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Auf der Suche nach einer neuen Rolle in der Welt: Die Supermacht USA

Prof. Dr. Christian Hacke Christian Hacke

/ 9 Minuten zu lesen

Das Ansehen der amerikanischen Weltmacht hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert - im Ausland wie in den Vereinigten Staaten selbst. Unter Georg W. Bush hat sich die USA in einen Krieg verstrickt, den sie nach falscher Lageanalyse und problematischen Schlussfolgerungen kaum gewinnen kann.

Amerikanische Soldaten durchkämmen Häuser nördlich von Bagdad auf der Suche nach Waffen und verdächtigen Personen. (© AP)

Die Rolle der USA als Weltordnungsmacht hat sich am Ende der Präsidentschaft von George W. Bush drastisch verschlechtert. Zwar gab es keine weiteren Anschläge nach dem 11. September 2001 auf die USA. Doch hat der Terror weltweit zugenommen. Auch hat sich die Lage in Afghanistan nicht stabilisiert – im Gegenteil: Taliban und Al-Qaida sind wieder auf dem Vormarsch und zwingen den gesamten Westen zu verstärktem militärischen Engagement. Dass Osama bin Laden nach sieben Jahren Krieg unbesiegt und frei die ungebrochene Macht des Terrors verkörpert, versinnbildlicht Amerikas weltpolitisches Dilemma.

Es hat sich in einen Krieg verstrickt, den es nach falscher Lageanalyse und problematischen Schlussfolgerungen kaum gewinnen kann. Parallelen zum Vietnam-Krieg drängen sich geradezu auf. Es fehlte von Anfang an ein überzeugendes politisches Ziel, eine kraftvolle Unterstützung der Partner und vor allem eine entsprechende Strategie, die die militärischen und zivilen Komponenten klug mischt.

Negative Bilanz des Irak-Krieges

Wenn Präsident Bush Amerikas heutige Rolle vergleicht mit der im Krieg gegen den Faschismus im Zweiten Weltkrieg und den Kommunismus im Kalten Krieg, dann sind diese historischen Bezüge problematisch. Im Ursprung kann der so genannte Krieg gegen den Terror nach dem 11. September 2001 vielmehr mit der amerikanischen Reaktion auf den japanischen Angriff auf Pearl Harbor verglichen werden. Präsident Bush brach jedoch Mitte 2001 einen Konflikt vom Zaun, den man seit dem Irak-Krieg kaum mehr als Verteidigungsfall bezeichnen kann.

Abgesehen von den massiven Fehlern und menschlichen Opfern dieses Krieges fällt auch eine sachliche Kosten-Nutzen-Analyse derzeit negativ aus. In den Irak zogen die USA ohne internationale Billigung ein, ohne eine echte internationale Koalition, ohne regionale Zustimmung und gegen alle Regeln eines konstruktiven "Nation Building". Deshalb hat dieser von den USA angezettelte Krieg einen profunden negativen Effekt auf den "Krieg gegen den Terror": Er hat ihn ausgeweitet, vertieft, beschleunigt und die radikalen anti-westlichen Kräfte gestärkt, statt sie zu schwächen. Auch Bushs ambitionierte Demokratie-Strategie für den Nahen Osten wirkte letztlich kontraproduktiv.

Tiefe Spaltung des Westens

Seine Tragödie war, dass er die grundlegend richtige Idee entwickelte, um dem radikalen Islam den Nährboden zu entziehen: Nicht länger repressive Diktaturen im Nahen Osten zu stützen, weil diese eine ebenso repressive islamistische Opposition heranzüchten, sondern stattdessen auf Reformen und Öffnung zu setzen. Aber die US-Regierung hat dieses Problem falsch beantwortet. Sie wollte den Nahen Osten per Diktat, durch Fernbedienung und Bomben verändern. Hinzu kamen Arroganz, Inkompetenz und Mangel an Sensibilität. Deshalb werden die USA heute nicht als Freund und Partner gesehen. Vielmehr war Anti-Amerikanismus die Reaktion. Bushs Patriotismus war selbstgerecht: Nie hat er berücksichtigt, dass auch Menschen in anderen Ländern stolze Patrioten sein können.

Hinzu kommt, dass Präsident Bush im Zuge seiner Außenpolitik - nicht nur mit Blick auf den Irak – den Westen tief gespalten hat. Dieser Riss veranlasst kritische Beobachter, wie beispielsweise den französischen Politologen Dominique Moisi, zu der Feststellung, dass von nun an eine Unterscheidung zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Westen notwendig werde. Zwar werden noch fundamentale Werte geteilt. Aber die Unterschiede der Interessen zwischen den USA und Europa, der Machtverteilung, der Positionierung im internationalen System sowie der unterschiedlichen Erfahrungen in der Geschichte, der Gegenwart und divergierende Zukunftserwartungen wie vor allem auch gegensätzliche Einschätzungen bei Krisen und Herausforderungen machen zunehmend das zur Chimäre, was bislang als geschlossener Westen oder als atlantische Zivilisation umschrieben werden konnte.

Machtverlust der USA

Haben also die USA bereits ihren Führungsanspruch im westlichen Bündnis verspielt, seitdem sie unter Präsident Bush recht rigoros, auch mit zu wenig Rücksicht auf die Partner, ihre Interessen definieren und bisweilen mit neo-imperialer Attitüde durchzusetzen suchen? Die Außenpolitik der Regierung Bush hatte zwar auch positive Seiten, wie beispielsweise die kooperative Einbindung Russlands und Chinas in die Anti-Terror-Strategie. Doch die negativen Aspekte überwiegen deutlich. Vor diesem Entwicklungshintergrund verwundert es nicht, dass der europäische Westen sich von den USA abkehrt und als Europäische Union trotz aller innerer Unzulänglichkeiten und Gegensätze forciert um ein eigenständiges weltpolitisches Profil bemüht, das auch aufgrund historischer Erfahrung anti-imperial ausgerichtet ist. Daraus folgt, dass die Europäer die Herausforderung des Terrorismus nicht als Krieg verstehen, auch wenn sie den Einsatz von militärischen Mitteln berücksichtigen. Sie bevorzugen den polizeilichen Einsatz und setzen auf eine breite Vielfalt nicht-militärischer und möglichst präventiver Mittel.

In den Augen der Europäer war es vor allem der unsinnige Krieg gegen den Irak, der den transatlantischen Graben weiter vertiefte, aber auch neue Gegensätze zwischen dem "alten" und dem "neuen" Europa bewirkte. So verliert der transatlantisch zerrissene Westen auf Grund zusätzlicher innereuropäischer Spaltungstendenzen weiter an Gestaltungskraft. Dazu wird er durch neue Energieabhängigkeiten geschwächt, während Russland im Vollgefühl seiner neuen Rohstoffmächtigkeit und nach knapp zwei Jahrzehnten weltpolitischer Einbußen infolge des Zusammenbruchs des Sowjetimperiums und empfundener internationaler Demütigung jetzt vor neuem Patriotismus und Machtbewusstsein nur so strotzt. Dafür muss der Westen ein gewisses Verständnis entwickeln, will er mit Russland auf die Zukunft gerichtete Politik betreiben.

Massive Vertrauens- und Legitimationskrise

Der Krieg im Kaukasus hat jüngst gezeigt, dass die US-Regierung in der machtpolitischen Auseinandersetzung mit Russland erneut den Kürzeren gezogen hat .Statt eindrucksvoller Krisendiplomatie oder gar Staatskunst dominierte Ratlosigkeit, verhüllt in trotzig-verbaler Aggressivität gegenüber Russland, die allerdings auf ein neues Selbstbewusstsein und machtpolitische Raffinesse in Moskau stieß. Deshalb verschärfen sich die amerikanisch-russischen Beziehungen zur Zeit weiter, was nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch den Westen insgesamt weiter schwächt. Auch das selbstbewusste Auftreten weiterer autoritärer Regime wie Venezuela oder Iran, zudem reich an Rohstoffen, erfordert im Ringen um weltpolitische Selbstbehauptung der demokratischen Industrienationen alles andere als eine desorientierte Weltmacht USA und ein zerrissenes, dazu rohstoffabhängiges Europa. Da gibt es nur wenig Trost, wenn zwar weltweit abendländische Ideen wie Demokratie, Menschenrechte und freier Markt noch als erstrebenswert angesehen werden, aber dem Westen die politische Kraft abhanden gekommen ist, für diese kraftvoll und überzeugend einzustehen, seitdem die bisherige Führungsmacht USA ihr Ansehen, ihre zivilisatorische Ausstrahlung eingebüsst hat und in einer massiven Vertrauens- und Legitimationskrise steckt.

Nicht nur das Scheitern des Feldzugs nach Bagdad, sondern auch die Art der US-Kriegsführung, vor allem die Lager in Abu Ghraib und Guantanamo, haben die Welt gegen die USA aufgebracht. Die Menschen assoziieren seitdem mit den Vereinigten Staaten nicht mehr nur die Freiheitsstatue, sondern auch das Gefangenenlager von Guantanamo, erklärte jüngst der frühere Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski. Folter ist aber nicht nur menschenverachtend, sondern auch politisch unklug: Sie widerspricht nicht nur ureigenen amerikanischen Werten, sondern legt auch eine unheilvolle Saat für eine neue Generation fanatischer Islamisten, die auf Rache sinnt.

Auch ökonomische Führungsrolle gefährdet

Bis heute hat sich jedoch an den unrechtmäßigen Foltermethoden nichts geändert. Seit Eleanor Roosevelt, Ehefrau des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, für die Menschenrechte kämpfte, hatten die USA eine globale Führungsrolle in der Achtung der Menschenrechte und verstanden es als gottgewollte Pflicht, eine zivilisierte Welt zu schaffen. Im Kalten Krieg kämpften sie nach eigener Vorstellung als freie Vereinigte Staaten gegen das unfreie Sowjetimperium. Unter Führung von Präsident Bill Clinton wurden die USA zur ökonomischen Supermacht. Es war Amerikas neu erwachte Wirtschaftsmacht, die die Welt, vor allem die industriellen Demokratien, in der Triade USA-Europa-Asien dynamisierte.

Doch unter Präsident Bush hat sich auch die Lage der amerikanischen Wirtschaft drastisch verschlechtert: Die hohe Staatsverschuldung – nicht nur durch den Irak-Krieg verursacht –, die Immobilienskandale, die sinkenden Konjunkturerwartungen, die schwindende internationale Konkurrenzfähigkeit früherer Spitzenunternehmen, die zunehmende Schwäche des US-Dollar und vor allem eine von Bush begünstigte egoistische Wirtschaftsmentalität haben auch mentale Spuren hinterlassen. Unter Bush wurden die USA zunehmend zum Hort eines hedonistischen Weltmaterialismus. Die Konkurse amerikanischer Investmentbanken im September 2008 erschüttern nicht nur die USA, sondern erzeugen ein finanzpolitisches Beben, wie es die Welt seit dem Schwarzen Freitag 1929 nicht mehr erlebt hat. Die Wall Street liegt nicht nur real, sondern auch als Mythos amerikanischer Führung in Trümmern. Eine Neuordnung der globalen Finanzmärkte könnte auf Kosten der amerikanischen Vorherrschaft geschehen.

US-Präsident George W. Bush spricht an einer High School in Michigan über den weltweiten Anti-Terror-Kampf und den Irak-Krieg. (© AP)

Die USA als Problemfall Nr. 1 der Weltpolitik?

Die Art und Weise, wie der "Krieg gegen den Terror" von der Bush-Regierung geführt und eine neue Stufe von Egoismus und Hedonismus im Wirtschaftsleben etabliert werden, haben die USA auch innenpolitisch verändert. In der Bevölkerung macht sich einerseits ein von der Regierung geschürter selbstgerechter, trotziger Patriotismus breit, der religiös aufgeladen zum Teil durchaus militante Züge trägt. Andererseits greift Angst um sich, seitdem Finanzskandale und Wirtschaftskrisen sich beschleunigen. Deshalb schauen Freunde und Verbündete besorgt auf die derzeitige Entwicklung: Sind dies lediglich die Folgen der politischen Fehler und Versäumnisse einer inkompetenten Regierung? Bleibt also das amerikanische Regierungssystem im Kern intakt und vorbildlich oder haben sich die USA grundsätzlich verändert? Sind sie noch Problemlöser oder sind sie mittlerweile Problemfall Nr. 1 der Weltpolitik?

Die Annahme, dass der unipolare Moment nach 1989 sich zum bleibenden und zukünftigen Strukturprinzip der Weltpolitik entwickeln würde, entpuppt sich – je nach Perspektive – als Wunschbild oder Illusion, aber auf keinen Fall als Realität. Nicht nur haben die USA ihren zuvor weltweit geachteten "Soft Power"-Status als zivilisatorisches Vorbild verloren, der im Sinne des amerikanischen Politologen Joseph Nye mindestens ebenso wichtig ist wie Wirtschafts- und Militärmacht. Hinzu kommt, dass durch den Aufstieg alter und neuer Rivalen wie Russland, China und Indien die überragende weltpolitische und ökonomische Vormachtstellung immer weiter unterhöhlt wird und sich neue Allianzen gegen die USA zusammenschließen. Amerika und der Westen sind insgesamt nicht nur schwächer geworden. Andere Mächte und Regionen haben mittlerweile weltpolisch aufgeholt, sind einflussreicher und stärker geworden.

Notwendigkeit eines liberal-demokratischen Hegemons

Zudem hat der Westen den Abschied Russlands von der Weltbühne zu voreilig gefeiert. Nach der weltpolitischen Auszeit, die es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nehmen musste, hat es sich, wie schon nach dem Krimkrieg im 19. Jahrhundert, selbstbewusst zurückgemeldet. Im Fünf-Tage-Krieg in Georgien haben der georgische Präsident und die USA den russischen Widersacher gefährlich gereizt und erst einmal den Machtpoker verloren. Der Westen, insbesondere die USA, sind dabei der militärischen Übermacht und der raffinierten Diplomatie Moskaus ins Messer gelaufen. Dadurch haben der Einfluss demokratischer Kräfte und das Ansehen der USA weiteren schweren Schaden genommen, während sich Russland erneut als selbstbewusste Ordnungsmacht profilieren kann. Weltpolitisch scheinen die demokratischen Kräfte somit auf dem Rückzug, während die Autokratie eine Renaissance erlebt - ganz ohne ideologischen Überbau, dafür machtpolitisch üppig mit neuen Energien wie Gas und Öl ausgestattet. Doch auf welche Weise können die USA diesen für sie und den Westen negativen weltpolitischen Entwicklungen entgegentreten, sich selbst behaupten und neuen Einfluss zurückgewinnen? Welche Strategien und Ordnungsentwürfe bieten sich an? Und vor allem: Wie wollen die beiden aktuellen Präsidentschaftskandidaten auf diese für Amerika desaströse Entwicklung reagieren? Welche Vorstellungen entwickeln sie für die zukünftige Rolle der USA in einer sich rapide verändernden Welt, die sich nicht nur auf Grund von Fehlern der Bush-Regierung dramatisch und krisenhaft beschleunigt?

Bei aller berechtigten Kritik an Präsident Bush muss man zunächst festhalten, dass selbst ohne seine Fehler Hisbollah und Hamas keine Blumen auf der Strasse verkaufen und die Dschihad-Zellen in Madrid, London und anderswo nicht nur artig ihre Arbeitslosenformulare ausfüllen würden, wie der amerikanische Politologe Fareed Zakaria zurecht angemerkt hat. Nur weil Bush einmal "Kreuzzug" gesagt hat, wird keiner zum Selbstmord-Attentäter. Die USA haben den Dschihadismus nicht erschaffen. Die Anschläge des 11. September 2001 wurden geplant, als Präsident Bill Clinton noch versuchte, einen unanhängigen Palästinenser-Staat zu realisieren. Die USA konnten es also trotz ihrer einzigartigen militärischen Macht nicht alleine richten, schon gar nicht auf dem Feld der Politik und Diplomatie. Doch benötigt die Welt heute angesichts des Wiederaufstiegs autoritärer Mächte und Staaten einen liberal-demokratischen Hegemon, wie die USA es einmal waren, mehr denn je sogar, um Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, organisierte Kriminalität, Umweltprobleme, Rohstoffverknappung und Kriege einzudämmen. Ohne kraftvolle Führung der USA würden auch regionale und globale Gemeinschaftsinstitutionen zusammenbrechen.

Anknüpfen an "Pax Americana"

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich also die Schlüsselfrage: Setzen die USA die Periode imperialer Machtarroganz mit neokonservativer Attitüde und religiös aufgeladenen Weltbild fort oder gewinnen in den USA wieder die Persönlichkeiten, politischen Kräfte und Strömungen die Oberhand, die auf umsichtige Machtpolitik im Zeichen von Selbstbehauptung, Toleranz, Völkerrecht und Diplomatie setzen? Eine Rundum-Erneuerung und eine kluge wie selbstkritische Bestandsaufnahme von Amerikas Rolle in der Welt scheint vonnöten. Ob unter einem Präsidenten Barrack Obama oder John McCain ist dies die zentrale Vorraussetzung für die Wiedererlangung von Respekt, Einfluss und einer Führungsrolle in der Weltpolitik, die an die große Tradition der "Pax Americana" des 20. Jahrhunderts unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts anknüpfen könnte.

Fussnoten

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Christian Hacke ist Professor des Instituts für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn. Er hat zahlreiche Publikationen zur amerikanischen und deutschen Außenpolitik sowie zur Geschichte und Theorie der Internationalen Politik verfasst, u.a. "Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von J.F. Kennedy bis G.W. Bush", "Von Kennedy bis Reagan. Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik von 1960 bis 1984" und "Die Ära Nixon/Kissinger. Konservative Reform der Weltpolitik".