Einleitung
Die Städte und Gemeinden spielten im Dritten Reich eine wichtige Rolle, hatten sie doch als untere Verwaltungsbehörden die NS-Politik auf kommunaler Ebene umzusetzen. Die Kommunalverwaltungen standen in engem Kontakt mit der Bevölkerung und erfuhren deren Reaktionen - zustimmender wie ablehnender Art - unmittelbarer als jede andere Behörde. Aus Sicht des Regimes erfüllten sie eine wichtige Funktion: Für den Durchhaltewillen und die Moral der Bevölkerung ist zum Beispiel die Bedeutung des kommunalen Krisenmanagements nach Bombenangriffen kaum zu überschätzen.
Aufgrund ihrer integrativen Funktion waren die Kommunen auch in die NS-Verfolgungspolitik involviert - sonst wäre diese nicht so "effektiv" durchzusetzen gewesen. Es gibt wohl kaum eine Verfolgungsmaßnahme, bei der kommunale Stellen nicht einbezogen oder wenigstens darüber unterrichtet gewesen wären. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass die Mitwirkung der Kommunen an der NS-Verfolgungspolitik lange Zeit wenig beachtet wurde. Lokalgeschichtliche Abhandlungen beschränken sich häufig auf die "Gleichschaltung" der Rathäuser und brechen danach ab. Im vergangenen Jahr ist die erste Untersuchung erschienen, die am Beispiel Hannovers die Beteiligung einer Kommune an der NS-Verfolgungspolitik von 1933 bis 1945 umfassend untersucht.
Die Ergebnisse zeigen: Die Städte und Gemeinden waren stärker in die Verfolgungspolitik einbezogen als bislang angenommen. Sie entließen Mitarbeiter aus rassischen und politischen Gründen. Sie wirkten an der Judenverfolgung und an Deportationen mit, "arisierten" Kunstgegenstände, private Bibliotheken, Gold- und Silbergegenstände sowie Immobilien. Die kommunalen Gesundheitsämter sorgten für die massenhafte Sterilisierung von "Erbkranken". Die Stadtverwaltungen vertrieben Sinti und Roma aus ihren Wohnungen und verfolgten sie. Die städtischen Bauämter beschäftigten in großer Zahl Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Besonders bemerkenswert ist, dass die kommunalen Beamten und Angestellten ihre Handlungsspielräume häufig nicht im Sinne der Opfer nutzten, sondern immer wieder über Direktiven "von oben" hinausgingen bzw. sogar Verfolgungsmaßnahmen aus eigenem Antrieb ersannen. Auf dem Gebiet der Verfolgungspolitik lassen sich keine nennenswerten Gegensätze zwischen den Kommunen und den örtlichen Parteistellen ausmachen, die sich ansonsten heftige Konflikte lieferten. Daher muss das Bild von einem Gegensatz zwischen der "alten Bürokratie" und der neuen NSDAP-Bürokratie, wie es in der älteren Literatur entwickelt wurde, in Frage gestellt werden.
Gegensatz von Staat und Partei?
Die Rolle der Beamtenschaft im Dritten Reich wurde Mitte der 1960er Jahre von Hans Mommsen erstmals systematisch untersucht. Mommsen zeigte in seinem Standardwerk, dass es sich beim NS-Staat um "kein monolithisch strukturiertes, von einheitlichem politischen Wollen durchströmtes Herrschaftsgebilde" handelte.
Mommsen wies nach, dass der Beamtenapparat - trotz Durchführung des Berufsbeamtengesetzes - im Kern unangetastet geblieben war, und verwies auf die gemeinsamen Interessen, die Hitler und das traditionelle Beamtentum verbunden hatten.
Die Fokussierung auf die Auseinandersetzungen zwischen Partei und Staat brachte jedoch das Problem mit sich, dass die traditionelle Bürokratie stets als gemäßigteres Element gegenüber einer vermeintlich radikaleren Parteibürokratie erschien. Die Beamtenschaft wurde bei Mommsen als passives Element beschrieben, dessen Kompetenzen durch den Parteiapparat "ausgehöhlt" worden seien und das sich einer "fortschreitenden Zersetzung des Staatsapparates" ausgesetzt gesehen habe. So erschien das Beamtentum ganz überwiegend als Opfer der Nationalsozialisten. Indem Mommsen die Geschichte des Beamtentums im Dritten Reich als "Geschichte seiner inneren und äußeren Selbstbehauptung" charakterisierte, reproduzierte er letztlich die Selbstsicht der Beamtenschaft auf das Regime.
Unbeachtet blieb das eigentliche Handeln von Verwaltungsbeamten, die bei der Durchführung zahlreicher Verbrechen mitgewirkt hatten. Zwar war nach dem damaligen Forschungsstand die Beteiligung der Beamtenschaft noch nicht im vollen Ausmaß bekannt, doch erste Untersuchungen waren bereits veröffentlicht.
Die Studien zur Kommunalverwaltung im Dritten Reich orientierten sich fortan in Anlehnung an Mommsens Beamtenstudie am Dualismus-Paradigma. Horst Matzerath ging 1970 der Frage nach, ob die kommunale Selbstverwaltung im Nationalsozialismus Bestand gehabt habe.
Nach dem heutigen Forschungsstand erscheint diese Gegenüberstellung als zu stark, denn zur "sachgebundenen Aufgabenerfüllung" des Deutschen Gemeindetages gehörte unter anderem die Koordinierung des staatlichen Raubes von Schmuck, Gold und Silber aus jüdischem Eigentum im Frühjahr 1939.
Radikalisierung von unten: das Beispiel Hannover
Neue Anstöße für die Forschung hat Wolf Gruner Ende der 1990er Jahre gegeben.
Die Fallstudie aus Hannover bestätigt Gruners Thesen auf ganzer Linie. Bei dieser Stadtverwaltung handelte es sich um eine traditionelle Verwaltung, in der bis 1937 der konservative Oberbürgermeister Arthur Menge das Selbstverständnis der meisten Beamten prägte. Er war seit 1925 im Amt und trat nie in die NSDAP ein. Während in den meisten Kommunen die Oberbürgermeister rasch ausgetauscht wurden, stand Menge in Hannover - ähnlich wie Carl Friedrich Goerdeler in Leipzig - auch nach 1933 für Kontinuität. Das Verhältnis der Kommunalverwaltung zur NSDAP war denkbar schlecht, so dass Menge 1937 als Oberbürgermeister nicht wieder antreten durfte. Doch auch mit seinem Nachfolger, einem Parteimitglied, war die NSDAP unzufrieden, so dass er vorzeitig gehen musste. Im November 1941 schrieb die Gauleitung an das Hauptamt für Kommunalpolitik: "Ich hoffe zuversichtlich, dass die vom Gauleiter eingeleiteten Schritte eine Erneuerung der Stadtverwaltung an Haupt und Gliedern und damit auch die Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Partei und Stadtverwaltung zur Folge haben werden, das hier leider noch niemals bestanden hat."
Trotz habitueller Distanz zur NSDAP und konservativem Selbstverständnis - auf dem Feld der Verfolgungspolitik war die Stadtverwaltung Hannover kein Sonderfall. Sie gleicht einem Mikrokosmos des Regimes, in dem beobachtet werden kann, wie sich das Deutsche Reich nach 1933 vom Rechtsstaat zu einem "Doppelstaat" (Ernst Fraenkel) veränderte.
Erb- und Rassenpflege: Auf der Basis der zentralen, reichsweit gültigen Erb- und Rassengesetzgebung gründete die Stadtverwaltung Hannover 1935 ein Gesundheitsamt und eröffnete dort eine Abteilung Erb- und Rassenpflege.
Judenverfolgung: In allen Phasen des Dritten Reichs spielte die Stadtverwaltung Hannover bei der Judenverfolgung eine aktive Rolle.
Nach dem Judenpogrom im November 1938 separierten die Kommunen die Juden in der Fürsorge und im Wohnbereich von der übrigen Bevölkerung. Außerdem wurden sie zur Abgabe sämtlicher Gold- und Silbergegenstände gezwungen. Wie überall im Reich war es auch in Hannover die Stadtverwaltung, die die Juden dazu ins städtische Leihamt bestellte. Doch sie beließ es nicht bei der Durchführung des staatlichen Raubes, sondern versuchte darüber hinaus, zu profitieren: Oberbürgermeister Henricus Haltenhoff, Menges Nachfolger, kaufte 1940 zu günstigen Preisen Gegenstände aus dem beschlagnahmten Gut an, um das Ratssilber um 142 Stücke zu ergänzen. Die Kommune betrieb eine eigenständige "Arisierungspolitik": Sie erwarb zwischen 1933 und 1945 zu unlauteren Bedingungen über hundert bebaute und unbebaute Grundstücke von Juden, wofür sie knapp drei Millionen RM ausgab. Sie nutzte die Notlage wohlhabender jüdischer Einwohner aus, um Kunstsammlungen in städtische Museen zu überführen und eine Privatbibliothek in das Magazin der Stadtbibliothek einzugliedern. Mit den freiwilligen Kaufgeschäften dokumentierte sie indirekt ihre zustimmende Haltung zur Verfolgungspolitik. Die spektakulärste Radikalisierung durch die Stadtverwaltung geschah im September 1941, als die Kommune auf Druck der NSDAP-Gauleitung die noch nicht zusammengefassten Juden gewaltsam aus ihren Häusern trieb und in "Judenhäusern" einquartierte: Ohne rechtstechnische Grundlage "verwertete" die Stadtverwaltung das beschlagnahmte Mobiliar und wurde dafür von der zuständigen Oberfinanzdirektion gerügt.
Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene: Zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur während des Bombenkrieges nutzten die Stadtverwaltungen die Möglichkeit, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene einzusetzen. Allein die Stadtverwaltung Hannover betrieb zeitweise 22 Lager und beschäftigte zu Spitzenzeiten bis zu 9 000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.
Für das Funktionieren des lokalen Systems der Zwangsarbeit waren die Stadtverwaltungen unverzichtbar: Sie beschäftigten nicht nur eigene Zwangsarbeiter, sondern die kommunalen Wirtschafts- und Ernährungsämter und die Gesundheitsämter waren für alle Arbeiter und Gefangenen im Stadtgebiet zuständig, also auch für die in der Industrie eingesetzten Kräfte. Die städtischen Desinfektionsanstalten entlausten in großer Zahl Gefangene, die sich "auf Transport" befanden. Die Stadtbauräte waren als "Leiter der Sofortmaßnahmen" nach Bombenangriffen zentrale Figuren beim Kriegsgefangeneneinsatz, ihre Kompetenzen reichten weit über den Bereich der Stadtverwaltungen hinaus. Solange ihre Interessen gewahrt blieben, übernahmen die Stadtverwaltungen diese Tätigkeiten ohne Protest. Allerdings zeigten sie kein Interesse an Maßnahmen, die sich für sie nicht auszahlten. So wehrte sich die Stadtverwaltung Hannover dagegen, tausende von Gefangenen aus den Durchgangslagern zu entlausen, die nicht im Stadtgebiet verblieben. Sie hatte auch kein Interesse daran, zur langfristigen Eindämmung "volksbiologischer Gefahren" Bordelle für Ausländer einzurichten. Die Behandlung der Ausländer folgte einem rassenideologisch ausgerichteten Regelwerk, das von unterschiedlichen Verpflegungs- und Versorgungssätzenbis zur Separierung von Kranken nach Rassenzugehörigkeit reichte. Die städtischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter wurden zu gefährlichen Arbeiten, etwa zur Entschärfung von Bomben, eingeteilt. Stadtverwaltungen wie Köln kooperierten zu diesem Zweck sogar mit der SS, um KZ-Häftlinge dafür zu rekrutieren.
Bilanz und Forschungsdesiderate
Die Ergebnisse der Fallstudie bestätigen Gruners These von der "wechselseitigen Dynamisierung von zentraler und lokaler Ebene". Dass sein Befund am Beispiel von Hannover verifiziert werden konnte, ist besonders aussagekräftig, weil die dortige Kommunalverwaltung im Vergleich mit anderen Städten weniger nazifiziert war. Doch selbst diese Verwaltung mit konservativem Selbstverständnis und mit Distanz zur NSDAP radikalisierte die Politik der NS-Regierung, auch wenn Städte wie Frankfurt am Main oder München etwa bei der "Arisierung" noch schärfer vorgingen.
Die NS-Verfolgungspolitik durch die Kommunen ist noch immer nur unzureichend erforscht. Für die Lokalgeschichtsschreibung tut sich hier ein weites Forschungsfeld auf, wie allein am Beispiel der Edelmetallabgabe für Juden gezeigt werden kann: Diese zentrale, organisatorisch aufwändige Verfolgungsmaßnahme wurde nicht von der Partei oder der Gestapo, sondern von den Kommunen ausgeführt. In rund 60 kommunalen Pfandleihanstalten im Reich wurden so genannte öffentliche Ankaufstellen eingerichtet, in denen Verwaltungsmitarbeiter die abgegebenen Gegenstände registrierten, ihren Wert abschätzten, den Juden eine geringe Entschädigung dafür auszahlten, die Gegenstände einschmelzen ließen, versteigerten oder an eine zentrale Stelle nach Berlin weiterleiteten. Die Leihämter schickten insgesamt 135 Tonnen Silber und 1,3 Tonnen Gold an die Schmelzanstalten.
Auch andere Verfolgungsfelder fehlen in vielen lokalgeschichtlichen Darstellungen. Letztlich ließe sich über die erwähnten Beispiele hinaus anhand jedes beliebigen kommunalen Amtes die Mitwirkung der Städte an der NS-Verfolgungspolitik dokumentieren:
Die Personalämter entließen nach dem Berufsbeamtengesetz Mitarbeiter aus politischen und rassischen Gründen.
Die Sportämter beschlagnahmten die Sportanlagen von jüdischen Vereinen und der Arbeiterbewegung.
Die Gartenverwaltungen vertrieben Juden aus den öffentlichen Grünanlagen.
Die Statistischen Ämter ermittelten die Anzahl von Juden und "Mischlingen" im Stadtgebiet in Zusammenarbeit mit der Geheimen Staatspolizei.
Die Einwohnerämter führten Suchkarten des Gesundheitsamtes für Geschlechtskranke.
Die Wohlfahrtsämter lieferten Informationen in Sterilisations- sowie Ehegesetzgebungsverfahren und waren an der Verfolgung von "Asozialen" beteiligt.
Die Standesämter arbeiteten bei der Umsetzung der Ehegesetzgebung mit den Gesundheitsämtern Hand in Hand.
Die Stadtarchive lieferten Material zur "Sippenforschung".
Die Schulämter gaben Beurteilungen von Hilfsschülern zur Verwendung in Sterilisationsverfahren weiter und schlossen jüdische Kinder vom Unterricht aus.
Die Wohnungsämter vertrieben Juden, Sinti und Roma aus ihren Wohnungen und bereiteten Deportationen vor.
Die Fürsorgebehörden schlossen Juden von Sozialleistungen aus.
Die Oberbürgermeister genehmigten in vielen Kommunen die "Arisierungen" von Einzelhandelsgeschäften.
Die Grundstücksämter kauften Immobilien von jüdischen Eigentümern, die auswandern mussten oder deportiert wurden.
Die Kämmereien verbuchten das "arisierte" Vermögen in den städtischen Haushalten.
Die Bauämter organisierten die städtischen Kriegsgefangeneneinsätze.
Die Wirtschafts- und Ernährungsämter waren für die Lebensmittelrationierung für sämtliche Einwohner zuständig - inklusive der Juden sowie der Insassen in Gefängnissen, Gefangenen- und Konzentrationslagern. Kaum eine Behörde verfügte über einen solch umfassenden Überblick über das NS-Lagersystem.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Den Kommunen bleibt viel Arbeit, wenn sie ihre Mitwirkung an der NS-Verfolgungspolitik aufarbeiten wollen.