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"Der Protest in Iran darf nicht vergessen werden"

Ghazal Abdollahi Hamideh Hamidi

/ 7 Minuten zu lesen

Ghazal Abdollahi und Hamideh Hamidi mussten beide ihre Heimat Iran verlassen. Aus dem deutschen Exil unterstützen sie die Proteste gegen die Staatsführung. Sie sorgen sich, dass die Protestierenden in Iran international in Vergessenheit geraten. Derweil steigt die Zahl der Hinrichtungen im Land.

Niloofar Hamedi und Elaheh Mohammadi waren zu Haftstrafen verurteilt worden, weil sie über den Tod von Jina Mahsa Amini berichtet hatten. Mitte Januar 2024 durften sie das Teheraner Evin-Gefängnis auf Kaution verlassen. Gleichzeitig lässt die iranische Führung Hunderte Menschen hinrichten, die teils seit Jahren im Gefängnis sitzen. (© picture-alliance, Zumapress.com / Elaheh Salehi / Iran Images)

bpb.de: Sie leben beide im Exil in Deutschland, nachdem sie Ende 2022 beide sehr abrupt Ihre Heimat Iran verlassen mussten. Was war der ausschlaggebende Grund, Ihr Heimatland zu verlassen?

Ghazal Abdollahi: Ich habe den Iran im November 2022 verlassen. Vor allem wegen meiner Familie. Meine Eltern sind beide Regimekritiker. 2022 war meine Mutter noch inhaftiert, im Evin-Gefängnis.

Nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini im September 2022 nahm ich an den Demonstrationen teil. Während dieser Proteste wurde eines Nachts auf mich geschossen, Freunde von mir wurden verhaftet. Glücklicherweise traf mich nur eine Paintball-Kugel, aber ich stürzte und verletzte mich. Danach haben meine Mutter und mein Vater darauf bestanden, dass ich das Land verlasse. Sie sagten, wenn du für einen Wandel in Iran kämpfen willst, bist du nützlicher, wenn du das Land verlässt.

Hamideh Hamidi: Ich habe in Iran in der Stadtverwaltung von Teheran gearbeitet. Außerdem war ich Fußball-Torwarttrainerin. Ich und einige meiner Freunde und Kollegen haben uns politisch engagiert – gegen die Regierung. Wir standen unter viel Druck seitens des Regimes und wurden genau beobachtet. Wie Ghazal nahmen auch wir 2022 an den Protesten teil. Dann wurden einige meiner Freunde und Kollegen verhaftet. Da war klar, dass ich das Land sofort verlassen muss, um nicht auch im Gefängnis zu landen.

bpb.de: Am 16. September 2022 starb Interner Link: Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam. Drei Tage zuvor war die 22-Jährige von der sogenannten Sittenpolizei verhaftet worden, weil sie ihr Kopftuch „unangemessen“ getragen hatte. Ihr Tod löste eine Protestbewegung aus. Die Iraner und Iranerinnen waren schon zuvor auf die Straße gegangen: Es gab Massenproteste während der „Grünen Bewegung“ im Jahr 2009 und erneut in den Jahren 2017 bis 2019. Was war 2022 anders?

Hamideh Hamidi: Die Menschen waren viel wütender. Jina Mahsa Amini war völlig unschuldig. Sie starb grundlos, einfach nur wegen eines Kopftuches. Deshalb gingen so viele Menschen auf die Straße, obwohl sie wussten, dass sie verletzt werden oder sogar sterben könnten – und viele Menschen wurden getötet. Dennoch protestierten die Menschen, um sich Gehör zu verschaffen.

Ghazal Abdollahi: Erst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass die Protestbewegung andauert. Sie ist nicht vorbei.

Ich erinnere mich noch an die Nacht, in der der Tod von Jina Mahsa Amini öffentlich gemacht wurde. Niemand, wirklich niemand glaubte der Regierung, die zunächst ihren gewaltsamen Tod leugnete. Keiner glaubte auch nur eine Sekunde lang die offizielle Bekanntmachung. [Anm. d. Red.: Zunächst hatte die Polizei erklärt, dass Jina Mahsa Amini an „plötzlichem Herzversagen“ verstorben sei.] Die Proteste, die nach ihrem Tod begannen, waren wie das Interner Link: Ende eines Prozesses, der Jahre angedauert hatte. 2022 ging es zunächst um Gerechtigkeit für Jina Mahsa Amini und um die Freiheit der Frauen, aber dann kamen all die unterschiedlichen Gruppen hinzu, die schon zuvor gegen Wahlbetrug, die Jobsituation, die Gaspreise und so weiter protestiert hatten. All diese Gruppen wurden eins. Das war der große Unterschied zu den Protesten zuvor.

bpb.de: Wie können Sie im Exil in Deutschland die Protestbewegung in Iran unterstützen?

Hamideh Hamidi: Ich bin sehr aktiv in den sozialen Medien und poste dort Nachrichten und Informationen. Aufgrund der Interner Link: Einschränkungen des Internets durch Irans Regierung ist es nicht einfach, Infos mit den Menschen in Iran zu teilen. Aber ich kann trotzdem hilfreich sein. Ich gebe auch Interviews wie dieses hier, um über die Proteste zu sprechen und damit der Welt zu zeigen, was in Iran geschieht. Außerdem nehme ich an Protesten teil, die manchmal hier in Deutschland in verschiedenen Städten stattfinden. Das ist eine weitere Möglichkeit, um meine Unterstützung zu zeigen. Und es ist eine sehr effektive, denn egal ob innerhalb oder außerhalb von Iran, die iranische Regierung mag keine Proteste. Sie hat Angst davor.

Ghazal Abdollahi: Nach drei Jahren im Gefängnis wurde meine Mutter vor einigen Monaten freigelassen. Der Schwerpunkt meines politischen Engagements liegt aber weiterhin auf den politischen Gefangenen in Iran und den Menschen, die von einer Hinrichtung bedroht sind. Ich versuche, ihnen eine Stimme zu geben, indem ich Interviews gebe und die Geschehnisse in Iran publik mache. Außerdem ist die Situation in Iran Teil meiner Arbeit als Künstlerin, sie ist Teil meiner Gemälde und Fotografien.

bpb.de: Irans Regierung überwacht die politischen Aktivitäten von Kritikern und Kritikerinnen wie Ihnen. Sie haben beide Familie in Iran, die vom Regime unter Druck gesetzt wird. Es muss schwierig für Sie sein, sich politisch zu engagieren und zugleich mögliche Konsequenzen für Ihre Familien mit zu bedenken. Wie gehen Sie damit um?

Hamideh Hamidi: Das ist wirklich schwierig. Meine Beiträge in den sozialen Medien werden überwacht, und ein paar Mal haben sie Familienmitglieder angerufen und sie nach meinen Aktivitäten ausgefragt. Sie haben Druck auf sie ausgeübt und gesagt, dass ich mit meinem Engagement aufhören soll. Manchmal halte ich Online-Posts zurück, die zu extrem sein könnten, weil ich weiß, dass Familienmitglieder verhaftet oder für mein Handeln bestraft werden könnten. Denn Iran ist ein Land, in dem nicht nur du für deine Taten bestraft wirst, sondern auch deine Familie. Es ist also sehr anstrengend, politisch aktiv zu sein – sogar im Exil.

Ghazal Abdollahi: Als ich noch in Iran war und meine Mutter im Gefängnis saß, wurde sie über mich verhört. Die Beamten sagten ihr, sie solle mit mir reden. Dass ich aufhören solle, gegen die Regierung zu protestieren. Meine Mutter sagte ihnen, dass wir die junge Generation sind; dass sie mir als Elternteil nicht sagen kann, was ich tun soll. Noch heute rufen sie meine Eltern an und bedrängen sie, dass ich in den Iran zurückkehren soll.

bpb.de: Sie haben vorhin unterstrichen, dass die Protestbewegung in Iran anhält. Ebenso gehen Unterdrückung und Repression durch das Regime weiter sowie die Hinrichtungen. Zugleich bekommt die Situation in Iran momentan weniger Aufmerksamkeit, denn der Fokus liegt auf dem Krieg in Nahost. Was bedeutet das für Irans Opposition?

Ghazal Abdollahi: Dass sich die Aufmerksamkeit der Welt auf den Krieg im Nahen Osten richtet, nutzt die Islamische Republik aus, um den Druck auf das iranische Volk zu erhöhen und eine steigende Zahl von Hinrichtungen zu vertuschen. Ich habe Freunde im Gefängnis. Ich habe versucht, auf sie aufmerksam zu machen, aber sie wurden hingerichtet. Das Regime lässt jetzt Menschen hinrichten, die schon seit Jahren im Gefängnis sitzen. Die Hinrichtungen sind das drängendste Problem: Seit Anfang 2023 wurden im Iran rund 700 Personen hingerichtet.

Hamideh Hamidi: Die Protestbewegung in Iran wurde durch die anhaltenden Repressionen, Verhaftungen und Hinrichtungen geschwächt. Die Menschen fürchten um ihr Leben. Ich habe das Gefühl, dass das Ausland seine Unterstützung reduziert hat, weil es vielleicht denkt, dass der Konflikt gelöst ist, wenn die Menschen ruhig sind. Aber das ist nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Für die Menschen hat sich nichts verändert. Das Einzige, was sich verändert hat: Der Druck der Regierung hat zugenommen. Die Menschen haben Angst, wieder zu protestieren, weil die Situation in Iran im Moment sehr hart und schonungslos ist. Außerdem wird das Internet stark gefiltert und es gibt viele Einschränkungen: Das macht es für die Menschen schwierig, dass ihre Geschichten außerhalb des Landes gehört werden.

Deshalb: Das ist eine Zeit, in der wir Hilfe brauchen. Und ich verstehe wirklich nicht, warum wir vergessen werden und wenige über die Menschen in Iran und ihren Kampf für Veränderungen sprechen.

Ghazal Abdollahi: Ich habe den Eindruck, als müssten die Menschen in Iran mit nichts in den Händen auf die Straße gehen und sich vom Regime umbringen lassen, nur dann werden die Menschen in Deutschland und in anderen westlichen Ländern verstehen, dass die Protestbewegung noch aktiv ist. Aber die Menschen in Iran wollen nicht auf der Straße sterben. Trotzdem kämpfen sie weiter, sie riskieren immer noch ihr Leben. Sie kritisieren die Regierung, verbünden sich, helfen sich gegenseitig. Frauen nehmen immer noch ihre Kopftücher ab und riskieren ihr Leben.

bpb.de: Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass der Protest anhält und dass es in Iran einen Wandel geben wird?

Hamideh Hamidi: Wie Ghazal glaube ich an diese Bewegung. Die Art und Weise, wie die Menschen kämpfen, hat sich geändert. Zugleich sind die Menschen in Iran auch enttäuscht von der ausländischen Hilfe, weil sie das Gefühl haben, dass die Welt sie aufgegeben hat. Doch dieses Mal werden sie nicht aufgeben. Sie glauben daran, dass es einen Wandel geben wird. Bislang hatte keine Diktatur ewig Bestand, also wird das auch bei der iranischen Regierung nicht der Fall sein.

Ghazal Abdollahi: Ich denke, es sollte mehr politische Unterstützung geben. Das Europäische Parlament hat zum Beispiel gefordert, dass die iranischen Revolutionsgarden als terroristische Organisation eingestuft werden, aber es ist nichts passiert. In Iran sitzen auch zwei Deutsch-Iraner im Gefängnis. Sie sind politische Gefangene. Bislang hat die deutsche Regierung nicht genug getan, um sie herauszuholen. [Anm. d. Red.: Während der Unternehmer Jamshid Sharmahd noch gefangen gehalten wird, ist die Frauenrechtlerin Nahid Taghavi Anfang Januar 2024 vorübergehend in einen Hafturlaub entlassen worden.]

bpb.de: Was sollte die deutsche Öffentlichkeit Ihrer Meinung nach tun, um die Protestbewegung in Iran zu unterstützen?

Hamideh Hamidi: Einige meiner deutschen Freunde haben mich gefragt, ob die Protestbewegung zum Stillstand gekommen sei, weil es viel weniger Berichte gibt. Es ist also wichtig, den Iran nicht zu vergessen. Nur dann können Menschen zum Beispiel hier in Deutschland die Nachrichten verfolgen und sie teilen.

Vor allem sollten wir darüber sprechen, was in Iran passiert – und zwar in der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik. Wir sollten die Protestbewegung und den Mut der Menschen in Iran nicht vergessen.

Das Interview führte Sonja Ernst.

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Die iranische Künstlerin Ghazal Abdollahi lebt im Exil in Berlin. Zuvor studierte sie Theater in Teheran. 2022 musste sie aufgrund ihres politischen Engagements gegen das Regime Iran verlassen. Ihre Eltern sind beide Menschenrechtsaktivisten in Iran.

Hamideh Hamidi war viele Jahre Torhüterin der iranischen Fußballnationalmannschaft. Als 18-Jährige stand sie zum ersten Mal für das Team im Tor. 2022 musste sie Iran verlassen, nachdem sie sich politisch gegen das Regime eingesetzt hatte. Sie lebt heute im Exil in Deutschland. Unter anderem ist sie als Torwartcoach tätig.