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Der Beitrag wurde vor der am 28. Oktober 2024 in iranischen Staatsmedien verkündeten Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd und den darauffolgenden diplomatischen Sanktionen Deutschlands gegenüber Iran verfasst.
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Die überraschende Wahl Massud Peseschkians zum iranischen Präsidenten im Juni 2024 weckte Hoffnungen auf Reformen. Doch hinter der Fassade des "moderaten" Kandidaten verbirgt sich ein komplexes Kalkül des Regimes, das auf Stabilisierung und taktische Zugeständnisse setzt, ohne substanzielle Veränderungen anzustreben, analysiert Ali Fathollah-Nejad.
Der Beitrag wurde vor der am 28. Oktober 2024 in iranischen Staatsmedien verkündeten Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd und den darauffolgenden diplomatischen Sanktionen Deutschlands gegenüber Iran verfasst.
Die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Iran am 28. Juni 2024 fanden unter außergewöhnlichen Umständen statt. Nach dem mysteriösen Hubschrauber-Absturz im Nordwesten des Landes, bei dem Präsident Ebrahim Raisi am 19. Mai ums Leben kam, mussten innerhalb von 50 Tagen Neuwahlen anberaumt werden. Von den ursprünglich 80 registrierten Kandidaten ließ der vom Obersten Führer Ali Khamenei kontrollierte ultrakonservative Wächterrat nur sechs zur Wahl zu. Davon gehörten fünf dem konservativen Lager an, während der Vize-Sprecher des Parlaments und ehemalige Gesundheitsminister Massud Peseschkian vom reformistischen Lager unterstützt wurde. Seine überraschende Zulassung wurde weithin auf Khameneis Intervention zurückgeführt.
Dass Peseschkian als Kandidat des Reformlagers zugelassen wurde, schien auf den ersten Blick überraschend. Immerhin hatte in den vergangenen Jahren ein politisch-ideologischer Reinigungsprozess stattgefunden – eine vom Staatsoberhaupt und Obersten Führer Khamenei als „zweite Phase der Islamischen Revolution“ proklamierte Monopolisierung der Macht durch eine jüngere Generation islamisch-revolutionärer Fundamentalisten und Extremisten, die sich durch eine hohe Loyalität zu ihm und zum System auszeichneten. Diese „Super-Revolutionäre“ sollten nun an die Schaltstellen der Macht herangeführt werden.
Die Islamische Republik gibt vor, eine repräsentative Demokratie zu sein. Die Präsidentschaftswahlen jedoch sind weder fair noch frei. Alle Kandidaten werden vom Wächterrat auf ihre Systemtreue hin ausgewählt. Innerhalb dieser staatlich eng abgesteckten Grenzen darf – und soll – sich ein Wettbewerb entwickeln, der dem System den Anschein demokratischer Legitimität verleiht. So konnte die iranische Gesellschaft bei den Präsidentschaftswahlen nur zwischen zwei regimetreuen Gruppen wählen, was im Volksmund in eine Wahl zwischen dem kleineren Übel („Reformer“) und dem größeren Übel („Hardliner“) hinauslief: „[…] diejenigen, die ihr Leben [das der Wählerinnen und Wähler] nicht viel besser machen können, und diejenigen, die ihr Leben potentiell viel schlechter machen können.“
Spielraum, Einfluss und Macht des Präsidenten – egal ob Hardliner, Zentrist oder Reformer – hängen zwar zu einem gewissen Grad von seinem politischen Profil und dem persönlichen Verhältnis zum Obersten Führer ab, sind aber qua Verfassung sowie der realen Machtverhältnisse in der Islamischen Republik klar abgesteckt. So ist die Innenpolitik unverändert von gesellschaftlicher Repression, Korruption und Missmanagement der Eliten geprägt, während die Außenpolitik weiterhin auf die Feindschaft zu den USA und Israel, die Unterstützung regionaler Milizen, auf nukleare und militärische Ambitionen, die Bedrohung exil-iranischer Dissidenten sowie die Geiselnahme westlicher Ausländer und iranischer Doppelstaatler setzt. Für die Stabilitäts- und Überlebensinteressen der Islamischen Republik zentrale Felder der Innen- und Außenpolitik werden weiterhin vom Machtzentrum bestimmt.
Ein weiteres Merkmal politischer Kontinuität in der Islamischen Republik ist die Auswahl der Minister. Zwar werden diese vom Präsidenten ausgewählt und müssen anschließend vom Parlament gebilligt werden. Doch in der Realität hat Khamenei bei zentralen Ressorts wie Außenpolitik, Innenpolitik, Verteidigung und Geheimdienste das letzte Wort.
Die kurze Wahlkampfphase im Frühjahr folgte dem bekannten Muster iranischer Wahlen. In Kampagnen und TV-Debatten griffen die Kandidaten wichtige gesellschaftliche Anliegen auf, um den Eindruck zu erwecken, diese ernst zu nehmen. So kamen auch kritische Themen wie Korruption,
Die zweite TV-Debatte zwischen Peseschkian und dem ultrakonservativen Hardliner Saeed Dschalili offenbarte trotz der offenkundigen Unterschiede erstaunliche Parallelen: Beide bezeugten ihre Systemtreue und inszenierten sich als Repräsentanten eines geschundenen Volkes gegen im Hintergrund agierende mafiöse Kreise, die die Reichtümer des Landes zu Lasten einer immer mehr von wirtschaftlichen Nöten geplagten Bevölkerung plündern. Auch appellierten beide Kandidaten an den Patriotismus der Iraner. Auffällig war ihr Ausweichen auf Fragen nach ihren politischen Programmen und Lösungsvorschlägen. Gleichzeitig warfen sie der jeweils anderen Seite das Fehlen eines Regierungs- oder Politikplans vor. Peseschkian inszenierte sich als Diener des Volkes mit religiöser Fundierung und als erfahrener „Manager“, der auf den Rat von Experten zurückgreifen würde. Dschalili wirkte dagegen wie eine fundamentalistische Witzfigur, die mit wenig Substanz, aber umso mehr Verve die Bilanz der Rohani-Präsidentschaft scharf kritisierte – und er warnte vor deren Wiederkehr unter Peseschkian. Für Dschalili und sein Lager fungiert der frühere Präsident Hassan Rohani (2013–2021) als Synonym einer auf die eigene Bereicherung ausgelegten, verwestlichten und mit islamischen Grundsätzen kollidierenden Elite.
Peseschkian bestach in den Fernsehdebatten durch seine klare und einfache Sprache – und inszenierte sich als „Selfmademan“ im Dienst des „kleinen Mannes“, der nie einer politischen Fraktion der Elite angehört habe – und somit zugleich als populistischer Systemkritiker und Systemloyalist.
Der Iran-Experte der US-Denkfabrik Carnegie, Karim Sadjadpour, hat die unter Iranerinnen und Iranern als „Wahlzirkus“ beschriebene Orchestrierung des Regimes einmal zutreffend mit den Worten „Maximum drama, minimal change“ beschrieben.
Vor allem Irans „Gen Z“ – 60 Prozent der 90 Millionen Iranerinnen und Iraner sind unter 30 Jahre alt – dürfte die Wahl weitgehend boykottiert haben.
Während des Wahlkampfs lag Peseschkian in den meisten halbstaatlichen und staatlichen Wahlumfragen vor seinen konservativeren Kontrahenten – sowohl mit Blick auf die erste als auch auf die zweite Wahlrunde. Er führte auch vor dem Wahltag vom 28. Juni in den meisten Umfragen, was zu Aufrufen aus dem prinzipalistischen Lager führte, keine Aufteilung der Stimmen (vote splitting) auf mehrere seiner Kandidaten zu riskieren und stattdessen Dschalili zu unterstützen.
Die offiziellen Ergebnisse der ersten Wahlrunde lauteten dann wie folgt:
Massud Peseschkian – 44,36 Prozent (oder 10,42 Millionen Stimmen)
Saeed Dschalili – 40,35 Prozent (oder 9,47 Millionen Stimmen)
Mohammad-Bagher Ghalibaf, Parlamentssprecher und ehemaliger Teheraner Bürgermeister und IRGC-Kommandant – 14,41 Prozent (oder 3,83 Millionen Stimmen)
Letzteres war für viele überraschend wenig, was wohl auf zuvor aufgedeckte Verstrickungen der Ghalibaf-Familie in millionenschwere Korruptionsfälle zurückzuführen war.
Allerdings wurden auch Zweifel an den offiziellen Zahlen laut. Fälschungsvorwürfe stützten sich auf statistische Unwahrscheinlichkeiten
Peseschkian konnte zwischen den beiden Wahlrunden um beachtliche sechs Millionen Stimmen zulegen. Sein Kampagnenteam und das Reform-Lager verfolgten eine Strategie, gesellschaftliche Ängste in Bezug auf Dschalili zu schüren.
Peseschkian positionierte sich als Bollwerk gegen eine drohende Talibanisierung Irans, und das ihn unterstützende Reformisten-Lager stellte sein Duell mit Dschalili als eines zwischen „Tag und Nacht“ sowie – in den Worten von Peseschkians prominentestem Wahlkampfunterstützer und ehemaligen Außenminister Mohammad Dschawad Sarif – als gegen „inländische und ausländische Hardliner“ gerichtet dar.
Trotz Aufrufen zur Unterstützung Dschalilis haben in der Stichwahl vermutlich auch Unterstützer anderer prinzipalistischer Kandidaten für Peseschkian gestimmt, da Dschalili als zu ideologisch und extrem galt. Dies dürfte vor allem für die Wählerschaft des Drittplatzierten Ghalibaf gegolten haben, der als pragmatischer Konservativer gilt. Peseschkian erschien diesen Gruppen als Mann der Stunde eines krisengebeutelten Regimes – als ein „Präsident des Tages“.
Nicht zuletzt zeigte sich darin auch eine zunehmende politische Polarisierung innerhalb des breiten konservativen Lagers der Prinzipalisten und eine brüchigere soziale Basis des Regimes als zuvor angenommen.
Zwei wesentliche Erkenntnisse können somit aus der Wahl gezogen werden:
Eine Mehrheit der Iranerinnen und Iraner blieb der Präsidentschaftswahl aus Misstrauen gegenüber dem System fern, zum Teil als bewusster Boykott nach den brutal niedergeschlagenen Anti-Regime-Protesten zur Jahreswende 2017/18, 2019 und 2022/23.
In der Stichwahl profitierte Peseschkian von einer beachtlichen Mobilisierung von sechs Millionen zusätzlichen Wählerinnen und Wählern, die das "größere Übel" (Dschalili) verhindern wollten.
Für den bekannten Aktivisten und ehemaligen politischen Gefangenen Farhad Meysami sind sowohl die Peseschkian-Wähler als auch die Nichtwähler Ausdruck eines zivilen Ungehorsams.
Massud Peseschkian, geboren als Sohn eines aserbaidschanischen Vaters und einer kurdischen Mutter, war seit Beginn der Revolution 1979 Teil des Systems. Als islamischer Fundamentalist war er anfangs sogar an der islamistischen Säuberung von Universitäten und Krankenhäusern beteiligt, noch bevor der Hijab-Zwang von Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini auferlegt wurde. Später, in einem Interview vom November 2014, rühmte Peseschkian sich sogar angesichts seiner damaligen Rolle.
Der religiöse Herzchirurg war von 2001 bis 2005 unter dem Reform-Präsidenten Mohammad Chātami Gesundheitsminister. Im Jahr 2003 wurde die iranisch-kanadische Fotojournalistin Zahra Kazemi in Haft misshandelt, „sehr brutal vergewaltigt“ und ermordet.
Peseschkian äußerte wiederholt religiös begründete Kritik an der brutalen Reaktion des Regimes auf die Proteste 2009
Allerdings ist Peseschkian nicht nur kein Reformer im ursprünglichen Wortsinn oder nach westlichem Verständnis. Er versteht sich auch nicht als Teil des Reformer-Lagers, obwohl es seine Wahl maßgeblich unterstützt hat. Die Reformisten sind in der Islamischen Republik eine Art loyale Opposition, die zwar zuweilen den Hardlinern widersprechen (so etwa bei gesellschafts- und außenpolitischen Fragen), aber die Grundpfeiler des Systems nicht infrage stellen. Auch deshalb stecken die Reformer seit vielen Jahren in einer tiefen Legitimations- und sogar Existenzkrise.
Peseschkian war nie Mitglied einer reformistischen Gruppierung oder Partei. Er bezeichnete sich im Wahlkampf als „prinzipalistischer Reformer“, griff jedoch keine klassischen Themen der Reformer auf, wie Pressefreiheit, die Stärkung sogenannter gewählter Institutionen gegenüber den theokratischen (darunter vor allem die Beschneidung der Macht des Wächterrats bei der Kandidatenauswahl) oder die Förderung der Zivilgesellschaft.
In den Einstellungen gegenüber dem Kandidaten Peseschkian zeigte sich unter den Reformern ein Graben zwischen etablierten Reformern wie dem ehemaligen Präsidenten Chātami und tatsächlichen System-Widersachern wie dem unter Hausarrest stehenden Mir Hossein Mussawi. Bei Peseschkian handelt es sich letztlich um einen reformunwilligen „Hof-Reformer“
Im Wahlkampf hat er deutlich gemacht, dass sich seine Politik im Rahmen der Vorgaben des Obersten Führers bewegen wird und er diese auch durchsetzen will – vor allem in der Außenpolitik.
Vor diesem Hintergrund sind von Peseschkian, einem Mann, der dem System und dem Machtzentrum der Islamischen Republik gegenüber hochloyal eingestellt ist, keine Reformen im Sinne eines wahrhaftigen Wandels im Interesse der gesellschaftlichen Mehrheit zu erwarten – weder politisch noch wirtschaftlich. Khameneis Kalkül hinter Peseschkians Wahl dürfte darin begründet liegen, dass dessen „freundliches Gesicht“ Druck auf die Islamische Republik abfedern soll – sei es von innen oder außen – und dem System Legitimität verschafft.
Das offenbart auch eine Analyse der Hauptbedrohungen für das Regime: Die gravierendste Gefahr geht demnach von der eigenen Bevölkerung aus, erkennbar an den sich häufenden und zuletzt immer heftiger werdenden Protestwellen und der schwindenden Wahlbeteiligung. Vor diesem Hintergrund könnte Peseschkian als Ventil fungieren, um den gesellschaftlichen Gegenwind durch taktische Zugeständnisse abzumildern. Mögliche Felder wären eine weniger gewaltsame Durchsetzung der Kleidervorschriften für Frauen (der sogenannte Hijab) sowie schnelleres – jedoch nicht unbedingt freieres – Internet.
Im Wahlkampf spielte sich Peseschkian als Verteidiger von Frauenrechten auf, als er beispielsweise die gewaltsame Durchsetzung der Hijab-Pflicht im Rahmen des umstrittenen Nour-Programms anprangerte.
Auch beim Thema Internet ist Peseschkians Position von großer Widersprüchlichkeit und Unklarheit geprägt. Zwar sprach er sich für Internetfreiheit aus, unterstützte aber explizit einen Blackout aus Sicherheitsgründen.
Die zweitgrößte Bedrohung für die Islamische Republik geht von der Außenpolitik aus. Trotz der Annäherung an Russland und China fallen die ökonomischen Dividenden dieses nach Osten gerichteten geopolitischen Kurses mager aus.
Allen voran befürchtet das iranische Establishment aber eine zuletzt sehr wahrscheinliche Trump-Rückkehr.
Angesichts dieser Herausforderungen instrumentalisiert das Regime Peseschkian als „freundliches und gemäßigtes Gesicht“, um sowohl innenpolitisch Druck abzufedern als auch außenpolitisch neue Handlungsspielräume zu eröffnen. Die Strategie erinnert an die Amtszeit Rohanis (2013-2021), der nach Mahmud Ahmadineschād (2005-2013) einen neuen außenpolitischen Kurs einschlug, der schließlich zum internationalen Atomabkommen führte: nämlich weg von einer konfrontativen Haltung hin zu einer Verständigung mit dem Westen.
Der Machtkern der Islamischen Republik hat Peseschkians Präsidentschaft deutlich begrüßt. So lobte ihn etwa Khameneis außenpolitischer Berater Kamal Charrazi: „Die Betonung Ihrer Exzellenz auf dem Einsatz prominenter Experten auf dem Gebiet der Außenpolitik verspricht, dass in der Regierung Ihrer Exzellenz eine Lösung für die Probleme gefunden wird, die durch die repressiven Sanktionen der USA verursacht werden, welche mit Würde und Autorität verwirklicht werden.“ Die Tageszeitung der Revolutionsgarden Javân bejubelte den Sieg von Peseschkian mit seinem Foto auf der Titelseite gar als „Renaissance der Revolution“ und verkündete sogleich das Ende der Reformer-Prinzipalisten-Dichotomie – ein Hinweis auf die wiedergefundene Einheit innerhalb der Elite der Islamischen Republik.
Bereits unmittelbar nach der Wahl Peseschkians hat sich in Teilen auch eine Überhöhung durch westliche Medien und Experten abgezeichnet. So wird er oft, ohne jegliche Berücksichtigung des politischen Kontextes in der Islamischen Republik, als Reformer dargestellt. Die britische Wochenzeitschrift The Economist bejubelte ihn sogar kurzzeitig als einen „Liberalisierer, der einen Atomdeal mit Amerika“ wolle
Ein bekannter Yale-Professor für Rechts- und Politikwissenschaft sieht in Peseschkian gar einen „führenden Gegner von Khamenei“ und „Champion der Aufklärung“, der die iranische Politik revolutionieren und einen „dauerhaften Frieden“ im Nahost-Konflikt ermöglichen könne. Kurzum, auffällig viele der westlichen Erwartungen an Peseschkian waren zunächst nahezu grenzenlos – sie reichten von der Etablierung der Demokratie in Iran über Frieden in Nahost bis hin zur Aussöhnung mit dem Westen. Und falls all dies scheitern sollte, wäre der Westen zur Verantwortung zu ziehen.
Die EU-Außenamtssprecherin beglückwünschte Peseschkian zum Sieg und verkündete: „Wir sind bereit, mit der neuen Regierung im Einklang mit der EU-Politik des kritischen Engagements zusammenzuarbeiten.“
Das US-Außenministerium reagierte hingegen nüchterner: „Wir haben nicht die Erwartung, dass diese Wahlen zu einem grundlegenden Richtungswechsel in Iran oder zu mehr Respekt für die Menschenrechte seiner Bürger führen werden. Wie die Kandidaten selbst gesagt haben, wird die iranische Politik vom Obersten Führer bestimmt.“
Peseschkian betrieb während des Wahlkampfs bewusstes Erwartungsmanagement, indem er die Begrenztheit seines Amtes betonte und von hehren Versprechungen absah. Dennoch wurden mit seiner Wahl Erwartungen geweckt, die einer bitteren Ernüchterung weichen könnten.
Innenpolitisch besteht die Gefahr, dass jene, die ihm trotz Bedenken ihre Stimme gaben, diese letzte Reformhoffnung verstreichen sehen und einen revolutionären Wandel als einzig verbliebenen Ausweg betrachten könnten. Vor der Stichwahl warnte der Bürgerrechtler Hossein Ronaghi, dass Reformer-Regierungen in der Vergangenheit oft eine dunklere Bilanz in Bezug auf Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen aufwiesen als andere politische Gruppierungen.
Auch hinsichtlich der Linderung der wirtschaftlichen Krise könnte die Diskrepanz zwischen Wahlversprechen und Realität soziale Frustration entfachen. Für eine gerechte Verteilung des Reichtums müssten die vom Machtkern dominierten monopolkapitalistischen Strukturen aufgebrochen und eine tatsächlich private Wirtschaft aufgebaut werden – ein Schritt, den die gegenwärtigen Machtverhältnisse allerdings kaum zulassen. Nicht zuletzt krankt der Reformismus à la Islamische Republik daran, die immer drängendere „soziale Frage“ außer Acht zu lassen.
Peseschkians Kabinettsliste vom 11. August 2024 bildete die erste große Ernüchterung. Die Mehrheit der 19 vorgeschlagenen Minister gehört dem ultrakonservativen Lager an, im Widerspruch zu seinen Wahlversprechen (sechs Prinzipalisten, drei mit Nähe zu Dschalilis extremistischer Pâydâri-Partei und zwei Ghalibaf-Nahe). Fünf kommen von der Mitte-Rechts-Partei der Mäßigung und Entwicklung um den Ex-Präsidenten Rohani und nur drei zählen zum Reform-Lager.
Autoritäre Staaten versuchen oft mit der Darbietung von „Brot und Spielen“ eine unzufriedene Bevölkerung in Schach zu halten und ihre Herrschaft zu zementieren. Angesichts der ökonomischen Malaise kann Iran aktuell allerdings kaum Brot anbieten. Letztlich stellt sich die Frage, wie lange die Strategie, auf den Wahlzirkus und somit auf „Spiele“ zu setzen den nächsten Ausbruch des Volkszorns verzögern kann.
Unmittelbar nach seiner Wahl versicherte Peseschkian den wichtigsten Verbündeten des Regimes die unverbrüchliche Unterstützung und Zusammenarbeit und die Kontinuität der iranischen Regionalpolitik.
In Botschaften an die Hisbollah, Syrien, Hamas und die Huthis versicherte er die fortgesetzte Unterstützung für die
Auch die Finanzierung der Hisbollah durch Teheran wird weiterhin laut dem Hisbollah-kritischen libanesischen Analysten Ali al-Amin durch ein eigens durch Khamenei kontrolliertes Schattenbudget sowie „von religiösen Institutionen wie der Imam-Reza-Stiftung (die Stiftung Astân-e Qods-e Razavi), einer Art Mini-Staat mit enormen Ressourcen“
Gegenüber Russland signalisierte Peseschkian die Bereitschaft, am Rande des BRICS-Gipfels im russischen Kasan (22. bis 24. Oktober 2024) ein 20-Jahres-Abkommen zwischen beiden Staaten zu unterzeichnen. Doch es kam anders. Nur wenige Tage vor dem Gipfel wurde bekannt, dass das seit fast drei Jahren zur Unterzeichnung anstehende Abkommen nicht, wie von Teheran gewünscht, in Kasan, sondern zu einem späteren Zeitpunkt in einem bilateralen Rahmen unterzeichnet werden soll.
Während der Stichwahl um die Präsidentschaft zwischen Peseschkian und Dschalili wurde die große Kluft zwischen ihren außenpolitischen Ideen und Visionen mehr als deutlich. Die Differenz spiegelt sich in den zwei unterschiedlichen außenpolitischen Denkschulen wider, für die beide stehen und die bereits seit mindestens einem Vierteljahrhundert existieren. Bemerkenswert ist, dass die Positionen von Peseschkian, der einräumte, dass er keine konkreten Kenntnisse auf diesem Gebiet habe und sich daher auf führende Experten stützen würde, im Wesentlichen die außenpolitische Denkschule des ehemaligen zentristischen Präsidenten Rohani abbildet.
Das Kernkonzept dieser Denkschule ist „konstruktives Engagement“ – womit die Verständigungspolitik mit dem Westen gemeint ist. Sie sieht die Regimestabilität durch wirtschaftliche Krisen gefährdet und strebt daher Entspannung in den Außenbeziehungen an, um Sanktionen abzubauen. Nur auf diesem Wege sei eine wirtschaftliche Erholung denkbar, die auch die Injektion dringend benötigter ausländischer Direktinvestitionen und den Handel zumindest mit Europa ermöglichen würde. In der Folge, so diese Denkrichtung, würden sich die makro- und sozio-ökonomischen Bedingungen in Iran verbessern, das BIP-Wachstum würde dementsprechend auf die Bevölkerung heruntersickern.
Ein Hauptziel sei daher die Überwindung der internationalen Isolation, insbesondere im Finanz- und Bankensektor. Dafür befürwortet diese Schule die Einhaltung von FATF-Standards (u.a. die Ratifizierung des Übereinkommens gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, die sogenannte Palermo-Konvention). Die Financial Action Task Force (FATF) ist die führende internationale Institution, die Standards zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen festlegt und deren rechtliche Umsetzung und effektive Anwendung durch die Mitgliedsstaaten überwacht. Über 200 Länder und Jurisdiktionen haben sich zur Einhaltung der FATF-Standards verpflichtet. Iran wird aktuell neben Nordkorea und Myanmar als „hochriskante Jurisdiktion“ auf der „schwarzen Liste“ der FATF aufgeführt.
Hier prallen handfeste polit-ökonomische und somit Macht-Interessen unterschiedlicher Elite-Fraktionen in der Islamischen Republik aufeinander. Eine im Zuge von Sanktionslockerung und Einhaltung von FATF-Standards durchgeführte relative Öffnung der iranischen Wirtschaft stößt auf Widerstand innerhalb des Regimes, da sie zentrale Praktiken wie Geldwäsche und die Finanzierung von Terrorgruppen der regionalen „Achse des Widerstands“ sowie des Raketen- und Atomprogramms in Gefahr bringen würde. Weitere Folgen wären in den Augen der Machtelite:
Der Zusammenbruch der monopolistischen Wirtschaftsimperien, die von staatlichen und halbstaatlichen Entitäten kontrolliert werden, infolge von wirtschaftlicher Öffnung und daraus resultierendem Wettbewerbsdruck,
die Ausbreitung des westlichen „Kultur-Imperialismus“, wodurch auch die Identität der Islamischen Republik und ihr politisches Überleben gefährdet wäre.
Mit anderen Worten: Für die Machtelite ist eine wirtschaftliche Öffnung nur bis zu einem gewissen Grad möglich, indem vor allem mit ihr Geschäfte gemacht werden und der Iran von der schwarzen Liste der FATF gestrichen wird, ohne jedoch die notwendigen FATF-Standards zu übernehmen.
Die beiden außenpolitischen Denkschulen unterscheiden sich auch darin, wie sie jeweils das internationale System sehen, seine Polarität und die Machtverteilung darin, den Platz, den Iran dort einnimmt, und in ihren Präferenzen, mit wem das Land vorrangig zusammenarbeiten sollte. Die realistische Denkschule bevorzugt geopolitisch den Westen, sieht ihn zwar im relativen Machtverlust, aber weltweit noch immer als den dominierenden Akteur des internationalen Systems. Im Gegensatz dazu favorisieren „Islamische Idealisten“ wie Dschalili und zuvor auch Raisi eine geopolitische Orientierung am „Rest der Welt“ – einschließlich Russland, China und dem Globalen Süden.
Trotz dieser unterschiedlichen Ansätze ist eine Fortsetzung der janusköpfigen Außenpolitik Teherans wahrscheinlich. So wird die von Dschalili prominent vertretene Ablehnung des internationalen Status-Quo wohl auch weiterhin die Außenpolitik der Islamischen Republik prägen, was sich in der Opposition und dem Widerstand gegen den Westen und das internationale System niederschlägt. Das Konzept des „Widerstands“ (Moqâvemat) bleibt hier zentral, manifestiert in erstens ideologischer und kultureller (tugendhafter Islam versus dekadenter Westen; Widerstand und Isolierung Irans von westlichen kulturellen Einflüssen oder „Soft Power“), zweitens militärischer (im Nahen Osten über die Unterstützung der von Teheran angeführten „Achse des Widerstands“, die darauf abzielt, die Interessen der USA und Israels zu bekämpfen und im Idealfall beide aus der Region zu vertreiben) und drittens geopolitischer Opposition (auf der Grundlage des Anti-Amerikanismus und des Tiersmondismus, mit der Präferenz für die geopolitische Ausrichtung nach Osten, einschließlich eines Bündnisses mit Russland und China). Der letzte Punkt schließt auch den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen zu Afrika und Lateinamerika als Gebiete geopolitischer und wirtschaftlicher Machtprojektion mit ein.
Vieles deutet darauf hin, dass Peseschkians Amtszeit lediglich eine weitere Episode in der Geschichte der taktischen Manöver der Islamischen Republik darstellt. Die von Rohani und nunmehr Peseschkian vertretene „moderate“ außenpolitische Denkschule weist fundamentale Schwächen auf, die ihre Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in Frage stellen.
Erstens vernachlässigt sie die von der Mehrheit der iranischen Gesellschaft geforderte politische Entwicklung und Demokratisierung. Stattdessen bevorzugt sie ein „chinesisches Modell“ der wirtschaftlichen Öffnung bei Beibehaltung eines autoritären politischen Systems.
Zweitens ignoriert der Ansatz den inhärenten Widerspruch zwischen dem Streben nach internationaler Akzeptanz und der gleichzeitigen Aufrechterhaltung der revolutionären, anti-westlichen Haltung. Die Idee, eine auf Wirtschaftsdiplomatie, Entspannung in internationalen Beziehungen und konstruktives Engagement (Ta’âmol-e Sâzandeh) fußende „entwicklungsgeleitete Außenpolitik“ mit einem fortgesetzten islamisch-revolutionären Anspruch zu vereinbaren, erscheint unrealistisch.
Drittens stützt sich die „moderate“ Schule auf eine irreführende Lesart von (nachhaltiger) Entwicklung und sozio-ökonomischer Verbesserung, die sich auf bloße Wachstumszahlen konzentriert, ohne die Verteilungsgerechtigkeit zu berücksichtigen. Die Erfahrungen nach dem Atomdeal 2015 haben gezeigt, dass Wirtschaftswachstum allein nicht ausreicht, um die sozioökonomische Situation der breiten Bevölkerung zu verbessern. So verzeichnete Iran zwar ein maßgebliches Wirtschaftswachstum im Jahr 2017, gleichzeitig stieg aber auch die Einkommensungleichheit. Das Wachstum war vorrangig durch den revitalisierten Ölexport getrieben, was zwar kapitalintensiv ist, aber wenig Arbeitsplätze schafft. Die Folge war eine zunehmende soziale Frustration in der iranischen Gesellschaft, die auf den Straßen Teherans zwar mehr Porsches, aber kaum etwas von diesem Aufschwung auf sie „heruntersickern“ sah – obwohl es der damalige Präsident Rohani, aber auch europäische Regierungen fest in Aussicht gestellt hatten.
Es war letztlich auch die Unzufriedenheit mit dieser Politik, die sich Ende 2017 in den landesweiten, von den Unterschichten getragenen Dey-Protesten und den Protesten der Folgejahre entlud.
Dr. Ali Fathollah-Nejad ist ein deutsch-iranischer Politologe und Autor mit Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten (insb. Iran), westlicher Außenpolitik und post-unipolarer Weltordnung. Von ihm erscheint demnächst das Sachbuch "Iran – Wie der Westen seine Werte und Interessen verrät". Er ist Gründer und Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG), welches zu Transformationen und einer Interessen und Werte versöhnenden Außenpolitik forscht. Er lehrt zudem Nahost-Politik und Internationale Sicherheit an der Hertie School in Berlin und ist Fellow am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn.
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