"Die Botschaft war klar: So unterschiedlich wir sind, die Diskriminierung muss aufhören"
Walter Posch
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Die Menschen in Iran wollen ein Ende der brutalen Gewalt durch den Sicherheitsapparat – und das, so der Iranist Walter Posch, weit über die oppositionellen Kreise hinaus. Doch das Regime hält dagegen.
Hinweis
Mit der interdisziplinären Ringvorlesung "Frauen, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potentiale" bot die Universität zu Köln von April bis Juli 2023 verschiedene Veranstaltungen an. Anlass waren die Proteste nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini im September 2022 im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei. Bei den Vorlesungen und Diskussionsrunden ging es um die aktuelle Situation der Menschen in Iran sowie den Blick zurück in der Geschichte. Die Ringvorlesung wurde konzipiert von Katajun Amirpur, Professorin am Institut für Sprachen und Kulturen der islamisch geprägten Welt. Das Interview entstand begleitend zur Ringvorlesung.
bpb.de: Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 gab es einen Aufstand der Iranerinnen und Iraner…
Walter Posch: Einen Aufstand würde ich das nicht nennen. Die Demonstrationen waren bei weitem nicht einmal ein Bruchteil von dem, was in Iran 2009 los war. Die Proteste im vergangenen Jahr hatten die Sicherheitskräfte relativ schnell unter Kontrolle.
Gefährlich für das Regime war aber, dass Gesellschaftsschichten, die normalerweise fein säuberlich getrennt sind, auf einmal gesagt haben: So unterschiedlich wir sind, wir wollen keinen Iran, der systematisch seine Bürger diskriminiert aufgrund des Geschlechts, aufgrund der Konfession und aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit.
Diese Botschaft wurde geteilt von den sunnitischen Fundamentalisten an der pakistanischen Grenze bis zu den leicht linksorientierten säkularen Kreisen im Norden Teherans. Damit wurde auf der narrativen Ebene Neuland betreten und es ist ein extrem mächtiges Narrativ.
Dazu gehörte auch die Aussage: Ihr könnt versuchen, uns auseinanderzudividieren, aber so unterschiedlich wir sind, wir wollen, dass diese Diskriminierung aufhört, die immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Toten führt. Das war die ganz klare Botschaft – und gegen die ist das Regime kaum angekommen.
bpb.de: Das Regime hat versucht, diese neue Geschlossenheit in der Gesellschaft aufzuspalten.
Walter Posch: Ja, man hat zum Beispiel versucht, die sunnitischen Fundamentalisten gegen die säkularen Frauen auszuspielen. Doch dann meldete sich zum Beispiel Moulana Abdulhamid zu Wort, ein sunnitischer Religionsführer, und sagte: Das Problem ist nicht, ob wir fromm sind oder nicht, sondern dass Menschen systematisch in Polizeigewahrsam erschlagen werden. Das ist das Problem.
Zu diesem Versuch einer Spaltung gehört auch, die nationale Sicherheitskarte zu spielen. Zu Beginn gab es vor allem Proteste in der Provinz Kurdistan. Man versuchte daraus ein Problem für die nationale Sicherheit zu konstruieren. Aber das fruchtete nicht.
Was dem Regime jedoch genutzt hat, ist der Anschlag einer fundamentalistischen Gruppe in Belutschistan. Das Regime nahm das zum Anlass und versuchte über eine Eskalationsspirale zu zeigen, dass es Druck auf die Sunniten im Südosten ausüben muss, um die Sicherheit zu wahren. In Kurdistan wiederum ist sich das Regime seiner Sache sicherer. Denn die linken kurdischen Gruppen vor Ort sind vollkommen zerstritten untereinander. Und die islamistischen Kurden wiederum haben kein Echo im Westen, obwohl von ihnen über die lokalen Moscheen viele Proteste im vergangenen Herbst ausgegangen waren.
Was jetzt noch hinzukommt ist, dass sich das Regime entschieden hat, ab jetzt gegen die Frauen, die das Tragen des Kopftuchs verweigern, aggressivst vorzugehen. Hier versucht das Regime einen Kulturkampf zu eröffnen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich sunnitische Fundamentalisten anhaltend für das Recht von Frauen einsetzen, kein Kopftuch tragen zu müssen, ist doch gering.
bpb.de: In Iran sorgen verschiedene Organe für Sicherheit. Welche sind zurzeit entscheidend dafür?
Walter Posch: Staat und Regime muss man unterscheiden. Es gibt staatliche Strukturen, die die Revolution 1979 und den Iran-Irak-Krieg 1980 bis 1988 überlebt haben. Dazu gehören die Armee, die Grenztruppen, im Wesentlichen auch die Polizei und Teile des Geheimdienstes.
Dann gibt es die Revolutionsgarden: eigentlich eine Sammelbezeichnung für verschiedene Organe. Der Geheimdienst der Revolutionsgarden ist sicherlich eine der aggressivsten Organisationen in Iran mit einer eigenen Agenda. Dieses Phänomen ist typisch für Länder der Dritten Welt, die starke Sicherheitsapparate haben und sich mehrere Dienste gegenseitig belauern und in die eigene Tasche wirtschaften.
Iranische Revolutionsgarden und Quds-Einheit
Die Revolutionsgarden wurden 1979 gegründet und stehen bis heute in Konkurrenz zur regulären Armee. Nach dem Sturz des Schahs misstraute Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini der Armee und gründete die Garden. Zu ihnen zählen heute etwa 150.000 Mann. Sie unterstehen nicht der Regierung, sondern dem Revolutionsführer.
Zu den Garden gehören die Quds(=Jerusalem)-Einheiten, die 1984 – während des Irak-Iran-Krieges – gegründet wurde. Zu ihr gehören schätzungsweise 10.000 bis 20.000 Mann. Ihr Auftrag besteht vor allem darin, iranfreundliche Milizen militärisch sowie ideologisch auszubilden, sie zu finanzieren und teils auch anzuführen. Die Quds-Einheit untersteht mittlerweile direkt dem Revolutionsführer und konnte dadurch innerhalb der Revolutionsgarden an Bedeutung gewinnen.
Was wir gerne vergessen ist, dass die Revolutionsgarden oder Teile von ihnen auch als politische Akteure zu sehen sind. Und in dieser Rolle verteidigen sie ihre eigenen Interessen, vor allem aber die Illusion oder die Idee von einer Islamischen Republik und das Erbe der Revolution sowie des langen Krieges gegen Irak. Ihre Hauptstütze ist nach wie vor die Kriegsgeneration: Also, die Menschen, die acht Jahre lang im Iran-Irak-Krieg gekämpft haben. Bei ihnen ist die Unterstützung für das Regime auch am höchsten.
bpb.de: Die Angehörigen der Revolutionsgarden sind teils stark lokal verwurzelt. Sie haben sich an manchen Orten zunächst zurückgehalten, als die Proteste im Herbst 2022 niedergeschlagen wurden. Wie lässt sich das erklären?
Walter Posch: Weil ihre Töchter demonstriert haben. Das ist das eine.
Aber das andere war: Man hat zwar genügend Sondereinheiten, Spezialkräfte und so weiter. Aber vor allem hat man sich gestützt auf „halblegale“ Prügelgangs, die zum Teil aus Kriegsveteranen bestehen. Teilweise sind das Leute, die aus einem sehr fanatisierten Umfeld kommen. Es sind nicht unbedingt sehr viele, aber sie sind zahlreich genug, um überall im Land präsent zu sein. Und das Regime konnte sie sofort einsetzen. Sie wurden über eine Stabsstelle für öffentliche Sittlichkeit und Moral koordiniert, die streng genommen gar nicht existieren kann, weil sie keine staatliche Funktion hat.
Menschen in diesen Prügelgangs gehen davon aus, dass die Islamische Revolution im Iran noch nicht gesiegt hat und dass sie die jetzige Krise nutzen müssen, um der Revolution zum Durchbruch zu verhelfen. Sie sind nicht zahlreich genug, um die politischen Gewichte zu ihren Gunsten zu verschieben. Aber man lässt sie zu. Aus ihren Kreisen kommen auch jene, die für die Vergiftungen an den Mädchenschulen verantwortlich sind. Für sie macht es keinen Unterschied, ob Frauen kein Kopftuch tragen oder beim Tragen nicht strikt die Kleiderordnung einhalten. Aus ihrer Sicht setzt das Regime den Kopftuchzwang gar nicht wirklich durch.
Meine Interpretation ist, dass zum Beispiel die Vergiftungen der Mädchen vor allem auch ein Zeichen dafür sind, dass diese Gruppen immer weniger unter Kontrolle sind. Dass man auf brutale Gruppen setzt zur Bekämpfung der eigenen politischen Gegner, das ist nicht neu im modernen Iran. Das hat man mit Rechtsextremen gegen die Kommunisten gemacht, mit Islamisten gegen die Kommunisten, mit Islamisten gegen Liberale und so weiter. Mit solchen brutalen Gruppen lässt sich kurzfristig eine Krise stemmen, aber sie lassen sich langfristig nicht einbinden. Diese brutalen Gruppen haben jetzt ein kleines Revival – und über diese neue Generation von ihnen wissen wir zu wenig, weil auch niemand darüber forschen kann.
bpb.de: Was bedeutet das für die nahe Zukunft in Iran? Manche sahen in den Protesten den Anfang einer Revolution.
Walter Posch: Einen Interner Link: revolutionären Prozess kann ich nicht erkennen. Ich verstehe auch nicht, wie man Revolutionen positiv beurteilen kann. Dafür braucht man den Willen zur Macht und auch den Willen und die Fähigkeit, unter Umständen Menschen zu töten. Wenn der Wunsch des iranischen Volkes ist, eine Regierung zu haben, die gerechter ist, dann ist das Modell der Revolution der Beweis dafür, dass es gescheitert ist. Die Islamische Republik ist weder sozial noch politisch viel gerechter als der Pahlavi-Staat.
Ich würde im Moment von einer Evolution sprechen, von einer Evolution im Geiste. Die Bevölkerung hat ihre Hauptforderungen formuliert wie etwa das Ende von Folter oder dem Tod im Polizeigewahrsam. Das sind klare Aussagen, die weit über die ohnehin regimekritischen Kreise hinaus wirkmächtig sind. Und das ist, wie gesagt, das Besondere.
Die Frage ist nun, wie stark die Brutalitäten, die noch zu erwarten sind, sein werden; ob im Sicherheitsapparat aktuell noch die Bereitschaft für ein brutales Niederschlagen von Protesten da ist, wie wir es 2009 erlebt haben. Das ist jetzt wirklich die große Frage, auf die ich keine Antwort habe.
Dr. Walter Posch ist Historiker und Iranist. Er arbeitet am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie in Wien.
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