Im April 1933 traten der Journalist und spätere SS-Untersturmführer Leopold von Mildenstein und der Berliner Zionist Kurt Tuchler gemeinsam mit ihren Gattinnen eine Reise nach Palästina an. Grund der Fahrt war die Absicht Tuchlers, dem Nationalsozialisten von Mildenstein den Aufbau der "nationalen Heimstätte"
Die Artikelserie "Ein Nazi fährt nach Palästina"
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Die Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD), als deren Vertreter Tuchler reiste, versuchte zu diesem Zeitpunkt, mit dem nationalsozialistischen Regime eine Übereinkunft zu finden, die die jüdische Auswanderung nach Palästina fördern sollte. Ziel war es, die sogenannten Edelnazis, jene Partei- und Regierungsmitglieder, die den „Pöbelantisemitismus“ der Wochenzeitung „Der Stürmer“ und der Sturmabteilung (SA) der NSDAP ablehnten und eine rationale „Lösung der Judenfrage“ suchten, von der zionistischen Option der Emigration zu überzeugen.
Von Mildenstein sollte durch seine Palästinareise drei grundsätzliche Fragen klären: „Welche Zukunft hat dieses Land? Welche Chancen hat der Zionismus im unruhigen Orient? Ist hier die Lösung der Judenfrage gefunden?“
Der Reisebericht wurde im Vorfeld heftig beworben. Das Parteiorgan der NSDAP, der „Völkische Beobachter“, veröffentlichte mehrere mit Bildern versehene Inserate, und „Der Angriff“ selbst schenkte seinen Abonnenten anlässlich des Erscheinens eine eigens dafür geprägte Medaille, die neben dem Titel der Artikelserie Hakenkreuz und Davidstern zeigte.
Die „neuen “Juden
Bei der Abreise mit dem Zug in Prag trafen von Mildenstein und seine Mitreisenden auf eine Gruppe junger jüdischer Pioniere, die unter lauten „Shalom“-Rufen ebenfalls die Fahrt nach Palästina antraten. Von Mildenstein beobachtete sie und entdeckte "etwas neues in ihrem Wesen. etwas hebt ihre Schultern, läßt sie den gesenkten Ghettoblick heben. Sie fahren nach 'Erez Israel', in 'ihr Land'".
Nach der Ankunft im Hafen von Haifa fuhren von Mildenstein, seine Frau und das Ehepaar Tuchler mit einem aus Deutschland mitgebrachten Auto nach Tel Aviv, der ersten von palästinensischen Zionisten gegründeten Stadt. "Hier wohnen nur Juden, hier arbeiten nur Juden, hier handeln, baden und tanzen nur Juden"
Leopold von Mildenstein in Palästina (1933). (© zero one film)
Leopold von Mildenstein in Palästina (1933). (© zero one film)
Immer wieder betonte von Mildenstein in seinen Artikeln den Fleiß und die Tatkraft der jüdischen Pioniere, obwohl Juden von Antisemiten generell ein Unwille zu körperlicher Arbeit unterstellt wurde. In der Jesreel-Ebene etwa bewunderte von Mildenstein die Leistung der Siedler, die innerhalb weniger Jahre die Sümpfe in fruchtbares Land verwandelt hatten. Der Leiter des Kibbuz Gewa, ein russischer Jude namens Gurion, erläuterte, dass das gemeinschaftliche Leben im Kibbuz den Mitgliedern soziale Absicherung bot und die Arbeitsabläufe effizienter machte. In der folgenden Diskussion kam von Mildenstein auf das Thema Geld zu sprechen, das für ihn untrennbar mit dem antisemitischen Klischee des raffgierigen Juden verbunden war. Er fragte Gurion, ob man nicht in der ständigen Versuchung sei, in die Städte zu gehen, um Geld zu verdienen. Gurion gab ihm darauf eine Antwort, die ihn für von Mildenstein zum Prototyp des "neuen Juden" werden ließ: "Wir wissen, daß wir unser Vaterland bauen und daß es nur gebaut werden kann, wenn jeder mit dem geringsten zufrieden ist. Wir kriegen unsere neue Heimat nicht geschenkt, wir müssen sie erarbeiten."
"Arabische Düfte"
Von Mildensteins Beschreibung der arabischen Bevölkerung Palästinas fällt hingegen anders aus. Als die Gruppe nördlich von Tel Aviv eine Autopanne hatte, musste sie ihren Weg mit einem Bus fortsetzen, in dem hauptsächlich arabische Palästinenser reisten: "Einige Weiber sitzen mir gegenüber. Die ganz alten sind nicht mehr verschleiert, obwohl man es denen gerade wünschen würde [...] dazu diese schmutzigen Kinder. [...]. Der Wagen schaukelt erbärmlich. Ein kleines Mädchen wird 'autokrank'. Es waren schon vorher arabische Düfte, die uns umschwebten, aber jetzt wird’s zuviel. Auch wir hängen die Köpfe zum Fenster hinaus."
Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass von Mildenstein die arabischen Palästinenser oft mit Eigenschaften beschrieb, die Antisemiten Juden zuwiesen. Zum Beispiel die Geldgier der Kofferträger in Haifa, die schmutzigen Bettler in der Jerusalemer Altstadt sowie die Rückständigkeit der Fellachen, die in Häusern lebten, die aus mit Sand gefüllten Benzinkanistern bestanden - Darstellungen, die den antisemitischen Vorstellungen über das Leben der Juden in den Schtetln Osteuropas ähnelten.
Das Scheitern der zionistischen Option
Durch seine Artikelserie zog von Mildenstein die Aufmerksamkeit Reinhard Heydrichs auf sich, dem Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS (SD). Heydrich beauftragte ihn 1935, die Abteilung II/112, das "Judenreferat", beim SD aufzubauen. Dies bot von Mildenstein die Möglichkeit, seine politischen Ziele mit mehr Nachdruck zu verfolgen. Kern dieser Politik war, die Ausbreitung des zionistischen Einflusses unter den deutschen Juden mit der Absicht zu unterstützen, die Ausreiseunwilligen von der Emigration nach Palästina zu überzeugen.
Nach nur zehn Monaten beim SD wechselte von Mildenstein allerdings als Referent in das Reichspropagandaministerium. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon Anzeichen, dass von Mildensteins Politik gescheitert war. Die Zahl der jüdischen Emigranten nahm ab statt zu. Innerhalb des SD wurden erste Stimmen laut, die davor warnten, durch die Emigration würde ein mächtiger, Deutschland feindlich gesinnter, jüdischer Staat in Palästina entstehen. Auch von Mildensteins Palästina-Reise geriet in die Kritik. Denn das Bild, das er im "Angriff" vom zionistischen Aufbau in Palästina gezeichnet hatte, war durchweg positiv. Beeindruckt vom Idealismus und Willen der jüdischen Siedler war er sich sicher, in der Auswanderung nach Palästina einen Weg gefunden zu haben, "wie eine Jahrhunderte alte Wunde im Körper der Welt heilen könnte: das Judenproblem."
1938, vier Jahre nach Erscheinen der Artikelserie, veröffentlichte Leopold von Mildenstein das Buch "Rings um das brennende Land am Jordan", auf das sich sein Nachfolger im Judenreferat bezog (s. FN 9).
1938, vier Jahre nach Erscheinen der Artikelserie, veröffentlichte Leopold von Mildenstein das Buch "Rings um das brennende Land am Jordan", auf das sich sein Nachfolger im Judenreferat bezog (s. FN 9).
Von Mildensteins Nachfolger als Leiter des "Judenreferats", Herbert Hagen, urteilte über dessen Reisebericht, der 1938 als Buch erschien, er bewege sich: "an keiner Stelle über den Durchschnitt einer Reisedarstellung hinaus und gibt auch keine neuen Hinweise über die politische Konstellation im Vorderen Orient."
Zwar förderte das NS-Regime in den ersten Jahren nach der Machtübernahme, zum Beispiel durch das Haavara-Transfer-Abkommen, die Anstrengungen der Zionisten, Juden zur Emigration nach Palästina zu ermutigen. Jedoch kam es dadurch nicht zur gewünschten massenhaften Abwanderung. Vielmehr prägten Ausgrenzung, gewaltsame Vertreibung und schließlich die systematische Ermordung die nationalsozialistische Judenpolitik.
geb. 1965, Studium der Geschichte und Neueren Englischen und Amerikanischen Literatur an den Universitäten Konstanz und Bristol, Veröffentlichungen zum Zionismus, u.a. "Die kaiserliche Palästinareise 1898. Theodor Herzl, Großherzog Friedrich I. von Baden und ein deutsches Protektorat in Palästina" (1998).