Der getötete General Qassem Soleimani sei zu einer Kunstfigur stilisiert worden, sagt der Iranist Walter Posch. Mit ihm wurde Abu Mahdi al-Muhandis getötet, Chef der irakischen Volksmobilisierungseinheiten – ein wichtiger Mann in Irak, so Posch. Über den Auftrag von Soleimani, die Beziehungen zwischen Iran und Irak – und warum es in Iran wieder soziale Proteste geben könnte.
bpb.de: Anfang Januar haben US-Streitkräfte den iranischen Generalmajor Qassem Soleimani im Irak getötet. Er kommandierte die Quds-Einheiten. In den westlichen Medien wird er als "Mann ohne Schatten" bezeichnet, als "begnadeter Strippenzieher". In Iran wiederum gilt er vielen als Held. Wie beschreiben Sie ihn?
Walter Posch: Soleimani war ein Profi auf seinem Gebiet. Er kombinierte politische mit militärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten. Er war ein typischer Karriereoffizier der Revolutionsgarden.
Im Westen wurde Soleimani zuletzt zu einer Kunstfigur gemacht. Man hat ihm fast schon übermenschliche Fähigkeiten angedichtet, die er nicht hatte. Seine Quds-Einheiten hatten einen klaren Auftrag, der seit dem Irak-Iran-Krieg [Anm. d. Red.: 1980-1988] über die Jahrzehnte gewachsen ist: nämlich in der Region politisch zuverlässige und Iran zugewandte Gruppen aufzubauen, zu beraten und militärisch zu ertüchtigen. Er war eine Art militärischer Ideologieberater; seltener hatte er eigene Kampfaufträge. Sicherlich war er nicht dieser allmächtige Strippenzieher als der er nun dargestellt wird. Auch wenn in den letzten Jahren sein Ruhm und sein Ruf im In- und Ausland sehr gestiegen waren.
Man muss auch sagen, dass Soleimani im regionalen Kontext betrachtet als relativ moderat zu sehen ist. Das mag zynisch klingen, wenn man sein Image kennt. Aber er hat zum Beispiel ewig Präsident Haschemi Rafsandschani die Stange gehalten [Anm. d. Red.: Rafsandschani war 1989 bis 1997 Präsident; er zählt zu den Reformern]. Auch hat er sich propagandistisch eher zurückgehalten. Ein besonders aggressiver Fanatiker war er nicht.
Fast noch wichtiger als Soleimani war eine weitere Person, die mit ihm getötet wurde: Abu Mahdi al-Muhandis, Chef der irakischen Volksmobilisierungseinheiten. Es war sehr ungewöhnlich, dass die beiden zusammen waren.
Warum ist er wichtig? Abu Mahdi al-Muhandis ist in der Berichterstattung kaum aufgetaucht.
Ja, und dieser Mann war wirklich wichtig. Abu Mahdi al-Muhandis war nicht nur Chef eines eigenen Bataillons, sondern hat die kompletten Volksmobilisierungseinheiten in Irak geleitet [Anm. d. Red.: Die Einheiten sind ein breites Bündnis schiitischer Milizen, das seit 2014 unter der Führung der Badr-Organisation gegründet wurde, um den IS zu bekämpfen]. Er hat den Hauptteil im Kampf gegen den IS geleistet. Er gehörte zu jenen Schiiten im Irak, die zwar aus Iran Unterstützung bekommen, aber mit ihrem eigenen Kopf denken und unabhängig handeln.
Bleiben wir nochmal bei den Quds-Einheiten, die von Soleimani geführt wurden. Ihre Aufgabe ist die Expansion Irans in der Region zu unterstützen.
Die Iraner streben möglichst stabile langfristige Partnerschaften an. Sie gehen davon aus, dass sie in einem Land willkommen sein müssen, wenn sie sich dort engagieren. Und willkommen sind sie realistisch gesehen eher bei schiitischen als bei sunnitischen Gruppen. Die Iraner wissen: Wenn die lokalen Gruppen sie nicht haben wollen, dann haben sie es schwer Fuß zu fassen.
Iranische Revolutionsgarden und Quds-Einheit
Die Revolutionsgarden wurden 1979 gegründet und stehen bis heute in Konkurrenz zur regulären Armee. Nach dem Sturz des Schahs misstraute Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini der Armee und gründete die Garden. Zu ihnen zählen heute etwa 150.000 Mann. Sie unterstehen nicht der Regierung, sondern dem Revolutionsführer.
Zu den Garden gehören die Quds(=Jerusalem)-Einheiten, die 1984 – während des Irak-Iran-Krieges – gegründet wurde. Zu ihr gehören schätzungsweise 10.000 bis 20.000 Mann. Ihr Auftrag besteht vor allem darin, iranfreundliche Milizen militärisch sowie ideologisch auszubilden, sie zu finanzieren und teils auch anzuführen. Die Quds-Einheit untersteht mittlerweile direkt dem Revolutionsführer und konnte dadurch innerhalb der Revolutionsgarden an Bedeutung gewinnen.
Teheran hat es geschafft, in verschiedenen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens verlässliche ideologische Zellen zu identifizieren. Wollen sich diese Zellen bewaffnen, dann kommt die Quds ins Spiel. Sie hat mehrere Unterabteilungen, aber eigentlich funktioniert sie wie ein Sonderkräftekommando. Sie setzt, wenn man so will, auf einen sehr starken ideologisch-politischen Agitprop, der mit militärischer Grundausbildung und Fachausbildung kombiniert ist. Das kann Quds anbieten.
Die Quds-Einheiten wurden 1984 während des Irak-Iran-Krieges gegründet als Teil der Revolutionsgarden. 1998 übernahm Soleimani das Kommando. Hat er die Quds stark geprägt?
Die Quds war zunächst nur in der bewaffneten Aufklärung und mit dem Aufbau von Sympathisantengruppen hinter den irakischen Linien tätig. Soleimani hat vieles systematisiert, er hat modernisiert. Er hat auch dafür gesorgt, dass seine Einheit in die Regionalpolitik Irans, die stark militärisch geprägt ist, stärker involviert wurde.
Ab 2011 hatte er den Auftrag, das Regime in Syrien aktiv zu unterstützen. Ab dann beginnt die große Berichterstattung über ihn in den westlichen Medien. Auch die Übertreibungen, denn letztlich kann man Irans militärischen Fähigkeiten nicht mit denen der USA vergleichen. Die USA haben ganz andere Möglichkeiten. Soleimani war ein Gegenspieler, aber dennoch ein vorsichtiger Gegenspieler.
Iran betreibt aus seiner Perspektive eine erfolgreiche Regionalpolitik. 2003 marschieren die USA in Irak ein, Saddam Hussein wird gestürzt. Anschließend nutzt der Iran die Situation für sich. Man betreibt eine Art Doppelspiel: Einerseits hat sich Teheran Vertrauensleute in der Politik aufgebaut, andererseits hat man gewaltbereite iran-freundliche Milizen unterstützt.
Das sehe ich anders. In dem Moment, als man Saddam Hussein gestürzt hat, bekam die schiitische Mehrheit in Irak und die schiitischen Netzwerke mehr Gewicht. Daher kehrten auch Freunde Teherans nach Irak zurück – etwa Angehörige der Badr-Einheit [Anm. d. Red.: Die Miliz entstand 1984 während des Irak-Iran-Krieges als irakische Einheit der Revolutionsgarden in Iran], die zu den Revolutionsgarden gehörten und geschlossen in das Innenministerium aufgenommen wurden. Beobachter werteten das seinerzeit als eine stille Annäherung zwischen den USA und Iran. Es kam anders.
Was die verschiedenen paramilitärischen Gruppen im Irak anbelangt, waren diese teils unkontrollierbar. Dass Soleimani oder Teheran direkten Einfluss auf sie gehabt hätten, stimmt nur teils. Dazwischen existieren zu viele hierarchische Dynamiken. Deshalb musste sich Soleimani auch mit Leuten wie Muhandis treffen.
Ich würde sagen, dass die Iraker gerade mit der Verstärkung und der Institutionalisierung der Volksmobilisierungseinheiten einen wichtigen Beitrag geleistet haben, um die verschiedenen Milizen in einem ersten Schritt einzuhegen. Bis alle aufgelöst sind oder sich auflösen, wird es noch dauern. Aber es geht in diese Richtung: nach dem endgültigen Sieg über den IS könnten sich die Einheiten in Richtung eines Reserveelements bewegen – idealerweise mit Unterstützung des Westens. Das ist ein langfristiger Plan, aber ich sehe keine andere Möglichkeit.
Mit dem Tod von Soleimani und Muhandis braucht es natürlich neue irakisch-iranische Absprachen.
Gehen Sie davon aus, dass sich Iran zurückhält oder langfristig zurückzieht? Das klingt eher unwahrscheinlich.
Der Iran hat Angst, dass der Irak kollabiert und man mit Millionen von Flüchtlingen konfrontiert ist.
Der Iran will Stabilität im Irak. Sie wollen keinen starken Irak. Keinen Irak, der sie militärisch bedrohen kann. Aber ein prosperierender Irak ist in ihrem eigenen Interesse.
Im Irak gab es zuletzt Proteste, die sich gegen den Einfluss Irans richteten.
Auch im irakischen Parlament wuchs die Sorge, dass der Irak zu sehr ins iranische Fahrwasser gerät. Dass man zu sehr auf regionalpolitische Aspekte schaut, während im eigenen Land die Infrastruktur zerbröselt. Darum ging es auch bei den Protesten: Das waren vor allem soziale Unruhen. Die Jugend hat es satt, jeden Tag dieses ganze heroische Geschwätz anhören zu müssen. Die wollen funktionierende Straßen, eine funktionierende Müllabfuhr und so weiter.
Auch die Iraner wussten, dass ihre Sympathiewerte nicht mehr so groß waren wie noch vor ein paar Jahren. Das hat sich jetzt unmittelbar nach dem Anschlag geändert. Wie lange dieser Vereinigungseffekt andauert, werden wir sehen.
Das Problem bleibt, dass dieser Anschlag auf die beiden Militärs nichts löst. Im Gegenteil.
Die USA listen die Quds-Einheiten als Terrororganisation – damit auch Soleimani. Die Terrorbekämpfung ist eines der Argumente für seine Tötung. Sie sagen, das wird nichts lösen.
Sein Nachfolger ist schon da [Anm. d. Red.: General Esmail Ghaani, bislang Stellvertreter, übernimmt das Kommando der Quds-Einheiten].
Nicht nur die Quds-Einheiten, sondern die kompletten Revolutionsgarden befinden sich auf der US-Terrorliste. Das führt auch dazu, dass der Begriff des Terrorismus immer mehr verwässert wird, wenn jede paramilitärische Einheit eines Staates als Terrororganisation bezeichnet wird. Und das heißt auch, dass man nicht miteinander verhandeln wird. Auf Iran bezogen bedeutet das wiederum eine deutliche Verhärtung der Gangart.
Lassen Sie uns zum Schluss noch auf die aktuelle Stimmung in Iran schauen. Dort gab es im November 2019 landesweit soziale Proteste nachdem die Regierung die Benzinpreise angehoben hatte. Diese Demonstrationen wurden brutal niedergeschlagen. Was bedeutet die Tötung von Soleimani? Ist die Proteststimmung erst einmal verflogen?
Ja und nein. Soleimani hat im Iran das Image eines Moderaten. Auch für Leute, die das Regime kritisch sehen, ist seine Tötung nicht nachvollziehbar.
Aber die wirtschaftliche Misere Irans bleibt. Und die Iraner wissen sehr genau, dass das nicht allein an den Sanktionen liegt, sondern auch an der Art und Weise wie der Reichtum im Land verteilt wird. Wie sich Gruppen von Superreichen noch mehr bereichern und wie sehr das Land zugleich verarmt ist. Dieses Problem bleibt bestehen.
Das Interview führte Sonja Ernst im Auftrag von bpb.de.
Dr. Walter Posch ist Historiker und Iranist. Er arbeitet am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie in Wien.
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