Nach ihrer Befreiung litten viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter den psychischen und physischen Folgeschäden der Zwangsarbeit, besonders im Alter. In vielen osteuropäischen Ländern leben einige nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften am Rand des Existenzminimums. Individuelle Entschädigungsansprüche oder wenigstens Lohnnachzahlungen wurden ihnen verweigert; die deutschen Regierungen und die von der Zwangsarbeit profitierenden Betriebe lehnten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jede Verantwortung ab.
Verweigerte Verantwortung
Das seit Herbst 1953 geltende
Globalabkommen mit anderen Staaten
Zur Beförderung der Westintegration leistete die Bundesrepublik lediglich Zahlungen an einzelne Staaten in Form sogenannter Globalabkommen, nämlich 1952 an Israel (3,5 Milliarden DM als materielle Aufbauhilfe) sowie zwischen 1959 und 1964 an mehrere westeuropäische Staaten (insgesamt 900 Millionen DM). In dieser Phase zahlten auch mehrere Großunternehmen einige Millionen DM an die Jewish Claims Conference. Die DDR lehnte aufgrund ihres Selbstverständnisses als antifaschistische Neugründung jegliche Entschädigung für ausländische NS-Opfer ab.
TabelleÜbersicht: Globalzahlungen an Staaten bis 1990
Diese Tabelle zeigt für jedes Land das Jahr und die Summe der Zahlung. Während des Kalten Kriegs leistete die Bundesrepublik globale Entschädigungszahlungen an westliche Länder sowie an Polen und die Jewish Claims Conference (JCC), eine Organisation jüdischer Überlebender. Zwangsarbeit wurde dabei nicht berücksichtigt. Die DDR zahlte keine Entschädigungen.
Die Bundesrepublik Deutschland zahlte bis 1990 an folgende Staaten:
Staat | Jahr | Summe |
---|---|---|
Israel | 1952 | 3.000 Mio. DM |
Jewish Claims Conference (JCC) | 1952 | 450 Mio. DM |
Luxemburg | 1959 | 18 Mio. DM |
Norwegen | 1959 | 60 Mio. DM |
Dänemark | 1959 | 16 Mio. DM |
Griechenland | 1960 | 115 Mio. DM |
Niederlande | 1960 | 125 Mio. DM |
Frankreich | 1960 | 400 Mio. DM |
Belgien | 1960 | 80 Mio. DM |
Italien | 1961 | 40 Mio. DM |
Schweiz | 1961 | 10 Mio. DM |
Österreich | 1961 | 101 Mio. DM |
Großbritannien | 1964 | 11 Mio. DM |
Schweden | 1964 | 1 Mio. DM |
Polen | 1975 | 1.300 Mio. DM |
JCC (Osteuropa) | 1980 | 2.200 Mio. DM |
Frankreich | 1981 | 250 Mio. DM |
Luxemburg | 1987 | 12 Mio. DM |
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 folgten im Zuge des
TabelleÜbersicht: Globalzahlungen an Staaten nach 1990
Diese Tabelle zeigt für jedes Land das Jahr und die Summe der Zahlung. Das vereinigte Deutschland leistete nach 1990 Globalzahlungen an Polen und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Das vereinigte Deutschland zahlte nach 1990 an folgende Staaten:
Staat | Jahr | Summe |
---|---|---|
Polen | 1991 | 500 Mio. DM |
Russland | 1993 | 400 Mio. DM |
Ukraine | 1993 | 400 Mio. DM |
Weißrussland | 1993 | 200 Mio. DM |
Estland | 1995 | 2 Mio. DM |
USA | 1995 | 3 Mio. DM |
Litauen | 1996 | 2 Mio. DM |
Tschechien | 1997 | 140 Mio. DM |
Lettland | 1998 | 2 Mio. DM |
Ex-Jugoslawien | 1998 | 80 Mio. DM |
Jewish Claims Conference (JCC) | 1998 | 200 Mio. DM |
Die Debatte um die Entschädigung
Erst Ende des 20. Jahrhunderts beschäftigte die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wieder die nationale und internationale Öffentlichkeit. Die ersten politischen Initiativen der Bundestags-Grünen, des Europa-Parlaments oder der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste blieben noch erfolglos.
Erst 1998 einigten sich die Fraktionen des Bundestags darauf, eine Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeit unter finanzieller Beteiligung der deutschen Wirtschaft einrichten zu wollen. Parallel dazu führten Sammelklagen und Boykottdrohungen in den USA zur Gründung der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft": Vor allem die exportorientierten Großunternehmen boten an, sich – ohne ein Schuldeingeständnis – an der Stiftung zu beteiligen. Als Bedingung verlangten sie die Zusicherung von "Rechtssicherheit" für die Unternehmen vor weiteren Klagen in den USA.
Die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
Nach
Interview: Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
Günter Saathoff im Interview, (FU Berlin, CeDiS) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Günter Saathoff im Interview, (FU Berlin, CeDiS) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Günter Saathoff ist seit 2003 im Vorstand der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ). Im Interview spricht er über die Entstehung und die Ziele der Stiftung. Er erläutert die Auszahlungspraxis an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und geht auf die durch den Fonds "Erinnerung und Zukunft" geförderten Bildungsprojekte ein. Er erläutert auch, warum die Zahlungen für die Zwangsarbeiter erst so spät kamen und was die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit dem Geld gemacht haben.
Die Regelung der Entschädigung mittels einer Stiftung sollte unbürokratisch sein und den Unternehmen, aber auch den betagten Opfern individuelle Gerichtsverfahren ersparen. In der Tat hätten die wenigsten Überlebenden das Ende solcher langwierigen Prozesse noch erlebt. Dennoch war die Entschädigung unterschiedlichster Opfergruppen in verschiedenen Ländern ein recht kompliziertes Verfahren, das in Kooperation mit sieben internationalen „Partnerorganisationen“ umgesetzt wurde. Diese waren für die Antragsannahme, die Feststellung der Leistungsberechtigung und die Auszahlungen zuständig. Ihr jeweiliger Finanzrahmen war in den internationalen Verhandlungen vorab festgelegt worden.
Die individuellen Auszahlungen
Aus dem Gesamtfonds von über 4,6 Milliarden Euro zahlte die Stiftung EVZ Entschädigungen insbesondere an ehemalige KZ-Häftlinge und an deportierte mittel- und osteuropäische Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter. Über 1,6 Millionen Überlebende erhielten einmalige Zahlungen, die je nach Herkunftsland und Schwere der Lagerbedingungen differierten.
KZ- und Ghetto-Häftlinge erhielten den Maximalbetrag von 7.669 Euro (Kategorie A), Inhaftierte in Arbeitserziehungslagern und sogenannten „anderen Haftstätten“ bekamen zwischen 3.068 und 7.669 Euro, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Industrie in der Regel 2.556 Euro (Kategorie B).
Die Partnerorganisationen konnten dank einer Öffnungsklausel im Rahmen ihrer finanziellen Mittel weitere Opfergruppen berücksichtigen. Im Rahmen der Öffnungsklausel erhielten unter anderem in der Landwirtschaft Eingesetzte und Kinderhäftlinge zwischen 536 und 2.235 Euro. Wenn die Betroffenen nach 1999 verstorben waren, hatten die Angehörigen Anspruch auf die Leistung. Gesonderte Entschädigungen wurden aus den weiteren Mitteln der Stiftung für Versicherungs-, Vermögens- und „sonstige Personenschäden“ gezahlt.
TabelleÜbersicht: Individuell Entschädigte nach 2000
Diese Tabelle zeigt für jedes Land die Zahl der Entschädigten und zum Vergleich die Zahl der 1945 dort noch lebenden Zwangsarbeiter/innen (ohne KZ-Häftlinge). Im Jahr 2000 begann die individuelle Entschädigung durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Von den einst über 13 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern lebten damals noch 2,4 Millionen. Bis 2007 erhielten davon 1,7 Millionen Menschen in 98 Ländern eine Entschädigung.
Von den am Kriegsende Überlebenden erhielten bis 2007 eine individuelle Entschädigung:
Staat | Entschädigte 2007 | Überlebende 1945 |
---|---|---|
Sowjetunion | 856.402 | 3.550.000 |
Ukraine | 465.672 | |
Russland | 227.685 | |
Weißrussland | 119.699 | |
Sonstige | 43.346 | |
Polen | 484.025 | 1.690.000 |
Israel | 78.744 | - |
Tschechien | 75.804 | 330.000 |
USA | 48.804 | - |
Ungarn | 15.040 | 45.000 |
Kanada | 14.481 | - |
Australien | 12.044 | - |
Serbien-Montenegro | 8.604 | 205.000 |
Frankreich | 8.475 | 2.265.000 |
Niederlande | 4.500 | 465.000 |
Belgien | 3.893 | 430.000 |
Italien | 3.393 | 1.405.000 |
Andere | 23.987 | 985.000 |
Gesamt | 1.665.690 | 11.370.000 |
Keine Zahlungen erhielten Kriegsgefangene, sofern sie nicht in Konzentrationslagern inhaftiert waren. Dies galt auch für sowjetische Kriegsgefangene, die unter härtesten Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, wenn sie nicht schon in den Wehrmachtslagern verhungert waren. Erst im Jahr 2015 beschloss der Bundestag eine Zahlung, die aber nur noch wenige Überlebende erreichte. Auch die 1943 gefangen genommenen italienischen Militärinternierten erhielten trotz ihrer späteren Einstufung als Zivilarbeiter und ihrer besonders schlechten Behandlung keinerlei Entschädigung. Mit ihren Klagen vor deutschen und europäischen Gerichten hatten sie ebenso wenig Erfolg wie die sowjetischen Kriegsgefangenen.
West- und südeuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden nur anerkannt, wenn sie unter Haftbedingungen arbeiten mussten. Die meisten aus Frankreich, Belgien oder den Niederlanden Verschleppten erhielten daher keine Entschädigung. Menschen, die in ihrem eigenen Heimatland von den Deutschen zur Arbeit gezwungen worden waren, wurden nur teilweise in Tschechien, Polen und Belarus berücksichtigt.
Ebenfalls leer aus gingen die bereits vor 1999 Verstorbenen sowie diejenigen, die ihre Zwangsarbeit nach 65 Jahren nicht mehr nachweisen oder wenigstens glaubhaft machen konnten.