Sie sind in Frankfurt am Main geboren, haben in Israel studiert und leben heute in Paris. Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Gila Lustiger: Überall, in Frankfurt, Paris und Tel Aviv. Ich lebe zwischen vielen Ländern. Heute muss man sich nicht mehr für ein Land entscheiden.
Was bedeutet Ihnen Israel?
Gila Lustiger: Mein Großvater gehörte zur Gründergeneration. Er hat den Kibbutz Bet-Alfa mitgegründet. Ich bin mit den ganzen Gründungsmythen und mit den Liedern des Shomer Hazair, also der linken sozialistischen Arbeiterbewegung aufgewachsen. Ich kenne die ganzen Lieder der Internationale, der israelischen Kommunisten auswendig, das hat mir alles mein Opa beigebracht. Ich bin mit den ganzen Mythen, Geschichten und Erzählungen aus Tel Aviv aufgewachsen, allerdings in Deutschland.
Israel ist das Land meiner Mutter, sie ist 1936 in Palästina zur Zeit des britischen Mandats zur Welt gekommen. 1948 wurde sie dann Israelin. Mein Vater ist deutscher Jude, er kam nach dem Krieg als Journalist nach Tel Aviv. Meine Mutter war damals junge Offizierin in der Luftwaffe unter Rabin, in Israel haben auch Frauen Militärdienst. Mein Vater hat die junge Offizierin gesehen und hat sich sofort verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Von beiden Seiten. Zwei Wochen danach waren die beiden verheiratet und drei Wochen später folgte meine Mutter meinem Vater nach Deutschland.
Es hätte ja auch umgekehrt sein können, dass Ihr Vater in Israel bleibt, oder war das kein Thema?
Gila Lustiger: Doch, es hieß dann immer bevor die Kinder in den Kindergarten kommen, ziehen wir nach Israel, bevor die Kinder in die Grundschule kommen, ziehen wir nach Israel, bevor die Kinder aufs Gymnasium gehen usw. Aber so ist es nie gekommen. Mit 18 Jahren bin ich für das Studium nach Israel gegangen.
Was für ein Bild hatten sie von Israel? Was hat Israel Ihnen bedeutet?
Gila Lustiger: Für mich bedeutete Israel vor allem Ferien. Ich war jede Ferien dort, jeden Sommer. Wir haben mit den Straßenkindern gespielt. Das war der erste Geruch von Freiheit für ein kleines deutsches Mädchen, das aus Frankfurts Westen altbacken und gutbürgerlich aufgewachsen ist. Es war toll mit Straßenkindern zu spielen.
Warum sind sie nicht in Israel geblieben?
Gila Lustiger: Ich wollte wirklich dort bleiben und Alija machen, d.h. emigrieren. Dann habe ich mich in einen französischen Lyriker verliebt. Und bei mir in der Familie ist es so: Meine Großmutter mütterlicherseits kam aus einem gutbürgerlichen und religiösen Haus und hat sich in diesen Zionisten, Sohn eines Metzgers, Kommunist dazu noch verliebt. Sie hat das Elternhaus verlassen, wurde enterbt und ist mit diesem Mann in die Wüste gezogen. Sie ist mit ihm nach Palästina und hat mit ihm den Staat mitgegründet. Daraufhin hat keiner aus der Familie mehr mit ihr gesprochen, allerdings ist sie mit meinem Großvater die einzige, die überlebt hat, weil sie beide bereits in den 1920er Jahren ausgewandert sind. Meine Mutter war eine waschechte Israelin, sie war dort sozialisiert und verliebte sich in diesen deutschen Überlebenden. Daraufhin hat keiner mehr mit ihr gesprochen, keiner hat es verstanden, dass sie in das Land der Mörder zieht. Enterbt wurde sie nicht, da gab es nichts zu vererben, aber sie war lange bei ihren Freunden verpönt. Bei mir ist es eine Variante schon nicht so extrem. Man kann daran erkennen, dass die Geschichte für mich schon friedlicher ist. Ich habe mich einfach in einen Franzosen verliebt.
Israel wird in diesem Jahr 60. Wie hat sich Israel verändert, auch seit der Zeit als sie dort lebten?
Gila Lustiger: Als ich dort war, waren diejenigen, die das Sagen hatten, die Jeckes, die haben den Staat gegründet, und die Universitäten, die Buchhandlungen, die großen Verlage. Es gibt ja immer wieder Migrationswellen und diese verändern das Land.
Es gibt die Sorge in Israel, dass vor allem die Jungen das Land aus Angst um den Konflikt verlassen. Hören sie manchmal die Kritik, Sie hätten dem Land den Rücken gekehrt und können sie die Kritik verstehen?
Gila Lustiger: 55 Tage Militärdienst im Jahr, man begibt sich in Lebensgefahr und wenn man Kinder hat, die zum Militär müssen, ist das eine ganz harte, ganz brutale Realität. Man kann in kein Cafe gehen ohne die Befürchtung man könnte dabei drauf gehen. Das Leben in Israel ist sehr hart.
Israel wird 60. Was wünschen Sie Israel?
Gila Lustiger: Frieden.
Haben Sie eine Idee wie man dies erreichen kann?
Gila Lustiger: Ich bin für die Zwei-Staaten-Lösung. Ich denke beide Seiten werden noch Blut vergießen bis sie so erschöpft sind, dass sie nicht aus Liebe, nicht aus Rationalität, sondern aus Erschöpfung miteinander leben, leider.
Was vermissen Sie aus Israel, wenn sie nicht dort sind?
Gila Lustiger: Ich vermisse die Sonne, die lockeren Umgangsformen, das Ausgehen, die Lebensfreude. In Israel wird viel gefeiert, es ist wie ein Leben auf einem Vulkan.
Das Interview führte Hanna Huhtasaari im März 2008.