Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zählten lange zu den vergessenen Opfern des Nationalsozialismus. Nach ihrer Befreiung machten sich viele auf eigene Faust sofort auf den Heimweg und waren damit schlagartig aus dem Blickfeld der Deutschen verschwunden. Andere lebten als "Displaced Persons" (DPs) oder "Repatrianten" weiterhin in Lagern und warteten auf ihre Rückkehr oder Weiterreise. Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war der Leidensweg 1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt; nicht wenige verschwanden in den stalinistischen Lagern.
In Deutschland wurde die NS-Zwangsarbeit – trotz ihrer Verurteilung in den Nürnberger Prozessen – seitens der Politik und der Gerichte jahrzehntelang als übliche Begleiterscheinung von Krieg und Besatzungsherrschaft bezeichnet und damit zugleich bagatellisiert, nicht aber als spezifisches NS-Verbrechen anerkannt. Ausländische NS-Opfer hatten im Nachkriegsdeutschland ohnehin kaum eine Stimme. Erst in den 1980er und 1990er Jahren konnten sich Opferverbände und lokale Erinnerungsinitiativen allmählich Gehör verschaffen. Um die Jahrtausendwende ließ die Entschädigungsdebatte dann die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem Status der "vergessenen Opfer" heraustreten.
Interview: Zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit seit 1945
Prof. Dr. Constantin Goschler ist Zeithistoriker an der Ruhr-Universität Bochum. Er spricht im Interview über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ führten. Die Stiftung organisierte und beaufsichtigte die Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Goschler geht auch der Frage nach, weshalb sich die Entschädigungsforderungen über Jahrzehnte nicht durchsetzen konnten und erläutert, inwiefern die Zahlungen überhaupt bei den Opfern angekommen sind.
Die Befreiung: Zwischen Freude und Verzweiflung
Die bedingungslose Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland am 8. Mai 1945 markierte das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Monate und Tage vor diesem symbolischen Datum erlebten Millionen Menschen ihre Befreiung: aus den Konzentrations- und Arbeitslagern, den Orten der Zwangsarbeit und der Verschleppung, aber auch von der grausamen deutschen Herrschaft in ihren Ländern. Dies war freilich kein einmaliger Akt, sondern ein langsamer Prozess, der sich mit der Verschiebung der alliierten Front im Osten und Westen vollzog und extrem unterschiedliche Aspekte hatte. In den ersten Tagen und Monaten nach der Befreiung starben noch Unzählige.
Die oft freudig begrüßten Soldaten der Roten Armee befreiten einerseits Osteuropa von den Deutschen, brachten den Menschen andererseits aber eine erneute Bedrängnis. Nicht wenige der nach Deutschland Verschleppten galten in ihren Ländern als Heimatverräter. Frauen litten besonders unter Vergewaltigungen und sexuell konnotierten Verratsvorwürfen. Viele Menschen mussten zwischen Exil und Heimkehr wählen. Noch anders die jüdischen Überlebenden: Nach der Ermordung ihrer Familienangehörigen und der Auslöschung ihrer Gemeinden konnten sie nur mühsam einen Neuanfang in der Fremde starten.
Displaced Persons und Repatrianten
Nach ihrer Befreiung lebten die nach Deutschland deportierten Zwangsarbeiter zunächst als "Repatrianten" oder "Displaced Persons" in Lagern und warteten auf ihre Repatriierung in ihre Heimatstaaten oder die Emigration ins westliche Ausland.
Als DPs wurden die etwa 6,4 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in den DP-Camps der britischen, französischen und vor allem amerikanischen Besatzungszone bezeichnet. Repatrianten hießen die rund 1,6 Millionen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Repatriierungs- und Filtrierlagern der sowjetischen Besatzungszone.
Die historische Wahrnehmung der DP-Camps ist aber vor allem geprägt von Berichten jüdischer DPs, die später in die USA oder nach Israel emigrierten – wenn nicht noch die feindseligen "Plünderer"-Stereotypen der deutschen Nachkriegsgesellschaft nachwirken. Ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter stellten im Frühjahr 1945 aber die große Mehrheit der Displaced Persons und Repatrianten, während Überlebende der Shoah nur einen kleineren Teil ausmachten.
Im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland verschleppte Zwangsarbeiter warten nach Kriegsende 1945 in Wiesbaden auf die Abfahrt in ihre Heimat. (© picture-alliance / dpa)
Im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland verschleppte Zwangsarbeiter warten nach Kriegsende 1945 in Wiesbaden auf die Abfahrt in ihre Heimat. (© picture-alliance / dpa)
Eher unpolitisch, oft weniger gebildet und schreibgewandt, schrieben sie ihre Erinnerungen seltener auf als die politisch Verfolgten, zumal ihnen ein anerkannter Opferstatus fehlte. Besonders gilt dies für Frauen und für die vielen Jugendlichen, die im April und Mai 1945 aus den Lagern kamen, und generell für Erinnerungen in mittel-, ost- und südeuropäischen Sprachen. Italiener – meist ehemalige Militärinternierte – zählten als ehemalige Verbündete Deutschlands eigentlich nicht zu den Displaced Persons, wurden in der Alltagsrealität der Besatzungsbehörden aber doch ähnlich behandelt und in vielen lokalen Berichten genannt.
Erst die 2005 und 2006 als Audio- oder Video-Interviews aufgezeichneten mündlichen Zeugnisse eröffnen den Blick auf ihre vielfältigen individuellen Lebenswege in dieser Zwischenphase zwischen Befreiung und Neuanfang. In diesen Berichten bestätigt sich, wie stark die nationale Gruppenbildung bei den Befreiten war. Immer wieder wird die gute Versorgung in der amerikanischen Zone, die schlechte Versorgung und misstrauische Durchleuchtung in der sowjetischen Zone thematisiert.
Heimkehr
Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, war der Leidensweg 1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden nach ihrer Rückkehr in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt; einige verschwanden in den stalinistischen Lagern. Auch in anderen Ländern trafen die Zurückkehrenden auf eine Mischung aus Desinteresse, Misstrauen und offener Ablehnung. In Italien etwa standen die Partisanen im Zentrum der Erinnerung; in Frankreich distanzierten sich die politischen Deportierten von den nur zur Arbeit Verschleppten.
Die meisten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter litten lange Zeit und besonders im Alter unter den psychischen und physischen Folgeschäden des Arbeitseinsatzes. In vielen osteuropäischen Ländern lebten sie nach dem Ende des Kommunismus oftmals am Rand des Existenzminimums.
Vergessene Lager und Erinnerungsorte
Die zugewachsenen Baracken eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Berlin-Schöneweide, 2005, seit 2006 Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit. (© Cord Pagenstecher)
Die zugewachsenen Baracken eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Berlin-Schöneweide, 2005, seit 2006 Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit. (© Cord Pagenstecher)
Auch die über 30.000 Zwangsarbeiterlager in Deutschland wurden zu "vergessenen Lagern". Die Baracken wurden abgetragen oder nach Kriegsende als Flüchtlings- oder "Gastarbeiter"-Unterkünfte weiter genutzt. Beispielsweise errichtete die Rote Armee in Sachsenhausen und Buchenwald neue Speziallager, in Ravensbrück eine Kaserne. Dachau wurde von der US-Armee verwaltet; auf dem Areal des ehemaligen KZ Neuengamme bei Hamburg entstand eine Justizvollzugsanstalt. Viele Barackenkomplexe wurden bis in die 1990er Jahre gewerblich oder als Wohngebiet genutzt, etwa die Zwangsarbeiterlager Berlin-Schöneweide und München-Neuaubing oder die Kriegsgefangenenlager Sandbostel bei Bremervörde und Trutzhain bei Marburg.
Zwar wurden bald nach 1945 an einigen Orten, vor allem auf Friedhöfen, erste Denkmäler für NS-Opfer errichtet, dies geschah aber meist ohne konkreten Bezug auf ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Erst nach den 1980er Jahren machten zahlreiche lokale Erinnerungsinitiativen die Allgegenwart der Lager und das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter immer mehr bewusst. Allenthalben wurden Lokalstudien, Spurensuchen und Zeitzeugenbegegnungen unternommen, oft begleitet von Ablehnung durch das lokale und universitäre Establishment. Seit 1993 etwa engagierte sich die Berliner Geschichtswerkstatt für ein – 2006 tatsächlich eröffnetes – Dokumentationszentrum zur NS-Zwangsarbeit in den noch erhaltenen Baracken des Zwangsarbeiterlagers Berlin-Schöneweide.
Motiviert durch nationale Erinnerungs-Debatten, etwa um die unter Helmut Kohl 1993 umgestaltete „Neue Wache“ in Berlin, um das 2005 eingeweihte zentrale Holocaust-Denkmal oder um die Zwangsarbeiter-Entschädigung, hat sich inzwischen ein dicht gespanntes Netz von lokalen und regionalen Erinnerungsorten an Stellen ehemaliger NS-Lager gebildet. Die Zwangsarbeiter konnten damit nach und nach aus dem Status der "vergessenen Opfer" heraustreten.