Einleitung
In den deutschen Städten war weit mehr als die Hälfte des Wohnraums dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen. Großstädte wie Köln und München waren kaum mehr zu erkennen. Die meisten Brücken über die großen Flüsse waren zerstört, die Verkehrsadern gelähmt.
Bis Oktober 1946 mussten fast zehn Millionen Menschen aus den abgetrennten Ostgebieten - auch sie Obdachlose wie die "Ausgebombten" - in den vier Besatzungszonen zusätzlich zu den Einheimischen versorgt werden (wobei sich die französische Zone dem Flüchtlingsstrom lange verweigerte, sodass dort nur 50.000 Vertriebene eine neue Heimat fanden). Millionen Menschen hatten längere Zeit kein Wasser, kein Gas, keine Elektrizität zur Verfügung.
Das Ausmaß der wirtschaftlichen Notlage in Deutschland zeigte sich aber nicht sofort. Für das Existenzminimum genügte das deutsche Wirtschaftspotenzial im ersten Nachkriegsjahr tatsächlich noch. Bis Ende 1946 reichten die aus der Kriegszeit geretteten Vorräte an Rohstoffen für eine bescheidene Produktion noch aus. Der strenge Winter 1946/47 jedoch wurde zur Katastrophe: Ernährung, Energieversorgung und Verkehr - drei ohnehin voneinander abhängige, aber auch jeweils für sich allein genommen lebenswichtige Größen - brachen zusammen. Nur das Eingreifen der Besatzungsmächte (de facto: Großbritanniens und vor allem Amerikas) verhinderte das Ärgste.
Winterkrise 1946/1947
Hatte der durchschnittliche Kalorienverbrauch in Deutschland im Jahre 1936 mit 3113 Kalorien noch über der vom Völkerbund empfohlenen Norm von 3.000 Kalorien am Tag gelegen, so war er bis zum Frühjahr 1945 allmählich auf 2010 abgesunken, um 1946 bei 1451 täglichen Kalorien einen Tiefstand zu erreichen, der regional und lokal sogar noch unterschritten wurde. In der US-Zone lag der Durchschnitt bei 1564, in der französischen Zone bei 1209 Kalorien pro Kopf. Vor dem Krieg hatte die deutsche Landwirtschaft zu 80 Prozent die Ernährung sichern können, für 1946/47 wurde die Möglichkeit der Selbstversorgung nur noch auf 35 Prozent geschätzt, da etwa ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzflächen im Osten verloren gegangen war und außerdem infolge des Kriegs die Ernte 1946/47 nur 50 bis 60 Prozent der normalen Menge betrug. Kalorienzahlen allein sagen jedoch nur wenig über die wirkliche Ernährungslage aus; entscheidend war auch der Mangel an tierischem Eiweiß und Fett.
Zur Ernährungskrise kam die Kohlenkrise. Kohle war nicht nur der wichtigste Rohstoff der deutschen Industrie, sondern auch unerlässliche Voraussetzung eines funktionierenden Verkehrs- und Transportsystems sowie wichtigster Energieträger der privaten Haushalte. Überdies bildete die Kohle einen der wesentlichen Posten im Export der ersten Nachkriegsjahre, obgleich ohne günstige Auswirkungen für die deutsche Wirtschaftsbilanz: Die deutsche Kohle wurde von den Alliierten streng bewirtschaftet und weit unter dem Weltmarktpreis verkauft, wobei die Erlöse nicht in Devisen, sondern nur in Reichsmark gutgeschrieben wurden.
Trotz beträchtlicher Anstrengungen auf alliierter (und auf deutscher) Seite, die Kohleförderung zu steigern, trotz materieller Anreize wie Schwerstarbeiterzulagen, Lohnerhöhungen und Prämiensystemen und trotz aller Bemühungen, durch Lenkungsmaßnahmen Prioritäten zu setzen, bildete die Kohle das Wirtschaftsproblem Nummer eins. Das lag zum einen Teil an mangelnder Effektivität der veralteten und verbrauchten Anlagen, zum anderen Teil auch an der fehlenden Qualifikation der Bergleute - eine Folge der ungünstigen Altersstruktur einerseits und des Einsatzes von unerfahrenen Arbeitskräften andererseits. Zum anderen wurden die Engpässe durch den unwirtschaftlichen Einsatz der Kohle infolge der Zonengrenzen verursacht: Braunkohle aus der Ostzone, die zum Hausbrand gut geeignet gewesen wäre, diente bei geringem Wirkungsgrad dort zur Lokomotivfeuerung, während in den Westzonen Steinkohle der Industrie entzogen werden musste, um verheizt zu werden. Das zerstörte Transportsystemverschärfte die Problematik. Die Verteilung der Kohle war nämlich eine fast noch größere Schwierigkeit als ihre Förderung.
Durch die amerikanischen und britischen Bomben war in der letzten Phase des Krieges das deutsche Verkehrs- und Transportsystem planmäßig und gründlich zerstört worden. Die industriellen Anlagen hatten dagegen den Bombenkrieg insgesamt besser überstanden. Die Eisenbahn, die den weitaus überwiegenden Anteil an den Verkehrs- und Transportleistungen aufzubringen hatte, verfügte zwar noch über 22 800 Lokomotiven (gegenüber 23 500 im Reichsgebiet im Jahre 1936), von denen aber nur weniger als die Hälfte in betriebsfähigem Zustand waren. Die wichtigsten Strecken, Tunnels und Brücken waren jedoch zerstört oder beschädigt. In der britischen Zone waren im Mai 1945 von rund 13.000 Streckenkilometern nur 1.000 befahrbar, in der französischen Zone von 5667 Kilometern nur 500. Die zerstörten Strecken konnten zwar ziemlich schnell wieder instand gesetzt werden, das rollende Material befand sich jedoch zum großen Teil in sehr mangelhaftem Zustand. Hinzu kam, dass die Reparaturbetriebe der Reichsbahn ungünstig verteilt waren (sie lagen überwiegend in der amerikanischen und britischen Zone) und an Materialmangel litten. Im Winter 1946/47, als die Binnenwasserstraßen wegen des Frostes vollständig ausfielen, wurde die Transportkrise vorübergehend zum schlimmsten Engpass der deutschen Wirtschaft überhaupt.
Versorgungsengpässe
Während Frankreich und die Sowjetunion zunächst an der Entnahme von Rohstoffen, Gütern und Ausrüstungen interessiert waren, um ihre eigenen Volkswirtschaften für die Kriegsverluste zu entschädigen, hatten die USA und Großbritannien lebhaftes Interesse am raschen Funktionieren einer bescheidenen Wirtschaft in Deutschland. In London fürchtete man die Verantwortung für ein ökonomisch totes Deutschland, die bei den eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten kaum getragen werden konnte. Churchill sprach es im britischen Unterhaus bereits am 16. April 1945 deutlich aus: "Die deutschen Massen dürfen uns nicht zur Last fallen und erwarten, jahrelang von den Alliierten ernährt, organisiert und erzogen zu werden."
Der ehemalige amerikanische Präsident Herbert Hoover verfasste Anfang 1947 ein Gutachten über die wirtschaftliche Situation Deutschlands, das er der Regierung in Washington nach einer Reise durch Deutschland unterbreitete. Hoovers Grunderkenntnis lautete: "Die Wirtschaft ganz Europas ist durch Austausch von Rohstoffen und Fabrikaten mit der deutschen Wirtschaft verflochten. Die Produktivität Europas kann nicht wiederhergestellt werden, ohne dass ein gesundes Deutschland zu dieser Produktivität beiträgt."
Hoover ging von der Tatsache aus, dass jeder britische und amerikanische Steuerzahler 600 Dollar jährlich nur dafür aufbringen musste, um die Bevölkerung der beiden Besatzungszonen vor dem Hunger zu bewahren. Die Hauptziele der Besatzungspolitik - Entnazifizierung, Ausrottung des Militarismus, Erziehung zur Demokratie, Wiedergutmachung, Verhinderung von Rüstungsproduktion - stellte Hoover keineswegs infrage, er wies aber eindringlich auf die Folgen der Kriegszerstörungen und der territorialen Abtretungen für die friedensmäßige Produktion der deutschen Wirtschaft und die Ernährung der Bevölkerung hin.
Er schätzte, dass alle vier Zonen Deutschlands weniger als 60 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs selbst erzeugen könnten, nicht zuletzt, weil die vom Alliierten Kontrollrat verfügten Demontagen die Erzeugung von Düngemitteln hinderten, und mangels Exportchancen. Der alliierte Industrieplan beschränkte die Industriekapazität auf etwa die Hälfte der Vorkriegsproduktion (1938). Aufgelistet wurde, was nicht oder nur eingeschränkt produziert werden durfte. Hoovers Konzept für eine "neue Wirtschaftspolitik" lautete: Freiheit für die deutsche Industrie, Ende der Demontagen, keine Sonderverwaltung des Ruhrgebietes.
Hoover hatte mit seinen Vorschlägen den Beifall der amerikanischen Steuerzahler auf seiner Seite, denn ihre Dollars mussten auf unabsehbare Zeit für die Unterstützung der deutschen Bevölkerung ausgegeben werden, wenn keine Änderung der wirtschaftlichen Situation Europas erreicht werden konnte.
Die Nationalsozialisten hatten den Krieg mit Hilfe der Notenpresse finanziert. Die Folgen der inflationären Geldvermehrung seit 1936 konnten verschleiert werden durch Preis- und Lohnstop, durch Zwangssparen und durch die Rationierung der Konsumgüter bis zum Ende des Krieges. Umso härter wirkte sich aber der 1945 sichtbar werdende Ruin der deutschen Währung aus: Den 300 Milliarden Reichsmark, die sich nach Kriegsende in Umlauf befanden, stand kaum ein Warenangebot gegenüber.
Schwarzer Markt
Das staatliche Bewirtschaftungssystem des Dritten Reiches, das von den Alliierten beibehalten wurde, zerbröckelte am "Schwarzen Markt". Angesichts der relativen Wertlosigkeit von Geld und Lebensmittelkarten sah sich der "Normalverbraucher" auf Schwarzhändler und Schieber angewiesen, da er auf dem offiziellen Markt des Rationierungssystems das Lebensnotwendige nicht erhielt. Deutschland war ein Land mit drei Währungen geworden: Staatliche Gehälter und Steuern wurden in Reichsmark gezahlt. Seit August 1946 gab es für den Verkehr zwischen alliierten und deutschen Stellen von den Siegermächten gedrucktes Besatzungsgeld, das nicht in Reichsmark umgewechselt werden konnte. Wichtigstes Zahlungsmittel waren aber Zigaretten, für die man auf dem Schwarzen Markt fast alles erhalten konnte.
Deutschland war damit in den archaischen Zustand der Naturalwirtschaft zurückgefallen: Waren konnten nur gegen Waren getauscht werden. Arbeiter waren oft nur drei Tage in der Woche in der Fabrik. An den übrigen Tagen tauschten sie ihren Lohn, der ebenfalls zum Teil aus Waren bestand, gegen Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs ein. "Der größte Teil der Schwarzmarktgeschäfte besteht aus Tauschhandel von Waren aus zweiter Hand, angefangen von alten kostbaren Pelzmänteln bis zu Kochtöpfen und abgelegten Schuhen und Galoschen, gegen Zigaretten, Schokolade, Kartoffeln oder Mehl. In den großen Städten besonders im Westen sind organisierte Tauschmärkte Tag und Nacht geschäftig, auf denen einfach alles gehandelt werden kann, mit Einschluss von Eisenbahnfahrkarten für Fernzüge (für die man Spezialerlaubnis braucht), interzonalen Pässen oder anderen gefälschten Papieren, die zur Erlangung amtlicher Vorteile nützlich sein könnten. Die Menschenmenge in diesen verwüsteten Städten ist ewig auf der Wanderschaft." Der 1933 in die USA emigrierte Publizist und Wirtschaftsfachmann Gustav Stolper hatte nach einer Deutschlandreise im Frühjahr 1947 diese Beobachtungen und Erfahrungen unter dem Titel "German Realities" der amerikanischen Öffentlichkeit vorgelegt.
Grauer Markt
Außer dem Schwarzen Markt gab es, mit Duldung der Besatzungsmächte, den "Grauen Markt" der Kompensationsgeschäfte, ohne den die bescheidene Nachkriegsindustrie nicht funktionierte. Um Rohstoffe für die Produktion oder Material für dringend nötige Reparaturen zu bekommen, wurde ein Teil der produzierten Waren am Bewirtschaftungssystem vorbei umgesetzt und eingetauscht. Am leitenden Personal eines Spinnfaser-Betriebs in Kassel sollte im Frühjahr 1947 ein Exempel statuiert werden. Hausdurchsuchungen bei leitenden Angestellten brachten Textilien (49 Damen-Hüftgürtel, 31 Büstenhalter, einige hundert Meter Stoff) zutage, die als Beweisstücke sichergestellt wurden. 112 Meter Stoff (die der Betrieb gegen Spinnfasern erworben hatte) waren gegen 85 Glühbirnen ausgetauscht worden, die für die Aufrechterhaltung der Produktion benötigt worden waren. Das Gerichtsverfahren, das als Korruptions- und Schiebertribunal aufgezogen wurde, entwickelte sich tatsächlich zu einem in allenvier Besatzungszonen aufmerksam beobachteten Musterprozess, bei dem es um Quoten, Ablieferungssoll, Kontrollen, Behördenmaßnahmen und Strafandrohungen ging.
Sachverständige hatten zu Protokoll gegeben, dass ohne Kompensationsgeschäfte, bei denen Waren gegen Rohstoffe oder andere Waren getauscht wurden, nichts funktioniere, dass das Spinnfaser-Management tatsächlich zum Wohle des Betriebs und der Belegschaft gehandelt habe und dass alle Industriebetriebe in ganz Deutschland so handeln müssten, um zu überleben: "Kompensationen sind das Ventil, ohne das die Mehrzahl der Produktionsbetriebe die beiden letzten Jahre nicht überdauert hätte", schrieb der Berliner Tagesspiegel.
Das Gericht bemühte sich - bei milden Strafen - um ein salomonisches Urteil, in dem der Versuch unternommen wurde, die Grenzen zwischen erlaubten und verbotenen Kompensationsgeschäften zu definieren. Die Situation der deutschen Wirtschaft zur Zeit des Grauen Marktes kam dadurch zum Ausdruck, dass die amerikanische Besatzungsmacht in solch einem Prozess - in Einklang mit den drei anderen Alliierten - mit Hilfe deutscher Gerichte und Behörden zu klären versuchte, ob die Kompensationswirtschaft unterbunden werden müsse oder toleriert werden dürfe. Eigenartig war auch, dass die Rechtsgrundlage des Musterprozesses die nationalsozialistische Kriegswirtschaftsverordnung von 1939 war.
Außenhandel
Die deutsche Wirtschaft war vor dem Krieg in hohem Maß vom Außenhandel abhängig gewesen. Nach den Gebietsverlusten im Osten (25 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche des Deutschen Reiches) war die Selbstversorgung Deutschlands - eines der Ziele der alliierten Politik - ohne Außenhandel unmöglich, geschweige denn die Gesundung einer Volkswirtschaft, die den Deutschen einen bestimmten, noch festzulegenden Lebensstandard ermöglichen sollte.
Es gab zwar eine Außenhandelsbilanz der Besatzungszonen (mit einem Anteil von Kohle in der amerikanischen und britischen Zone von 97 Prozent im Jahr 1945 und 77 Prozent im Jahr 1946). In der Importstatistik Frankreichs nahm die französische Zone in den Nachkriegsjahren den ersten Platz ein. Diese Ausfuhren gingen aber aufs Konto der Reparationen oder waren Besatzungskosten. Die Außenhandelsbeziehungen waren auch nicht Sache der Deutschen, da jegliche Verbindung mit dem Ausland laut Kontrollratsbeschluss verboten und Devisen streng bewirtschaftet waren. Selbst der Handel zwischen den einzelnen Besatzungszonen hatte Exportcharakter und wurde von den Militärregierungen abgewickelt.
Es waren Hoheitsakte alliierter Behörden ohne deutsche Beteiligung. Typisch ist folgendes Beispiel, lesebuchreif formuliert im Frühjahr 1948: "Eine Remscheider Firma hatte ihren ersten Auslandsauftrag auszuführen: Lieferungen von Ersatzteilen im Werte von 700 Mark nach Belgien. 78 Schriftstücke waren vorher auszufüllen. Dann gingen die Ersatzteile auf der Strecke Aachen - Verviers verloren." (Zitiert aus: Frankfurter Hefte 3, 1948, S. 400.)
Fritz Baade, der Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, sprach im Juli 1948 von drei Blockaderingen, die durchbrochen werden müssten, um die Grundlagen einer normalen Wirtschaft zu erreichen - JEIA (Joint Export Import Agency der britisch-amerikanischen Besatzungszone), Demontage und zwangsweiser Export von Rohstoffen aus Deutschland: "Alle drei zusammen brächten uns einen materiellen Schaden, den man vielleicht doppelt so hoch ansetzen könnte wie die Summe der für uns bestimmten Mittel aus der Marshall-Hilfe zuzüglich der weiteren Dollarmillionen aus dem Budget der US-Army."
Gesellschaftsprobleme
Die Gesellschaft der Nachkriegszeit war nicht nur durch den Verlust von Werten charakterisiert, an die man kurz zuvor noch geglaubt hatte. Die Eliten des Hitler-Staates hatten Selbstmord begangen, waren geflohen, saßen im Gefängnis oder im Internierungslager. Im Straßenbild der Dörfer und Städte waren, neben Zerstörungen, die Kriegsversehrten ebenso ein gewohnter Anblick wie Frauen, die bei der Beseitigung von Trümmern wie in der Verwaltung, im öffentlichen Leben und in Betrieben die Stellen von Männern eingenommen hatten. Dies alles fiel niemandem mehr auf.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs befanden sich mehr als acht Millionen Deutsche als Kriegsgefangene im Gewahrsam der Siegermächte. Im ersten Jahr nach Kriegsende wurden fünf Millionen von ihnen entlassen. Neben zahlreichen Todesopfern gab es außerdem eine große Anzahl von Vermissten, deren Verbleib nicht mehr geklärt werden konnte. Weit über 1,5 Millionen solcher Schicksale ehemaliger Wehrmachtsangehöriger verzeichneten die Statistiken. 1950 sprach man von 1,3 Millionen Vermissten im Osten und 100.000 Vermissten im Westen, der Suchdienst des Roten Kreuzes hat 1,086 Millionen deutsche Soldaten schließlich für tot erklärt. Hinter den Zahlen stehen die Schicksale zerstörter Familien, das Leid von Kriegerwitwen und Kriegswaisen.
Zum Kriegsgefangenenproblem gehörte auch die Verständigung der Alliierten darüber, dass ein Teil der deutschen Kriegsgefangenen zum Wiederaufbau und zur Wiedergutmachung angerichteten Schadens eingesetzt werden sollte. Aufgrund dieser Verabredung übergaben Amerikaner und Briten etwa eine Million Gefangene an Frankreich. In Lagern der Sowjetunion wurden deutsche Kriegsgefangene bis 1956 als Arbeitskräfte festgehalten.
Integration der Flüchtlinge
Das größte Problem war der Strom der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, der sich aus den abgetrennten Ostgebieten und aus Ost-Mitteleuropa in das verkleinerte und vierfach geteilte Deutschland ergoss. Ende Oktober 1946 wurden in den vier Besatzungszonen über 9,6 Millionen Heimatvertriebene gezählt. Die britische Zone hatte am 1. April 1947 einen Bevölkerungszuwachs von 3,67 Millionen (oder 18 Prozent) gegenüber 19,8 Millionen Einwohnern im Jahre 1939 zu verzeichnen. Die Einwohnerzahl der US-Zone vergrößerte sich um 3,25 Millionen (23 Prozent), die der sowjetischen Zone um 3,16 Millionen (16 Prozent). Die französische Zone nahm dagegen nur wenige Flüchtlinge widerwillig auf. Bei der Volkszählung im September 1950 hatte sich die Zahl der Einwohner dennoch um mehr als zwei Millionen erhöht. Die Gesamtbilanz nennt schließlich über 16 Millionen Menschen, die nach dem Ende der NS-Herrschaft das Schicksal von Flucht und Vertreibung traf und die in der Bundesrepublik sowie in der DDR eine neue Heimat fanden. Den größten Anteil mussten die Agrarländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern tragen, weil dort die Ernährung und Unterbringung eher möglich waren als in den Industriegebieten. Aber auch in Nordrhein-Westfalen gehörten von 100 Einwohnern 13 in die Kategorie der "Entwurzelten", wie Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte amtlich genannt wurden.
Zunächst wurden sie als Fremde, als Störende des häuslichen Friedens, als unerwünschte arme Leute mit ungewohnten Sitten und Gebräuchen empfunden. Die Einheimischen ließen die Vertriebenen das Fremdsein spüren. Und die sozialen Probleme schienen kaum lösbar. Die Vertriebenen suchten Wohnung und Arbeit, Entschädigung für erlittene Verluste und Unterstützung in existenzieller Not. Die Besatzungsbehörden erwarteten die möglichst reibungslose Integration der neuen Bürgerinnen und Bürger. Sie untersagten ihnen deshalb den Zusammenschluss in eigenen politischen Organisationen und veranlassten die zuständigen Länderregierungen zum Erlass von Sozialgesetzen zugunsten der "Flüchtlinge".
Die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge ist als eine der großen gesellschaftlichen Leistungen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg anzusehen. Als ein mögliches Indiz für die weit gehende Eingliederung der Vertriebenen in ihre neue Heimat ist vielfach der allmähliche relative Bedeutungsverlust angesehen worden, den im Laufe der historischen Entwicklung der Bundesrepublik die Interessenverbände der Vertriebenen und die 1949 (nach dem Ende des Lizenzzwanges) gegründete Flüchtlingspartei "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) erfuhren.
Das war noch nicht absehbar gewesen, als im August 1950 "im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen" die Sprecher der Landsmannschaften und die Spitzen der Vertriebenenverbände die "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" formulierten. In der Stuttgarter Kundgebung, bei der die Charta unter feierlichem Verzicht auf Rache und Vergeltung verkündet wurde, war auch das "Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit" postuliert worden.
Die Integrationsleistung der Sowjetischen Besatzungszone stand den Anstrengungen und dem Erfolg der Flüchtlings- und Vertriebenenpolitik in den Westzonen nicht wesentlich nach. Freilich bestand dort ein Teil der Lösung auch in der Tabuisierung des Problems, denn es war grundsätzlich und ausschließlich nur von "Umsiedlern" die Rede und landsmannschaftliche Zusammenschlüsse wie in den Westzonen waren erst gar nicht erlaubt.
Entwicklung in der SBZ
Die sowjetische Besatzungszone (SBZ) nahm frühzeitig eine Entwicklung, die sich von den Westzonen unterschied. Das begann mit der Reparationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht, die unmittelbar nach Kriegsende mit Beutezügen und Demontagen einsetzte. Allein in Sachsen wurden bis Mitte 1948 etwa 1.000 Betriebe demontiert und dabei 250.000 Maschinen abtransportiert. Bis März 1947 waren in der Ostzone 11 800 Kilometer Schienen abgebaut worden. Das Eisenbahnsystem verlor mit entsprechenden Wirkungen auf die Transportleistung fast überall das zweite Gleis. Auch die Entnahmen aus der laufenden Produktion waren ungleich höher als in den Westzonen. Lieferungen aus der Ostzone im Wert von sieben Milliarden US-Dollar während der ganzen Besatzungszeit standen lediglich 0,13 Milliarden aus den drei Westzonen gegenüber. Der Wert der Demontagen belief sich im Osten auf 2,6 Milliarden Dollar, im Westen auf 0,6 Milliarden.
Auch auf anderen Gebieten wurden in der SBZ die Weichen frühzeitig anders gestellt als im Westen. Die sowjetische Besatzungsmacht entwickelte auf ihrem Territorium neue soziale und politische Strukturen und wollte eine "neue Gesellschaft" formieren. Das hieß zunächst "antifaschistisch-demokratische Umwälzung" und zielte auf eine "Revolution der gesellschaftlichen und politischen Zustände", ein Prozess, der schließlich als "Transformation" in die Stalinisierung am Ende der Besatzungszeit mündete.
Die Sowjetische Militäradministration war die treibende Kraft dieser Entwicklung, forcierte die Veränderungen und schrieb deren Ergebnisse fest. So wurde im öffentlichen Dienst schon 1945 das Berufsbeamtentum abgeschafft. In der Justizreform von 1946 wurden mehr als 85 Prozent der Richter und Staatsanwälte im Zuge der Entnazifizierung entlassen und durch im Schnellverfahren ausgebildete "Volksrichter" unter ideologischer Dominanz der KPD ersetzt. Gleichzeitig wurde der gesamte Justizapparat zentralisiert. Der KPD wurde auch beherrschender Einfluss in den im Juli 1945 von der sowjetischen Militärregierung gebildeten Zentralverwaltungen (für Volksbildung, Finanzen, Arbeit und Sozialfürsorge sowie für Landwirtschaft) zugestanden.
Damit waren frühzeitig Bastionen besetzt, die beim Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend waren. Als erstes wurde ab September 1945 unter der Devise "Junkerland in Bauernhand" Großgrundbesitz enteignet. Die Bodenreform umfasste 35 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der SBZ; in den neu gebildeten "Bodenfonds" kamen 2,5 Millionen Hektar Land von 7.000 Großgrundbesitzern sowie 600.000 Hektar aus dem Besitz ehemaliger NS-Führer und aus Staatsbesitz.
Die Maßnahme fand grundsätzlich den Beifall aller Parteien, allerdings wollte die Ost-CDU keine Enteignung ohne Entschädigung. Darüber kam es zur Parteikrise, in der die Vorsitzenden Andreas Hermes und Walther Schreiber von der Sowjetischen Militäradministration im Dezember 1945 abgesetzt wurden. Ohne die Reformen als kommunistisch oder sozialistisch zu bezeichnen - offen deklarierter "sozialistischer Aufbau" erschien auch der KPD und den Sowjets noch nicht möglich -, wurde die Notwendigkeit einer Planwirtschaft festgestellt und damit die künftige Staatswirtschaft vorbereitet.
Die Industriereform, eingeleitet im Oktober 1945, war ein weiterer Schritt in diese Richtung, bei der das Eigentum von Staat, Wehrmacht, NSDAP und "Kriegsverbrechern" beschlagnahmt wurde. In Sachsen wurde am 30. Juni 1946 ein Volksbegehren "zur Enteignung der Kriegsverbrecher und Nazis" angesetzt, bei dem sich 67,6 Prozent der befragten Bevölkerung für die Enteignung aussprachen und damit den Weg zur Verstaatlichung der Schwer- und Schlüsselindustrie freimachten.
In der ganzen übrigen Sowjetzone machte - ohne Plebiszit - das sächsische Modell Schule. Schon zu Beginn der Besatzung wurden mit diesen Maßnahmen in der sowjetischen Zone entscheidende Veränderungen eingeleitet, durch die sich die Ostzone zunehmend von den Westzonen unterschied.