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Parlamentswahl 2013 | Israel | bpb.de

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Parlamentswahl 2013

Gisela Dachs

/ 9 Minuten zu lesen

Am 22. Januar wählen die Israelis ein neues Parlament. Alter und neuer Premier wird wohl Benjamin Netanjahu bleiben. Offen ist hingegen, mit wem er eine Koalition bilden wird.

Auf dem Weg: Benjamin Netanjahu lächelt auf einem Wahlplakat. (© picture alliance / landov )

Gleich nach den Wahlen, wenn Benjamin Netanjahu wieder eine Regierung gebildet hat, steht als erstes der Haushaltsetat für 2013/2014 an. Der hätte schon im letzten Herbst beschlossen werden müssen. Aber die größten sozialen Proteste in der Geschichte des Landes warfen noch immer ihre Schatten. So konnte oder wollte man sich nicht über die Sparmaßnahmen einigen, die notwendig wären, um das Haushaltsloch zu stopfen. Deshalb finden die Wahlen jetzt am 22. Januar statt, ein knappes Jahr früher als geplant, und keiner zweifelt daran, dass Netanjahu das dritte Mal Ministerpräsident wird.

Wer nun aber glaubt, dass dieses Thema die Debatte beherrschen würde, irrt. Und das ist nur einer der Widersprüche, die diesen Wahlkampf charakterisieren, in dem viele Kandidaten mit vielen Themen auftreten, die sich nur selten überschneiden. Es ist ein Persönlichkeitswahlkampf, der aus verschiedenen Gründen fast völlig ausklammert, was von der Welt draußen immer wieder und neuerdings immer dringlicher aufs Tapet gebracht wird: Die Frage nach einer Lösung des Konflikts mit den Palästinensern.

Nach dem israelischen Protestsommer

Mit Staunen hatte man auch vor eineinhalb Jahren die Protestwelle im Land verfolgt, und über die politischen Konsequenzen dieses "israelischen Sommers 2011" gemutmaßt. Hunderttausende gingen damals Woche für Woche auf die Straße und forderten soziale Gerechtigkeit. Die Wut richtete sich gegen horrende Mieten und zu hohe Lebensmittelkosten, gegen die Profitgier großer Konzerne und gegen Korruptionsskandale. Dahinter lauerte die Angst vor einem weiter wachsenden Wohlstandsgefälle, vor dem eigenen sozialen Abstieg. Auf einmal war eine unsichtbare Schranke gefallen, die bis dahin suggeriert hatte, dass die Menschen sich mit so vielen innenpolitischen Widrigkeiten einfach abzufinden hätten. Eben weil es die geopolitische Lage nicht anders zuließe.

Der Protest hatte viele Väter und Mütter. Nicht alle, die gegen Netanjahus kapitalistischen Wirtschaftskurs protestierten, wollten gleich einen neuen Premier. Sie alle aber einte ein ganz grundsätzliches Gefühl: Dass sich die Gesellschaft in eine Richtung bewegt, die nichts Gutes verheißt. Damit identifizierten sich Angehörige der säkularen Tel Aviver Mittelklasse genauso wie traditionell religiöse Einwohner der abgelegenen Entwicklungsstädte. Neue politische Repräsentanten sollten deshalb her und neue Ansätze, für eine bessere Zukunft. Was ist aus diesen Forderungen geworden?

Die Arbeitspartei

Zählt man allein die neuen Gesichter, sind das schon einmal eine ganze Menge. Rund fünfzig der insgesamt 120 Abgeordneten werden wohl demnächst zum ersten Mal in der Jerusalemer Knesset sitzen. Darunter auch einige prominente Figuren aus der Protestbewegung. Für sie hat sich die Arbeitspartei (Awoda) als am integrationsfähigsten erwiesen. Deren Vorsitzende gilt immerhin selbst als die vielleicht authentischste Erbin der Bewegung: Shelly Jachimovich, früher Journalistin, war immer schon mit der Sozialpolitik beschäftigt. Sie habe sich 2004 für ihren Berufswechsel entschieden, erzählt die 52jährige Parteichefin, als Netanjahu – damals Finanzminister –die Alterszuschüsse kürzen wollte. Der von ihr vorbereitete Beitrag zum Thema sei nicht gesendet worden, weil er nicht "sexy genug" gewesen sei. Da habe sie begriffen, dass sie aktiv in die Politik gehen müsse, um tatsächlich etwas zu verändern, um Gesetze zu machen, um "potent zu sein".

Als Jachimovich den Vorsitz der Arbeitspartei übernahm, sah es gar nicht gut aus für die historische Gründerpartei des Landes. Jachimovich hauchte ihr frisches Leben ein und ließ sie allmählich wieder zur zweitgrößten Partei anwachsen. Der Abstand zu Netanjahus Likud-Partei ("Zusammenschluss"), die sich zu Wahlzwecken mit Avigdor Liebermans Partei Israel Beitenu ("Unser Haus Israel") zusammengeschlossen hat, ist aber immer noch groß. Als echte Alternative zu Netanjahu gilt Jachimovich nicht. Denn ihre Stärke ist zugleich ihre Schwäche: Sie ist ausschließlich aufs Innenpolitische fixiert. Und weil sie die Unterstützung von den Wählern aus der Mitte nicht verlieren will, schweigt sie in ihren öffentlichen Auftritten hartnäckig zu Besatzung und Siedlungspolitik (die sie nicht unterstützt). Sie teilt die Meinung der Mehrheit der Israelis, die ein Friedensabkommen derzeit sowieso für unrealistisch halten, und will deshalb niemanden unnötig vor den Kopf stoßen. Ihr Ansatz sei sozialdemokratisch, betont sie gerne, und vermeidet so auch den Ausdruck "links", der mittlerweile zum Schimpfwort mutiert ist.

Nicht alle finden das gut und richtig. Kritiker aus den eigenen Reihen werfen Jachimovich vor, ihr fehle es am großen politischen Wurf, zu dem eben auch eine artikulierte Außen- und Sicherheitspolitik gehört. Ohne den könne man in Israel keine Wahl gewinnen. Und dass sich die Geopolitik nicht einfach per Knopfdruck ausschalten lässt, hat der jüngste Krieg mit der Hamas erst wieder bewiesen. Auch wenn sich die sozioökonomische Lage der Israelis verbessert hat und sich junge Paare nicht mehr sorgen müssen, wie sie ihren Wohnungskredit abbezahlen sollen, nimmt ihnen das noch nicht die Angst vor den Raketen, die aufs Haus fallen könnten.

Die neue "Bewegung"

Deshalb hat sich auch der eingefleischte Sozialpolitiker Amir Peretz, der von 2006 bis 2007 Verteidigungsminister war, von Jachimovich abgewandt. Peretz hat gerade viele verspätete Lorbeeren für die von ihm vor Jahren vorangetriebene Raketenabwehr "Iron Dome" bekommen, die sich im letzten Gazakrieg als so effektiv erwiesen hat. Ihm sei seit seiner Zeit als Bürgermeister von Sderot in den 1980er Jahren klar gewesen, sagt Peretz, dass die Wohlfahrtsflagge nicht ohne eine außenpolitische Vision gehisst werden könne. Jetzt rührt Peretz die Werbetrommel an der Seite von Zipi Livni und ihrer neuen Partei Hatnua ("Die Bewegung").

Livni bekam bei der vorigen Wahl 2009 an der Spitze von Kadima zwar die meisten Stimmen, aber sie schaffte es nicht, eine Regierung zu bilden. Also ging die Aufgabe an Netanjahu über. Zipi Livni ist heute tatsächlich die einzige Kandidatin, die Netanjahu auf dem Gebiet der großen Nahostpolitik herausfordert. Sie warnt vor der zunehmenden Isolierung des Landes, sollte sich der politische Kurs nicht ändern, der aus diplomatischer Stagnation und Siedlungsbau bestehe. Sie plädiert für eine schnelle Rückkehr an den Verhandlungstisch mit den Palästinensern, an dem sie schon einmal als Außenministerin saß. Und sie redet – als einzige der Parteien im Zentrum – hartnäckig davon, wie wichtig eine Zweistaatenlösung für die langfristige Existenzsicherung eines jüdisch-demokratischen Staates Israel sei.

Im Grunde stand ihr Name schon bei der Wahl 2009, also lange vor der großen Protestwelle, für Aufbruch und eine sauberere Politik – jenseits aller persönlicher Interessen und innenpolitischen Machtspiele. Nur ist Zipi Livnis Stern mittlerweile verblasst. Von der gespaltenen Kadima ist nicht mehr viel übrig. Und ihre neue Partei wird allen Umfragen zufolge kaum über zehn Sitze hinauskommen.

Parteien in Israel

Insgesamt 34 Parteien treten bei den Wahlen an. 120 Abgeordnete werden in die Knesset gewählt. Die wichtigsten sind hier aufgelistet. In Klammern stehen die geschätzten Sitze.

Likud-Israel Beitenu (35-39): Es handelt sich um ein Bündnis, das Benjamin Netanjahu Likud (Likud: „Zusammenschluss“) mit seinem ehemaligen Außenminister Avigdor Liebermann (Israel Beitenu: „Unser Haus Israel“) zu Wahlzwecken geschlossen hat. Den Umfragen nach sichert es dem aktuellen Premier den Vorsitz der Partei, welche die meisten Stimmen hinter sich versammeln wird.

HaBeitHaJehudi ("Das jüdische Haus“) (10-15): Der 40jährige Vorsitzende Naftali Bennett wurde erst vor kurzem an die Spitze dieser national-religiösen Partei gewählt und gilt als die größte Überraschung im Wahlkampf. Bennett vertritt die Interessen der Siedler, er zieht aber auch Likud-Wähler an, denen das Wahlbündnis mit der (einstigen) russischen Einwandererpartei Israel Beitenu nicht gefällt.

Shas ("Sephardische Thora-Wächter“) (10-13): Die Partei, angeführt vom gegenwärtigen Innenminister Eli Ishai ist die Stimme der orientalisch-religiösen Israelis und setzt sich vor allem für ihre sozialen Bedürfnisse ein. Bisher hat die Shas-Partei, die zunehmend dem rechten Spektrum zugerechnet wird, Koalitionen mit linken Parteien angeschlossen.

United Torah Judaism (“Vereinigtes Thora-Judentum”) (5-6): Es handelt sich um ein Bündnis aus zwei kleinen ultra-orthodoxen Parteien, Degel HaTorah („Das Banner der Thora“) und Agudat Israel („Vereinigung Israel'“), die in der Knesset für die Interessen ihrer Bevölkerungsgruppe eintreten.

Arbeitspartei (Awoda) (18-21): Unter dem Vorsitz der ehemaligen Journalistin Shelly Jachimovich ist die historische Gründerpartei, die bei der letzten Wahl stark an Stimmen verloren hatte, wieder zur zweitgrößten Partei in Israel angewachsen. Im Wahlkampf hat Jachimovich eine Koalition mit Benjamin Netanjahu ausgeschlossen.

HaTnua ("Die Bewegung“) (8-11): Als Vorsitzende der Kadima-Partei konnte Zipi Livni bei der letzten Wahl zwar die meisten Stimmen hinter sich versammeln, aber keine Koalition bilden. Nun hat sie ihre eigene Zentrums-Partei gegründet, und wäre „unter den geeigneten Umständen“ bereit, mit Netanjahu zu koalieren. Das heißt, wenn sich Netanjahu eindeutig zur Zwei-Staaten-Lösung bekennen würde.

Jesh Atid ("Es gibt eine Zukunft“) (9-10): Yair Lapid will mit seiner neuen Partei vor allem die säkulare Mittelklasse vertreten. Er fordert Wehrdienst auch für die ultraorthodoxe Bevölkerung und ist grundsätzlich bereit, mit allen Regierungen zu koalieren, in denen er diese Interessen vorantreiben könne. Auch er aber hat sich zuletzt im Wahlkampf gegen die Beteiligung an einer rechts-religiösen Regierung ausgesprochen.

Meretz ("Energie") (5-7): Die links-zionistische Partei mit ihrer Vorsitzenden Zahava Gal-On strebt eine Lösung des Palästinenserproblems an und steht für demokratische Bürgerrechte.

Die arabischen Parteien (5-6): Sie vertreten die Interessen der arabischen Bürger Israels, die rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Kadima ("Vorwärts") (2): Es handelt sich um das Überbleibsel der Partei mit der derzeit noch größten Anzahl an Knesset-Sitzen. Nachdem der ehemalige Verteidigungsminister Shaul Mofaz seine Vorgängerin an der Spitze abgelöst hat, verabschiedete sich Zipi Livni zunächst aus der Politk, um dann ihre eigene Partei zu gründen.

Welche Regierungskoalitionen sind künftig möglich?

Nach allen Umfragen werden die gemeinsame Liste Likud-Israel Beitenu gemeinsam mit den rechts-religiösen Parteien die Mehrheit im Parlament stellen. Nun kann sich Netanjahu als nächster Premierminister mit seinen "natürlichen Verbündeten" in einer Koalition zusammenschließen – das bedeutet ein Bündnis aus Likud-Israel Beitenu, Ha BeitHaJehudi sowie die ultraorthodoxen Parteien einschließlich der Shas-Partei. Eine solche Regierung allerdings, getragen von Unterstützern von Siedlungen und Gegnern der Zweistaatenlösung, befände sich von Anfang an auf Konfrontationskurs mit dem Weißen Haus und der westlichen Welt.

Eine andere Möglichkeit ist eine Koalition, die zumindest einige Parteien aus dem Zentrum mit einschließt. Das könnte Zipi Livnis neue "Bewegung" und Yair Lapids Zukunftspartei sein, würde aber von Netanjahus Bereitschaft zu einem politischen Kurswechsel abhängen wie es Livni im Hinblick auf die Außenpolitik mit den Palästinensern verlangt.

Eine dritte Möglichkeit wäre eine Große Koalition, die neben Livni und Lapid auch die Arbeitspartei von Shelly Jacimovich mit umfasst. Dazu müsste Netanjahu allerdings erst noch Jacimovich umstimmen, die ein Bündnis mit ihm im Wahlkampf strikt ausgeschlossen hat. Sollte Netanjahu diesen Weg einschlagen, wird er wiederum viele seiner Parteimitglieder vor den Kopf zu stoßen. Aber letztlich läge es in seiner Hand, mit wem er künftig das Land regieren will.

Die Zukunftspartei

Schließlich ist da auch noch Yair Lapid, ein bekannter Fernsehmoderator und Zeitungskolumnist, der die Protestbewegung 2011 vom ersten Tag an unterstützt hat. Er machte Netanjahu für eine falsche Prioritätensetzung bei der Verteilung von Ressourcen verantwortlich und wechselte dann in die Politik. Als Gründer der neuen Zukunftspartei (Jesch Atid) hat er seine Kampagne voriges Jahr mit der Frage eröffnet: "Wo ist das Geld?" Lapid fordert heute, dass die Ultraorthodoxen künftig wie alle anderen jüdischen Israelis auch in der Armee dienen, dass sie also nicht mehr nur den Talmud studieren, sondern einer Arbeit nachgehen und Steuern bezahlen sollen. Er hat sich aufgeschwungen, die Interessen der überwiegend säkularen Mittelklasse zu vertreten. Die "moderate und respektable Mehrheit der Israelis identifiziert sich schon längst nicht mehr mit den Parteien von gestern," behauptet Lapid.

Keine echten Herausforderer für Netanjahu

Das stärkt Netanjahu den Rücken, weil es an einem echten Herausforderer fehlt. Die große Frage ist deshalb nicht, wie der nächste Premier heißt, sondern mit wem er eine Regierungskoalition bilden wird. Zwar haben alle drei – Jachimovich, Livni und Lapid – eine solche Beteiligung unter den jetzigen Umständen ausgeschlossen, aber das kann sich nach der Wahl ja wieder ändern. Wenn Netanjahu dann zum Beispiel dem amerikanischen Präsidenten und anderen Verbündeten zeigen möchte, dass er durchaus auch in der Lage ist, sich mit gemäßigteren Politikern – links von ihm – zu verbünden.

Im Nacken aber sitzt Premier Netanjahu derzeit eher jemand, der rechts von ihm steht und der ihm sogar sehr nahe war. Es ist Naftali Bennett, der bis 2008 Netanjahus Kampagnen organisierte. Bennett, der seine Hightech-Firma für 146 Millionen Dollar verkaufte, diente früher in einer Eliteeinheit der Armee. Er hat die nationalreligiöse Partei "Jüdisches Haus" (Beit Hajehudi) im Sturm erobert. Bennett wohnt nicht in den besetzten Gebieten, aber seine Klientel sind Siedler und all jene, denen Netanjahu künftig möglicherweise zu weit in Richtung Zentrum/links tendierten könnte. Nach manchen Umfragen könnte Bennetts Partei sogar die Arbeitspartei überholen.

Der Newcomer Bennett, dessen Eltern aus den Vereinigten Staaten stammen, stellt einen neuen Politikertypus dar. Er kennt sich im säkularen wie religiösen Lager aus und könnte, trotz Kippa, viele säkulare russische Einwanderer anziehen, die von ihrem bisherigen starken Mann, dem Israel-Beitenu-Chef Avigdor Lieberman, enttäuscht sind, der im Dezember 2012 wegen Betrugsermittlungen als Außenminister zurückgetreten war. Bennett weiß, wie er in verschiedenen Foren auftreten muss, um zu gefallen. Und er hat auch eine Antwort auf die soziale Krise im Land: "Dies ist einer der teuersten Ort weltweit, was die Preise angeht", sagt er. Daran müsse sich etwas ändern, weil das "unzionistisch" sei.

Themen im Wahlkampf

Seit Bennett auf die Bühne getreten ist, schlägt Netanjahu im Wahlkampf in seine Richtung aus. Der Premier kündigt neue Siedlungsbauten an und Likud-Fernsehspots zeigen, welche fanatischen Rabbiner tatsächlich hinter Bennett stehen. Netanjahus größte Angst aber ist die, dass viele Wähler gar nicht zur Wahl gehen, weil für sie der Ausgang ohnehin feststeht.

Sie will er zu den Urnen bewegen, indem er – als einziger – von den Erfolgen des Landes spricht. "Bibi", wie er landläufig genannt wird, lobt die "Start-Up Nation Israel", die im Vergleich zu anderen westlichen Ländern mehr Wachstum und weniger Arbeitslosigkeit verzeichnen kann. Sein großes Thema aber ist, wie erwartet, die Sicherheitspolitik. Nicht der Siedlungsbau, wie es die Welt darstelle, sei das Problem, sagt er, sondern die atomare Aufrüstung Irans, die chemischen Waffen in Syrien und die Gefahr, dass die Hamas bald auch im Westjordanland die Macht übernimmt. In seinen Wahlspots spielen Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und Hamas-Führer Chalid Mashal die Hauptrollen. "Ein starker Premier, ein starkes Israel" heißt es. Es ist eine Politik der Angst, die nicht unbegründet ist, aber der eigenen Initiative keinen Spielraum verschafft.

Das Wahlbündnis mit Israel Beitenu sollte die Voraussetzungen schaffen, hieß es, sich den "Sicherheits- und wirtschaftlichen Herausforderungen zu stellen, die vor uns liegen." Manche sahen den Zusammenschluss mit Lieberman als Kampfansage an den Iran, interpretierten eine Wiederwahl Netanjahus als Mandat für einen Angriff auf das iranische Atomprogramm. Aus seiner Absicht, nicht zuzulassen, dass Israel von Teheran atomar bedroht würde, hat Netanjahu bisher nie einen Hehl gemacht.

Aber aus dem Wahlkampf der relevanten Parteien ist das Thema verschwunden. Ebenso wie der Konflikt mit den Palästinensern. Und hier ist das Paradox. In allen Umfragen spricht sich nach wie vor eine Mehrheit der Israelis konsequent für die Zweistaatenlösung aus, übrigens auch unter rechten Wählern. Aber zugleich glauben die meisten nicht, dass sich ein solches Abkommen derzeit im Rahmen des Möglichen befände oder diese Möglichkeit von Israels Verhalten beeinflusst werden könnte.

Netanjahus Politik der Angst hat diese Haltung, die ein Kommentator in der Tageszeitung Haaretz schlicht als "komatös" bezeichnet, in seiner Amtszeit immer wieder befeuert. Aber auch die Wahrnehmung der Realität im Nahen Osten spielt dabei eine Rolle. Nach israelischer Lesart wurde bisher noch jede Kompromissbereitschaft in den letzten zwanzig Jahren – vom Osloer Abkommen 1993 über die gescheiterten Verhandlungen von Camp David 2000 bis zum Abzug aus dem Gazastreifen 2005 – jeweils mit einer Terrorwelle beantwortet. Hinzu kommen nun die Umstürze in der arabischen Welt, die vielen Israelis die Sorge bereiten, dass sie in ihrer Region bald nur noch von Extremisten umgeben sein könnten, die sich nie mit Israels Existenz abfinden würden.

Wer die mögliche Verteilung der Knessetsitze betrachtet, stellt eine klare Mehrheit für das rechts-religiöse Lager fest. Ihm werden in allen Umfragen stets um die 65 Abgeordnete vorausgesagt, während das Zentrum-links-Lager nur auf 55 Sitze kommt. Ein Frontenwechsel scheint eher unwahrscheinlich. Deshalb findet der Kampf der Parteien um Wählerstimmen vor allem innerhalb der beiden Blöcke statt. Yedidia Stern vom Jerusalemer Israel Democracy Institute sieht den demografischen Wandel als Ursache. Er sieht heute etwa "religiöse Zionisten präsenter denn je in Militär, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft" und spricht von einem "politischen Ausdruck soziologischen Wandels".

Allerdings sind Überraschungen nie ganz ausgeschlossen. So wie der Sommer 2011 plötzlich auch Kräfte mobilisierte, die man bis dahin nicht vermutet hätte. Immerhin sind ein Viertel der Wähler auch noch eine Woche vor der Wahl unentschlossen, wen sie wählen.

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Gisela Dachs, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaften und Philosophie an der Sorbonne-Universität in Paris. Sie arbeitete zunächst als Redakteurin bei der französischen Tageszeitung "Libération“ und ab 1990 im Politik-Ressort der ZEIT in Hamburg. Seit 1994 ist sie die Korrespondentin der ZEIT in Israel.