der 70er Jahre wie in „Dalles“ und „Denver Clan“ gaben einen Blick in eine ganz andere Welt der High Society, die der DDR-Bürger aus eigenem Erleben des Arbeiter- und Bauern-Staates DDR nun wirklich nicht kannte. Wenngleich inhaltlich wenig anspruchsvoll, so hatten sie doch einen hohen Spannungs- und Unterhaltungswert. „Dalles“ avancierte sogar zum Straßenfeger. Darüber hinaus gab es auch durchaus kritische Fernsehsendungen zu Amerika, z.B. von Thilo Koch und Werner Baecker. Filme, die in den Kinos der DDR gezeigt wurden, wie „Die glorreichen Sieben“ oder „Nur Pferden gibt man den Gnadenstoß“ oder „Blutige Erdbeeren“ erreichten Kultstatus. Wer sein Amerikabild vertiefen wollte, konnte Bücher von Mark Twain, Jack London, Theodore Dreiser, John Updike, Saul Bellow, Norman Mailer, James Baldwin, Ernest Hemingway, selbst Jack Kerouac entweder kaufen oder zumindest in den größeren Bibliotheken lesen. Wie groß die Sehnsucht nach dem „anderen Planet“ (Kunert) war beschreibt das Buch von Ulrich Plenzdorf „Die neuen Leiden des jungen W.“ von 1972. Es wurde auch auf die Bühne gebracht und von Jugendlichen gefeiert. In ihm geht es um jugendliches Aufbegehren und die Verherrlichung der „Blue Jeans“. Ihnen ist ein eigener Song gewidmet. „Blue Jeans“ und auch „Coca-Cola“ waren in der DDR nicht schlechthin Hosen bzw. Getränke, es waren Symbole einer anderen bunteren und offeneren Welt. Dieses private Amerikabild war ein Sammelsurium aus verschiedenen Mosaiksteinen, das oftmals verklärt und naiv daher kam und sich mit dem offiziellen Bild rieb. So gab es gegensätzliche Bilder, aber sicherlich auch Überlappungen. Trotz positiver Grundstimmung blieb eine kritische Sicht vor allem hinsichtlich der amerikanischen Außenpolitik mit dem Gefühl der Bedrohung („Machtarroganz“) und der offensichtlichen innenpolitischen Probleme, wie Obdachlosigkeit, der Schere zwischen Arm und Reich, Rassismus, Kriminalität und Drogensucht. Insgesamt aber überwog Neugierde und auch Sympathie.
4. Der Fall der Mauer, die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung: Wendepunkte in der gegenseitigen Wahrnehmung.
Bereits vor dem Fall der Mauer, angesichts der Flüchtlingswelle, der Montagsdemonstrationen und des Sturzes von SED-Generalsekretär Erich Honecker, also in einer Zeit, als die „deutsche Frage“ wieder auf die Tagesordnung der internationalen Politik zurückzukehren schien, war es der amerikanische Präsident George Bush sr., der am 25. Oktober 1989 in einem Interview mit der „New York Times“ sagte, dass er die „Sorgen mancher europäischen Länder über ein wiedervereinigtes Deutschland“ nicht teile. Damit setzte er frühzeitig als Vertreter der westlichen Führungsmacht den Ton, indem er inhaltlich an die Forderung Ronald Reagans von 1987 an der Westseite des Brandenburger Tores anknüpfte, als jener dort ausrief: „Mr. Gorbatschow, tear down this wall.“ Bush mahnte Behutsamkeit an, denn die schwer überschaubare Entwicklung durfte nicht im Chaos oder Bürgerkrieg enden und auf keinen Fall die sowjetische Besatzungsmacht herausfordern. Damit hob er sich positiv von den anderen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges ab, in denen Sorge und Skepsis vor einem möglichen wiedervereinigten Deutschland dominierten. In der Folgezeit schuf die amerikanische Regierung, in engster Abstimmung mit Bonn, einen Rahmen, die 2 plus 4 Gespräche, in dem die äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung gelöst werden konnten. Präsident Bush stellte sich rückhaltlos hinter Kanzler Helmut Kohl, der mit seinem 10-Punkte Plan zur Wiedervereinigung für internationale Aufregung gesorgt hatte. Bush und sein Außenminister Baker waren die entscheidenden Protagonisten, die die westlichen Verbündeten Frankreich und vor allem Großbritannien, aber auch die Sowjetunion von den Vorzügen der deutschen Einheit für eine stabile, gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa überzeugten. Bei den Ostdeutschen ist der Beitrag Amerikas und speziell Präsident Bushs eher etwas unterbelichtet. Hier wird vor allem Gorbatschow das Verdienst zugeschrieben, die deutsche Einheit entscheidend befördert zu haben. Es ist unstrittig, dass Gorbatschow den längsten und schwierigsten Weg zurücklegen musste, die DDR aufzugeben und letztendlich doch der deutschen Einheit zuzustimmen. Er hatte ganz andere Hindernisse in den eigenen Reihen zu überwinden. Gleichwohl, ohne die frühe und stringente amerikanische Unterstützung wäre die deutsche Einheit so nicht „über die Bühne“ gegangen, wie sie tatsächlich verlaufen war.
Auch in der amerikanischen Öffentlichkeit gab es eine überwiegend positive Grundstimmung – mit dem Selbstbewusstsein einer Weltmacht. In einer von der Los Angeles Times bereits im Januar 1989 durchgeführten Umfrage äußerten sich 61 Prozent positiv zu einer möglichen deutschen Wiedervereinigung. Besonders der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 hatte die Amerikaner zutiefst berührt. 50 Prozent der amerikanischen Öffentlichkeit verfolgten dieses Ereignis intensiv. Das war ein Spitzenergebnis, bedenkt man das vielfache Desinteresse vieler Amerikaner an internationalen Ereignissen. Überhaupt waren die politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa als das wichtigste Ereignis des Jahres 1989 betrachtet worden. Auch im Frühjahr 1990 blieben die Amerikaner gegenüber den beiden deutschen Staaten positiv eingestellt, wobei die Bundesrepublik (natürlich) höhere Sympathiewerte erhielt als die DDR. Gleichwohl waren die Werte für die DDR höher ausgefallen als für Ungarn und die Sowjetunion. Die Bilder vom friedlichen Charakter der ostdeutschen Revolution, von den Freudentränen, den „Feiern auf der Mauer“, dem Sich-in-den-Armen-Liegen von Ost- und Westdeutschen, die jahrelang durch Mauer und Stacheldraht getrennt waren, berührte zutiefst die Herzen vieler Amerikaner. Niemand hatte den Fall der Mauer so plötzlich erwartet, umso größer waren Überraschung und auch Freude. Für viele Amerikaner gingen ihre Freiheitsideale in Erfüllung. Sie waren begeistert vom Freiheitswillen der Ostdeutschen und ihrem Mut, eine kommunistische Diktatur zu stürzen. Zudem wähnte man sich als Sieger im kalten Krieg. Nur in manchen jüdischen Kreisen gab es Bedenken, die aber nie politikrelevant wurden. Die erste ostdeutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, genießt in Amerika große Anerkennung und Bewunderung und wurde von US-Präsident Obama als zweite Deutsche mit der Freiheitsmedaille, der höchsten zivilen Auszeichnung der Vereinigten Staaten von Amerika, geehrt.
5. Die Mauer ist weg: neue Chancen auf beiden Seiten
Der Neuanfang in Ostdeutschland wurde von Amerika mit vielen guten Wünschen begleitet. Aber was wusste man überhaupt voneinander jenseits vorhandener Klischees aus den Tagen des kalten Krieges? Für die Ostdeutschen waren die USA bis 1989 ein fremder Stern, ein anderer Planet. Er schien unerreichbar, für die einen ein Hassobjekt, für die anderen ein Sehnsuchtsort. Durch praktisches Reiseverbot gab es im Grunde genommen keine/kaum persönlichen Kontakte zwischen Ostdeutschen und Amerikanern. Nun aber war die Grenze offen und Reisefreiheit stand ganz oben auf der Agenda der Ostdeutschen. Die Neugier war groß und viele nutzten diese Möglichkeit, um sich ein eigenes Bild vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ zu verschaffen. Nicht wenige Amerikaner wiederum sahen die Ostdeutschen – sofern sie überhaupt etwas von ihnen wussten – als verhinderte, verkappte Westdeutsche an, die eigentlich nur durch die Mauer gehindert wurden, so zu sein wie die Westdeutschen. Die ersten Bilder nach dem Fall der Mauer, als sich Ost- und Westdeutsche in den Armen lagen, ließen dies ja auch vermuten. Doch schon wenige Monate später mischte sich ein gewisses Unverständnis in die ungetrübte Freude über die Ungeduld der Ostdeutschen einerseits, von denen man erwartet hatte, sie würden sich länger über den Freiheitsgewinn freuen können und andererseits über die Westdeutschen, denen offensichtlich das Teilen schwer fiel. Die „Ossi-Wessi“-Problematik, die Kompliziertheit und Langfristigkeit des deutschen Vereinigungsprozesses nach 40 Jahren Trennung war vielen Amerikanern nicht bewusst. Die deutsche Einheit war nach der Phase der Euphorie im Alltag angekommen. Dessen ungeachtet gab es in Amerika für die ehemaligen DDR-Bewohner einen Bonus. Wenn sie in den USA sich als Ostler outeten, wurden sie lange Zeit als Exoten bewundert. Es überwog Neugierde und Freude. Manche Amerikaner schienen die Ostdeutschen für sich entdeckt zu haben – und fanden sie nach 40 Jahren Isolation erfrischend neugierig, freundlich und bescheiden. Im Vergleich mit Westdeutschen schnitten die Ostdeutschen erstaunlich gut ab. In den USA wuchs langsam das Bewusstsein dafür, dass die Ostdeutschen doch etwas anders sind, eben anders sozialisiert worden waren. Nach dem ersten Freudentaumel taten sich auch solche Fragen auf, wie nachhaltig die 40-jährige kommunistische Indoktrination wirken werde, inwieweit die stabile westdeutsche Demokratie beeinflusst oder sogar gefährdet werde, inwieweit die Bundeswehr mit der Übernahme von Teilen der DDR-Volksarmee möglicherweise unterwandert werde, inwieweit die eher negative Haltung der Ostdeutschen zu NATO und US-Außenpolitik weiterreichende Implikationen haben könnte. Konnte man den neuen Verbündeten trauen, die über Jahrzehnte keine Demokratieerfahrungen hatten? Konnte man die Erfahrungen, die man bei der Demokratisierung Westdeutschlands gemacht hatte, nun einfach auf Ostdeutschland übertragen? Oder sollte man alles den Westdeutschen überlassen?
Das amerikanische Engagement, in den fünf neuen Bundesländern zu investieren, war anfangs relativ gering. Es waren vor allem Niederlassungen in den alten Bundesländern, die zu Investitionen bereit waren. Modellcharakter hatte die Wiederbelebung des traditionellen Automobilstandortes Eisenach durch die General Motors-Tochter Adam Opel AG, die das „Wartburg“-Werk übernahm, komplett für eine Milliarde DM modernisierte und zum Flagschiff amerikanischen Investments in den neuen Bundesländern machte. Nach nur 19-monatiger Bauzeit eröffnete das neue Werk bereits im September 1992. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre trug Dow Chemical mit einer Investition von 4,5 Milliarden DM entscheidend zur Wiederbelebung des traditionsreichen Chemiestandortes im Raum Buna/Schkopau bei. Andere Investitionen gingen überwiegend in den konsumorientierten Zweig wie bei Coca Cola und McDonalds. In Leipzig wurde ein „Amerika-Haus“ eröffnet, das Westberliner „Amerika-Haus“ erweiterte seine Aktivitäten auf die neuen Bundesländer. Viele umfangreiche Bibliotheken der aufgelösten US-Basen gingen in ostdeutsche Bildungseinrichtungen. Der German Marshall Fund hatte als erste amerikanische Stiftung sein zweites Büro (neben Bonn) in (Ost)-Berlin eröffnet. Es entwickelte spezielle Programme für Ostdeutsche. Bis Februar 1992 wurden Programme vor allem zum politisch-ökonomischen Dialog, zur Medienpolitik, zum Umweltschutz und zur Lehrerfortbildung im Umfang von 1,6 Millionen Dollar bereitgestellt. Reisestipendien brachten vor allem jüngere angehende Führungskräfte aus Politik und Medien in die USA. Für Lehrer wurden Austausche organisiert. Die United States Information Agency brachte ostdeutsche und amerikanische Fachleute im Rahmen des „International Visitor’s Program“ zusammen, Jugendaustausche wurden organisiert. Das Fulbright- Programm vergab von Oktober 1990 bis August 1991 an 20 ostdeutsche Wissenschaftler Stipendien. Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst förderte ostdeutsche Wissenschaftler, die in die USA zu Forschungsaufenthalten reisen wollten. Die Atlantik-Brücke mit ihrem „Young Leader’s Program“ und ihrer „Youth for Understandig“ trug vielfältig zu Austauschen und besserem Verständnis bei. Die German Studies Association oder das American Institute for Contemporary German Studies mit Sitz in Washington D.C. bezogen verstärkt Ostdeutschland mit ein.
Die amerikanischen Programme und Initiativen, insgesamt das amerikanische Engagement in den neuen Bundesländern waren vielfältig und hilfreich. Aber sie konzentrierten sich (zwangsläufig) auf junge Intellektuelle und Führungskräfte, also auf die neue Elite. Diese neue Elite aus ihrer bisherigen Isolation herausgeholt zu haben und sie mit einem weltoffenen Klima und mit Werten, Traditionen und anderen Kulturen vertraut gemacht zu haben, ist ein bleibendes Verdienst amerikanischen Engagements und ein Gewinn für den schwierigen Transformationsprozess der neuen Länder. Der Wunsch nicht weniger Gymnasiasten, ein Jahr auf einer amerikanischen Highschool verbringen zu dürfen, konnte sich erfüllen – und dies mit unvergesslichen Erlebnissen. Es war auf jeden Fall eine Investition in die Zukunft. Aus ehemaligen Gegnern konnten nunmehr Partner und sogar Freunde werden.
7. Meinungsumfragen unter Ostdeutschen nach der Wende
Repräsentative Umfragen zum Amerikabild wurden durch das Allensbacher Institut in Westdeutschland regelmäßig durchgeführt. In der DDR gab es sie nicht. In der alten Bundesrepublik gab es relativ konstante Sympathiewerte seit den 60er Jahren um die 50 Prozent („Ich mag sie“), gut 20 Prozent reagierten negativ („Ich mag sie nicht“). Im Februar 1991 stellte Allensbach erstmals diese Frage ehemaligen DDR-Bürgern. 37 Prozent äußerten sich positiv, 23 Prozent waren zurückhaltend/ablehnend („Ich mag sie nicht besonders“). Eine bereits im Sommer 1990 durchgeführte Umfrage des Bielefelder Emnid-Instituts in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung kam zu dem Ergebnis, dass 60 Prozent der Ostdeutschen und 74 Prozent der Westdeutschen „eine gute Meinung“ zu den USA hatten, während 32 Prozent der Ostdeutschen und 19 Prozent der Westdeutschen „eine schlechte Meinung“ über die USA hatten. Ausgesprochen hoch waren die Sympathiewerte für den amerikanischen Einsatz für die deutsche Einheit (60 Prozent der Ostdeutschen; 74 Prozent der Westdeutschen). Keine andere Nation erreichte derartig hohe Werte.
Die Autoren dieser Umfrage kommen zu dem Schluss, dass die ostdeutschen Jugendlichen die USA differenziert, auch kritisch, aber insgesamt wohlwollend beurteilten. Es seien deutlich „Brücken von Neugier und Sympathie“ erkennbar.