Der Weg in die Zukunft ist achtspurig und führt vorbei an Glastürmen, Büroparks und großen Träumen, mitten hinein in das Tal, in dem die Welt von morgen wohnt. Wer den Highway 101 entlang fährt, der sich auf knapp 80 Kilometern Länge zwischen San Francisco und San Jose durch eine einstmals malerische Landschaft wälzt, kann so ziemlich jede Ausfahrt nehmen, an jeder Ecke halten, an jeder Tür klingeln – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dahinter an einer Idee getüftelt wird, an einer technischen Erfindung, die unseren Alltag schöner, einfacher und bequemer machen soll, während diejenigen, die sich das Ganze ausgedacht haben, zu Millionären werden. Idealerweise. So, wie das gleich nebenan bei Google, Yahoo!, Apple, Cisco, Oracle und vielen anderen auch passiert ist.
Das Tal der Herzensfreude
Auf dem Papier ist das Silicon Valley zunächst einmal ein überschaubarer Landstrich am Pazifik, etwa doppelt so groß wie das Saarland, in dem gut 2,5 Millionen Menschen leben. Einst bekannt als "Tal der Herzensfreude", weil Naturliebhaber zwischen weiten Graslandschaften und Wäldern, Obstplantagen und sanften Hügeln voll auf ihre Kosten kamen, lebt die Gegend heute vorwiegend vom Fortschritt: Auf engstem Raum drängeln sich viele der bekanntesten Marken der IT-Welt – darunter Chipentwickler wie Intel und AMD ebenso wie Computerhersteller (HP, Sun), Softwareriesen und Internet-Durchstarter.
13 der 20 größten Unternehmen der Region verdienen ihr Geld mit Bits und Bytes; 2007 setzten sie gemeinsam mehr als 300 Milliarden Dollar um. So viel Erfolg lockt Nachahmer: Um die etablierten Stars der Technikwelt - manche von ihnen nicht älter als 15 oder 20 Jahre - kreisen etliche Jungunternehmen, die ihren Durchbruch noch vor sich haben. Um Kapital müssen die Gründer sich nicht sorgen, denn das Heranziehen von Firmen-Frischlingen hat sich im Silicon Valley zu einer eigenen Industrie entwickelt. Risiko-Kapitalgeber - so genannte VCs (kurz für "Venture Capitalists") - pumpen Jahr für Jahr ein Vermögen in vielversprechende Einfälle. 2007 erhielten Firmengründer im Tal der Technik fast 11 Milliarden Dollar an Startkapital; ihre Kollegen in der gesamten EU mussten mit vergleichsweise kümmerlichen 4,6 Milliarden Euro auskommen.
Längst beschränkt sich die Ideenfabrik Silicon Valley nicht mehr auf die Halbleitertechnik, der die Region ihren Namen verdankt. Über Jahrzehnte ist ein Ökosystem entstanden, das auf einzigartige Weise Köpfchen, Kapital und Risikobereitschaft kombiniert. Die Elite-Universitäten Stanford und Berkeley produzieren Erfindungen in Serie, die Wissenschaft ist eng verzahnt mit der Wirtschaft, und an Geld für Gründer, die schlaue Einfälle haben, mangelt es so gut wie nie. Google, Yahoo!, Sun und Cisco sind nur einige der Erfolgsgeschichten, die auf diese Weise ihren Anfang nahmen.
Von der Garage zum Millionär
Vor allem Stanford (eine private Hochschule, anders als Berkeley) hat sich immer wieder als Brutstätte lukrativer Firmengründungen erwiesen - und das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer gezielten Strategie: Es war der Stanford-Professor Frederick Terman, der schon früh als Dekan für Ingenieurswissenschaften alles dafür tat, Wissenschaft und Wirtschaft eng zu verzahnen. Ende der 1930er Jahre ermunterte er seine Absolventen William Hewlett und David Packard, eine eigene Firma zu gründen - in die er auch selbst investierte. Terman vermittelte die ersten Kunden und schaute später, als das Geschäft zu brummen begann, gelegentlich bei Packards Garage vorbei: Stand das Auto vor der Tür, wusste er, dass die Auftragsbücher gut gefüllt waren; denn seine Schützlinge brauchten den Platz in der Garage, um ihre Produkte herzustellen, etwa einen Audio-Oszillator, den Walt Disney für seinen Trickfilm "Fantasia" einsetzte.
Mit dem Erfolg von Hewlett-Packard - heute ein Unternehmen mit mehr als 100 Milliarden Dollar Jahresumsatz - wurde die Garage zum Symbol für die Start-up-Kultur des Silicon Valley, und das Original mit der Adresse 367 Addison Avenue in Palo Alto, gleich um die Ecke der Uni Stanford, steht inzwischen unter Denkmalschutz. Terman gilt derweil vielen als "Vater des Silicon Valley", weil er die Vernetzung von Forschung und Kapital konsequent vorantrieb: 1951 gründete er den "Stanford Research Park", auf dem sich Jungunternehmen in unmittelbarer Nähe zur Hochschule ansiedeln konnten. Anschließend ermunterte er Firmen, Mitarbeiter an einem Weiterbildungs-Programm der Universität teilnehmen zu lassen - eine in den USA bis dahin beispiellose Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft, wie die Berkeley-Wissenschaftlerin AnnaLee Saxenian betont.
Reale Vernetzung
Es ist diese Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft, die den Unterschied macht, zusammen mit der Bereitschaft vieler Unternehmen, miteinander zu reden, auch wenn sie im Wettbewerb stehen. "Silicon Valley ist weit mehr als eine Ansammlung von Firmen, hochqualifizierten Arbeitskräften, Kapital und Technik", argumentiert Saxenian, deren Buch "Regional Advantage" (1994) als wegweisende Studie zum Erfolgsgeheimnis des High-Tech-Tals gilt. Vielmehr sei über Jahrzehnte eine Kultur entstanden, in der alles immer im Fluss ist und jeder mit jedem zusammenarbeitet, soweit es den eigenen Interessen dient. "Silicon Valley lässt sich am besten als technisch orientierte Gemeinschaft verstehen, die zeitgleich zahlreiche, miteinander im Wettbewerb stehende Experimente veranstaltet", schreibt Saxenian.
Den Erfolgreichen mögen nicht mehr in jedem Fall Rekordsummen winken, wie noch zu Zeiten des "Dot-com-Booms" um die Jahrtausendwende, als Gründer und Investoren von Firmen wie Yahoo!, Netscape und AOL beim Börsengang über Nacht zu Multimillionären wurden. Doch die Belohnung ist weiter groß genug, um Jahr für Jahr etliche Festangestellte dazu zu verführen, ihren Traum von der eigenen Firma zu verfolgen - immer in der Gewissheit, dass ein Misserfolg nicht das Ende der Karriere bedeutet. "Scheitern wird im Silicon Valley niemandem angelastet; es gilt eher als Auszeichnung, dass man etwas versucht hat", erklärte Google-Mitgründer Larry Page in einem Interview schon Anfang 1999, gleich nach dem eigenen Start in die Karriere.
Erfolgsrezept: Kulturelle Vielfalt und Wandel
All das trägt dazu bei, dass die Region Hochtalentierte (und ebenso hoch Bezahlte) aus aller Welt anlockt: Fast die Hälfte aller Menschen, die im Silicon Valley wohnen, sprechen eine andere Muttersprache als Englisch - einer von Hundert stammt aus Deutschland. Zwei Drittel sind jünger als 45 Jahre, und ebenso viele haben mindestens eine College-Ausbildung. Die hohe Schulbildung und die multi-kulturelle Vielfalt an Ideen gilt als das ideelle Kapital des Silicon Valleys. Das Durchschnittsgehalt, meldet die Vereinigung "Joint Venture Silicon Valley", lag 2007 bei 73.000 Dollar - weit höher als im Landesmittel. Allerdings ist das Leben im Silicon Valley auch um fast die Hälfte teurer als im Rest der USA.
Die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, gibt dem Techniktal einen entscheidenden Vorteil im Wettbewerb mit anderen Regionen: Das Geschäft mit Computerchips, dem das Silicon Valley seinen ursprünglichen Boom in den 1960er und 70er Jahren verdankte, ist längst nur noch eine von mehreren Säulen, auf denen die Wirtschaft steht. Mindestens ebenso wichtig sind inzwischen Software, Internet und Biomedizin. Immer bedeutender wird auch "Cleantech", alles rund um erneuerbare Energien und Umweltschutz: Mehr als eine Milliarde Dollar investierten VC-Firmen 2007 in diesen Sektor, fast doppelt so viel Geld wie im Jahr zuvor.
Zu den Branchen-Pionieren zählen die Firma Nanosolar, die unter ihrem deutschen Gründer Martin Roscheisen über 100 Millionen Dollar Startkapital gesammelt hat, und der Autobauer Tesla Motors, der mit einem Elektro-Sportwagen zum Stückpreis von 100.000 Dollar Schlagzeilen macht. Ein erschwinglicheres Familienmodell für den Massenmarkt soll folgen, und vielleicht wird das Silicon Valley, das derzeit über weite Strecken einem grauen Industriepark gleicht, dank Cleantech tatsächlich wieder ein Stück grüner - eben ein "Tal der Herzensfreude" auch für die, die über Bilanzen und Börsenergebnisse hinaus schauen.