Was Lillian und Georg Friedmann durch den Kopf ging, als sie von der "Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen" vom 17. August 1938 erfuhren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Fest steht nur, dass sich der bürokratische Vorgang in die stetig länger werdende Liste an Demütigungen einreihte, die die Familie erdulden musste. Zum Jahresende 1938 ließen Georg, Lillian, Bruno und Amelie Friedmann die bis Januar 1939 erforderliche Namensänderung durchführen. Per Einschreiben wurden am 21. Dezember 1938 die Standesämter in München und Berlin sowie die Ortspolizeibehörde in Schwandorf über die Eintragung der zusätzlichen Vornamen, "Israel" und "Sara", informiert.
Historischer Hintergrund
Mit der "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden" (RGBl I, S. 547) werden ab September 1941 alle Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich gezwungen, einen sichtbaren Aufnäher, den "Judenstern" zu tragen. Doch die öffentliche Kennzeichnung von Personen, die laut den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 als "Juden" gelten, findet mit der zwangsweisen Namensänderung bereits drei Jahre vor der Einführung des "Gelben Sterns" statt. Jüdinnen und Juden werden durch die "Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen" vom 17. August 1938 (RGBl I, 1044) verpflichtet, einen Vornamen zu führen, der sie als „jüdisch“ markiert. Sofern ihr bisheriger Vorname nicht den Richtlinien des Reichsministers des Innern entspricht, d. h. nicht deutlich jüdischen Klischees entspricht, werden sie gezwungen, "Sara" oder "Israel" als Zweitnamen zu tragen. Damit greift die antisemitische Gesetzgebung der Nationalsozialisten unmittelbar in das Privatleben der Betroffenen ein und nimmt ihnen selbst das Persönlichste: ihren eigenen Namen. Die offizielle Umschreibung muss bis zum Januar 1939 erfolgen und sowohl dem zuständigen Standesamt und der Polizei gemeldet werden. Die neuen Vornamen sind fortan auch im Schriftverkehr zu verwenden. Sowohl im Berufsleben als auch bei juristischen Angelegenheiten werden sie genötigt, wenigstens einen stereotypen Vornamen zu benutzen, der sie deutlich als Jüdinnen und Juden identifiziert. Eine Zuwiderhandlung zieht eine einmonatige Gefängnisstrafe nach sich. Sofern ihnen Vorsatz unterstellt wird, wird eine Haftstrafe bis zu einem halben Jahr verhängt.
Einschreiben von Lillian und Georg Friedmann an Standesämter in München und Berlin, um diese über die erfolgte Eintragung der Vormaen "Israel" und "Sara" in Kenntnis zu setzen, 21. Dezember 1938. (Leo Baeck Institute New York | Berlin - Externer Link: George And Lillian Friedman Collection AR 7223) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Einschreiben von Lillian und Georg Friedmann an Standesämter in München und Berlin, um diese über die erfolgte Eintragung der Vormaen "Israel" und "Sara" in Kenntnis zu setzen, 21. Dezember 1938. (Leo Baeck Institute New York | Berlin - Externer Link: George And Lillian Friedman Collection AR 7223) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Traurige Berühmtheit erlangt die ehemalige Lehrerin und Feministin Hedwig Jastrow. Sie begeht mit 76 Jahren in Berlin Selbstmord, um der Umbenennung zu entgehen. 43 Jahre lang hat sie deutsche Kinder unterrichtet und schließt ihren handschriftlichen Abschiedsbrief mit den Worten: „Ich will nicht leben ohne Vaterland, ohne Heimat, ohne Wohnung, ohne Bürgerrecht, geächtet und beschimpft. Und ich will begraben werden mit dem Namen, den meine Eltern mir gegeben und teils vererbt haben und auf dem kein Makel haftet. Ich will nicht warten, bis ihm ein Schandmal angehängt wird.“
Die vielfach als Lektüre in Schulen verwendete Autobiographie der deutsch-israelischen Journalistin, Autorin und Zeitzeugin Inge Deutschkron "Ich trug den gelben Stern" nimmt auch auf die erzwungene Namensänderung Bezug. Am 9. Februar 1989 findet im Grips-Theater die Uraufführung des Stückes Ab heute heißt du Sara statt, das auf Inge Deutschkrons Erinnerungen basiert und die repressiven Umstände der damaligen Zeit eindrücklich zeigt.