Der Sieg der Unionskräfte im Bürgerkrieg hatte den Vereinigten Staaten ab 1865 die nationale Einheit gesichert. In der folgenden Periode erreichten sie durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg erst den Rang einer Großmacht und schließlich im Zweiten Weltkrieg denjenigen einer Weltmacht. Dieser Aufstieg war begleitet und wurde getragen durch eine gewaltige Bevölkerungsvermehrung von 35 auf 130 Millionen Bürgerinnen und Bürger, ein beeindruckendes wirtschaftliches Wachstum, die endgültige Erschließung des kontinentalen Siedlungsgebiets und ab der Wende zum 20. Jahrhundert den insgesamt bewusst gehegten Willen, eine weltpolitische Rolle zu spielen. Trotz gelegentlicher wirtschaftlicher Rezession und verbreiteter Not – besonders in den 1890er und 1930er Jahren – überwog bei den Amerikanern das Gefühl, dass der "American way of life" für sie richtig sei und der Welt als Vorbild dienen könne.
Ringen um Bürgerrechte und Wahlrecht für die Schwarzen
Die erste Aufgabe nach dem Bürgerkrieg war die so genannte Reconstruction, die Wiedereingliederung des Südens. Diese ging nicht ohne Härten und Fehlentwicklungen ab, da es der Regierung in Washington an einem klaren Konzept und den besiegten Weißen im Süden weithin an gutem Willen zur Annahme ihrer Situation mangelte. Uneinsichtigkeit, Demütigung und Erbitterung über die Niederlage führten zu einer harten und oft gewaltsamen Reaktion und nach der Wiederzulassung zur Union in allen Südstaaten zur Restauration der Herrschaft der Weißen.
Der Bürgerkrieg hatte das Ende der Sklaverei gebracht. Der 14. und 15. Verfassungszusatz verliehen kurz danach den Schwarzen Bürgerrechte und Wahlrecht. Aber deren konkrete Situation wurde hierdurch zumeist nicht allzu sehr verbessert. Die ehemaligen Sklaven blieben weiterhin häufig als Landarbeiter in wirtschaftlicher Abhängigkeit und ihr rechtlicher Status wurde allmählich immer mehr eingeschränkt, bis sich in den 1890er Jahren allenthalben im Süden die Rassentrennung vollständig durchsetzte. Dies änderte sich erst im 20. Jahrhundert allmählich, angeschoben durch die vom Ersten und dann vor allem vom Zweiten Weltkrieg verursachte Nordwanderung vieler schwarzer Arbeitskräfte.
Enorme Einwanderungswelle zur Jahrhundertwende
Am stärksten erregten in jenen Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg aber nicht die Bürgerrechtsfragen die große Aufmerksamkeit der Zeitgenossen, sondern vielmehr das Tempo und die Intensität der wirtschaftlichen Entwicklung und deren Auswirkungen auf die soziale und politische Szene. Deutlich ins Auge fiel dabei die dazu enorm beitragende Stärke der Einwanderung. 13,5 Millionen Immigrantinnen und Immigranten kamen zwischen 1865 und 1900 in die Vereinigten Staaten; zwischen 1905 und 1914 trafen im Durchschnitt eine Million Menschen pro Jahr ein. Kam bis etwa 1890 die große Mehrzahl aus Deutschland, England und Irland, so überwogen von da an Italien, Österreich-Ungarn und Russland als Ursprungsländer.
Goldene Zeiten für die Wirtschaft
Süd- und Osteuropäern fiel schon aus sprachlichen Gründen die Integration schwerer als den zuvor gekommenen Nordeuropäern. Mochten viele der Ankömmlinge unter den Schwierigkeiten des Eingewöhnens leiden, so machten diese sie jedoch andererseits zu billigen und manipulierbaren Arbeitskräften für die sich enorm entwickelnde Industrie. 1865 übertraf die Industrieproduktion in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland die amerikanische noch deutlich. 1900 war die Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten von Amerika größer als diejenige aller dieser drei Länder zusammen. Die geringen Arbeitskosten bildeten allerdings nur einen der Gründe für den ungewöhnlichen Aufschwung.
Ein anderer war, dass der amerikanische Binnenmarkt den weltweit größten zusammenhängenden Wirtschaftsraum darstellte, der durch das sich schnell entwickelnde Eisenbahnnetz – es wuchs von knapp 60.000 Kilometern im Jahr 1865 bis zur Jahrhundertwende auf 310.000 Kilometer – nun weitgehend erschlossen wurde. Eine wirkungsvolle Schutzzollpolitik schirmte die Produzenten nach außen ab. Das Wachstum erzeugte Vertrauen bei in- und ausländischen Investoren, die immense Kapitalsummen zur Verfügung stellten. Es war das goldene Zeitalter der Industriekapitäne vom Schlage des Stahlkönigs Andrew Carnegie, des Ölbarons John D. Rockefeller, der Eisenbahnmagnaten Cornelius Vanderbilt und Jay Gould. 50 Jahre lang, von 1865 bis 1914, wuchs das Bruttosozialprodukt der Vereinigten Staaten jährlich um über vier Prozent.
Niederschlagung von Streiks
Dieses Wachstum ging natürlich nicht ohne soziale Härten vonstatten. Die Industrialisierung brachte im bevölkerungsreichen Nordosten Verstädterung mit sich. Fehlende Traditionen und Mangel an Verwaltungserfahrung führten zu Korruption. Das niedrige Lohnniveau förderte die Slumbildung. Gegenbewegungen und Reformansätze blieben vorerst rar. Spontan ausbrechende Unruhen, wie der große Eisenbahnerstreik 1877, der Haymarket-Aufruhr 1886 in Chicago oder der gewalttätige Streik 1892 in den Homestead-Werken in Pennsylvania, wurden von den Ordnungskräften niedergeschlagen. Gewerkschaften galten als unamerikanisch und politisch radikal und blieben ohnehin wegen des Arbeitskräfteüberflusses schwach. Nur den Facharbeitern, ab den 1880er Jahren in der American Federation of Labor (AFL) organisiert, gelang es auf Dauer, einige Verbesserungen ihrer Arbeits- und Lohnbedingungen durchzusetzen.
Wachsender Zusammenhalt der Gesellschaft
Auch ein politisch wirksamer Zusammenschluss der Industriearbeiter mit den immer noch zahlreicheren kleinen Farmern und Landarbeitern, die jahrzehntelang unter dem Druck fallender Agrarpreise litten, kam nicht wirklich zustande. Die Landwirtschaft litt an Überproduktion durch fortschreitende Mechanisierung und die Ausweitung der Anbauflächen besonders im sich nach dem Bürgerkrieg auftuenden mittleren Westen. In sporadischen Aktionen wurden die sich wehrenden Indianer vertrieben – die Schlachten am Little Bighorn 1876 und bei Wounded Knee 1890 gingen in die Geschichtsbücher ein – und die Prärie kam unter den Pflug. Proteste der Farmerorganisationen gegen Preisschikanen der Eisenbahngesellschaften und die Deflationspolitik der Regierung, welche die Banken begünstigte, führten zu keinem durchschlagenden Erfolg. Während der großen Wirtschaftskrise Mitte der 1890er Jahre schien es, als ob die People's Party, der politische Zusammenschluss der Farmer und Protestler, auf nationaler Ebene wirksam werden könnte. Doch das Ende der Krise brachte auch den Untergang dieser Hoffnung.
Die damals Lebenden empfanden somit die Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg einerseits als chaotisch. Sie sahen das Gemeinwesen dem Trubel freier Kräfte ausgesetzt und einer richtungweisenden politischen Hand ermangelnd. Andererseits spürten sie aber auch, dass dem oberflächlich anarchischen Prozess eine gewisse positive Dynamik innewohnte. Der Lebensstandard der Bevölkerung stieg insgesamt merklich. Das Land gewann an Zusammenhalt und die Menschen wurden der Möglichkeiten gewahr, die sich durch die wachsende innere Stärke bald auf außenpolitischem Gebiet bieten sollten.
Wunsch nach Ordnung und Ausrichtung
Die tumultuarischen Zustände verlangten jedenfalls nach der Meinung einer wachsenden Anzahl von Zeitgenossen nach Ordnung und Ausrichtung und so gewannen nach der Jahrhundertwende gesellschaftskritische Gedanken die Aufmerksamkeit einer größeren Öffentlichkeit. Die Aktivisten der Reformbewegung des Progressivismus erstrebten eine Verbesserung der durch die rasche Industrialisierung verursachten sozialen Missstände; Korrekturen an politischen Institutionen sollten das amerikanische Gesellschaftssystem stabilisieren. Eine treibende Kraft hierbei war der damalige US-Präsident Theodor Roosevelt (1901-1909), während dessen Amtsperiode unter anderem Gesetze für Verbraucher- und Naturschutz sowie zur Eisenbahnregulierung verabschiedet wurden. 1913 stellte der Federal Reserve Act das amerikanische Bankenwesen auf eine solide Grundlage. Verfassungszusätze gestatteten im gleichen Jahr die Erhebung einer Einkommensteuer und die Direktwahl der Senatoren.
Die Entstehung eines Kolonialreichs
Ein deutliches Zeichen für die wachsende Stärke des amerikanischen Gemeinwesens war vor allem auch sein nun in aller Welt beachtetes Ausgreifen über die eigenen Grenzen hinaus. Waren die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert noch vor allem mit sich selbst beschäftigt gewesen, so begannen sie 1898 mit dem Krieg gegen Spanien, bei dem es zunächst um Kuba ging. Dabei reifte der Wunsch heran, eine ernstzunehmende weltpolitische Rolle zu spielen.
Ein Kolonialreich entstand (Philippinen, Guam) und der rasch forcierte Ausbau einer großen Kriegsmarine ermöglichte es, Druck in der eigenen Hemisphäre und bald auch darüber hinaus auszuüben. Die Politik der "offenen Tür" etablierte 1899/1900 den Anspruch auf Einfluss in China. Vorteilhafte Abkommen mit Japan zielten darauf, dessen Wirkungsmacht im Pazifik zu begrenzen. Die erfolgreiche Friedensvermittlung Theodore Roosevelts 1905 im Krieg zwischen Japan und Russland zeigte weithin sichtbar die neue amerikanische Forderung nach Weltgeltung. Immer stärker griffen die USA auch durch militärische Interventionen in die Angelegenheiten der Länder Lateinamerikas ein, darunter in Nicaragua (ab 1910), der Dominikanischen Republik (ab 1912), Mexiko (ab 1914) und Haiti (ab 1915). Auch der Bau des Panamakanals, der 1914 eröffnet wurde, war eine amerikanische Angelegenheit.
Außenpolitischer Interventionen überdrüssig
Bereits um die Jahrhundertwende bemühten sich die Vereinigten Staaten auch um einen Interessenausgleich mit Großbritannien. So fand man in Disputen hinsichtlich Venezuelas (1895) und Alaskas (1903) annehmbare Lösungen. Das wachsende gute Einvernehmen führte dann fast zielstrebig zur amerikanischen Teilnahme am Ersten Weltkrieg auf der Seite der Entente. Der Einsatz von insgesamt zwei Millionen amerikanischen Soldaten ab 1917 entschied die Auseinandersetzung für die Gegner der Mittelmächte. Präsident Woodrow Wilson (1913-1921) bemühte sich, durch Verkündung seiner 14 Punkte im Jahr 1918 und Ausübung von Druck auf die Pariser Friedenskonferenz 1919 einer stabilen Friedensordnung den Weg zu bereiten. Aber sein Land zeigte sich nunmehr der außenpolitischen Interventionen vorerst müde und mochte sich nicht auf eine internationale Garantenrolle verpflichten lassen.
Ende der "Roaring Twenties" durch Große Depression
So zogen sich die Vereinigten Staaten in den 1920er Jahren erneut auf sich selbst zurück. Ein Jahrzehnt der Prosperität sah die Entfaltung einer neuen Massenkultur, in der Radio und Kino, Jazz und verbotener Alkoholkonsum eine wichtige Rolle spielten. Hiergegen erhob sich freilich eine Gegenbewegung traditioneller Kräfte, denen es gelungen war, die offizielle Prohibition durchzusetzen, und die glaubten, "wahres" Amerikanertum, "nordische" Rasse und Protestantismus hochhalten zu müssen. Die Exzesse der "Roaring Twenties" fanden dann allerdings durch den Börsenkrach des Jahres 1929 und die sich daraus ergebende, erst 1932 ihren Tiefpunkt erreichende Große Depression ein bitteres Ende. Wirtschaftlicher Niedergang und horrende Arbeitslosigkeit plagten das Land. Der 1933 das Präsidentenamt übernehmende Franklin D. Roosevelt bemühte sich noch jahrelang, mit der Not im Lande fertig zu werden. Hilfsprogramme seines "New Deal" brachten allerdings nur ungenügende Linderung und das 1935 eingeführte Sozialversicherungssystem konnte erst in späteren Jahren spürbare Wirkung erzielen. So musste die Bevölkerung der Vereinigten Staaten bis zum Zweiten Weltkrieg mit seinen umfassenden Beschäftigungsmöglichkeiten warten, bevor wieder allgemeiner Wohlstand einkehrte. Nichtsdestoweniger kam Roosevelt zweifelsohne das Verdienst zu, das amerikanische Gesellschaftssystem vor dem Kollaps bewahrt und damit die Fortführung des "American way of life" ermöglicht zu haben.