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Erdöl, Klientelpolitik, Sanktionen: Irans sozioökonomische Entwicklung | Iran | bpb.de

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Erdöl, Klientelpolitik, Sanktionen: Irans sozioökonomische Entwicklung

Martin Beck

/ 8 Minuten zu lesen

Nach einer langen Wachstumsphase steckt Irans Wirtschaft tief im Abschwung. Auch aufgrund internationaler Sanktionen. Derweil kämpft die Gesellschaft mit Arbeitslosigkeit und sozialer Ungerechtigkeit. Martin Beck analysiert die sozioökonomische Entwicklung des Landes.

Das Geschäft mit dem Öl dominiert Irans Wirtschaft. Ein Drittel des BIP, vier Fünftel der Deviseneinnahmen und deutlich über die Hälfte der Staatseinnahmen Irans speisen sich aus Erdölexporten. (© AP)

Die sozioökonomische Entwicklung Irans wird im 21. Jahrhundert vor allem durch drei strukturelle Faktoren bestimmt:

  • die Prägekraft des Erdöls, denn Einnahmen aus Erdölexporten sind entscheidend für die Wirtschaft des Landes,

  • eine Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre, die eine mit hoher Korruption verbundene staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik befördert,

  • sowie das von den USA gegen Iran verhängte Sanktionsregime.

Ideologische und kulturelle Faktoren des Islamismus beziehungsweise Islam spielen hingegen eine nachgeordnete Rolle. Um diese Zusammenhänge genauer zu beleuchten, ist es wichtig, zunächst einige grundlegende statistische Daten des sozioökonomischen Systems der Islamischen Republik Iran kritisch zu diskutieren.

Wie steht es um Irans Wirtschaft? Die wichtigsten Daten im Überblick

Das Wirtschaftswachstum Irans war in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts zwar hohen Schwankungen unterworfen, die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 110 Milliarden US-Dollar (USD) (knapp 100 Milliarden Euro) im Jahre 2000 auf ein historisches Hoch von annähernd 600 Milliarden USD 2012 nimmt sich aber durchaus beeindruckend aus.

Gemäß Zahlen der Weltbank hat sich ab dem Jahr 2000 auch das BIP pro Kopf positiv entwickelt, was auch mit dem deutlich gesunkenen Bevölkerungswachstum zu erklären ist. Aufgrund der außerordentlich hohen Fertilitätsraten in den 1980er und 1990er Jahren und des entsprechend starken Zustroms junger Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt ist die Arbeitslosenrate im 21. Jahrhundert trotz Wirtschaftswachstums und gestiegenen Bruttoinlandsprodukts gewachsen und pendelte im Zeitraum von 2000 und 2018 zwischen zehn und 13,5 Prozent. In der Entwicklungsökonomie ist allerdings die These verbreitet, dass die Arbeitslosigkeit real bis zu doppelt so hoch ist wie in offiziellen Statistiken ausgewiesen.

Nach 2012 fiel das BIP allerdings stark ab und betrug 2017 nur noch gut 450 Milliarden USD. Neben gefallenen Erdölpreisen war die Hauptursache hierfür die US-Sanktionspolitik. In ihrem im Juni 2019 veröffentlichten Bericht zu den globalen Wirtschaftsaussichten erwartete die Weltbank für Iran für 2019 gar ein Jahr tiefer Depression mit Minuswachstum von 4,5 Prozent, und das bei stark gestiegener Teuerung: Hatte sich die jährliche Inflationsrate Mitte 2018 noch auf zehn Prozent belaufen, waren die Preise im April 2019 gegenüber dem Vorjahresmonat um über 50 Prozent gestiegen. Für die Jahre 2020 und 2021 erwartet die Weltbank allerdings wieder einen leichten Anstieg des Wirtschaftswachstums.

Armutsrate und Frauenerwerbsquote

Die Armutsrate – die Bezifferung jenes Anteils der Bevölkerung, dem pro Tag weniger als rund zwei USD zur Verfügung steht – konnte gegenüber den 1990er Jahren deutlich gesenkt werden: Waren am Ende des Ersten Golfkrieges (Irak-Iran-Krieg) 1988 noch über fünf Prozent der Bevölkerung arm, konnte dieser Anteil im 21. Jahrhundert auf deutlich unter ein Prozent gesenkt werden. Allerdings hielt die Verringerung sozialer Ungleichheit mit der Armutsbekämpfung nicht Schritt. So ist Iran gemessen an den meisten anderen Ländern des globalen Südens zwar relativ egalitär, im Vergleich zur arabischen Welt ist die soziale Ungleichheit in Iran aber ausgeprägter.

Die Frauenerwerbsquote – ein zentraler Gradmesser für die Chancen auf Überwindung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern – zählt in Iran mit zu den niedrigsten weltweit: 2018 lag die Frauenerwerbsquote bei lediglich 17 Prozent. Auch diese Zahl muss allerdings in einen Kontext gesetzt werden: Entgegen des globalen Trends verdoppelte sich die Frauenerwerbsquote in Iran nämlich von lediglich zehn Prozent in 1990 auf 19 Prozent in 2005. In diesen 15 Jahren entwickelte sich die Quote weltweit leicht rückläufig und fiel unter 50 Prozent. Auch war Irans Frauenerwerbsquote 2018 deutlich höher als im Nachbarland Irak mit zwölf Prozent.

Wie das Erdöl Irans Wirtschaft prägt

Ein Drittel des BIP, vier Fünftel der Deviseneinnahmen und deutlich über die Hälfte der Staatseinnahmen Irans speisen sich aus Erdölexporten. In den ersten beiden Jahrzehnten seiner Existenz – zwischen 1979 und 1999 – sah sich das Regime mit stark fallenden Erdölpreisen konfrontiert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts aber zogen die Preise deutlich an, wenngleich mit großen Schwankungen. So sackten die Ölpreise in der globalen Finanzkrise 2007/2008 von fast 150 USD kurzzeitig auf unter 50 USD ab und pendelten sich in der Folge zwischen 75 und 120 USD ein. Auch inflationsbereinigt lagen sie damit deutlich – phasenweise um das Doppelte — höher als nach der Erdölpreisrevolution 1973/74. Ab Mitte 2014 fielen die Preise dann allerdings drastisch. Zwar erholten sie sich Ende 2016 leicht und pendelten sich zwischen 2017 und Mitte 2019 um 60 USD ein ; der Rückgang des globalen Erdölpreises seit 2014 ist jedoch struktureller Natur und eine Rückkehr zu Preisen von über 100 USD unwahrscheinlich.

Die im 21. Jahrhundert stark gestiegenen Öleinnahmen und ihre Verteilung wirkten sich nicht nur auf das BIP aus, sondern prägten auch die sozioökonomische Entwicklung Irans bis in alle Verästelungen. Bei den Einnahmen aus dem Erdölverkauf handelt es sich ganz überwiegend um sogenannte Renten, denen im Unterschied zu unternehmerischen Gewinnen oder Einkommen aus Erwerbstätigkeiten keine Investitions- oder Arbeitsleistungen gegenüberstehen. Wenn wie in Iran durch die Erdölgewinnung der rentenabwerfende Sektor sehr viel lukrativer ist als alle anderen Branchen, können sich weder Agrar- noch Industrieproduktion zu konkurrenzfähigen Wirtschaftssektoren entwickeln.

So ist selbst die niedrige Frauenerwerbsquote Irans wesentlich auf das Erdöl zurückzuführen: Schubkraft für die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt bilden im globalen Süden exportorientierte Unternehmen wie zum Beispiel aus dem Textilbereich, die Frauen als die billigeren Arbeitskräfte nachfragen. Gegenüber dieser Prägekraft des Erdöls spielen Islam und Islamismus nur eine nachgeordnete Rolle, um die niedrige Frauenerwerbsquote in Iran zu erklären. Sie helfen aber, die Fluktuationen in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu verstehen: Die Phase einer stark fallenden Frauenerwerbsquote im 21. Jahrhundert überlappt sich weitgehend mit der Amtszeit des populistisch-patriarchalischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad (2005-2013), während sie sowohl unter dessen Vorgänger Mohammed Chatami (1997-2005) als auch unter seinem Nachfolger Hassan Rouhani (seit 2013) stieg.

Politische und wirtschaftliche Sphäre werden systematisch vermengt

Die systematische Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre in Iran fügt sich in die Rentenökonomie ein. Wie auch in den arabischen Erdölstaaten bildet der Staat, der den einzigen global konkurrenzfähigen Sektor vollständig beherrscht, das sozioökonomische Gravitationszentrum.

Er verteilt die Renten zum einen durch Subventionen und andere Formen der Alimentierung. Besonders ausgeprägt geschah dies in der Amtszeit Ahmadinedschads, zum Beispiel durch den Ausbau von Benzinpreissubventionen, die den Staatshaushalt stark belasteten. Zum anderen vergibt der Staat wirtschaftliche Privilegien an Akteure, die sich oft einer Grenzziehung zwischen privat und öffentlich entziehen. Hierzu zählen die Revolutionsgarden (Pasdaran; paramilitärische Eliteeinheit der Streitkräfte im Iran), die stark an Großprojekten beteiligt sind. Sie haben ihre wirtschaftliche Macht nicht durch Initiativen errungen, die einer kapitalistischen Logik folgen, sondern durch die Entfaltung klientelistischer Beziehungen. Das gleiche gilt für die religiösen Stiftungen (Bonyads), die über hohe Marktanteile in der Konsumgüterindustrie verfügen. Spezifisch an Iran ist, dass diese Verteilung wirtschaftlicher Privilegien das Resultat einer Konkurrenz zwischen mehr oder minder klar voneinander abgegrenzten politischen Gruppierungen wie Radikalen, Konservativen oder Reformern ist. Keine dieser Gruppen ist stark genug, um die anderen vollkommen zurückzudrängen, jedoch profitieren sie und damit auch die mit ihnen verbundenen sozialen Gruppen der Gesellschaft phasenweise in unterschiedlichem Maβe. Dies hängt im Wesentlichen davon ab, welchem Lager der Präsident angehört. Dieses System führt zwar auch zu einem begrenzten Pluralismus, geht aber vor allem mit einem hohen Maβ an Korruption einher: Im Index von Transparency International, der die wahrgenommene Korruption misst, stand Iran 2018 zusammen mit Ländern wie Libanon, Russland und Mexiko auf Platz 138 von 180.

USA belegen Iran mit harten Sanktionen

Neben der Erdölrente und der Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat auch die Sanktionspolitik der USA einen strukturell prägenden Einfluss auf die sozioökonomische Entwicklung Irans. Offiziell führten die Vereinigten Staaten die Sanktionspolitik bereits 1979 ein, ernsthaft verfolgt wurde sie aber erstmals unter Präsident Bill Clinton. Im 21. Jahrhundert waren es vor allem Barack Obama und in dramatisch verschärfter Form Donald Trump, die die Sanktionspolitik gegen Iran forcierten. Im Juli 2015 wurde das internationale Abkommen zum iranischen Atomprogramm beschlossen (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA), das die USA im Mai 2018 einseitig wieder aufkündigten.

Auswirkungen der Sanktionen auf Irans wirtschaftliche Entwicklung (1995-2019) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Neben den USA haben phasenweise auch andere Akteure wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union Sanktionen gegen Iran verhängt, nur jene der USA entfalteten aber nachhaltige Wirkung. So wurde der iranische Zugang zum internationalen Banken- und Finanzsystem durch die amerikanischen Sanktionen stark eingeschränkt. Außerdem bekam Iran nur unzureichend Zugang zu Hochtechnologien, was dazu beitrug, dass Irans Erdölanlagen nur mangelhaft instandgehalten und die Potentiale der enormen Vorkommen an Naturgas nicht annähernd ausgeschöpft wurden.

Trumps erweiterte Sanktionspolitik belastete dann erstmals effektiv den Handel Irans mit Unternehmen jenseits der USA und schränkte auch seine Fähigkeit empfindlich ein, Absatzmärkte für sein Erdöl zu finden. Die amerikanische Sanktionspolitik unter Trump, die im Vergleich zu jener seines Vorgängers auch wegen der deutlich niedrigeren Erdölpreise Iran sehr viel härter getroffen hat, trug wesentlich dazu bei, dass sich die Depression, in die das Land bereits 2018 geschliddert war, 2019 verschärfte. Viele Beobachter gehen allerdings davon aus, dass Irans "Widerstandswirtschaft" robuster ist als beispielsweise Venezuelas erdölabhängige Ökonomie, die durch die Sanktionspolitik der USA an den Rand eines Zusammenbruches geriet.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Martin Beck hat einen Lehrstuhl für gegenwartsbezogene Nahoststudien an der Externer Link: University of Southern Denmark (SDU) inne. Seine Forschung erstreckt sich auf internationale Politik und politische Ökonomie, unter anderem Erdölpolitik der Golfstaaten und die vergleichende Analyse von Ölstaaten.