Der Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022, der den ersten größeren Konflikt in Europa seit den Balkankriegen in den 1990er Jahren auslöste, ist ein Wendepunkt in der Geschichte des Kontinents nach dem Kalten Krieg. Der Konflikt stellt Länder in Europa, Asien und darüber hinaus vor erhebliche sicherheitspolitische Herausforderungen und hat zu unerwarteten Veränderungen in den seit langem etablierten Paradigmen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber Autokratien geführt, wie etwa der Fall Deutschlands zeigt. Auch Iran ist keineswegs immun gegen die geopolitischen Veränderungen, die derzeit stattfinden.
Vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine schienen die Verhandlungen mit Iran nach fast einjährigem diplomatischen Hin-und-Her in Wien kurz vor einer Wiederbelebung des Interner Link: internationalen Abkommens zum iranischen Atomprogramm (der Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) von 2015 zu stehen. Die Invasion, die viele im Westen überraschte, führte zwar zunächst dazu, dass Teheran und Moskau ihre Positionen scheinbar veränderten, was eine weit verbreitete Unsicherheit über die Gespräche und sogar Befürchtungen über deren Scheitern auslöste. Ende März schienen die Gespräche über das Atomabkommen jedoch Kurs auf eine Einigung zu nehmen, bevor sie dann wieder in einen Stillstand mündeten.
Über den JCPOA hinaus hat der eskalierende Konflikt zwischen Wladimir Putins Russland und dem transatlantischen Bündnis auch in Iran die Debatten über die Folgen für die Stellung des Landes in der Weltordnung neu belebt. In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, die innenpolitische Diskussion in Iran über seinen mächtigen russischen Partner und dessen Beziehung zur Führung in Teheran zu analysieren.
Die geopolitischen Hoffnungen Teherans
Die offizielle Reaktion der Islamischen Republik Iran auf die russische Invasion, sowohl in den staatlichen Medien als auch in offiziellen Kreisen, spiegelte überwiegend die Kriegspropaganda Moskaus wider. Gleichzeitig wurden Lippenbekenntnisse zur "Wahrung der territorialen Integrität und nationalen Souveränität aller Länder" (in den Worten des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi) abgegeben. In der Regel bezeichnete das Regime die Invasion als russische "Sonderoperation", die durch die Osterweiterung des von den USA angeführten NATO-Bündnisses ausgelöst worden sei. In dieser Sicht will Russland angesichts des jahrzehntelangen, destabilisierenden westlichen Expansionismus lediglich seine eigene Sicherheit gewährleisten.
Diese Blickweise wird von den wichtigsten iranischen Medien (die mit dem Staat und den Revolutionsgarden verbunden sind) und von seinen staatlichen Repräsentanten (darunter dem Obersten Führer Ali Chamenei, dem Präsidenten Raisi, dem Geheimdienstminister Esmail Khatib und dem Teheraner Imam für das Freitagsgebet) vertreten.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine sei ein notwendiger Akt des Widerstands gegen die Aggression des Westens und der NATO, so dass die Schuld an der gegenwärtigen Eskalation eindeutig bei letzteren liege. Indem sie Russland in Schutz nehmen, rechtfertigen diese Stellungnahmen implizit Irans eigene offensive regionale Politik, die als "Vorwärtsverteidigung" tituliert wird und die Teheran ebenfalls gerne als legitime Reaktion auf den angeblich destabilisierenden US-Expansionismus in der Region darstellt.
In den Augen der iranischen Elite entspricht Russlands Vorgehen gegen die Ukraine den Interessen Teherans und überschneidet sich mit der großen iranischen Strategie der Konfrontation mit den USA und dem Streben nach Macht und Einfluss im Nahen und Mittleren Osten und darüber hinaus. Das Zögern des Westens, in der Ukraine militärisch einzugreifen, wird als deutliches Zeichen für den Niedergang der Vereinigten Staaten gesehen. Das Image von Amerikas militärischer Stärke wurde bereits durch das Fiasko des Afghanistan-Abzugs im Herbst 2021 untergraben, aber auch durch Probleme in westasiatischen Konfliktherden, bei denen die USA und ihre Verbündeten es nicht geschafft haben, mit Iran verbündete Gruppen zu besiegen. Alles in allem hätten aus der Sicht Teherans die politischen Misserfolge der letzten Zeit dazu geführt, dass Washington seinen Status als Supermacht in den internationalen Beziehungen verloren hat.
Einmischung Russlands und Chinas in innere Angelegenheiten Irans
Die kremlfreundliche Politik der Islamischen Republik ist nicht unwidersprochen geblieben. Selbst bei einigen großen Medien, vor allem aber in der iranischen Gesellschaft, sind erhebliche Risse zu beobachten. Diejenigen, die versuchen, eine Gegenerzählung zu verbreiten, stehen jedoch vor gewaltigen Hindernissen.
Nachdem die russische Botschaft in Teheran einen Bericht der Nachrichtenagentur Tasnim – die wohlgemerkt mit den pro-russischen Revolutionsgarden verbunden ist – als "Fake News" verurteilt hatte, weil er Putins Operation in der Ukraine als "Invasion" bezeichnete, wurde der Text offline genommen und durch einen anderen ersetzt, der sich eng an den offiziellen Wortlaut des Kreml anlehnt.
In einem anderen Fall geißelte die russische Botschaft eine reformorientierte iranische Tageszeitung, die kritisiert hatte, dass Russland die JCPOA-Verhandlungen zu gefährden drohe. Später, am 9. März, hielt der russische Botschafter in Teheran eine Pressekonferenz ab, auf der er die iranischen Medien aufforderte, in ihrer Berichterstattung auf die Begriffe "Krieg" oder "Invasion" zu verzichten – eine eklatante Einmischung in die inneren Angelegenheiten Irans, die für Empörung im Land sorgte. Diese Beispiele für russische Einmischung erinnern an ähnliche Interventionen der chinesischen Botschaft in Iran gegen unvorteilhafte Medienberichte und offizielle Erklärungen – zuletzt über Chinas angebliche Stationierung von Sicherheitskräften zum Schutz seiner Investitionen im Iran. Bereits im ersten Jahr der Pandemie war die chinesische Botschaft eingeschritten, um Skeptiker der offiziellen COVID-19-Statistiken Pekings zum Schweigen zu bringen.
Diese Einmischung durch die Botschaften Russlands und Chinas in die inneren Angelegenheiten Irans spiegelt den Charakter der Beziehungen Teherans zu beiden Ländern wider. Ein eklatantes Machtgefälle zwischen Iran und seinen Verbündeten führt zu chronischer iranischer Schwäche und Abhängigkeit. Das Schreckgespenst eines neofeudalen Arrangements kommt auf, bei dem die Teheraner Führung dem Diktat ihrer Herren in Moskau und Peking folgen muss.
Russlands neuer Paria-Status könnte Irans Stellenwert in den bilateralen Beziehungen verbessern, allerdings nur, wenn Teheran seine Karten sorgfältig ausspielt und nicht einfach Putins Launen folgt. Im Kern zielt die iranische "Blick-nach-Osten"-Politik nicht nur auf wirtschaftliche Entwicklung und politische Unterstützung gegen den Druck des Westens ab, sondern auf das Überleben eines Regimes, dessen Rückhalt im eigenen Land schwindet. Moskau und Peking halten dieses schwankende Regime von außen aufrecht. So kommt es, dass die Islamische Republik nicht nur Zugeständnisse an russische oder chinesische Interessen macht, sondern sich manchmal sogar in vorauseilendem Gehorsam versucht.
Derlei Befürchtungen gab es bereits angesichts des im März 2021 unterzeichneten 25-jährigen Kooperationsabkommens zwischen Iran und China, und sie werden jetzt beim geplanten auf 20 Jahre angelegten Abkommen mit Russland wieder wach. Beiden langfristigen Abkommen, die als "strategisch" gepriesen werden, mangelt es an Transparenz, was im Iran zu wilden Spekulationen geführt hat. Es wird befürchtet, dass die Führung der Islamischen Republik sogar bereit sei iranische Ressourcen und Interessen zu verkaufen, um in einer Situation beispiellosen innen- und außenpolitischen Drucks ihre eigene Macht mit Hilfe dieser beiden nicht-westlichen Großmächte und ihres Vetorechts im UN-Sicherheitsrat zu festigen.
Als Kernstück des Abkommens mit Russland, das nach Angaben des iranischen Außenministeriums vom Dezember 2021 "fast unterschriftsreif" ist, will Moskau Berichten zufolge Teherans Interessen im UN-Sicherheitsrat und im Rahmen der Atomverhandlungen schützen und dem Land hochentwickelte militärische Ausrüstung (wie das S-400-Raketenabwehrsystem und Sukhoi Su-35-Kampfjets) zur Verfügung stellen. Im Gegenzug erhält Russland günstige Konditionen beim Zugang zu iranischen Öl- und Gasfeldern. Zeitgleich mit diesem Abkommen wurde im letzten Herbst ein weiterer Vertrag zwischen den beiden Ländern bekannt, der russischen Unternehmen den größten Anteil am kürzlich entdeckten riesigen Chalous-Gasfeld im iranischen Hoheitsgewässer im Kaspischen Meer einräumt (gefolgt von chinesischen Unternehmen und erst dann von iranischen Unternehmen – genauer gesagt von solchen, die mit den Revolutionsgarden verbunden sind).
Für Russland war Iran bislang ein echter Trumpf, der es Putin ermöglicht hat, die "iranische Bedrohung" gegenüber dem Westen auszuspielen und gleichzeitig wirtschaftlich von den Beziehungen zu Teheran zu profitieren, einschließlich der Wiederbelebung seiner eigenen Atomindustrie durch seine besondere Rolle beim iranischen Atomprogramm. Wenn Iran seine Beziehungen zum Westen im Zuge der Atomverhandlungen normalisieren sollte, würde dies den Einfluss Russlands stark beschränken. Mit anderen Worten: Ein westlich orientierter Iran würde für Moskaus Interessen eine größere Bedrohung darstellen als ein iranischer Staat, der über die Atombombe verfügt.
Bedenken der iranischen Gesellschaft gegenüber Russland
Die Art und die möglichen Auswirkungen der Beziehungen Irans zu Russland werden in der iranischen Gesellschaft weiter heftig debattiert. Die iranischen Ängste rühren von der Machtasymmetrie in den bilateralen Beziehungen und der Diskrepanz zwischen den nationalen Interessen und den Interessen des Regimes gegenüber Russland – oder auch China.
Die Bedenken der Gesellschaft gegenüber Russland wurzeln sowohl in der Geschichte als auch in der geopolitischen Realität. Die bittere Erinnerung an die Bombardierung des iranischen Parlaments im Jahr 1908 durch die von Russland angeführte persische Kosakenbrigade, um die konstitutionelle Revolution zu torpedieren, sowie an die anglo-sowjetische Invasion im Jahr 1941 ist noch immer im kollektiven Bewusstsein und erinnert an die Bereitschaft des Kreml, den Iran mit Füßen zu treten, wenn es um eigene Interessen geht.
Darüber hinaus betrachten gewisse Teile der außenpolitischen Elite in Iran Russland als unberechenbar. Für sie ist Moskau nicht mehr als ein egoistischer Akteur, der ausschließlich eigene Ziele verfolgt. So wird die russische Neigung ins Feld geführt, den Konflikt Irans mit dem Westen am Leben zu erhalten, um seine Position in diesem konfliktreichen Dreiecksverhältnis zu maximieren. Unter anderem wird Russland beschuldigt, Waffenlieferverträge zu brechen, den JCPOA-Prozess zu sabotieren und enge Beziehungen zu regionalen Feinden Irans (Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien) zu unterhalten.
Darüber hinaus gibt es in der Gesellschaft auch weitreichende Bedenken hinsichtlich des langfristigen Bündnisses, das das iranische Regime mit den gleichgesinnten Autokratien Russland und China schmieden will. Die im Anschluss an die Invasion der Ukraine abgehaltenen Anti-Kriegs-Proteste vor der ukrainischen Botschaft in Teheran waren zwar nur spärlich besucht, wurden aber von Sprechchören wie "marg bar Putin" ("Tod für Putin") begleitet – eine Verdeutlichung der antirussischen Stimmung im Land. Solche Vorbehalte gegenüber Russland gelten auch für China. Dennoch gibt es keinen organisierten Widerstand gegen die Vertiefung der Beziehungen des Regimes zu beiden Ländern. Die Interessen des Regimes und die der iranischen Gesellschaft gegenüber Russland stehen im Widerspruch. Während das Regime Russland als militärischen Sicherheitsgaranten für seine Stabilität und sein Überleben betrachtet, sieht die iranische Gesellschaft in dieser Unterstützung eine drohende Gefahr für demokratische Bestrebungen. Die pro-demokratischen Iraner und Iranerinnen befürchten, dass Moskau den Repressionsapparat ihres Landes verstärken und möglicherweise sogar sein Militär einsetzen könnte, falls die Proteste der Bevölkerung das Regime gefährden würden – wie in Syrien und zuletzt Kasachstan zu beobachten war.
Die Beziehung zwischen dem russischen und dem iranischen Regime wird auch durch ihre Parallelen intensiviert: Bei beiden handelt es sich um Petro-Staaten mit einer mafiösen Elite, an deren Spitze allmächtige Autokraten stehen, die sich nicht scheuen, für ihre Herrschaftssicherung mit brutaler Härte durchzugreifen, und die sich von Großmachtfantasien treiben lassen.
© 2022 Ali Fathollah-Nejad. Der Beitrag ist eine in Teilen angepasste Fassung eines zuerst auf Englisch auf der Website des Externer Link: Middle East Institute (MEI) in Washington erschienenen Artikels und folgt der vom Autor autorisierten Übersetzung in der Zeitschrift Externer Link: Hermes Kalamos.